Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1958 Nr. 7

Spalte:

527-534

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Titel/Untertitel:

Nouveau testament 1958

Rezensent:

Wessel, Klaus

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3, Seite 4

Download Scan:

PDF

527

Theologische Literaturzeitung 1958 Nr. 7

528

außerdem durch die wertvollen Untersuchungen von W. A.
Schulze, wieder neu gestellt worden. Nachzuprüfen wäre die
Feststellung Koyres hinsichtlich der Komponenten Weltbild
und Glaube: „B. .. . est un chretien, plus exactement un
Protestant spiritualiste. Son Dieu est un Dieu-Trinite, Dieu-
Createur et Dieu-Sauveur; il est aussi esprit inspirateur; un Dieu
d'amour, de connaissance et de lumiere, mais aussi de colere
et de courroux. Son monde est, en somme, celui de la doctrine
astronomique vulgaire" (op. cit., 72). Die Lösung liegt m. W.
in der von H. Bornkamm gewiesenen Richtung (s. auch L. Richter
, Immanenz und Transzendenz im nachreformatorischen
Gottesbild, 1954). Bleibt nicht, unbeschadet der Weltbildkomponente
, (existential-interpretiert!) bei B. die lutherische
(nicht: lutherisch-orthodoxe) Glaubenshaltung entscheidend
? Koyre (Die Gotteslehre J. B.s15, 238 ff.) stellt fest, B. habe
seinen Personalismus in kritischer Opposition zu den Lehren
sowohl der deutschen Mystik des Mittelalters als auch der naturalistischen
Mystik der Renaissance gebildet. „Was B. glaubt
vor aller Doktrin, was er sucht, wozu seine ganze Lehre als
Rechtfertigung dienen soll, ist dies Eine, daß Gott. . . Person
ist, eine lebendige, selbstbewußte Person, eine handelnde Person,
eine vollkommene Person" (ebda, 239). In dieser Hinsicht bleibt
Koyre weiterhin maßgeblich, auch als Ergänzung der meisterhaften
Analysen G.s (Koyre, La Philosophie ..., IV/ 3: Die
Schöpfung; IV/1, 2: Die Gottes-Lehre; III/2. IV/3: Das Menschenverständnis
.)

Jena Eberhard H. P ü 11 z

u) 6. Anm. 10.

GESCHICHTE DER CHRISTLICHEN KUNST

Rcau, Louis: Iconographie de I'Art Chretien. II.: Iconographie de
Ia Bible. 2.: Nouveau Testament. Paris: Presses Universitaires de
y ^France 1957. 769 S. gr. 8°.

Den ersten Band des groß angelegten Werkes hatte der Rez.
ehrlich begrüßt1; beim ersten Halbband des 2. Bandes hatte er
mancherlei an den Einzelheiten auszusetzen, hielt ihn aber doch
noch für sehr empfehlenswert2. Nun liegt der zweite Halbband
des 2. Bandes vor, der das Kernstück christlicher Ikonographie
darbieten will, die Ikonographie des Neuen Testamentes. Bei der
Lektüre dieses umfangreichen opus aber kommen nun doch sehr
ernste Bedenken. Die unerhörte Arbeitsleistung, die das Gesamtwerk
, soweit es bislang überschaubar ist, darstellt, verdient höchsten
Respekt. In jedem Abschnitt wird deutlich spürbar, daß hinter
den Ausführungen die Summe der Kenntnisse und Erkenntnisse
eines recht langen, der Kunstgeschichte gewidmeten Lebens
steht. Es dürfte heute nur wenige Kunsthistoriker geben, die eine
so umfassende Denkmäler- und Literaturkenntnis aufweisen können
, wie sie zur Abfassung eines solchen Werkes unerläßliche
Voraussetzung ist. Und dennoch drängt sich in steigendem Maße
die Frage auf — gerade bei der Hochachtung, die die Ikonographie
der christlichen Kunst aus der Feder L. Reau's dem Leser immer
wieder abnötigt —, ob es heute überhaupt noch möglich ist, eine
befriedigende Lösung der Aufgabe zu bieten, die der Verf. sich
selbst gesetzt hat, ob Kenntnisse und Kräfte eines Einzelnen noch
ausreichen, das Ziel zu erreichen, dem Reau zustrebt. Der Rez.
bekennt dankbar, daß er aus der Durcharbeitung der ersten drei
Bände sehr viel gelernt hat, aber er muß zugleich immer deutlicher
erkennen, daß das hier in so reicher Fülle Gebotene doch
nur Stückwerk ist, nirgends ein ganzes und rundes Bild der Möglichkeiten
und der Entwicklung bietet. Schon von dem Sondergebiet
der Kunstwissenschaft her gesehen, das der Rez. vertritt,
wird das fast peinlich deutlich — und wie viele Mängel mögen
außerdem wohl Vertreter anderer Sonderdisziplinen erkennen?

