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Ausgabe:

1958

Spalte:

561-570

Autor/Hrsg.:

Matthias, W.

Titel/Untertitel:

Dogmatik zwischen Historismus und Existentialismus 1958

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jRaonatefdjrift für Das Beamte (Bebtet Der €&eoloste uni> töeltötonstotffenfc&aft

Begründet von Emil Schürer und Adolf von Harnack
HERAUSGEBER: I.V. PROFESSOR D.ERNST SOMMERLATH, LEIPZIG

NUMMER 8 83. JAHR GAN» AUGUST 1958

Spalte

Dogmatik zwischen Historismus

Und Existentialismus Von W. Matthias 561

Dostojevskij und kein Ende?

Von K. Onasch..........569

Backhaus, Q.: Evangelische Theologie der
Qegenwart (H. Lahr).........583

Cross, F.The Oxford Dictionary of the
Christian Church (Y. M.-J. Congar) .... 579

Diem, H.: Theologie als kirchliche Wissenschaft
. II.: Dogmatik (W. Matthias).... 561

Doerne, M.: Gott und Mensch in Dostojevs-
kijs Werk (K. Onasch)........573

Pfliegler, M.: Leben, Bildung, Heilige Bildung
. 6. Aufl. (E. Jenssen).......582

Rathjens, C: Jewish Domestic Architecture
in San'a, Yemcn (M. Höfner)......577

Spalte

Säflund, O.: De Pallio und die stilistische
Entwicklung Tertullians (H. Karpp) ... 580

Schürmann, H.: Der Abendmahlsbericht
Lukas 22, 7—38 als Oottesdienstordnung
0- Jeremias)............573

Referate über theologische Dissertationen
in Maschinenschrift:

Altendorf, H.-D.: Untersuchungen zu Se-
verian von Gabala......

.......583

Baltzer, K.: Das Bundesformular .... 585
Betz, H. D.: Lukian von Samosata und das

Neue Testament..........586

Bofinger, W.: Oberdeutschtum u. württembergische
Reformation.......587

Delius, H.-U.: Friedrich Mykonius ... 588
Donner, H.: Studien zur Verfassungs- und
Verwaltungsgeschichte der Reiche Israel
Richter, ].: Welt-Ende? Das Problem der und Juda . . . . • 589

Esehatologie einst und heute (H. Lahr) . . 583 | Fast, H.: Heinrich Bullinger und die Täufer 590

Spalte

Fiedler, M. ].: Der Begriff Sixatoavvt] im
Matthäus-Evangelium........591

Ooetze, R.: Luthers Exkommunikations-
Praxis .............592

Ounneweg, A. H. J.: Mündliche u. schriftliche
Tradition der vorexilischen Prophetenbücher
.............593

Von Personen:

In memoriam Otto Schmitz (W. Foerster) . 593
Bibliographie Otto Schmitz (O. Schmitz) . . 593

Berichte und Mitteilungen

Das Buch Jesus Sirach als typischer Ausdruck
für das Oottesverhältnis des nachalttesta-
mentlichen Menschen (D. Michaelis) ... 601

An unsere Leser..........607

Dogmatik zwischen Historismus und Existentialismus

oder Verkündigung zwischen Exegese und Dogmatik1

Von W. M a 11 h i a s, Mainz

In der seine Lebensarbeit resümierenden Rede, die W. Dil-
they zu seinem 70. Geburtstag (1903) gehalten hat, faßt er den
Ertrag des historischen Bewußtseins und das geisteswissenschaftliche
Bemühen des 19. Jh.s in der fast ausweglos erscheinenden
Aporie zusammen: „Ein scheinbar unversöhnlicher Gegensatz entsteht
, wenn das geschichtliche Bewußtsein in seine letzten Konsequenzen
verfolgt wird. Die Endlichkeit jeder geschichtlichen
Erscheinung, sie sei eine Religion oder ein Ideal oder philosophisches
System, sonach die Relativität jeder Art von menschlicher
Auffassung des Zusammenhanges der Dinge ist das letzte Wort
der historischen Weltanschauung, alles im Prozeß fließend, nichts
bleibend. Und dagegen erhebt sich das Bedürfnis des Denkens
und das Streben der Philosophie nach einer allgemeingültigen
Erkenntnis"5. Die geschichtliche Weltanschauung droht eine Anarchie
der Überzeugungen hereinbrechen zu lassen, und besorgt
fragt Dilthey nach den Mitteln, die diese Gefahr bannen können.

