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1958 Nr. 9

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Religionswissenschaft

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Theologische Literaturzeitung 1958 Nr. 9

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Sein" sei „für die Bestimmung des Menschen wesentlicher geworden
als die Erkenntnis dessen, was er als ein von Natur aus gebürtiger
Mensch im Vergleich und im Unterschied zu dem von
Natur aus gebürtigen Tier ist". Die Frage nach der Humanität
fragt dann nach dem, was die Natur des Menschen überschreitet
, ohne sich je von ihr zu lösen. Woraufhin aber
übersteigt sich der Mensch? Nicht in eine Transzendenz — „Nichts
enthebt uns der philosophischen Skepsis, daß auch unsere Welt
eben die unsere ist" —, sondern in die Welt, d.h. das Ganze
des Seienden, wovon nur der zum Fragen und darum zum Erkennen
und Antworten fähige Mensch wisse. „Das naturgemäße
Transzendieren wäre dann dasselbe wie die Fähigkeit des Menschen
, sich von der Befangenheit im bloß Menschlichen zu befreien
, um das Ganze des physischen Kosmos zu bewundern und
zu erkunden." Theologische Fragen klingen bisweilen an, bleiben
aber ausgeklammert.

Otto Friedrich B o 11 n o w („Die Vernunft und die Mächte
des Irrationalen") setzt seine Kritik der irrationalistischen Bewegung
fort, die man aus seinen Büchern „Existenzphilosophie",
4. Aufl. 1955, und „Neue Geborgenheit", 1955, bereits kennt,—
Schriften, deren Kenntnis wir weiten Theologenkreisen wünschen
möchten. Die Leistungen des Irrationalismus werden nicht verkleinert
(„eine ungeheure Ausweitung unserer Welt"). Die
„Welt" aber muß durchformt, geordnet werden, und zwar von
der Vernunft her, wobei an die Aufklärung neu anzuknüpfen sei,
deren Zerrbild aus der Zeit des „Sturm und Drang" unglücklicherweise
bis zum heutigen Tage nachwirke. Allerdings kann es immer
nur begrenzte Ordnung geben. „Alles von uns vernünftig
Geordnete ist nur wie eine Insel, inmitten einer großen drohenden
und chaotischen Welt." Das Irrationale wird wieder nicht
verleugnet. „Verstand und irrationale Mächte schließen 6ich
keineswegs aus." Wogegen sich Bollnow wendet, ist die perverse
Lust zur „Unbehaustheit" des Menschen. Sein Beitrag gipfelt
darum in einem Kapitel über die anthropologische Bedeutung des
Hauses (Sicherheit, Vertrauen, Hoffnung), in dem das Anliegen
der „Neuen Geborgenheit" aufgenommen wird. Nachdenklich
liest man den Exkurs über Sicherheit und Frieden. „Die Lebensphilosophie
mit ihrem dynamischen Element hat immer zur Verherrlichung
des Kampfes und Krieges geneigt." „Selbst wenn der
Kampf in irgendeiner Form unvermeidbar ist, so befreit das den
Menschen nicht von der Verpflichtung, mit allen seinen Kräften
gegen dessen konkrete Erscheinungsformen anzukämpfen und sich
für eine vernünftige friedliche Ordnung einzusetzen. Denn die
Richtung auf eine friedliche Ordnung seiner Welt ist im Wesen
des Menschen als tiefste Verpflichtung eingewurzelt. Sie kann
nicht preisgegeben werden, ohne die Würde des Menschen selber
preiszugeben."

Walter Schulz („Existenz und System bei Sören Kierkegaard
") erschließt in einer Analyse der Pseudonymen Schriften
Kierkegaards dessen Anthropologie, mit dem Ziel, das System
Kierkegaards zu erfassen, dessen Vorhandensein entgegen Kierkegaards
eigenen Beteuerungen behauptet wird. Entscheidendes
Gewicht fällt auf den Satz: „Die Subjektivität ist die Unwahrheit
", der von der Kierkegaardforschung geflissentlich übergangen
würde. „Aber Kierkegaard erreicht erst in diesem Satz
sein eigentliches Ziel, nämlich dem Menschen die Transzendenzbewegung
unmöglich zu machen"; „denn das Transzendieren
i6t das Vergessen der Existenz". Der Grund zu der entscheidenden
Aussage liegt in der Inkarnation Christi, denn durch den
existent gewordenen Gott ist dem Menschen das Transzendieren
sinnlos geworden.

Karl Jaspers steuert eine eingehende Analyse der Schrift
Kants zum ewigen Frieden bei. Im Schlußwort begegnet der erregende
Satz, Kant hätte an eine unendliche Aufgabe in einer
unbegrenzten Zeit gedacht, wir aber ständen vor der Tatsache,
daß die Menschheit jederzeit durch die Entfesselung eines Atomkrieges
sich selbst ohne Rest auslöschen könne. Der gute Wille
reiche nicht aus zur Bannung der Gefahr, vielmehr ergäbe sich:
„Die Angst müßte durch wirksame Gegenwärtigkeit des Wissens
von der Gefahr auf das höchste gesteigert werden. Nur eine nie
dagewesene Angst könnte als Naturfaktor vielleicht erzwingen,
was dann als bloße Institution der Friedenssicherung seinen
dauernden Erfolg nur dann hat, wenn der Mensch 6ie mit einem

neuen Ethos, einem neuen Opfermut, einer neuen Vernunft
durchdringt." Durch den Appell an die neue Vernunft wird
einigermaßen die boshafte Bemerkung niedergehalten: also ist
die Existenzphilosophie für den Rest der Menschheitsgeschichte
gesichert!

