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Ausgabe:

1958 Nr. 7

Spalte:

505-507

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Jenni, Ernst

Titel/Untertitel:

Die politischen Voraussagen der Propheten 1958

Rezensent:

Westermann, Claus

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Theologische Literaturzeitung 1958 Nr. 7

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Schrift auf einem jüdischen Goldglase: AADE EYAOHA (ficza xwv)
2Q(v n)ANTUN (Goodenough III Abb. Nr. 978). G. gibt II S. 115 ff.
eine Übersicht über die verschiedenen Deutungsversuche und entscheidet
sich für die Ergänzung eines v nach evloyta („nimm den Segen-
[skelch]"), was mir nicht möglich erscheint. Denn — ganz abgesehen von
der Mißlichkeit dieser Ergänzung — wir haben keinen Beleg dafür, daß
das Judentum den Kelch mit evXoyia bzw. berakha bezeichnet hätte.
Die richtige Deutung ergibt sich m. E. aus dem Vergleich anderer Inschriften
. Auf jüdischen Grabinschriften lesen wir: EYAOVIA IIASIN
(J.-B. Frey, Corpus Inscriptionum Iudaicarum I [Sussidi allo studio delle
antichitä cristiane l], Vatikanstadt 1936, S. 124, Nr. 173: Rom;
Goodenough III Abb. Nr. 977: Nikomedien in Kleinasien). Da wir aus
den paulinischen Schlußgrüßen wissen, daß bei Segenswünschen an die
Stelle des Dativs Jiäaiv ein /ieia nävzoov treten kann (fj x<*Qls ■ ■ ■ /«er<*
Tiävxiov vfiiörl. Thess. 3,18; Tit. 3,1 5; 17 äyant) fiov fisra nävxtov vfiwv
1. Kor. 16,24; vgl. 2. Kor. 13, 13; Rom. 16,20), ist die Inschrift auf
dem Goldglase zu übersetzen: „Nimm! Segen sei mit all den Deinen!".
Die Richtigkeit dieser selbständigen Fassung von >.dßs wird bestätigt
durch das analoge selbständige aü, das auf jüdischen wie christlichen
beschrifteten Gläsern ständig wiederkehrt: pie ze6es („Trinke! Du mögest
leben!"). Die Aufforderungsformel auf dem Goldglas ist also
ebenso objektlos wie Mk. 14,22; Mt. 26, 26.

3. Für das eschatologische Verständnis der Abendmahlsworte
eic xi]v epr/v ävä/ivr]oiv („damit Gott meiner gedenke [durch Herbeiführung
der Parusie]" 1. Kor. 11, 24. 25; Lk. 22, 19) ist lehrreich die
aramäische Inschrift der Mitte der dreißiger Jahre entdeckten Synagoge
von Jericho, wo die stereotype Wendung „Gedacht werde zum Guten"
folgendermaßen erläutert wird: „Er, der ihre Namen kennt und die ihrer
Kinder und der Glieder ihrer Haushalte, möge sie aufschreiben in das
Lebensbuch (zusammen mit) den Gerechten" (1 S. 261; II S. 129). Hier
ist es eindeutig Gott, der das Gedenken übt.

Göttingen Joachim Jeremias

>enni, Ernst, Dr.: Die politischen Voraussagen der Propheten. Zürich:
Zwingli-Verlag 19 56. 118 S. 8° = Abhandl. zur Theologie des
Alten und Neuen Testaments, hrsg. v. W. Eichrodt u. O. Cullmann,
29. DM 14.—.

