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1958 Nr. 9

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Neues Testament

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Theologische Literaturzeitung 1958 Nr. 9

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Menschen. Im 3. Kapitel seines Buches bietet de Vaux eine Soziologie
der israelitischen Bevölkerung sowie eine nähere Charakterisierung
ihrer Notabein. Ausführlich geht der Verfasser auf die
Sklavengesetzgebung des AT ein: Trotz der unbestreitbaren Tatsache
der Sklavenwirtschaft vergißt das AT niemals, daß auch
der Sklave ein menschliches Wesen ist: Es gibt eine die Rechte
des Sklaven schützende Gesetzbarkeit. Von besonderem Interesse
für die heutige Forschung ist die Erörterung der Probleme des
israelitischen Königtums: Thronfolge, Riten der Krönung, Thronname
, Inthronisationspsalmen, messianische Komponente des
Königtums, göttliche Adoption, König und Kult. Mit Recht stellt
de Vaux fest, daß die außerisraelitischen Parallelen über das
Königtum nicht unkritisch auf Israel angewandt werden dürfen,
denn hier hat es zu keiner Zeit eine Vergöttlichung des Königs
gegeben. Das AT kennt nur einen in besonderer Beziehung zu
JHWH stehenden König. „Nach israelitischer Auffassung ist zwar
der König kein Mensch wie alle andern, aber er ißt kein Gott"
(S. 172 f.).

In seiner Schilderung des israelitischen Königtums beschäftigt
sich der Verfasser dann mit dem königlichen Haushalt, dem
Harem, der Königinmutter (gebirä), der gelegentlich Bedeutung
im Staate zukam, ferner mit den Beamten des Staates und der
Administration, die teilweise nach ägyptischem Vorbilde entstanden
ist.

Ein weiterer Abschnitt ist den Finanzen und der Wirtschaft
des Staates gewidmet, ferner Fragen des Recht6 und der Gerichtsbarkeit
. Schließlich geht de Vaux auch auf ökonomische Probleme
ein und beendet den 1. Band mit der Beschreibung von Maßen
und Gewichten.

In manchem gleicht dieses wertvolle, den Realien gewidmete
Buch der kulturgeschichtlichen Studie von Ludwig Koehler, Der
hebräische Mensch (Tübingen, 1953), eine Arbeit, die de Vaux
offenbar nicht kennt, denn er nennt sie nicht in seiner überaus
reichen, 23 Seiten umfassenden Bibliographie. De Vaux's für die
Forschung so nützliche und zuverlässige Werk wäre gelegentlich
noch brauchbarer, wenn der Verfasser auch bei antiken Autoren
genaue Quellenangaben böte (z. B. S. 79: Herodot, Aristophane6,
Josephus).

Mit Spannung warten wir auf den hoffentlich bald erscheinenden
2. Teil dieses wichtigen Werkes, in welchem der Autor
die militärischen und religiösen Einrichtungen Israels beschreibt.

Basel Ernst Ludwig Ehrlich

NEUES TESTAMENT

Hn/ede, Norbert, Dr.: La mctaphorc du miroir dans les epitres de
/rfaint Paul aux Corinthiens. Neuchätel-Paris: Delachaux & Niestie
/ [1957]. 206 S., 13 Abb. auf 7 Taf. gr. 8° = Bibliotheque theologique.
sfr. 12.—.

Es handelt 6ich um eine sehr sorgfältige und mit klarer Methode
durchgeführte religions- und interpretationsgeschichtliche
Arbeit zur alten Frage der Beziehungen des Apostels Paulus zur
griechischen Kultur. So „hellenistisch" anmutende Stellen wie
1. Kor. 13, 12 und 2. Kor. 3, 18 laden natürlich dazu ein, von
hier aus einmal grundsätzliche Antworten auf diese Frage zu geben
. Wer allerdings zu diesem Problemkreis neue Erkenntnisse
von dem obengenannten Buch erwartet, wird enttäuscht. Es wird
eigentlich nur die bisherige Diskussion zusammengefaßt.

Im Vorwort präzisiert der Verfasser sein Thema. Er hält die
Frage nach den Beziehungen des Paulus zum Hellenismus trotz vieler
Bemühungen für offen. Das gilt auch für den Spezialfall der Metapher
vom Spiegel (1. Kor. 13, 12; 2. Kor. 3. 18), obwohl die Bibliographie
S. 12 darüber bereits 18 Titel aufweist.

Ein I. Kapitel (S. 17—36) dient dem Nachweis, daß l.Kor.
13,12 und 2. Kor. 3,18 Gegenstand einer Untersuchung sein können
, sofern ein und dieselbe Metapher vom Spiegel vorliegt. Die Auslegung
, wonach xazojixQi&a&at 2. Kor. 3, 18 „reflektieren" heißen
soll, wird mit Recht zurückgewiesen.

In einem II. Kapitel (S. 37—95) folgt eine kritische Sichtung
aller bisherigen Hypothesen, und zwar unter dem Gesichtspunkt, welches
der religionsgeschichtliche Ursprung der Metapher vom Spiegel ist.
Das AT bietet in Num. 12, 8 eine nicht von der Hand zu weisende
Parallele (These von Harnadc und Kittel). Sie erklärt aber nicht den
Gebrauch der Metapher bei Paulus, der sich ihrer gerade darum bedient,
um dem Sehen von Angesicht zu Angesicht (Num. 12, 8!) das „indirekte
" Sehen entgegenzusetzen. Die griechischen Quellen,
in denen vor allem Reitzenstein und Achelis den Ursprung der Metapher
suchten, bieten reichliches Material (von Hugede breit entfaltet),
und zwar aus der hellenistischen Mystik und aus der sog. Katoptro-
mantie. (Von der letzteren untersucht H. nicht nur die Texte, sondern
auch einige Bilder, Münzen, Vasenmalereien und Fresken, die in Bildtafeln
beigegeben sind.) Das Ergebnis ist jedoch auch hier ein negatives:
Paulus ist mit seiner Metapher weit entfernt von den Praktiken der
heidnischen Mystik und Mantik. Er hat mit ihnen nur die Vokabel
gemein.

