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Ausgabe:

1958

Spalte:

45-47

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Cranach, Lucas

Titel/Untertitel:

Cranach-Altäre der Reformation 1958

Rezensent:

Hentschel, Walter

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diese Bilder die Folge der übrigen, indem sie plötzlich mitten
zwischen afrikanischen, chinesischen, japanischen o. a. erscheinen.
Beim Durchblättern dominiert daher Thomas erstaunlich stark.
Vielleicht läßt sich diese technische Schwierigkeit doch in einer
späteren Auflage anders lösen — obwohl wir uns bewußt sind,
daß das nicht leicht ist.

Es sei audi nicht verschwiegen, daß gerade auch einige der
Bilder von Thomas von indis.chen Christen angegriffen oder abgelehnt
werden1. Sie befürchten, daß der ausgesprochen indische
Charakter dieser Bilder nicht scharf genug die Grenze zu entsprechenden
Darstellungen epischer indischer Erzählungen oder
auch buddhistischer oder hinduistischer Kunst zeichnet und „das
unterscheidend Christliche nicht mitteilt".

Das kann keinesfalls verallgemeinert werden. Aber es scheint
bei einigenDarstellungen tatsächlich zuzutreffen. Wir können wohl
nicht verschweigen, daß auch die alte christliche Kunst durch
manche Versuchung dieser Art gegangen ist.

Lehmann überschreibt den ersten Teil seiner Einführung
„Das Neuland". Das wird es für die meisten Leser in der Tat
sein. Wir können nicht dankbar genug diese hervorragende Leistung
würdigen und nur hoffen, daß dieses Buch Mut macht, dem
Verfasser den Zugang zu mancher vielleicht noch verborgenen
Quelle zu öffnen, so daß langsam aus diesem ersten Werk eine
wirkliche Kunstgeschichte der jungen Kirchen entstehen mag. Die
wahrhaft kirchliche Bedeutung dieses Werkes liegt aber wohl
darin, daß dem Leser ein besonderer Blick in die wirkliche Ökumene
heute geöffnet wird, den er bisher in dieser Weise auch bei
intensiverer Beschäftigung mit ökumenischem Leben kaum bekommen
hat.

*) Vergl. Mark Karunakaran, Indische Kritik an indischen Jesusbildern
, Die Zeichen der Zeit, 1957, S. 123.

Berlin Gerhard Brennecke

T h u 1 i n, Oskar: Cranach-Altäre der Reformation. Mit Aufnahmen
von Charlotte Heinke-Brüggemann. Berlin: Evangelische Verlagsanstalt
[1955]. 167 S., 191 Abb. 4°. Lw. DM 22.50.

Die Cranachaltäre der Reformation umschließen ein Kapitel
der Kunstgeschichte von einer Bedeutung, die weit über den rein
künstlerischen Wert der Denkmäler hinausgeht. Geschah doch
hier etwas, was kaum eine Parallele hat: die bewußte, man
könnte sagen planmäßige Schaffung von neuen Bildtypen. Von
der einschneidenden Wirkung dieses Vorgangs vermögen wir uns
heute kaum eine Vorstellung zu machen. Für die Menschen des
16. Jahrhunderts, denen ein Bild ungleich mehr sagte als uns,
die wir hauptsächlich durch das geschriebene und gedruckte Wort
aufnehmen, muß es ein umstürzendes Erlebnis gewesen sein, zumal
ja fast überall noch die Bilder des alten Glaubens standen,
wodurch das Neue noch eindringlicher wirken mußte. Die neue
protestantische Ikonolcgie entstand im Zentrum der reformatorischen
Bewegung, wurde geschaffen von den gleichen Männern,
die die Grundsätze des neuen Glaubens formuliert hatten, in
enger Zusammenarbeit bei einem Maler von hohem Rang, der
6ich zu ihnen bekannte. So kam es, daß diese nicht gewachsenen,
sondern in einer beinahe intellektuellen Atmosphäre erzeugten
Bildformulierungen eine Wirkung hatten, die sich weit über den
Kreis der Cranachwerkstatt hinaus erstreckte.

Es ist richtig, daß dieser Zeugungsprozeß von einem Theologen
beschrieben und gedeutet wurde, der es vermag, die Bilder
so zu interpretieren, wie sie zweifellos gedacht waren: als gemalte
Predigten. So ergab sich eine andere Problemstellung, als
sie der Kunsthistoriker gewählt hätte. Wenn in dieser Besprechung
aber der Kunsthistoriker zu Worte kommen darf, so mögen
seine Bemerkungen so aufgefaßt werden, daß sie beitragen
wollen zu dem Ziel, das beiden Disziplinen gemeinsam ist.