Der Verfasser untersucht die prophetischen Weissagungen,
die sich nicht ohne weiteres in das Reden der Propheten
von der eschatologischen Zukunft, d. h. das Reden der „Boten
des zur Vollstreckung seines Gerichts und zur Vollendung
seines Heils herankommenden Herrschers Jahwe" (S. 6) einfügen
lassen. Es begegnen ganze Worte oder Elemente eines
Wortes, „die ein spezielles geschichtliches Faktum, das Schicksal
einer Einzelperson oder ein Einzelmoment innerhalb
der Kette der bevorstehenden politischen Ereignisse voraussagen
" (8). Das II. Kapitel grenzt die zu untersuchenden Texte
ab. Kennzeichen ist, daß es sich in ihnen um ein spezielles,
6inguläres, mehr oder weniger kontingentes Ereignis handelt, das
nicht in direkter Verbindung mit der Heils- oder Unheilsweissagung
steht. Doch ist weder der Gegensatz eschatologisch-histo-
risch, noch das Moment der Nachprüfbarkeit der Erfüllung oder
Nichterfüllung als Auswahlprinzip möglich. Nicht zu den speziellen
historischen Voraussagen gehören konkrete Züge, in denen
die allgemeine Gerichtsankündigung gezeichnet wird; Weissagungen
, in denen Gegenwart und Zukunft im Licht einer früheren
Weissagung gedeutet wird oder wenn das angekündigte
Ereignis sich bereits angebahnt hat; Weissagungen, in denen Repräsentanten
für das ganze Volk stehen; vaticinia ex eventu. Es
bleiben dann überraschend wenig Texte zu untersuchen: 9 Texte
bei Jesaja; 10 bei Jeremia; 4 bei Ezechiel; 1 bei Hosea; 2 bei
Arnos.

Die Einzeluntersuchung (Kapitel III) ordnet die so gefundenen
26 Stellen in zwei Reihen; A: Voraussagen über das Geschick
von Einzelpersonen. Hier bleiben nach Ausscheidung weiterer
Stellen 6-7 übrig; B: Aussagen über politisch-militärische
Ereignisse. Zu ihnen gehören nur bedingt Voraussagen, die die
gradlinige Fortsetzung einer in Gang befindlichen Entwicklung
darstellen wie Jes. 20, 1—6; Jer. 43, 8—13; Ez. 29,17-20; und
solche, die nur die Konkretisierung oder Hervorhebung eines besonderen
Zuges darstellen wie Jes. 28,1—4; 30,15—17; 21,
1—10. Es bleiben dann die drei Stellen zum syrisch-efraimitischen
Krieg 7, 1-9. 10-16; 8, 1-4; zu Sanheribs Zug gegen Jerusalem
37, 33-35 (die der vorigen Gruppe nahesteht) und zwei ganz
herausfallende Stellen: Die Angabe Jeremias zur Dauer der babylonischen
Gefangenschaft Jer. 25, 11 f.; 29,10; die Schilderung
der Eroberung von Tyrus durch Nebukadnezar Ez. 26, 7—14.

Das so gewonnene Ergebnis muß wesentlich negativ formuliert
werden: „Die .politische Voraussage' bildet keine organische
Einheit oder homogene Gruppe" (S. 105). Sie stellt jedenfalls
nicht das zentrale Anliegen der prophetischen Verkündigung dar,
inhaltlich hat sie wenig selbständige Bedeutung. Ein großer Teil
dieser politischen Voraussagen — es sind im wesentlichen die in
den Einzelexegesen ausgeschiedenen — gehen nicht direkt auf die
betreffenden Propheten, sondern auf eine zweite Hand zurück.
Es ist eine deutliche Tendenz wahrnehmbar, eschatologische Weissagungen
sekundär zu historisieren. Das geschieht z. B., wenn
Amazja den Propheten Arnos zitiert (7, 11), dabei aber aus der
(eschatologischen) Gerichtsankündigung des Arnos eine politische
Voraussage macht; oder aber, wenn Prophetenschüler ein als allgemeine
Gerichtsankündigung gemeintes Wort des Propheten als
historische Aussage erscheinen lassen, weil sie darin eine Beglaubigung
ihres Meisters sehen (Jer. 22, 11 f.; 25—27; 36,29-31;
28, 15—17 (?) und besonders deutlich Ez. 12).

