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1958 Nr. 9

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Praktische Theologie

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Theologische Literaturzeitung 1958 Nr. 9

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Gegarten („Zur Frage nach dem Ursprung des geschichtlichen
Denkens," EvTh 1954) und Fuchs („Hermeneutik", 1954) vermißt
man ungern. Die für das Thema „Geschichte" so wichtige
ausländische Literatur fehlt bis auf einen Titel überhaupt! Die
Druckfehler sind zahlreich. Ein griechisches Wort oder Zitat ist
6elten fehlerfrei gelungen. Ermüdende und völlig überflüssige
Wiederholungen machen das Buch schwer lesbar.

Oberhausen (Rhld.) E.Gräfler

^ / KIRCHENRECHT

Wolf, Erik: Recht des Nächsten. Ein rechtstheologischer Entwurf.
/ Frankfurt/M.: Klostermann [1958]. 75 S. gr. 8° = Philosophische
Abhandl. Bd. XV. Kart. DM 5.80.

Die Abhandlung, welche Karl Barth zugeeignet ist, stellt
nicht nur, wie ihr Untertitel aussagt, einen „rechtstheologischen
Entwurf" dar. Sie ist darüber hinaus ein kühner Wurf, der in
gedankliches Neuland vorzudringen versucht. Wer — wie der
Rezensent — den Vortrag des Verfassers über das Recht des
Nächsten aus Anlaß des fünfhundertjährigen Freiburger Universitätsjubiläums
in der überfüllten Festhalle und die von ihm
ausströmende Bewegung miterleben durfte, ist dankbar dafür,
daß er die dort ausgesprochenen Sätze noch einmal in Ruhe an
Hand eines großen und äußerst sorgfältigen Apparates von
Quellen überdenken kann.

Das Neue an der Abhandlung von Erik Wolf besteht weniger
darin, daß hier Rechtstheologie geboten wird. Denn die
Rechtstheologie ist ja seit einigen Jahrzehnten, nachdem sie lange
Zeit verschollen gewesen ist, nicht ganz selten wieder bewußt an
die Seite der Rechtsphilosophie als Grundlage des Rechtsdenkens
gestellt worden. Vielmehr besteht das Neue in dem Brückenschlag
zwischen Liebe und Recht, einem priesterlichen Beginnen
im Ursinne des Wortes pontifex, das Brückenbauer bedeutet!

Für denjenigen, der in den üblichen Kategorien denkt,
schließen Liebe und Recht sich gegenseitig aus. Erik Wolf sucht,
die Liebe zur Grundlage des Rechtsdenkens zu machen. Dabei
gelangt er in einem interessanten geistesgeschichtlichen Exkurs
zu verwandten Gedankengängen bei Leibniz. Sozialtheologische
Ausgangspunkte sind für Wolf das persönliche Gerufensein jedes
einzelnen Menschen von Gott (Personalität) und die Bruderschaft
der Menschen in Christus (Solidarität). Daraus entspringen
gewisse Grundsätze des Nächstenrechts: „Den Nächsten im Recht
zu lassen", „einander Recht zu geben, statt sich Recht von anderen
zu nehmen", „das jeweils persönlich Zukommende grundsätzlich
zu erwarten statt zu erzwingen und nie als Entkommendes
zu schelten, was Andern zukommt". Dabei ist für Wolf „der
Nächste" niemals ein allgemeiner Begriff, sondern „Nächstenschaft
" ist ihm immer „konkrete Begegnung", im Anschluß an
Karl Barth nicht „der Mitmensch", sondern „dieser Mitmensch".
Dadurch entsteht eine der „Maßgerechtigkeit" in der mittelalterlichen
Kunst entsprechende soziologische „Maßgerechtigkeit",
die von J. H. Oldham geforderte „verantwortliche Gesellschaft".

Auf diese Weise hat Wolf ein imponierendes rechtsethisches
Gebäude in den Grundrissen aufgezeichnet. In manchem berührt
es sich dabei mit Johannes Heckels Lex Charitatis, die von einer
ganz anderen theologischen Grundhaltung ausgeht.

Entsprechen diese wundervollen rechtsethischen Maximen
der rauhen Wirklichkeit des Rechtslebens, wie es nun einmal ist?
Die Liebe soll die Rechtsordnung durchdringen. Durchdringt
sie die ohne Macht nicht in allen Stücken denkbare Rechtsordnung
wirklich? Diese das Gemüt bewegende Frage bleibt für
manchen — vielleicht nicht für alle — Leser offen. Sie zeigt sich
beispielsweise an dem von Wolf selbst in den Kreis seiner Betrachtung
gezogenen „Liebesparagraphen" (§ 330 c Strafgesetzbuch
): „Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not
nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen
nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene
Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich
ist, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe
bestraft."

