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Ausgabe:

1958 Nr. 10

Spalte:

661-670

Autor/Hrsg.:

Schenke, Hans-Martin

Titel/Untertitel:

ʺDas Wesen der Archontenʺ 1958

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Theologische Literaturzeitung 1958 Nr. 10

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geschenkt werde in dem Bereich der wissenschaftlichen Arbeit
und dem der praktischen Lebensbewältigung.

Wenn er zum Schluß von okkulten Kräften spricht, die das
moderne, immanente Denken erschüttern können, so wird noch
einmal deutlich, mit welcher Aufgeschlossenheit er den Ereignissen
, besonders im geistigen Leben, gegenüberstand. Er sieht
in ihnen Kräfte, die „gedankliche Hindernisse für die rettende
Wirkung des Wortes aus dem Wege räumen können" (311). Die
Arbeit Karl Heims wird weiterhin getan werden müssen, ohne
daß sie je zu einem Ende kommen kann: die gedanklichen und
gewi6«ensmäßigen Einwände gegen den christlichen Glauben zu
hören und ernst zu nehmen, aber ihnen gegenüber auch aus der
Fülle des Wortes Gottes nach den rechten Antworten zu suchen.
Heims Denken ist weder als diastatisch noch als synthetisch zu
bezeichnen, wohl aber — und das dürfte auch für die weitere
Arbeit richtungweisend sein — als echt missionarisch aus der Dy-
namis des fleischgewordenen Wortes Gottes.

Wenige Monate nach dem Erscheinen der ersten Auflage
dieser Lebenserinnerungen konnte Karl Heim noch eine zweite
Auflage herausgeben (2. und ergänzte Aufl. 1957, 320 S., 8 Taf.).
In dieser hat der letzte Abschnitt 2 Änderungen erfahren:

1) Bei den Ausführungen über das brasilianische Medium
Mirabelli sind Einzelheiten weggelassen, z. B. daß Mirabelli im
Trancezustand über viele Wissenschaftsgebiete sprach im Namen
von bestimmten Geistern; auch konnte er in 28 Sprachen mit großer
Schnelligkeit schreiben. Geblieben ist aber Heims Aussage:
„Wir sehen in das Jenseits hinüber, in dem unsere verstorbenen
Menschen jetzt weilen, das aber nicht in weiter Ferne liegt, sondern
uns ganz nahe ist und uns schon jetzt unmittelbar umgibt"
(305). Allerdings hat er zuvor einige besonders positive Sätze,

die zu kritischen Fragen Anlaß geben mußten, weggelassen, die
das Verhältnis der Geistwesen zum Erdenleben betrafen (l. Aufl.
307). Es will uns bedenklich erscheinen, diese Sphäre des Okkulten
mit einem Bereich der Verstorbenen gleichzusetzen.

2) Kurz geht Heim darauf ein, warum er sich keinem der
heutigen Systeme angeschlossen hat (315 ff.). Sein Pietismus gehe
von der Notwendigkeit der Bekehrung aus; daher sehe er auch
den Sinn der Theologie darin, „wenn sie den Zweck erfüllt, Menschen
zu dieser Entscheidung zu führen" (316). Heim hat oftmals
Kritik erfahren müssen wegen seiner angeblichen „Christomanie".
Trotzdem ist es doch zu einseitig, wenn er sagt, daß dieser 6ein
Standpunkt von allen „heute herrschenden Systemen abgelehnt
werde". Dies gilt keineswegs seinem Grundanliegen gegenüber.
Im Gegensatz zu der These von Bultmann „Jede Stunde ist die
letzte Stunde" (317) fordert Heim die endge6chichtliche Erwartung
innerhalb der Eschatologie. Mit Barth weiß sich Heim einig
in dem Widerspruch gegen den Liberalismus. Er möchte aber mehr
».die Tat, die sich aus der Hingabe des Lebens an Christus ergibt"
in den Vordergrund 6tellen, während Barth das Wort der Heiligen
Schrift betont habe.

Am 30. August 1958 ist Karl Heim im 85. Lebensjahr heimgerufen
worden, so daß die Anzeige dieses seines letzten Buches
mit einem Dank gegen Gott schließen muß, der seiner Kirche
einen solchen Lehrer geschenkt hat. Das Wort aus dem Hebräerbrief
, mit dem sein Tod angezeigt wurde, läßt noch einmal den
Grund erkennen, von dem aus all seine reich gesegnete Arbeit hat
geschehen dürfen:

..Denn mit einem Opfer hat er in Ewigkeit vollendet, die
geheiligt werden" (10, 14).

