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Ausgabe:

1958 Nr. 6

Spalte:

461-463

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Schmidt, Franz

Titel/Untertitel:

Ordnungslehre 1958

Rezensent:

Schmidt, Erik

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Theologische Literaturzeitung 1958 Nr. 6

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logie einzufügen wären in den Rahmen der „human studies"
(Geisteswissenschaften) oder „historical studies" (Geschichtswissenschaften
) oder „cultural science" (Kulturwissenschaft) —
die Bezeichnungen weisen auf Dilthey, Windelband, Rickert,
Weber — das Interesse des Verfassers zielt auf die Anwendung
rigoros-wissenschaftlicher Methoden in der gemeinsamen Bearbeitung
aller kulturellen Phänomene. Die Isolierung der sozialen
Wissenschaften von den Geisteswissenschaften sei unhaltbar. Die
innige gemeinsame Zusammenarbeit (teamwork) verschiedener
Fakultäten wird hier aufs nachdrücklichste befürwortet.

Die Betrachtungen dieses Buches finden sich mitten im
Pendelschlag zwischen der empirisch-rationellen und der ekkle-
siastisch-dogmatischen Tradition der amerikanischen Kultur und
wären von dieser Perspektive her zu beurteilen. Ob damit der
volle Kreis der „contemporary problems in religion" in Amerika
und sonstwo genügend umschlossen ist, wäre weiter zu überlegen.

Webster Grovcs/USA. Carl E. Sc h n ei de r

Schmidt, Franz, Dr.: Ordnungslehre. München/Basel: Reinhardt
1956. 176 S. gr. 8°. Kart. DM 12.-; Lw. 14.-.

Wie der Verf. im Vorwort ausfuhrt, will er in seinem Buch
keine Lehre von der Weltordnung geben, sondern nur von den
Beziehungen innerhalb der Weltbezirke. Seine Arbeit ist der
Grundriß einer speziellen Ontologie, der Ordnungen als Weltstrukturen
. Der Verf. glaubt nicht, daß der Mensch die Ordnungen
der Welt in allen ihren Formen zu erkennen vermöge (7),
aber die Philosophie vermag doch wesentliche Aussagen über
bleibende Ordnungen der Welt zu machen (8). Die konkreten
Ordnungen der Einzelwissenschaften aber bleiben in dieser Untersuchung
außer Betracht (7).

In der Einleitung wird kurz die Geschichte des Ordnungsbegriffs
skizziert, und zwar angefangen von der religiösen Mythologie
über die Naturphilosophie und Metaphysik der Griechen
, Augustin, das Mittelalter und die neuere Philosophie bis
H.Driesch und J.Royce (11—16). Danach wird die Aufgabe der
Ordnungslehre näher bestimmt. Sie hat das Wesen der Seinsarten
zu erforschen und ihren relationalen Aufbau zu untersuchen
(17), den ordinalen Kernbestand der erkennbaren Welt aufzuweisen
(18). Dabei wird sich ein Parallelismus von realen und
idealen Seinsarten zeigen, von denen keine an sich höher oder
niedriger ist (19).

Das Buch ist in zwei Teile gegliedert. Der erste Teil bietet
ein System von Ordnungsformen, der zweite untersucht die Ordnungen
der verschiedenen Seinsarten. Der erste Teil behandelt
die Probleme Beziehung und Ordnung, relativische Ordnungen,
logische Verknüpfungsform und Ordnung, prälogische Ordnungen
, alogische Ordnungen, Ordnungsänderungen und Entstehung,
Vernichtung, Spannung. Der zweite Teil behandelt die Ordnungszüge
der Grundbestimmungen, die Seinsverschränkungen und die
ontische Einheit der Welt. Der Schluß wirft einen Blick auf werdende
, bewirkte und wertbedingte Ordnungen.