Bleibt hier nicht die warme Liebe in einem kühlen Rechtssatz
eingefroren? Aber wie dem auch sei, man ist Erik Wolf für

diesen feinsinnigen und überaus fundierten Brückenschlag vom
Dekalog zur Bergpredigt immer wieder dankbar.

Erlangen Hans Liermann

PRAKTISCHE THEOLOGIE

rpfich, Heinrich-Hermann: Die Kirche und ihre missionarische Aufgabe
. Tatsachen und Probleme der Evangclisation in Deutschland.
Berlin: Christi. Zeitsdiriftenverlag [1955]. XX, 200 S., 4 Skizzen. 8°
=* Studien f. Evangelisation u. Volksmission Bd. 1. Kart. DM 5.80.

Veranlaßt durch das Evangelisationsreferat der Studienabteilung
des Ökumenischen Rates der Kirchen, legt der Geschäftsführer
der Arbeitsgemeinschaft für Volksmission eine
erste zusammenfassende Darstellung der volksmissionarischen
Bestrebungen im evangelischen Deutschland der Gegenwart vor.
Er will nicht eine Theologie der Evangelisation entfalten, sondern
die verschiedenen Weisen des tatsächlich geschehenden
evangelistischen Dienstes vorstellen. Er versteht im Anschluß an
den ökumenischen Sprachgebrauch unter Evangelisation die
missionarische Bestimmung der Kirche überhaupt und meint damit
„alle Bereiche des Dienstes der Kirche im Umgang mit der
Welt". Dadurch verschwimmen die Grenzen nach außen, insbesondere
die zur Kultur- und Sozialarbeit der Kirche. Dagegen
tritt das missionarische Dasein der Kirche als ganzer in eindrücklicher
Deutlichkeit hervor.

Stichwortartig wird „der Hintergrund" skizziert. Die soziologischen
Veränderungen der modernen Gesellschaft werden
ebenso in die Orientierung einbezogen wie die politischen, wirtschaftlichen
, geistigen und kirchlichen Verhältnisse. Als Vorläufer
der modernen Evangelisation werden neben den fortwirkenden
Einflüssen aus der Frühzeit des Protestantismus die Er-
weckungsbewegungen, die Innere Mission und die Gemein-
schaftsbewegung ausdrücklich angesprochen. Von bleibender Bedeutung
ist dann die in der Entstehungsgeschichte der Volksmission
wichtig gewordene Erkenntnis, daß Evangelisation und
damit auch Volksmission prinzipiell eine Sache der Gesamtkirche
und nicht nur einzelner Vereine, Gruppen oder charismatisch besonders
begabter Persönlichkeiten ist.

Die eigentliche Aufgabe des Buches wird im IV. und V. Teil
in Angriff genommen, die zusammen nahezu zwei Drittel des
Umfanges ausmachen. Teil IV trägt die Überschrift „Die Mitteilung
des Evangeliums". Hier werden im Gang der Neuentdeckung
des Evangeliums in den letzten Jahrzehnten die drei
Phasen der Wendung zu Gott, zur Gemeinde und zur Welt kurz
charakterisiert und dann eine sehr lehrreiche Gegenüberstellung
von sogenannter alter Evangclisation und neuer Volksmission
gegeben, wobei auf die praktischen und grundsätzlichen Verschiedenheiten
wie auf die durchgehenden Beziehungen gleichermaßen
hingewiesen wird. Als Typen neuer Wege werden Evangelische
Akademie, Deutscher Evangelischer Kirchentag, Fabrikmission
, Moralische Aufrüstung, Freizeitmission, kirchliche Worte
zu aktuellen Problemen, Schauspiel, Film und Fernsehen und
schließlich die Presse- und Rundfunkarbeit plastisch hervorgehoben
. Ein besonderer Abschnitt ist der Evangelisation in der
Deutschen Demokratischen Republik gewidmet. Dieser Teil
schließt mit der Resümierung einiger grundsätzlicher Erkenntnisse
, die der Verfasser thesenartig ausspricht und kurz entfaltet,
z. B. „Die Mitteilung des Evangeliums ist Sache der Gemeinde"
oder „Die Mitteilung des Evangeliums erfordert totale Identifizierung
mit dem Hörer" oder „Die Mitteilung des Evangeliums
darf die Kategorie des Einzelnen nicht schwärmerisch überspringen
".

Teil V behandelt besonders typische „Gruppen und Situationen
", etwa das Bürgertum, die Intellektuellen, die Arbeiterschaft
, die Flüchtlinge und Vertriebenen, die Heimkehrer, die
Gefährdeten, aber auch andersgeartete Einheiten wie das Dorf,
die Jugend und schließlich Ehe und Familie .Die hier zusammengetragenen
und gut dokumentierten Situationserfahrungen werden
für viele, die sich in der praktischen Arbeit mit der oder
jener Gruppe besonders zu befassen haben, hilfreich sein.

Ein VI. Teil bietet unter der Überschrift „Zusammenfassende
Überschau" ein geistliches Resümee, in dem der Verfasser