„Das Wesen der Archonten"

Eine gnostische Originalschrift aus dem Funde von Nag-Hamadi'a

Von Hans-Martin Schenke, Berlin

Die gnostische, in koptischer Sprache10 erhaltene Schrift, deren
Übersetzung wir hiermit erstmalig vorlegen, befindet sich an vierter
Stelle in einer der zwölf bzw. dreizehn koptisch-gnostischen Papyrus
-Handschriften des Koptischen Museums zu Alt-Kairo. Pahor
Labib bezeichnet diesen in der ersten Hälfte des vierten Jahrhunderts
geschriebenen Codex als Codex II1; nach der Zählung von
Puech2, dessen Übersicht alle bei Nag-Hamadi gefundenen Handschriften
umfaßt, den später sog. Codex Jung also miteinbegreift,

Trotz dieses Mangels ist dem Verfasser ein im großen und ganzen
einheitliches Werk gelungen. Was der Engel über die Entstehung
der Archonten im einzelnen offenbart, ist in dem auf diese
Offenbarung ausgerichteten erzählenden Teil nur in ganz groben
Zügen umrissen worden. Der Hauptinhalt dieses erzählenden
Teiles wiederum berichtet das vom Wirken der Archonten, was
der Engel nicht mehr enthüllt.

Um den geistigen Ort unserer Schrift innerhalb der Gnosis

!*1CT-^C*.A^£^DN^ ! 2U besti«nien, kann man von den Namen der drei Hauptgestalten

ausgehen: von der Offenbarungsempfängerin Norea, dem Offenbarungsspender
Eleleth und dem Gott dieser Welt Samael.

Den Mandäern ist Norea in der Form Nhüraitä bzw.
Nuraitä als Frau des Sem [Ginza 410, 7 (Lidzb.); Morg. 88, 9], als
Frau des Noah [Ginza 46,4 (Lidzb.)] oder als Frau des Dinänükht
[Ginza 211, 36. 39 (Lidzb.)] bekannt4. Für die Gnostiker von Iren,
adv. haer. I 30 ist ebenso wie in unserer Schrift Norea die
Frau des Seth [I 30, 9 (Harvey I 236, 9-11)]. Auch die Sethianer
des Epiphanius teilen diese Auffassung [pan. 39, 5, 2 f. (Holl II
75, 13—20)]. Bei den Gnostikern im engeren Sinne genießt diese
Norea nun eine hohe Wertschätzung als Verkünderin der Gnosis.
Nach Filastrius haer. 33 (Marx 18,4—8) verehrten diese Gnostiker
die Barbelo und die Norea. Übrigens braucht man aus dieser
Stelle nicht mit Bousset zu schließen, daß beide Namen ein und
dieselbe Person bezeichneten6. Epiphanius berichtet pan. 26,
1. 3—9 (Holl I 275, 12 — 276, 22), die Gnostiker hätten ein Buch
mit dem Titel „Noria" besessen. Als dessen Inhalt0 gibt er an,
..daß es ihr (sc. Nona, Frau des Noah) nicht gestattet wurde, mit
Noah in die Arche zu gelangen, obgleich sie es oftmals wollte.

arbeitung verschiedener Quellen zeigt sich auch daran, daß Norea die
Frau des Seth ist und doch mit Noah in die Arche will, was doch nur
Sinn hätte, wenn sie die Frau des Noah wäre.
*) Vgl. Lidzbareki: Johannesbuch, S. 58.

5) Vgl. Hauptprobl., S. 14, N. 2.

6) Vgl. C.Schmidt: Gnostische Schriften in koptischer Sprache aus
dem Codex Brucianus, Texte u. Unters. VIII, Leipzig 1892, H. l/2,
S. 566 f.; Leisegang: Die Gnosis, Leipzig 1924, S. 189.

ten ersten Photokopien-Bande des Kairiner Koptischen Museums
(Lab I) auf den Tafeln 134—145 veröffentlicht. Unsere Schrift hat
am Ende den Titel „Das Wesen der Archonten" und beginnt mit
der Nennung des Themas: „Über das Wesen der Mächte; im Geiste
des Vaters der Wahrheit!"

Der Form nach ist sie vorn eine Abhandlung, die ein gno-
stischer Lehrer auf die Frage und Bitte eines seiner Schüler hin
abgefaßt hat, hinten aber (von 141,13 an) eine Offenbarung der
Norea, der Frau des Seth, in der sie mitteilt, was der Engel
Eleleth ihr enthüllt hatte. Man kann sich diesen Sachverhalt nur
so erklären, daß der Verfasser für seine Abhandlung Quellen
benutzt hat, und zwar in der Hauptsache eine Schrift, die von
Norea selbst herzustammen vorgab, und daß er bei deren Verwendung
versäumte, die erste Person in die dritte umzusetzen'1.

la) Vgl. den Bericht über den sensationellen Handschriftenfund in
dieser Zeitschrift, Jg. 74/1949, Sp. 760—762.

lb) Die Sprache ist genauer ein vorklassisches Sahidisch mit starken
und wcdisclndcn adunimischen und subachmimischen Dialekteinschlägen
.

') Coptic Gnostic Papyri in the Coptic Museum at Old Cairo,
Vol. I, Cairo 1956 (abgek. Lab I), p. 6.

!) Les nouveaux cerits gnostiques decouverts en Haute-figypte,
Coptic studies in honor of W. E. Crum. Boston 1950, p. 91—154.

*) Ein ähnlicher Wechsel von der dritten und ersten Person findet
sich im Apokryphen lohannis (abgek. AJ) und im Apokryphon Stephani
(Yassa Abd al-Masih: A Coptic Apocryphon of Saint Stephen the Arch-
deacon, Le Museon LXX, 3—4, Louvain 1957, p. 329—347). — Die Ver-