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Ausgabe:

1958 Nr. 10

Spalte:

674-675

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Käsemann, Ernst

Titel/Untertitel:

Das wandernde Gottesvolk 1958

Rezensent:

Gräßer, Erich

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Theologische Literaturzeitung 1958 Nr. 10

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auch die synoptische Frage behandelt wird und nochmals eine
Behandlung des gleichen Problems durch B. C. Butler, dann
einen Abschnitt über die Person und die Lehre Jesu und einen
solchen über Glauben und Leben der Urgemeinde u. a. Bei Mk
ist die gute und recht unbefangene Beurteilung der Schlußverse
16, 9—20 zu erwähnen. Joh wurde durch W. Leonard behandelt,
der auch den Hebr übernommen hat und hier die in seinem Buch
von 1939 vertretene Meinung wiederholt, daß der Brief doch
von Paulus stammt. Der Bearbeiter der beiden Petrusbriefe hat
keine Schwierigkeiten, beide Briefe auf den gleichen Verfasser
zurückzuführen, der kein anderer war als der Apostel Petrus.
Nach diesen Proben wird man wohl sagen müssen, daß dieses
Werk neben viel Verdienstlichem, namentlich in den zahlreichen
Beiträgen allgemeinen Charakters, auch mancherlei enthält, das
dem Anspruch, a scholarly, critical and up-to-date survey of modern
biblical knowledge zu bieten, mindestens nicht voll entspricht
.

München Josef Schinid

ALTES TESTAMENT

-

HyO r o w i t z,' "Charles: Jeruschalmi (Der palästinensische Talmud),
/Nedarim (Gelübde), übersetzt und interpretiert. Düsseldorf-Benrath;
f Kalima-Verlag 1957. 135 S. gr. 8°. DM 15.-.

Neben dem babylonischen Talmud gibt es die beiden bedeutenden
halachischen Sammlungen des palästinensischen Talmuds
und der Tosefta. Während aber der babylonische Talmud, vor
allem was die Mischna betrifft, wegen der kanonischen Würde
zahlreiche Übersetzungen und Erklärungen erfahren hat, sind
Jeruschalmi und Tosefta noch weitgehend terra incognita. Die6
gilt vornehmlich für den jerusalemischen Talmud, nachdem mit
der Übersetzung und Erklärung der Tosefta inzwischen ein wichtiger
Anfang gemacht worden ist. Um so mehr ist es zu begrüßen,
wenn das Interesse sich nun auch Jeruschalmi zuwendet und im
folgenden ein Traktat besprochen werden kann.

Der Verfasser legt mit Recht den größten Wert auf eine
klare, jede Dunkelheit vermeidende Übersetzung. Die stichwortartige
Kürze des hebräischen Originals wird in der bewährten
Methode verdeutlichender Einschübe aufgelöst. Dies ist in geradezu
bewunderungswürdiger Weise geschehen, denn die selbstverständlich
in Klammern gesetzten Einschübe sind syntaktisch so
geschickt eingebaut, daß man, wenn man 6ie streicht, einen immer
noch lesbaren, nun dem Original entsprechenden Text erhält.
Der Kundige vermag dadurch den Urtext geradezu mitzuhören.
Hier zeigt sich nicht nur beste jüdische Übersetzungskunst, sondern
auch eine tiefe innere Anteilnahme am Stoff. Zur weiteren
Erklärung des Traktats fügt der Verfasser sparsam aber sorgfältig
gefaßte Anmerkungen bei. Daß sie ganz von der Tradition getragen
sind, mindert ihren Wert keineswegs, doch hätte hie und da
die neuere Forschung zu Worte kommen dürfen, zumal sie durchaus
nicht immer der Überlieferung zuwiderläuft.

So sollte die Wiedergabe von Dia^ED^N mit „Spargel"
(S. 77, Halacha XIV) endlich aus den Übersetzungen verschwinden
. Wie I. Low auf Grund philologischer Studien in Übereinstimmung
mit geonäischer Erklärung längst nachgewiesen hat,
handelt es sich bei dem genannten Begriff um den als Gemüse
gegessenen jungen Trieb verschiedener Pflanzen, in der Mischna
stets um den Kohlkeim. Mit Recht weist Low darauf hin, wieviel
besser diese Auffassung dem Sinn des Textes entspricht, wozu
besonders auch Tos Demaj IV, 5 zu vergleichen ist.

Hie und da dürften die Anmerkungen doch ausführlicher
sein. Wenn auf S. 19 in Anm. 1 gesagt wird, daß Gott den Widder
Abrahams in der Abenddämmerung des 6. Schöpfungstages geschaffen
habe, so ist das ohne den Hinweis auf den Midrasch als
Quelle irreführend, wenigstens für einen größeren nichtjüdischen
Kreis, dem das Werk nicht verschlossen bleiben sollte.

Dem Ncutestamentler hat das Werk eine ganze Menge zu
sagen, denn Stellen wie Mark 7, 11; Apg 18, 18; 21, 24, um nur
einige zu nennen, erhalten von hier ihr rechtes Licht. Daß Jeruschalmi
nicht die theologische Authentizität wie Babli besitzt, ist
für den historisch denkenden Forscher ohne Belang.

