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Ausgabe:

1958 Nr. 7

Spalte:

536-537

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Hubbard, Stanley

Titel/Untertitel:

Nietzsche und Emerson 1958

Rezensent:

Fritzsche, Hans-Georg

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Theologische Literaturzeitung 1958 Nr. 7

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noch ist sie nutzloses Schulgezänk oder gehaltlose Apologetik
oder gar ein unfreies Gebilde.

Die zweite Auflage bietet eine durchgreifende Neubearbeitung
der ersten Fassung. Kaum eine Seite hat ihre ursprüngliche
Gestalt ganz behalten. Deutung und Beurteilung sind in
zahllosen Einzelheiten präzisiert worden. In den Abschnitt
über Klemens Alexandrinus ist dessen Auseinandersetzung mit
der Skepsis neu aufgenommen worden, dafür die Erörterung
seiner Anthropologie weggefallen. Die Einzigkeit Gottes wird
nun schon bei Origenes erwähnt, statt wie in der 1. Auflage
erst bei loh. Damaszenus, dessen Gotteslehre nicht mehr behandelt
wird. Dafür finden die Ausführungen Gregors von Na-
zianz über die Unerkennbarkeit Gottes eingehendere Berücksichtigung
. Einschneidende Änderungen sind auch im Augustin-
kapitel vorgenommen worden. Die Charakteristik der karo-
lingischen Renaissance wurde von fünf auf eine Seite gekürzt,
die Darstellung der Psychologie Anselms und die der Methode
der Psychologie bei Albert gestrichen. Dafür ist Alexander von
Haies neu aufgenommen, die Darlegung der thomistischen Analogielehre
erweitert und ein ausführlicher Überblick über die
Grundlegung der Metaphysik bei Duns Scotus eingefügt worden.
Die Darstellung Ockhams ist durch Berücksichtigung seines politischen
Denkens, sowie seiner Gedanken über Erkennbarkeit
und Einzigkeit Gottes bereichert. Daß diese wichtigen Erweiterungen
außer durch häufigere Anwendung von Kleindruck auch
durch Kürzungen erkauft werden mußten, ist bedauerlich; aber
nur so war zu erreichen, daß das Werk den alten Umfang um
nur 36 Seiten überschreitet. Daß deshalb eine eingehendere Behandlung
der Spätscholastik unterbleiben mußte, beklagt Böhner
Belbst mit Recht. Dringlich Iwäre auch eine Berücksichtigung
des ausgehenden 12. und beginnenden 13. Jhdt.s. Hier sehe ich
die einzige größere Lücke des Buches. Die Gestalten des späteren
Porretanismus (im weiteren Sinne): Alain de Lille, Simon
de Tournai, Radulphus Ardens kann man für ein Verständnis
der Scholastik schlecht entbehren. Allerdings ist dies ähnlich wie
die Spätscholastik ein noch wenig erschlossenes Gebiet. Doch
auch die Gedanken Richards von St. Viktor über das Wesen der
Person vermißt man ungern.

Auf Literaturangaben ist mit Recht bis auf wenige Ausnahmen
verzichtet worden, da sie zuviel Platz beanspruchen würden
. Diesem Bedürfnis genügen jetzt ja auch die von Bochenski
herausgegebenen bibliographischen Einführungen in das Studium
der Philosophie.

Zum Schluß bleibt ein grundsätzliches Problem zu erörtern:
In seiner vorliegenden Form hat das Werk den Charakter
einer Geschichte der patristischen und scholastischen Philosophie
. Durch seinen Titel — Geschichte der christlichen Philosophie
— und durch die einleitende Untersuchung zum Begriff der
christlichen Philosophie wird jedoch eine weitergehende Auffassung
und Bewertung des gebotenen Stoffes angedeutet, deren
systematischer und historischer Anspruch eine Stellungnahme
verlangt.

Über die Möglichkeit des hier aufgestellten Begriffs einer
besonderen christlichen Philosophie mag man streiten. Immerhin
ist der Tatbestand eines unter dem bestimmenden Einfluß des
christlichen Glaubens 6tehenden Philosophierens unverkennbar
und wird durch das vorliegende Werk höchst eindringlich vor
Augen geführt. Eine andere Frage ist es, ob und wie sich solches
christlich bestimmte Philosophieren prinzipiell von der Theologie
unterscheiden läßt. Daß die Grenze fließend ist, kann man
in verschiedenen Partien des Buches mit Händen greifen. Daß
die dargestellten Gedanken „mit natürlichen Mitteln zu beweisen
" sind (1) und sich so von der Theologie unterscheiden,
bleibt zweifelhaft, und ebenso muß bezweifelt werden, daß dies
immer die Intention der christlichen Denker gewesen ist. Wenn
— mit Recht — ein „psychologischer Einfluß" des christlichen
Glaubens als Kennzeichen christlichen Philosophierens genannt
wird, so ist doch zu fragen, ob die aus solchem existenziellem
Ursprung erwachsenen Konzeptionen dem Nichtchristen unwider-
sprechlidh demonstriert werden können, oder ob sie ihm letztlich
doch in ähnlichem Sinne wie die Christusbotschaft selbst
zugemutet werden müssen. Christliche Denker, die ihre philosophischen
Sätze auch den Ungläubigen beweisen wollten, haben,
wie Anselm von Canterbury, den gleichen Anspruch oft auch für
spezifisch theologische Aussagen erhoben. Eine unterscheidende
Zuordnung von natürlicher und Offenbarungserkenntnis, wie
sie B. grundsätzlich behauptet, ist erst eine Neuerung der Hochscholastik
gewesen.

