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Ausgabe:

1958 Nr. 8

Spalte:

591-592

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Fiedler, Martin Johannes

Titel/Untertitel:

Der Begriff διχαιοσυνη im Matthäus-Evangelium auf seine Grundlagen untersucht 1958

Rezensent:

Fiedler, Martin

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Theologische Literaturzeitung 1958 Nr. 8

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Der vierte Teil (212—268) will den theologischen Kern der Auseinandersetzung
herausschälen. Er sieht das Anliegen Bullingers in
einer Verteidigung der Volkskirche durch den Gedanken der Universalität
der Verheißung (Abschnitte: Taufe und Bund; Abendmahl und
Bann; Gemeinde der Heiligen; Kirche und Obrigkeit). Die täuferische
Seite kommt dadurch zu Wort, daß einige Züge in Bullingers Theologie
hervorgehoben werden, die der besonderen Kritik der Täufer verfielen,
vor allem Bullingers Relativierung der Autorität der Schrift zugunsten
der Regel der Liebe. Als (unfreiwilliger) Wortführer wird Leo Jud
mit seinen Briefen an Bullinger über die Kirchenzucht zitiert. Ein
Quellenanhang (1—44) bringt diese Briefe sowie einige für Bullinger
wichtige Aufzeichnungen des Zürcher Ratsherren Fridli Bluntsdili über
die Täufer und den Plan einer Täufergeschichte von Caspar Hedio im
Wortlaut.

Fiedler, Martin Johannes: Der Begriff Sixaioovvrj im Matthäus-
Evangelium, auf seine Grundlagen untersucht. Diss. Halle-Wittenberg
1957, XXV, 168, 134 S.

Die Arbeit versucht, in ihrem ersten Teil (Kap. I—III B) „die
Grundlagen des matthäischen dtxaioovvr] -Begriffes" in einem Prozeß
beständigen Abhebens der verschiedenen inhaltlichen Schichten des
Begriffs zu eruieren. Der zweite Teil (Kap. IV A und B) bemüht sich
um Erfassung der „Struktur und Funktion der dtxaioovvr) -Aussagen
des Matthäus". Die Untersuchung verfolgt also ein doppeltes Ziel:
sie will die Vorgeschichte des matthäischen dtxaioovvr] -Begriffs erhellen
— und sodann die Verwendung eben dieses Begriffs im Matthäus-
Evangelium interpretieren.

Die Frage nach der Herkunft des (formalen und inhaltlichen) Verständnisses
des Begriffs „Gerechtigkeit" setzt ein beim Gebrauch von
dtxaioovvr] im Griechentum (Kap I). Kennzeichnend sind hier zwei
Linien: die politische (-rechtliche) Fassung des dtxaioovvr] -Begriffs
einerseits — die ethische Prägung andererseits. Das Mit- und Zueinander
dieser beiden Linien bestimmt den griechischen Begriff dtxaioovvr]
durch seine gesamte Geschichte hindurch, es macht die Spannung, aber
auch die strukturelle Kontinuität des Begriffs aus, der stets dem Ideal
der Persönlichkeit zugeordnet bleibt als ein Element des Menschenbildes
, das den Einzelnen immer in den mitmenschlichen Bereich der
Gemeinschaft, der Polis, hineingestellt sieht.

Von der Ebene des griechischen dtxaioovvr] -Verständnisses läßt
sich der Inhalt der Begriffe „sädäq/sedaqa im Alten Testament"
(Kap. II) deutlich abheben. Die Struktur dieser alttestamentlichen Begriffe
besteht von ihren frühesten Belegen an in einem Doppelinhalt:
„Gerechtigkeit" (im Sinne von „Rechtschaffenheit" — und zwar vorwiegend
: vor Gott) und „Heil". Dieser doppelte Inhalt erweist, daß
der alttestamentlichen „Gerechtigkeit" nicht die Vorstellung von einem
Rechtsvorgang zugrunde liegt, sondern vielmehr die eines In-Beziehung-
Stehens, das allein begriffen werden kann von dem einen entscheidenden
Mittelpunkt israelitischen Lebens und Denkens her: der Vorstellung
vom Bund, vom Gemeinschaftsverhältnis zwischen Gott und
Mens di.