Ruth-Eva Schulz („Geschichte und teleologisches System
bei Karl Marx") rollt sachgerecht ihr Problem vom Phänomen
der geschichtlichen Unterdrückung des Menschen und der mit ihr
gesetzten „notwendigen Freiheit" her auf. Beachtenswert scheint
uns das Eingehen auf Einflüsse Feuerbachs auf Marx in den Begriffen
„Entfremdung" und „Fetisch" zu sein, aber auch auf die
Auseinandersetzung der Deutschen Zeitschrift für Philosophie V,
1957, mit Ernst Bloch, schließlich auf die kritischen Befürchtungen
von Marx über Spannungen zwischen Kollektivismus und Persönlichkeit
in den Anfangsphasen der kommunistischen Verwirklichung
.

Hans Barth („Staat und Gewissen im Zeitalter des Säkularismus
") hat im Auge, daß im Säkularismus Weltliches sakrali-
siert wird, daß das geschichtlich-gesellschaftliche Leben ein Leben
in Konflikten ist und daß staatliches Leben nach einer geistigen
Letztinstanz sucht, um Ordnung aufrecht erhalten zu können.
Vor dieser Situation wird nach der Loyalität und wegen deren
Grenzen nach dem Gewissen gefragt. Den nachreformatorischen
Sektierern verdanke man „so gut wie alle entscheidenden Einsichten
und Forderungen, die sich auf den Zusammenhang von
Staat und Gewissen beziehen". Freiheit sei immer ein Wagnis.
Zustimmend wird Castellio zitiert: „Veritas cum periculo
dicitur."

Max H o r k h e i m e r („Zum Begriff de6 Menschen heute")
interessiert sich für die Reprimitivisierung des Lebens, von der
er Stadt und Land überfallen sieht. Die Menschen werden sich
gleich, ohne einander näher zu kommen. „Die existentielle Angst,
von der so viel die Rede ist, entspringt derselben Quelle wie die
innere Leere." Einen Ausweg aus dem Pessimismus zeigt Horkheimer
nicht, darum bleibt sein Beitrag u. E. unbefriedigend. Wieviel
tiefer dringt hier z. B. H. Schelsky, Die skeptische Generation
, 2. Aufl. 1958!

Wir brechen ab, ohne auf den Beitrag von Theodor Litt über
empirische Wissenschaft und Philosophie und auf die Arbeiten
aus den Disziplinen der Biologie, Geschichtswissenschaft, Ästhetik
und Poetik eingegangen zu 6ein. Wir legen das wertvolle Buch
aus der Hand mit ähnlichen Gefühlen, mit denen wir von einer
wissenschaftlichen Tagung scheiden, auf der jedes Referat unsere
gespannte Aufmerksamkeit fand, weil es Wissen und Erkenntnis
bereicherte. Welche Wirkung in die Weite und Tiefe das echt«
Gelehrtenleben auslöst, wird an dieser Festschrift erneut beglückend
offenbar.

Rostode G. Ho! tz

RELIGIONSWISSENSCHAFT

Oberhube r, Karl: Innsbrucker Keilschrifttexte. Ein Tonnagelfragment
der Ur-III-Periode aus Eridu. Wirtschaftsurkunden der Achä-
menidenzeit aus Uruk. Innsbruck: Selbstverlag des Sprachwiss. Seminars
der Universität Innsbruck 1956. 19 S., 5 Taf. gr. 8° = Innsbrucker
Beiträge zur Kulturwissenschaft, Sonderheft 4.

Im Jahre 1954 hat das Orientalische Seminar an der Universität
Innsbruck vom Directorate General of Antiquities in
Iräq ein Tonnagelfragment und vier Tontafeln im Austausch bekommen
. K. Oberhuber veröffentlicht diese Fragmente möglichst
vollständig: in Photographie, Kopie, Umschrift, Übersetzung
und Kommentar. Eine umfangreiche Bibliographie geht dem Ganzen
voran. Text 1 ist ein Tonnagelfragment, das vom Autor richtig
als Duplikat zu RIU 46 bestimmt worden ist. S. jetzt D. O.
Edzard, Königsinschriften des Iräqi-Museums, Sumer XIII (19577
196 ff., der fünf Duplikate zählt. Es braucht auch nicht zu verwundern
, daß Duplikate einer Bauinschrift an verschiedenen Stellen
aufgefunden werden. Solche Inschriften sind als Standardinschriften
verwendet worden. Ein schönes Beispiel ist die große Amarsu'en-
Inschrift auf einem Türangelstein aus Uruk (s. Uruk-Warka vorläufige
Berichte, X 18; XII/XIII 25), die sog. Karzida-Inschrift,