Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1958 Nr. 8

Spalte:

582-583

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Pfliegler, Michael

Titel/Untertitel:

Leben, Bildung, heilige Bildung 1958

Rezensent:

Jenssen, Erich

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

581

Theologische Literaturzeitung 1958 Nr. 8

582

sehr wahrscheinlich halten, aber nicht für sicher. Die Datierung
auf 209-211 hat S. nicht ganz ausgeschlossen. Namentlich Ter-
tullians Ausdruck seiner Anti-Romanitas ist weit mehr die Antwort
auf den jeweiligen Anlaß als die Stufe einer ansteigenden
Entwicklung. Man erkennt das im Apologeticum. Einerseits findet
sich hier der Glaube, das römische Kaisertum bedinge die Erhaltung
der Welt (Apol. 32); aber dieser ist nicht, wie S. meint
(S. 53), „ein gutes Zeugnis der klugen imperialen Politik der
Caesaren", das also in schlimmeren Zeiten fortfällt, sondern dieser
Glaube gehört für Tertullian wie für viele andere nach
2. Thess. 2, 7 zur christlichen Wahrheit selber. Deshalb kann
Tertullian auf der anderen Seite neben diesen Glauben schon im
Apol. 38, 3 die schroffe Absage an den römischen Staat setzen,
indem er schreibt: Nec ulla magis res (sc. nobis) aliena quam
publica. Unam omnium rem publicam agnoscimus, mundum.

Im 3. Teil („Die Stilentwicklung Tertullians") zeigt S. sehr
schön, daß der Manierismus der Schrift De pallio nicht nur auf
ihrem Genus beruht, zu dem die Archaismen und Asianismen gehören
, sondern wirklich das späte Stadium einer ansteigenden
Entwicklung ist. Tertullian bildet den Satzparallelismus immer
strenger aus und verbindet ihn mit semantischem Parallelismus
oder mit der Antithese. Freilich ergeben die Tabellen keine
geradlinige Fortbildung; Zeitumstände und literarisches Genus
lenken diese ab. Als sicheres Ergebnis darf man jedoch ansehen,
daß De pallio erst hinter der Entwicklungsreihe Ad nationes —
erste Fassung — zweite Fassung des Apologeticum seinen Platz
hat, wahrscheinlich sogar sehr viel später entstanden ist, keinesfalls
zur Zeit der Bekehrung. Wenn die Spätdatierung richtig ist,
dann führt sie zu der bemerkenswerten Feststellung, daß Tertullians
zunehmender Rigorismus doch nicht zum Verzicht auf eine
sehr kunstvolle rhetorische Technik führte. — Die Stilbetrachtung
liefert im 4. Teil ein besonders wertvolles Ergebnis. Man hatte
längst beobachtet, daß Tertullian im 2. Buche De cultu femina-
rum milder denkt als im ersten. S. bestätigt nun überzeugend
die Vermutung Hugo Kochs, daß das 2. Buch vor dem ersten geschrieben
ist, und zwar dieses etwa 211/212, jenes rund 10 Jahre
später.

Der sehr ausführliche 5. Teil behandelt das Verhältnis von
Adversus Judaeos zu Adversus Marcionem Buch 3. Es geht um
die Frage, ob der zweite Teil der Schrift gegen die Juden
(Kap. 9—14) mit dem ersten eine Einheit bildet oder „unecht"
i6t. Gegen seine Einheit und Ursprünglichkeit sprechen die fast
wörtliche Wiederkehr seines Textes im 3. Buche gegen Marcion
und noch mehr die seltsamen, umfangreichen Wiederholungen
innerhalb Adv. Judaeos 9—14 selber, ferner gewisse sprachliche
Anstöße. Man hat diesen Befund öfter so gedeutet, daß ein Unbekannter
die Kapitel 1—8 später aus dem Werk gegen Marcion
ergänzt habe. Gegen diese These wendet sich S. Er kann tatsächlich
durch umsichtige Erörterung der Bibelzitate, des Wortschatzes
, des Stils und des Aufbaus die sprachlichen und stilistischen
Bedenken gegen die Echtheit der Kap. 9—14 zerstreuen,
wenn auch nicht alle seine Beispiele Beweiskraft haben und er
mit „stilistischer Laune" (S. 187) des Verfassers rechnen muß.
Nach S. hat Tertullian die ganze Schrift gegen die Juden selbst
verfaßt, aber nicht in einem Zuge. Deshalb weise der zweite Teil
umfangreiche Wiederholungen und einen abweichenden, aber
doch tertullianischen Stil auf. Später habe Tertullian ihn in
zweckentsprechender Stilisierung dem 3. Buche gegen Marcion
eingefügt. Nicht gelungen ist der Nachweis, daß die beiden Teile
von Adv. Judaeos eine wirkliche Einheit sind. Es fehlt den Kapiteln
9—14 nicht nur, wie S. einmal 6agt, „die endgültige Ab-
schleifung", sondern auch die klare, zielstrebige Gedankenführung
. Ihre „detaillierte Beweisführung" und „Komplettierung
der Beweisführung" stellen m. E. nur das — freilich echte — Rohmaterial
für eine nicht mehr vollzogene literarische Ausarbeitung
dar. Mit diesen Einschränkungen behält S.s 6ehr sorgfältige und
gut geschriebene Untersuchung hohen Wert für das sprachliche
Verständnis und die Datierung der berücksichtigten Schriften.

