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1958 Nr. 9

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Theologische Literaturzeitung 1958 Nr. 9

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äußern, um dann in Teil B (§ 5-7) die Träger der Botschaft zu
charakterisieren: Joh. den Täufer, Jesus v. Nazareth und die Kirche
, welche hinter Jesus, dem eigentlichen Träger des Evangeliums,
Trägerin der Botschaft ist. „Nicht einzelne hervorragende Männer,
sondern die Gesamtheit der Kirche trägt die Botschaft" (S. 89).
Wenn in C die die Botschaft begründende Tat Gottes entfaltet
wird (§ 8—11), so wiederholt der Verf. in § 8 und 9 die Schilderung
der Auferweckung Jesu und des Kreuzestodes (vgl. I, § 13
u. 14), fügt aber zwei interessante §§ hinzu, welche die Identität
Je6u mit dem Kyrios und mit dem biblischen Christus zum Gegenstand
haben. Eigenartig ist der Abschnitt D „Einheit und Verschiedenheit
der Botschaft" (§ 12—14). Hier wird zunächst die
Einheit in Gott, die Zusammenfassung im Gebet des Herrn und
im Christusbekenntnis festgestellt, dann aber von Verschiedenheiten
in Sprache, Verständnis und Gabe der Hörer geredet, sofern
sie die Einheit der Botschaft nicht aufheben, um mit der
Betrachtung der Verschiedenheiten durch falsche Lehre zu schließen
, welche im Urchristentum wohl Abgrenzung, aber noch nicht
Ausschluß aus der Gemeinde Jesu Christi zur Folge hat. Es würde
zu weit führen, den Aufbau der einzelnen Hauptteile auch nur
summarisch zu skizzieren. Nur soviel sei gesagt, daß die Hauptabschnitte
II, III, IV den Inhalt der Botschaft entfalten, wobei
2. Kor. 13, 13 als Schema verwendet wird. Die Gnade unseres
Herrn Jesu Christi (II), Die Liebe Gottes (III), Die Gemeinschaft
des Heiligen Geistes (IV), umfassen die §§ 15—49. Hier die entsprechenden
Parallelabschnitte in den üblichen neutestamentlichen
Theologien herauszufinden, i6t ein mühsames Geschäft. Interessant
ist für uns Hauptabschnitt V: Die Botschaft und die sie
begleitende Theologie. (A Kritik und Antikritik der Botschaft
§ 50—51; B die Grundlegung der christlichen Theologie § 52
bis 5 3). In einem Anhang § 54 wird eine Einführung in die Erforschung
der Botschaft des NT geboten, in welchem die wichtigsten
Hilfsmittel für die Arbeit des Studenten zusammengestellt
werden. Ein Stellen- und Personenregister, wie ein Sachregister
(II 2, S. 307—57) machen den Beschluß.

Einige Einzelheiten mögen noch hervorgehoben werden:
Die Auslegung des Ölbaumbildes in Rom. 11, 16 ff. erscheint mir
ebenso fraglich wie die Behauptung, daß der präexistente Christus
in der Adamsgeschichte mit dabei war, aber sich nicht verleiten
ließ (II 1, S. 61 u. 128). Fragwürdig erscheint auch die Bemerkung
über die Ausscheidung de6 Messianismus aus dem Spätjudentum
(II 1, S. 62) und bedenklich die Bemerkung über die
Entwurzelung des Judentums auf S. 63 f. Eigenartig ist die Betonung
Jesu als des „Sünders" (S. 76. 113). Ebenso mag man
hinter die Bemerkung zu Mark. 10, 2—9 auf S. 305 ein Fragezeichen
setzen. Die Polemik gegen die „Ethik" des 19. Jahrhunderts
auf S. 266 ist für das Denken des Verf.s charakteristisch.
Auch zu christologischen Bemerkungen in Band II 2, S. 91 und 94
wären Bedenken anzumelden. Mit diesen Beispielen mag es
genug sein.

Zum Schluß bleibt doch die Frage, ob man vom Rationalismus
so ohne weiteres Abschied nehmen kann und ob das dem
Verfasser wirklich gelungen ist. Wenn er die Botschaft des NT
im Kampf mit ihrer Umwelt darstellt, verzichtet er keineswegs
auf eine religionsgeschichtliche Betrachtung, er verfährt nur so,
daß er nicht durch Vergleiche eine Abhängigkeit dieser Botschaft
konstruiert, sondern sie als im Kampf mit ihrer Umwelt befindlich
sieht. Die urchristliche Botschaft ist weder ein Produkt des
Synkretismus noch darf sie zur Religion unter Religionen oder
zur Weltanschauung erniedrigt werden; denn dann besteht die
Gefahr, daß an die Stelle der Taten Gottes ein Subjektivismus
tritt, der als eine seltsame Mischung von philosophischem
Existenzverständnis und lutherischem Glaubensverständnis erscheint
. Vielleicht steht der Schüler Adolf v. Harnacks seinem
Gegner Rudolf Bultmann als Glied derselben wissenschaftlichen
Generation viel näher, als er selbst gewußt hat. Vielleicht darf
man in aller Bescheidenheit und mit aller Vorsicht sagen: Wenn
Albertz meinte, daß in seinem Gegner Rudolf Bultmann David
Friedrich Strauß noch nicht zur Ruhe gekommen sei, 60 kann man
von ihm vielleicht sagen, daß der Gegensatz zwischen Theodor
Zahn und Adolf v. Harnack in ihm selbst zu keinem vollendeten
Ausgleich gekommen ist. Darum wird sein Buch den konservativ
Denkenden in manchen Ergebnissen seiner Einleitungsforschung
zum Widerspruch reizen, während der kritisch denkende Theologe
sich des öfteren verwundern muß, mit welcher Selbstverständlichkeit
und Unbekümmertheit der Verfasser dieses umfangreichen
Werkes alt- und neutestamentliche Stellen aufeinander bezieht
oder unkritisch als Beweismittel für bestimmte Gedankengänge
verwendet. Das alles darf nicht hindern zu bezeugen, daß dieses
Werk eine Fülle von Anregungen für die weitere Forschung enthält
, und man kann die junge Generation nur auffordern, sich
mit ihm gründlich auseinanderzusetzen.