In Thulins schönem Buch werden behandelt die Cranachaltäre
in Wittenberg (1547), Schneeberg (1 539), Weimar (1 553),
Dessau (1565), Kemberg (1565), dazu das nicht als Aufgabe, aber
in seinem Inhalt ähnliche, im Kriege leider zerstörte Mayenburg
-Epitaph in Nordhausen (1 5 58). Mindestens die Hälfte dieser
Werke gehört dem jüngeren Cranach an. Der Begriff Cranachwerkstatt
wird also einheitlich über zwei Generationen hinweg
gefaßt. Diese Auffassung steht in gewissem Widerspruch zu den

Tendenzen deT heutigen kunstgeschichtlichen Cranachforschung,
die bemüht ist, das Werk des Sohnes stärker als bisher von dem
des Vaters abzusondern und die zum Teil recht erheblichen
Merkmale eines eigenständigen Stils beim Sohn herauszuarbeiten.
Die leider bisher nur bruchstückweise veröffentlichten Forschungen
von Heinrich Zimmermann lassen eine solche Darstellung
der Kunst des Sohnes erhoffen. Diese Gegensätzlichkeit
der künstlerischen Persönlichkeiten wird in Thulins Buch kaum
gestreift, aber man darf wohl sagen: mit einem gewissen Recht,
denn im Hinblick auf das eigentliche Thema des Buches kann
das Trennende hinter dem Verbindenden zurücktreten. Themenwahl
, Komposition, Typik, Malweise wandeln sich ja tatsächlich
nur unwesentlich. Auch an der durch die Stilentwicklung
schon überholten Form des Flügelaltars hält der jüngere Cranach
noch in Kemberg fest, dagegen hat er in dem gleichzeitig entstandenen
Dessauer Fürstenaltar — wenn dieses Bild tatsächlich
als Altarschmuck gedacht war, was noch zu untersuchen wäre —
eine neue Form erstmals angewandt, die des einbildigen Altars,
eine ausgesprochene Renaissanceform also, wie sie Dürer zuerst
gebracht hatte. In diesem, wie in anderen Fällen wäre eine kurze
Betrachtung über Gesamtaufbau und Rahmenform erwünscht
gewesen. Am Kemberger Altar ist das höchst reizvolle alte Rahmenwerk
vollständig erhalten, aber man vermißt eine Abbildung
des Gesamtwerkes. Die Frage der Rahmung wird übrigens von
aktueller Bedeutung, wenn, wie Thulin es mit Recht fordert, die
Einzeltafeln des Schneeberger Altars in der wiederhergestellten
St. Wolfgangskirche wieder in einer dem altem Zusammenhang
entsprechenden Form vereint werden.

Einen breiten Raum nimmt die Deutung der Bildnisse der
Personen ein, die auf allen behandelten Werken — außer Schnee-
berg _ als Handelnde auftreten. Fast alle bedeutenden Männer
des Wittenberger Kreises sind auf diese Weise porträtiert worden
— sogar Erasmus von Rotterdam hat sich auf dem Mayenburg
-Epitaph ihnen zugesellen dürfen. Die Identifizierungen
Thulins sind überzeugend bis auf einen Fall: zweifellos ist, durch
den Siegelring mit der geflügelten Schlange ausgewiesen, der
Mundschenk der Dessauer Abendmahlsdarstellung der jüngere
Cranach, aber von diesem gesicherten Bildnis aus führt kein Weg
zu dem Mundschenken des Wittenberger und des Schneeberger
Altars, auch nicht, wenn man den Altersunterschied von 1$
bzw. 26 Jahren in Rechnung stellt.

Ein Sonderkapitel behandelt unter dem Titel „Werden und
Wandel eines Bildmotivs" die für die protestantische Ikonographie
wohl bedeutsamste Bildformulierung der Cranachwerkstatt
, die Bilder mit dem Thema „Sündenfall und Erlösung".
Man möchte diese Bilder geradezu als die gemalte Magna Charta
des Protestantismus bezeichnen. Der Verfasser zeigt das Entstehen
der eigenartigen antithetischen Kompositionen erst in
Luthers Schriften, dann in Zeichnungen Cranachs auf, bis das
Ergebnis in dem bekannten Gemälde von 1529 in Gotha und,
in anderer Formulierung, in einem gleichzeitigen Bild in Prag
vorliegt. Es sind Bilder, die zu Gunsten der lehrhaften Aufgabe
die bildmäßige Einheit opfern und damit zu einem
großen Teil auf das verzichten müssen, was die Malerei der
Dürerzeit errungen hatte, rein gedankliche Konstruktionen,
die daher auch stets reichlicher Schriftbeigaben bedürfen,
um dem Laien verständlich zu werden. Trotzdem sind diese Bilder
außerordentlich oft wiederholt und weitergebildet worden,
nicht nur in der Cranachwerkstatt, sondern auch von anderen
Künstlern (auf die bisher kaum beachteten gleichartigen Darstellungen
des Schneeberger Malers Wolfgang Krodel von 1542
in Kamenz sei hingev/iesen), und in anderen Techniken, in Glasmalerei
, Holz- und Stcinbildhauerarbeit, in Eisenguß, Graphik
und Buchschmuck. Durch Heranziehung des dem Verfasser entgangenen
Aufsatzes von Richard Foerster: „Die Bildnisse von
Johann Heß und Cranachs Gesetz und Gnade" im Jahrbuch des
Schles. Museums für Kunstgewerbe und Altertümer 1909 hätte
die sehr verdienstvolle Untersuchung des Bildmotivs noch ergiebiger
gestaltet werden können.

Ein wirkliches Verdienst des Buches ist die ausgezeichnete
Illustrierung. Erst durch die zahlreichen, geschickt ausgewählten
Detailaufnahmen wird deutlich, was an bestem Erbgut der altdeutschen
Malerei in der Cranachwerkstatt weiterlebte. Die Bild-