Im dritten Kapitel werden diese beiden grundverschiedenen Auffassungen
des Begriffs „Gerechtigkeit" durch deren spätere Entfaltungen
hindurch verfolgt. Im griechischen Verständnis gründen weithin die
Aussagen über die „dixatoovvt] im Diaspora-Judentum" (Kap. III A);
die entscheidende Ausnahme bildet die „Sixatoavvt) in der Septua-
ginta" (S. 49 —54), die treue Trägerin der komplexen Vorstellungsreihe
bleibt, die die sedaqa im Alten Testament ganz und gar dem
Glauben Israels an Jahve und der Verwirklichung dieses Glaubens im
menschlichen Bereich zuordnete und die damit zugleich bedeutsame
Vermittlerin des alttestamentlichen „Gerechtigkeits"-Verständnisses an
den griechischen Sprachbereich wird. Fast ganz einheitlich alttestament-
lich bestimmt ist der Begriff „Gerechtigkeit im Palästina-Judentum"
(Kap. HIB); hier werden ausführlich die gewichtigen sedaqa-Aussagen
der Qumränschriften besprochen (S. 72—80).

Das Ergebnis der scheidenden und voneinander abhebenden Untersuchungen
der ersten drei Kapitel wird im zweiten Hauptteil der Arbeit
auf die Verwendung des Begriffs dtxaioovvr] durch Matthäus angewendet
. Nach einleitenden (vor allem quellenkritischen) Bemerkungen
wird hier eine ausführliche Exegese für jeden einzelnen der sieben
matthäischen dtxaioovvr]-Aussagen gegeben; ein Unternehmen, das
angesichts des außerordentlich weiten Auseinandergehens der bisherigen
Interpretationen der Stellen erforderlich ist. Die Exegese erbringt den
Nachweis, daß der matthäische dtxaioovvr) -Begriff völlig im alttesta-
mentlich-jüdischen sedaqa-Begriff und seinem doppelten Inhalt verwurzelt
ist. D. h. nun aber: Matthäus denkt, wenn er von dtxaioovvr]
redet, bei aller Forderung menschlichen Rechtverhaltens zugleich immer
an die göttliche (Heils-) Gabe „Gerechtigkeit". Das dichte Nebeneinander
von Gabe und Forderung, von „Heil" und „Gerechtigkeit", hat
für ihn seinen tiefsten Grund in der Person dessen, der die Gabe verheißt
und das Tun fordert, in dem Messias, dem nach matthäischer Ansicht
allein zukommt, über die dtxaioovvr] zu sprechen, weil er selbst
„alle Gerechtigkeit erfüllt". Mt. 3, 15 stellt den alle anderen matthäischen
dtxaioovvr]-Aussagen zusammenhaltenden Mittelpunkt dar.

In einem letzten, abschließenden Teil (Kap. IV B) wird nach „Ort
und Bedeutung der dtxaioovvr]-Aussagen im Matthäus-Evangelium"
gefragt.

Die Arbeit will einerseits zur Profilierung der Theologie des
Matthäus-Evangeliums beitragen; sie zeigt andererseits an ihrem Teil,
daß das paulinische Verständnis der dixaioovvri als der entscheidenden
Heilsgabe (von dem innerhalb der Untersuchung ganz bewußt nicht
geredet wird) nicht einzig im Bereich der neutestamentlichen Schriften
dasteht.

G o e t z e, Ruth: Luthers Exkommunikations-Praxis. Diss. Berlin
1957, 185 S. (Erscheint in Kürze unter dem Titel „Wie Luther Kirchenzucht
übte" als Band IX in den „Theologischen Arbeiten". —
Evang. Verlagsanstalt Berlin. Etwa 160 S. Hlw. etwa DM 8.80.