Bon» H. Karpp

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

Pf liegler, Midiael: Leben, Bildung, Heilige Bildung. Gedanken
über Wesen und Weg christlicher Vollendung. 6., Überarb. u. vermehrte
Aufl. Klosterneuburg-München: Volksliturgisches Apostolat 1957.
180S. kl. 8°. Lw. DM 9.10.

Gleich mit dem Titel ist uns die Gliederung des Buches übersichtlich
gegeben. Einige kennzeichnende Sätze mögen uns die
Grund-Gedanken vermitteln! Der Mensch, so heißt es im Abschnitt
„Leben" kann das Leben nicht „machen", wie man eine
Maschine macht; er kann es nur ehrfürchtig hinnehmen und seinen
Gesetzen dienen. Bildung ist nur Entfaltung eines vorgegebenen
Bildes; heiliges Leben ist „consortium divinae naturae"
(S. 80). Heilige Bildung ist „die Sorge, das heilige Leben zu erhalten
, zu nähren und so zur Reifung zu bringen, die bei der
Taufe in die Seele eingesenkten übernatürlichen Anlagen zu heiligen
Tauglichkeiten (Tugenden) zu entwickeln" (S. 98). Der Weg
zur Bildung heiligen Lebens ist „das Teilhaben am sakramentalen
Leben der Kirche, am Mysterium der Sakramente, am Mysterium
des heiligen Meßopfers und dem Mysterium des Kirchenjahres
(S- 139). „Durch das Mitleben mit diesem geheimnisvollen Geschehen
vollzieht sich an uns selbst die immer wiederholte Verwandlung
zur Übernatur" (S. 142).

Aus diesen grundlegenden Sätzen ergibt sich, daß katholische
Glaubenslehre und katholische Glaubenshaltung dem Buche seine
Prägung geben. Das erweist sich auch dadurch, daß kein anderer
Denker so oft zitiert wird wie Thomas von Aquino. So ist auch
die Psychologie des Aristoteles mit ihrer dreifachen Abstufung
des Seelenlebens für den Verfasser maßgebend. Aber er beweist
auch, daß er die neuesten Ergebnisse psychologischer Forschung
nicht nur gut kennt, sondern mit ihnen innig vertraut ist. Er verschmäht
es nicht, aus diesen Ergebnissen zu lernen, indem er sie
einbaut in das, was sich durch die Jahrhunderte hin bewährt hat.
Gerade dies Ineinander von alter Weisheit und neuer Forschung
gibt dem Buche seine Sicherheit, seine Kraft, ja, eine innere
Schönheit, die es heraushebt aus der großen Zahl der heute vorliegenden
pädagogischen und katechetischen Werke.

An Einzelnem ist hervorzuheben, was Pfliegler über den Unterricht
sagt: „Unsere Lehr- und Katechismus-Bücher können
immer zur Gefahr werden, in der Verstandes- und Gedächtnisarbeit
das Um und Auf des Unterrichtes zu sehen. Parade-Prüfungen
bei Inspektionen nötigen fast zum Einpauk-Unter-
richt." Und diesen Bemerkungen folgt ein Satz, der gewiß manchen
erschrecken wird, der die neueren Anschauungen über die
Methode des kirchlichen Unterrichtes kennt. Pfliegler schreibt:
■ .Der Unterricht muß den Kindern zum Erlebnis werden" (S. 154).
Der „Erlebnis-Unterricht" ist heute bei vielen Fachmännern so
verpönt, daß ein Festhalten an ihm manchem zum Ärgernis werden
muß. Vielleicht aber regt Pflieglers Einstellung zum Erlebnis-
Unterricht doch diesen oder jenen an, erneut zu prüfen, ob diese
Art des Unterrichtens wirklich alle die Mängel aufweist, die man
ihr heute vielfach nachsagt.

Weiter sei darauf hingewiesen, daß der Verfasser unseres
Buches von apologetischen Bemühungen wenig hält! Er begründet
diese Ansicht mit dem Hinweis, daß man sich durch „Apologetik"
im Unterricht vom Gegner zu viel vorschreiben lasse. Das ist
gewiß eine ernste Gefahr, die mit solchen Bemühungen leicht
verbunden ist. Aber man darf demgegenüber doch darauf aufmerksam
machen, daß die Jugend unserer Tage unvermeidlich erreicht
wird von allen Einwänden und sogar Angriffen, die durch die
Zeiten hin gegen unseren Glauben vorgetragen sind. Hat sie nicht
da einen Anspruch auf den Nachweis, daß ihr Lehrer alle
Einwände und Angriffe kennt und wohl durchdacht hat? Aber
vielleicht denkt Pfliegler bei seiner Stellungnahme zu apologetischen
Darlegungen auch nur an eine abgenutzte und überhaupt
wenig gute Form der Apologetik. Christliche Denker haben aber
doch eine so vornehme Form der Auseinandersetzung mit dem
Gegner entwickelt, daß gerade an ihr Weite, Tiefe und innere
Sicherheit unseres Glaubens überzeugend sichtbar werden.

Schließlich kommt man an die Frage, ob ein so ganz aus dem
Geiste des Katholizismus geprägtes Buch auch dem evangelischen