Der Auflösungsprozeß der Wahrheitsfrage bei der konsequenten
Durchführung des geschichtlichen Bewußtseins ist auch an der
Theologie nicht vorübergegangen, er hat bei E. Troeltsch eine
umfassende Ausprägung erfahren. In seinem Werk findet — davon
geht Diems „Dogmatik, Ihr Weg zwischen Historismus und
Existentialismus"3, aus (9) - das dogmatische Denken sein vorläufiges
Ende.

') Als Gruß für W. Jannasch zum 70. Geburtstag. Seine Formulierung
der Problematik hat wesentlich dazu beigetragen, das Fragen nach
ihr wachzuhalten. Vgl. unten Anm. 4a und 11

J) Ges^Verke, Bd. 5, S. 9.

3) 5^"' Hermann: Theologie als kirchliche Wissenschaft. Hand-
reidiunfT^ur Einübung ihrer Probleme. Bd. II: Dogmatik, ihr Weg zwischen
Historismus und Existentialismus. München: Kaiser 195 5 318 S
gr. 8°. DM 13.— ; Lw. DM 15.—.

Die „Dogmatik" Diems ist von vielen berufenen Seiten fast einstimmig
gelobt worden (vgl. H. J. Iwand, Göttinger Predigtmeditationen
, 8. Jg. 1954/55, Vorrede). Wir können diesen zutreffenden Urteilen
nur vorbehaltlos zustimmen. Um eine Wiederholung zu vermeiden, mag
es gestattet sein, Diems Buch in Form einer Problembehandlung anzuzeigen
.

561 562

Diem zeigt zutreffend, daß hinter dem Historismus Troeltschs
die alte Lessingfrage steht, wie zufällige Geschichtswahrheiten
notwendige Vernunftwahrheiten werden können (13), eine Frage,
die bei Troeltsch in der Unterscheidung und Zuordnung des Prinzips
des Christentums und der historischen Person Jesu ihre eigentümliche
Prägung erhält (22). So verstanden hat Kierkegaard
in der Tat auf der einen Seite das Ende des Historismus schon
vorweggenommen und auf der anderen Seite den Existentialismus
in die Theologie eingeführt (14). Der großartige Versuch
Kierkegaards, die historische und philosophische Wahrheitsfrage
zugleich zu beantworten, und zwar in einem Akt des Existierens
(22), konnte als Befreiung vom Historismus Troeltschs erscheinen
und die Existentialtheologie begründen, die ihrerseits Kierkegaard
(nach Diem: zu unrecht) im Sinne der Heideggerschen Existentialphilosophie
versteht. Die Existentialtheologie bewirkte aber
ebenso wie der Historismus Troeltschs eine Auflösung der Dogmatik
.

In ihr fällt nämlich die entscheidende theologische Aufgabe
dem Exegeten zu, der sein Existenzverständnis an den Text heranträgt
, ihn damit sowohl zum Reden bringt, als auch durch den
in diesem Reden sich selbst interpretierenden Text das vorgängige
Existenzverständnis in Frage stellen läßt (27). Diem zeigt die
Konsequenzen solcher Arbeit an der Hermeneutik des Dogmas
bei H. Jonas (27—30) und an der Auflösung der Dogmatik in
Existenzdialektik (30—34)*. „Für die Dogmatik scheint so zwischen
Historismus und Existentialismus überhaupt keine Not-

*) Diems Einwand, daß Kierkegaards Denken im ganzen und im
einzelnen zu übernehmen unmöglich sei (22), weil es die kirchliche
Dogmatik voraussetzt, ist darum zu bestreiten, weil ja auch die Existentialtheologie
den „Inhalt" des christlichen Glaubens als eindeutig
bekannt voraussetzt und also in gleicher Weise nicht zeigen will,
..was das Christentum ist, sondern wie man Christ wird" (23). Vgl.
dazu etwa Bultmanns Satz: „Die Frage ist nicht, ob die Natur des Menschen
ohne das Neue Testament entdeckt werden konnte ... Die Frage
ist dann also wohl die, ob die Natur des Menschen verwirklicht werden
kann..." K. u. M. I, S. 37. — Vgl. auch Z. Th. K. 1930, S. 3 52 und
K. Barth, R. Bultmann, Th. St. 34, S. 8.