Ehe wir uns der Begründung dieser angedeuteten Bedenken
zuwenden, sei der Aufbau des 2. Halbbandes kurz skizziert. Er
gliedert 6ich in drei Bücher: Types iconographiques du Christ
et de la Vierge, Scenes narratives des Evangiles und Les fins

') ThLZ 1957, Nr. 4, Sp. 286 ff.
s) ThLZ 1957, Nr. n, Sp. 863 ff.

dernieres. Das erste Buch bietet in zwei Teilen (Le Christ,
S. 5-51, La Vierge, S. 53—151) folgende Kapitel: Christi Würdenamen
und Geschichtlichkeit, Reliquien Christi, Vorgebliche
Bildnisse, Symbolische Darstellungen in der Kunst der Katakomben
, Ikonographische Typen in Orient und Occident; Legende
und Kult Mariae, Ikonographie der Jungfrau, Genealogische
Themen: Wurzel Jesse, Heilige Sippe, Heilige Familie.

Dieser erste Teil bringt also die Grundlegung der neutestament-
lichen Ikonographie. Er behandelt, auch wo er die ikonographischen
Typen der beiden Gestalten darbietet, stets nur die aus dem Zusammenhang
zyklisch-illustrativer Szenen herausgenommenen Einzeldarstellungen
. Das ist richtig und notwendig, bleibt hier aber unvollständig. So
manches fehlt, anderes ist unrichtig. Nehmen wir zunächst die mehr
zur theologisch-geistesgeschichtlichen Grundlegung gehörigen Angaben,
so fällt sehr unangenehm auf, wie knapp und unzureichend die Würdenamen
Christi erläutert werden: für Soter fehlt jeder Hinweis auf die
Verwendung des Begriffes im Herrscherkult; für Kyrios wird lediglich
erwähnt, daß der Begriff ein Gegenstück zu Notre-Dame sei und der
Feudalsprache angehöre (I); zu Logos lesen wir den schlichten Satz:
„Le Verbe est la Parole de Dieu incarne" (S. 7). Angesichts solcher
„Erklärungen" möchte man wünschen, sie seien überhaupt weggelassen!
Bei den Acheiropoiiten (S. 17 ff.) werden lediglich das Abgar-Bild oder
Mandylion, das Veronika-Bild und das Turiner Leichentuch genannt:
es fehlen also das Bild (bzw. die Bilder) von Kamulia, das von Memphis
und das in Rom. Die Marien-Acheiropoiiten haben keine gesonderte
Behandlung erfahren. Zum Schweißtuch der Veronika wird (S. 19)
die Zeit des Aufkommens der Legende mit der Angabe „vers 1300"
entschieden viel zu spät angegeben, da sie bereits im 12. Jhdt. erscheint.
Hinsichtlich der Angaben über Maria fehlt bei der Panhagia jeder Hinweis
auf die Herkunft und die Bedeutung dieses Titels, obwohl gerade
er für die Mariologie wesentliche Aufschlüsse zu geben vermöchte (S. 5 51.
Schwerer wiegt, daß die Anfänge der Lehre von der jungfräulichen
Mutterschaft im Sinne der virginitas post partum falsch dargestellt
sind (S. 84): neben Origenes und Tertullian werden Hieronymus und
Ambrosius als die wichtigsten Zeugen für die Annahme der natürlichen
Geburt Christi angeführt; dazu ist zu bemerken, daß bereits im Prot-
evangelium Jacobi diese Lehre von der virginitas post partum voll ausgebildet
da ist — Reau verweist auf diese apokryphe Quelle selbst anläßlich
der Salome-Darstellungen (S. 220 ff.) — und daß bereits, außer
dem nur anmerkungsweise genannten Augustinus, Gregorius Thauma-
turgus, Zeno von Verona, Hilarius von Poitiers, Gaudentius und Epi-
phanius den gleichen Standpunkt vertreten"; es ist also irreführend,
wenn Reau hier den Eindruck zu erwecken versucht, als sei diese Lehre
erst sehr spät in der Kirche zu breiterer Anerkennung gekommen.