Das positive Ergebnis für die wenigen bei den Propheten
selbst sich findenden speziellen politisch-historischen, also nicht
eschatologischen Weissagungen: „Der Inhalt der speziellen Voraussage
steht mit der allgemeinen eschatologischen Verkündigung
der Propheten in engstem Zusammenhang" (107). Das bedeutet
aber, daß das eine, am Anfang zur Abgrenzung der zu untersuchenden
Texte angeführte Kriterium: „Sie stehen nicht in direkter
, unmittelbarer Verbindung mit den allgemeinen Heilsoder
Unheilsweissagungen" (12) durch das Ergebnis der Untersuchung
eine gewisse Einschränkung oder Korrektur erfährt.

Aber hierin scheint mir ein wertvoller Ertrag der 6ehr sorgfältigen
und präzisen Untersuchung zu liegen, daß sie die „allgemein
eschatologische Verkündigung der Propheten" in ihrer
das Ganze der Prophetie beherrschenden Bedeutung gerade an
diesem schmalen Randgebiet der speziellen historischen Voraussage
nachgewiesen hat. Man darf doch wohl — ein klein wenig
vergröbernd — das Ergebnis der Arbeit so formulieren: der Prophetie
des 8. und 7. Jahrhunderts gehört die bloße historischpolitische
Voraussage, d. h. eine Voraussage, die um ihrer selbst
willen und nicht in engstem Zusammenhang mit der „allgemein
eschatologischen Verkündigung" geschieht, gar nicht an. Es kann
zwar auf spezielle Ereignisse in der Zukunft hingewiesen werden;
aber diese Hinweise stehen immer und stehen notwendig im Zusammenhang
mit der allgemeinen Botschaft der Propheten.

Ein weiteres Ergebnis, das nur angedeutet wird, bietet das
IV. Kapitel; „Die politischen Voraussagen in der aktualisierenden
Eschatologie", das von den Kyrosweissagungen des Deuterojesaja
und den Serubbabelweissagungen Haggais und Sacharias handelt.
In dem von Vriezen aufgenommenen Begriff der aktualisierenden
Eschatologie wird die Prophetie nach dem Zusammenbruch dahin
charakterisiert, daß sie das kommende Heil als bereits gegenwärtig
beschreibt; damit verliert das Element der Voraussage an Gewicht
. Sie nimmt historische Ereignisse in die Verkündigung auf
und macht sie damit zu eschatologischen; Kyros und in anderer
Weise Serubbabel werden darin zu endgeschichtlichen Gestalten,
die die große Wende einleiten. Um spezielle politische Voraussage
handelt es sich hier nicht. Das eigentlich Erwartete ist sowohl
bei Deuterojesaja wie bei Haggai — Sacharja nicht in Erfüllung
gegangen. — Diese .aktualisierende Eschatologie' wurde dann
wiederum von einer transzendentalisierenden Eschatologie abgelöst
, bei der mit einem Auftreten politischer Voraussagen nicht
mehr zu rechnen ist.

Das letzte ist gewiß nur mit Vorbehalt zu sagen, denn die
Apokalyptik, in die ja die ,transzendentalisierende Eschatologie'
eingeht, hat es durchaus mit politischen Voraussagen zu tun, nur
wieder in einer ganz neuen Weise. Dies gerade ist an dem eben
skizzierten Teil der Untersuchung wesentlich: die politisch-historischen
Voraussagen haben in den verschiedenen Epochen der
Prophetie erheblich voneinander verschiedene Funktionen. Man
kann nicht nach ihnen fragen, ohne ihre geschichtlichen Formen
ins Auge zu fassen; Jenni macht z.B. darauf aufmerksam, daß
bei Deuterojesaja vom Heil nicht mehr in der Weise der Ankündigung
, sondern in der Form des .Heilsorakels' (Begrich) gesprochen
wird, daß aber die Kyros-Stücke alle den Streitgesprächen
angehören. — Für das Ganze der Untersuchung bedeutet das: die
Ergebnisse beschreiben nicht „die politischen Voraussagen" der