ALLGEMEINES: FEST SCHRIFTEN

]P1 ts s n e r, *H.:] Wesen und Wirklichkeit des Menschen. Festschrift
f für Helmuth Plessner, hrsg. v. Klaus Z i e g 1 e r. Göttingen: Vanden-
hoeck & Ruprecht [1957]. 403 S., 1 Taf. gr. 8°. DM 28.—.

Helmuth Plessner, der in dieser gehaltvollen Festschrift Geehrte
, wird als ein Vater der modernen philosophischen Anthropologie
einer Gruppe von Theologen bekannt sein. Aber daß
seine grundlegenden Werke, die vor 30 und mehr Jahren erschienen
—Einheit der Sinne", 1923; ,'^ie^Stufen des Organischen
^uncl der Mensch", 1928 - bis heflifeikeine zweite Auflage
erlebt haben, ist neben der philosophischen Katastrophe im
Nationalsozialismus und einem später zu nennenden Grund auch
in der mangelnden Interessiertheit der Theologen begründet.
Was hat Plessner getan? Er hat von einem biologischen Ausgangspunkt
her — er studierte Zoologie, und unter seinen Lehrern begegnet
man Hans Driesch — das organische und das spezifisch
menschliche Sein vergleichend phänomenologisch zu erfassen gesucht
und damit in einer geistesgeschichtlichen Pioniertat der
modernen philosophischen Anthropologie neue Wege gewiesen,
genau in dem gleichen Jahr 1928, in dem ^Sahelers verwandtes
Buch „Die Stellung des Menschen im Kosmes^verschien. Plessner
selbst hat in beispielhafter Kürze seine und Schelers Leistung
geistesgeschichtlich eingeordnet (EKL I 13 8): während in Medizin
, Psychologie, Geschichtswissenschaft neu nach der rechtfertigenden
philosophischen Instanz der Anthropologie gefragt
wurde, während Positivismus und Idealismus abtreten mußten,
weil die Unmöglichkeit erkannt war, Strukturfragen per definitio-
nem zu lösen, analysierten die Phänomenologen die vorwissenschaftlichen
Gegebenheiten nach ihren unmittelbaren Bezügen
und konnten charakteristische morphologische Strukturen des
Menschseins scharf erfassen und philosophisch klären. Ihr Philosophieren
aber stieß auf die Ablehnung der Existenzphilosophen,
die über die Exi6tenzanalyse, nicht über die phänomenologische
Methode und die Seinsanalyse zur philosophischen Anthropologie
gingen. Daß Plessners Hauptwerke sich nur schwer durchsetzten,
hat also neben den eingangs genannten Gründen auch den des
konkurrierenden existentialistischen Siegeslaufes. Nach unserer
Beobachtung bemüht sich ein Zweig der neusten Forschung mit
beachtlichem Erfolg um die Synthese von Phänomenologie und
Existenzphilosophie unter starker Zuneigung zu Plessner; genannt
mögen sein: Wilhelm Keller, Psychologie und Philosophie des
Wollens, 1954 (ThLZ 1956, 180), und Hans-Eduard Hengstenberg
, Philosophische Anthropologie, 1957.

Die Beiträge der Festschrift umspannen das weite Interessen-
und Forschungsgebiet des Fünfundsechzigjährigen: Philosophie,
Psychologie, Biologie, Soziologie. Wir werden herausheben dürfen
, was dem Theologen vermutlich am wichtigsten 6ein wird.

Karl L ö w i t h („Natur und Humanität des Menschen")
tritt ganz in die Nähe Plessners, durch die Ablehnung der
Existenzphilosophie — sie hätte den „leibhaftigen Menschen" verloren
; seit 150 Jahren sei alles „ultra" und „transzendiere" und
würde immer mehr ultra — und durch die Bejahung der Phänomenologie
. Es ließe sich nicht bestreiten, „daß e6 von der N a t u r
alles Seienden, also auch des Menschen, eine Erfahrung gibt, die
sich phänomenologisch ausweisen läßt". Die Natur des Menschen
ist zu ergründen; abweisend heißt es: „der Bezug auf etwas
Meta-Physisches und Überseiendes, auf Gott, beziehungsweise das