Fallen diese Dinge mehr dem Theologen unangenehm auf, so wird
der Kunsthistoriker ebenso in mancher Hinsicht recht unbefriedigt sein.
So verliert Reau z. B. kein Wort über die weiten Auswirkungen des
Volto Santo (S. 24). Bei der Erwähnung der Monogramme Christi fehlen
zwei sehr wichtige Formen, nämlich das Rho-Kreuz und das Monogramm
aus den Buchstaben I und X, außerdem fehlt jeder Hinweis auf
die Zeit des Aufkommens des Monogrammes (S. 28). Sehr unbefriedigend
knapp ist die Behandlung der Lamm-Allegorie (S. 30 f.), wo überdies
Beispiele fehlen; hier vermag der unkundige Benutzer überhaupt
kein klares Bild zu gewinnen. Unter den anthropomorphen Symbolen
fehlt der Philosoph*; der Fischer scheint mir hier nicht herzugehören;
er dürfte, dem Auftrag Christi entsprechend (Mc. 1, 17), den Apostel
meinen; diese Ansicht wird noch bestärkt durch die in Karthago gefundene
Glasschale, die Petrus als den Angler, namentlich bezeichnet,
und lohannes mit dem Fischernetz zeigt5. Der pisciculus an der Angel
dürfte nicht so 6ehr die äme sauvee meinen, als vielmehr, der Terminologie
Tertullians entsprechend (De bapt. 1), eine Anspielung auf das
von den Aposteln zuerst geübte Sakrament der Taufe sein. Sind wir
damit bereits auf eine Interpretationsfrage gestoßen, so sei gleich erwähnt
, daß (S. 32) der Pa6tor bonus viel zu einseitig als Rettungssymbol
gedeutet wird — Reau kennt, wie auch das Literaturverzeichnis zu
diesem Abschnitt (S. 3 5) beweist, Kempff's ausgezeichnete Arbeit zum
Thema6 nicht. Überdies wäre zu fragen, wo denn im 2. Jhdt. der Gute
Hirt bereits in der Kunst erscheint (so Reau S. 32). Bei der Gegenüberstellung
des Guten Hirten und des Mietlings (S. 33) ist die Lipsano-
thek von Brescia nicht genannt, so daß der falsche Eindruck erweckt
wird, das Thema sei erst mittelalterlich.

') Vgl. Hugo Koch, Adhuc virgo (Beiträge zur historischen Theologie
2), Tübingen 1929, S. 25 und 29 ff.

*) Vgl. Johs. Kollwitz, Das Christusbild des dritten Jahrhunderts
(Orbis antiquus Heft 9), Münster/Westf. 1953, S. 12 ff.

5) Vgl. G.-Ch. Picard, L'archeologie chretienne en Afrique 1938/
19 53, Actes du Ve Congres International d'Archeologie Chretienne
(Studi di Antichitä Cristiana XXII), Cittä del Vaticano-Paris 19 57,
S. 45 ff., Fig. 4—5.

*) Christus der Hirt, Ursprung und Deutung einer altchristlichert
Symbolgestalt, Rom 1942.