Die Schrift umfaßt eine Darstellung von Luthers Exkommunikations
-Praxis, die bisher in der Literatur fehlt, und eine systematische
Zusammenfassung sowie eine kritisch exegetische und praktische
Stellungnahme zu diesem Problemkreis.

Als Quellen für die Darstellung sind in erster Linie die Tischreden
und die Briefe Luthers herangezogen worden, in zweiter Linie
andere zeitgenössische Dokumente. Die Archive in Weimar, Wittenberg
und Zwickau wurden in diesem Zusammenhang durchforscht.

Zusammenfassend läßt sich über Luthers Bannpraxis sagen:

Luther hat nachweislich in vier Fällen Christenmenschcn den
Bann angedroht, in drei weiteren Fällen hat er den zuständigen Geistlichen
empfohlen, gegen ihm bekanntgewordene Sünder die Exkommunikation
zu verhängen, und in fünf Fällen hat er, wie uns berichtet
wird, selbst die Exkommunikation über Menschen verhängt, deren
Verhalten oder vermeintliches Verhalten ihn dazu nötigte.

Die Bann-Androhungen Luthers treffen:

1. einen Wittenberger Bürger, von dem Luther erfahren hat, daß
er sein kleines Haus für einen sehr hohen, wie Luther meint,
wucherischen Preis verkaufen will,

2. einen Wittenberger, von dem bekannt wird, daß er 15 Jahre lang
nicht das Sakrament des Abendmahls genommen hat,

3. den Grafen Albrecht von Mansfeld, weil er seine Untertanen
unterdrückte und deren Güter an sich brachte,

4. Wittenberger Juristen, die sich in der Frage der heimlichen Verlöbnisse
nicht klar von den kanonischen Bestimmungen lösten.
Bei den Bann-Empfehlungen, die Luther an andere Geistliche

weitergab, ging es einmal um eine hartnäckige Unvcrsöhnlichkeit
zweier Gemeindeglieder des Pfarrers Michael Stifel in Lochau; zweitens
um die eheliche Untreue einer Berliner Ehefrau, die, von ihrem
Mann grob behandelt, den Werbungen des Kurfürsten von Brandenburg
nachgab und seine Mätresse wurde um den Preis der Vertreibung
ihres Ehemannes von Haus und Besitz; drittens um die Zinsforderung
eines Adligen in Höhe von 30 %, die Luther als Wucher verwarf, wobei
er sich in Übereinstimmung mit den damaligen Gesetzen befand.

Bei den fünf von Luther tatsächlich vollzogenen Exkommunikationen
handelt es sich

1. um den Bannspruch über Hexen in Wittenberg,

2. 3. um die zweimalige Bannung des Wittenberger Landvogts und

Hauptmanns Johann von Metzsch, einmal, weil er unsittliche, anstoßerregende
Verhältnisse zu Wittenberger Mädchen unterhielt,
das zweite Mal, weil er zur Zeit einer Hungersnot in Wittenberg
Lebensmittel verschob und unverantwortlich handelte,

4. um die Kirchenzuchtmaßnahme gegen Stephan Roth, den Stadt-
schreiber von Zwickau, der seinen Superintendenten bei der Beurlaubung
eines dortigen Predigers übergangen hatte und seinen
Geistlichen gegenüber eine sehr kritische Haltung bewies,

5. um die Bannung eines Totschlägers, der sich nach seiner Tat und
nach Ableistung seiner bürgerlichen Strafe nicht bei seinen Geistlichen
entschuldigt hatte.

Die der Darstellung von Luthers Exkommunikations-Praxis folgende
exegetische Überprüfung kommt zu dem Ergebnis, daß die neu-
testamentliche Grundlage für eine Exkommunikation im Sinne der Aussonderung
von der Gemeinde bzw. des Ausschlusses vom Abendmahl
mit göttlicher Verbindlichkeit zu schmal ist, um eine solche Sache vertreten
zu können.

Auch wird Luthers eigener, stetig schwankender Haltung in der
Frage der rechtlichen Einführung der Kirchenzuchtordnung nachgegangen
.