Bedauerlich ist das Fehlen einer Einleitung, in der in knapper
Weise nicht nur der Stoff hätte erläutert werden sollen, sondern
in der auch die grundsätzliche Eigenart der palästinensischen
Tradition hätte dargestellt werden müssen. Hier hat der Verfasser
ein ihm bei dem ständigen Vergleich mit Babli zwangsläufig zugefallenes
Arbeitsergebnis dem Leser vorenthalten. Schließlich
entbehrt man nur ungern ein ausführliches Inhaltsverzeichnis, das
als Wegleitung in das vortreffliche Werk von bedeutendem
Nutzen gewesen wäre.

Berlin Gerhard Lisowsky

NEUES TESTAMENT ^ J?WVoJ

s e m a n n, Ernst: Das wandernde Gottesvolk. Eine Untersuchung
zum Hebräerbrief. 2. Aufl. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1957.
157 S. gr. 8° = (Forschungen zur Religion u. Literatur des Alten und V*
Neuen Testaments, hrsg. v. R. Bultmann, N. F. H. 37. DM 9.-.
Nach rund 20 Jahren legt E. Käsemann einen unveränderten
Nachdnwk-seiner damals rasch vergriffenen StucTie über den Hebräerbrief
vor. Das geschieht nicht ohne Bedenken, da die forschungsgeschichtliche
Situation heute nicht mehr die gleiche ist.
Die Bemühungen der letzten zwei Jahrzehnte — ich deute nur
einiges an — gingen einmal dahin, den Hebräerbrief aus seiner
Isolation herauszulösen, indem man theologische Beziehungen
zum übrigen NT herausstellte. Man suchte also nach einer breiteren
Basis für die Exegese, und zwar innerhalb desNT's
selber (als Beispiele die Arbeiten von C. Spicq, besonders L'origine
johannique de la coneeption du Christ-pretre dans l'Epitre aux
Hebreux, in: Aux sources de la tradition chretienne. Melanges
offerts ä M. Maurice Goguel, 1950, S. 258-269. Ferner: W.
Manson, The Epistle to the Hebrews. An historical and theologi-
cal Reconsideration. London 1951. Er sieht im theol. Entwurf
des Hebr. einen direkten Nachfolger der Stephanuspredigt. —
Olaf Moe, Das Priestertum Christi im NT, außerhalb des Hebr.,
in: ThLZ 72, 1947, Sp. 335—338. G. Friedrich, Beobachtungen
zur messianischen Hohepriestererwartung in den Synoptikern, in:
ZThK 53, 1956, S. 265 ff. O. Cullmann, Die Christologie des
NT, 1957, S. 86 ff.). Andererseits ist man dem Zusammenhang
des Hebr. mit der jüdischen Lehrtradition weiter
nachgegangen (besonders L. Vaganay, Le plan de l'Epitre aux
Hebreux, Memorial Lagrange, 1940, S. 269—277. — Auch O.
Michels Kommentar müht sich in dieser Riditung). Daneben hat
man auch die literar kritischen Operationen zur
Erfassung besonders der traditionellen liturgischen Stücke weitergeführt
und vom theologischen Willen des Verfassers
abzuheben versucht (z. B. G. Schille, Erwägungen zur
Hohepriesterlehre des Hebräerbriefes, in: ZNW 46, 1955, S. 81
—109). Ein beachtlicher Vorgang, der etwa in Parallele steht zu
der eben erst in Gang gekommenen redaktionsgeschichtlichen
Forschung an den syn. Evangelien. Überhaupt ist die theolo-
gische Absicht des Verfassers ad Hebr. mehr in den Blickpunkt
gerückt. (Besonders wichtig dafür ist der Aufsatz von
O. Kuß: Der theologische Grundgedanke des Hebräerbriefes. Zur
Deutung des Todes Jesu im NT, in: Münchener Theologische
Zeitschrift 7, 1956, S. 233—271. Vgl. auch Franz Joseph Schierse,
Verheißung und Heilsvollendung. Zur theologischen Grundfrage
des Hebräerbriefes, München 195 5.) — Neben all dem sind auch
— freilich weniger ergiebig — alle Einleitungsfragen fleißig weitergetrieben
worden.

Eine besondere Veränderung hat die Lage durch die Qumrän-
Funde erfahren. Aus ihrer Auswertung scheinen sich speziell auch
für die Erklärung des Hebräerbriefes ganz neue Gesichtspunkte zu
ergeben. Vor allem hinsichtlich der Hohepriesterlehre! G. Friedrich
z. B. vermutet, daß die Erwartung des hohepriesterlichen
Messias in den Sektenkreisen vom Toten Meer entstanden sei
(a. a. O., S. 274). Die Sektenregel unterscheidet jedenfalls deutlich
zwischen einem priesterlichen und einem politisch-königlichen
Messias, dem „Messias Aarons" und dem „Messias Israels"
(K. G. Kuhn, Die beiden Messias Aarons und Israels, in: New
Test. Stud. I 1955, S. 168 ff.; E. Stauffer, Probleme der Priestertradition
, in: ThLZ 1956, Sp. 135 ff.). Hier sind der Forschung
am Hebräerbrief neue Aufgaben gestellt. Daß die ganze Frage
einer vorchristlichen jüdischen Gnosis durch die Funde von Qum-
rän ein ganz neues Gewicht bekommen hat — was wiederum ge-