Die andere Frage, die das Buch als Ganzes aufgibt, entsteht
an der im Titel zum Ausdruck kommenden Beschränkung der
Geschichte der christlichen Philosophie auf die Zeit bis zu Nikolaus
Cusanus. Ist e6 zufällig, daß die Abgrenzung des Stoffes
gerade so erfolgt, oder ist darin das Urteil beschlossen, daß mit
dem Cusaner die „klassische" Zeit christlicher Philosophie zu-
ende ist? Allerdings scheint für B. das im Umkreis der Reformation
entstandene Denken ebenso wie die Hauptlinie der neuzeitlichen
Philosophie von vornherein aus dem Bereich der
„christlichen Philosophie" auszuscheiden. Es heißt in der Einleitung
: „Eine christliche Philosophie steht niemals im offenen Gegensatz
zum klar formulierten Glauben der christlichen Kirche"
(2). Damit wird offenbar der Begriff der christlichen Philosophie
auf den röm.-kath. Raum eingeschränkt. Eine so enge konfessionelle
Begrenzung würde aber der „historischen Tatsache, daß es
philosophische Systeme gegeben hat, die ihre Eigenart dem
christlichen Glauben verdanken" (l), kaum in vollem Umfange
gerecht. In der zweiten Auflage heißt es dann zwar, zur christlichen
Philosophie im weiteren Sinne seien auch „häretische
Spekulationen wie etwa die gnostische" zu rechnen, insofern sie
„wenigstens nicht ohne den Einfluß des Christentums entwickelt
worden sind" (2), aber in seinem engeren Sinne bleibt der Begriff
für B. auf den Raum der römischen Kirche beschränkt.

So problematisch also die in Titel und Rahmen ausgedrückten
systematischen Voraussetzungen des Werkes bleiben, so
großartig ist seine historische und didaktische Leistung, die in
der Neubearbeitung noch mehr beeindruckt als in der ersten
Auflage. Seiner vielseitigen Vorzüge wegen möchte man diesem
Buch auch unter evangelischen Studenten weite Verbreitung
wünschen.

Heidelberg W. Pannenberg

Hubbard, Stanley: Nietzsche und Emerson. Ba6el: Verlag für Recht
und Gesellschaft 1958. VIII, 195 S. gr. 8° = Philosophische Forschungen
, N. F., hrsg. v. Karl Jaspers, Vol. 8 (der ganzen Serie Vol. 17).
DM 22.40.

Diese von Karl Jaspers angeregte Untersuchung weist eine
eigenartige .Beeinflussung' Nietzsches durch den (um eine Generation
älteren) amerikanischen Philosophen und Dichter R. W.
Emerson nach. Eine Schrift Emersons war es, die Nietzsche als
Gymnasiast in Schulpforta die Augen öffnete, und an Emerson
fand der spätere vereinsamte Nietzsche Bestätigung und Trost,
freilich nur an gewissen Sentenzen und pointierten Formulierungen
Emersons und keineswegs an der Gesamtheit von dessen
Denken.

Emerson ist ein Zeitgenosse Kierkegaards und diesem in manchem
(auch Gegensätzlichem) vergleichbar (worauf vielleicht noch etwas ausführlicher
hätte eingegangen werden können). Als 29jähriger gibt er
(1832) sein geistliches Amt auf, weil er „das Starre und Institutionelle
am Christentum: die sogenannte 'Churchianity' " ablehnte (S. 36) und
die Religion als eine „radikal private" Angelegenheit (S. 46) ansah, bei
der es auf Verwirklichung, nicht auf 'compliments' (bloße Worte) ankomme
(S. 46).

Man umschreibt seine Tendenz oft mit Begriffen wie: Individualismus
, Optimismus, Idealismus oder auch (mystische) Naturvergötterung
. Vor allem aber kennzeichnet Hubbard Emersons Geisteshaltung
als „reinsten Ausdruck dessen, was man .amerikanisch' nennt": des auf
Altruismus basierenden pragmatischen Zuganges zum Leben (S. 33).
Andererseits traf Emerson „jene Sehnsucht des sogenannten materialistischen
Volkes jenseits des Atlantik nach dem Nichtmateriellcn"
(S. 61). Besonders die6 machte ihn schnell zum Wortführer seiner Zeit.

Noch ehe Emerson in Deutschland eigentlich bekannt und populär
wurde (Anfang des Jahrhunderts), gelangte eine seiner Schriften
(.Führung des Lebens') dem jungen Nietzsche als Gymniasiasten in
Schulpforta in die Hände, und seitdem ist Nietzsche von Emerson nicht
losgekommen, trotz tiefster Gegensätzlichkeiten in ihren Grundanschauungen
(„ .Emerson — Ich habe mich nie in einem Buche so zu
Hause und in meinem Hause gefühlt, als — ich darf es nicht loben, es
Steht mir zu nahe' (W. W. XII, 179)", wenngleich „ .leider durch deutsche