Ein III. Kapitel untersucht das Bild vom Spiegel in der griechischen
und römischen Literatur direkt (S. 97—137). Von den drei
nachweislichen Bedeutungsmöglichkeiten (die alle wieder mit reichlichen
Quellenangaben dargeboten werden) — Spiegel als Symbol der
Klarheit und Reinheit; Spiegel als Mittel zur Selbsterkenntnis; Spiegel
als Mittel zu indirekter Schau oder Vision — kommt als religionsgeschichtliche
Parallele nur die letzte in Frage. D. h. der Ursprung der
Metapher, wie sie Paulus l.Kor. 13, 12 und 2. Kor. 3, 18 verwertet,
ist in der kyni6ch-stoisdien Diatribe zu suchen, in der das Bild vom
Spiegel in der letztgenannten Bedeutung am weitesten verbreitet ist.

Das IV. Kapitel (S. 139—150) untersucht die grammatische und
exegetische Schwierigkeit von voir en enigme 1. Kor. 13, 12. Auch
hier wird längst Bekanntes wiederholt: «V aivty/iazt ist gleich <V
aiviynaxos (Präpositionswechsel) und meint eine Ergänzung zum Objekt
von ßkenofitv (S. 140, Anm. l). Der philologische Befund ergibt:
„sehen im Spiegel" und „sehen durch ein Rätsel" sind Äquivalente für
eine indirekt wahrgenommene Realität, also ähnlich elxiöv und fiifirjfia.

Im V. K a p i t e 1 folgt schließlich der Versuch, den Sinn der
Metapher bei Paulus durch Prüfung des Kontextes von 1. Kor. 13, 12
zu erheben (S. 151—184). Leitend ist dabei wieder die Frage, ob sich
die Berührung des Paulus mit dem Hellenismus aufs Terminologische
beschränkt, oder ob 6ein Denken prinzipiell durch die stoische Tradition
bestimmt ist. Unterabschnitte sind: „Erkenntnis Gottes bei Paulus"
(S. 151—164): hier ist Paulus streng Jude geblieben. „Die Antithese
.kennen — erkanntsein'" (S. 164—176): auch das ist bei Paulus reinste
jüdische Tradition, wenngleich das antithetische Stilelement eine
Parallele zum Hellenismus bildet. Und schließlich die „Antithese Kind-
Mann" (S. 177—182): anders als bei obiger Antithese ist diese nun
ausgesprochen griechisch. Paulus hat also heterogene Elemente zusammengetragen
. Den Ausschlag für das dominierende jüdisch-alttestament-
liche Element gibt allein der Kontext: die yvcöaig r?toC ist eingeordnet
in die Reihe der Charismata von 1. Kor. 12 (S. 159 f.).

Ein Gesamtergebnis rundet die Arbeit ab (S. 185—190).
Exegetisch ergibt es: beim „Sehen mittels eines Spiegels in einem Rätsel
" handelt es sich um ein „indirektes Sehen", das in der Gegenwart
unvollkommen ist, in der Vollendung aber vollkommen sein wird.

Religionsgeschichtlich ergibt es: die Metapher vom Spiegel plus
Kontext 1. Kor. 13, 12 bildet eine Art „Koexistenz" von Hellenismus
und Judentum. „Pensee juive, langage stoicien", das ist die Formel,
die nach Meinung Hugede's auch das Rätsel des „paulini6chen Hellenismus
" löst (188 f.).

Mit diesem formelhaften und zu einfach klingenden Schluß
ist nun auch das Ungenügen des Buches angezeigt: die Lösungen
sind zu glatt I Selbst wenn pensee juive, langage stoicien das für
1. Kor. 13, 12 und 2. Kor. 3, 18 richtige Ergebnis wäre, so ist
diese Formel doch keineswegs d i e Lösung auf die Frage nach
den Beziehungen des Paulus zur griechischen Umwelt. Die gehen
viel tiefer und haben nicht nur die Form seiner Aussage bestimmt.
Überhaupt scheint es mir schwierig, eine so weitgehende Frage
von der Interpretation zweier Briefstellen her zu entscheiden.
Soviel jedoch ist richtig, daß an diesen Stellen gezeigt werden
kann, wie Paulus die Eigenständigkeit der christlichen Offenbarung
wahrt. Sein Verfahren 1. Kor. 13, 12 und 2. Kor. 3, 18 ist in gewisser
Weise dafür typisch. Überhaupt mag in diesem Aufweis
des Grundunter6chiedes biblischer und philosophischer Anschauung
der eigentliche Wert der Arbeit gesucht werden. Mit ihren
reichlich zitierten religionsgeschichtlichen Quellen, der zahlreich
verarbeiteten Literatur und den ausführlichen Registern ist sie
ein gut orientierender Beitrag zu einem Detail paulinischer Theologie
.

Oberhausen (Rhld.) E. G r ii fl e r