Der erkenntnistheoretische Standpunkt des Verf.s ist im allgemeinen
ein realistischer. Der menschliche Geist ordnet nicht
die Welt, auch darf er sich die Weltordnung nicht so vorstellen,
wie sein Gemüt es verlangt. Die Welt hat eigene, seiende Ordnungen
, denen wir uns denkend anzuvertrauen haben. Zur Wirklichkeit
gehört freilich auch die geistige und die logische Welt
(20). Die Ordnungsbeziehung der Welt-Elemente ist an sich da,
unabhängig von unserer Beobachtung. Erkenntnis ist daher Zuordnung
von (an sich seienden!) Beziehungen (27). Logische Verknüpfungsformen
sind allerdings nicht schon Seinsformen, Kategorien
(31). Aber die Erkenntnis ist möglich, wenn es zwischen
dem erkannten Seinszusammenhang und dem erkennenden Urteilszusammenhang
ein Gemeinsames gibt (5 5). In der Erkenntnis
stehen Sein und Gedanke in Korrelation, daher zieht jede
Seinsart erkenntnistheoretisch eine ihr eigentümliche Art von
Wahrheit nach sich (105). Die Wahrheit aber des Satzes selbst
•st eine sachbedingte (109). Die Erkenntnis ist möglich, weil in
der erkennbaren Welt, in den Denkformen und in der Sprache
Relationen den Kernbestand des Seins ausmachen. Alle Erkenntnis
vollzieht sich in wahren Sätzen. Ein Satz ist dann wahr, wenn
seine Zuordnung wesensgemäß, d. h. 60 erfolgt, daß sie mit den

Seinsformen übereinstimmt. Irrtümer können physiologisch, psychologisch
, sprachlich und logisch verursacht sein. Die Logik
allein entscheidet nicht über Wahrheit und Irrtum eines Satzes
(146).

Das alles zeugt vom erkenntnistheoretischen Realismus des
Verf.s. Leider wird dieser Realismus aber nicht durchgehalten
und erweist sich der Verf. als vom kritischen Realismus N. Hartmanns
noch zu sehr beeinflußt. In seiner Stellung zu Logik und
Mathematik bewahrt er einen phänomenalistischen Re6t: Die
logischen Strukturen sollen keinen Ursprung in den Dingen haben
(103). Der Gesamtheit der logischen Konstanten, also dem
apriorischen Anteil der Erkenntnis, wird, wie dem Kosmos der
Zahlenordnungen, ein besonderes Sein zugesprochen (106). Dieser
idealistische Restbestand in den sonst so gründlichen erkenntnistheoretischen
Untersuchungen ist zu bedauern.

Aus den sorgfältigen Analysen des Buches heben wir die
für die allgemeine Weltanschauung und damit für die Theologie
besonders wichtigen Feststellungen heraus:

1. Allgemein: Der Verf. will nur eine immanente, innerweltliche
Metaphysik geben (23). Die Einheit der Welt im Sinne eines
Gesamtvorgangs, den man philosophisch verstehen könnte, zu erfassen
, hält er nicht für möglich. Denn keine Seinsart ist die schlechthin
bestimmende. Fünf philosophische Weltanschauungen haben versucht,
tiefer zu dringen. Sie haben a) die unbelebte Natur, b) das Leben
(163), c) die Seele, d) die geistige Welt, e) die Logik als allesbe-
stimmend angesehen (164). Aber zu wirklichen Erkenntnissen sind sie
nicht gekommen. Nur die Religion eröffnet mit dem Blick ins Transzendente
ein unerkennbares Reich mit eigenen Ordnungen (171). — So
viel aber können wir erkennen: Alle denkbare und seiende Entstehung
in der Welt ist Entstehung von Ordnung. Ein aus beziehungslosen
Elementen zusammengesetztes Weltstück ist undenkbar (50). Vernichtung
in der Welt ist stets nur Verwandlung von einem System
in ein anderes (51). Jede Ordnungsänderung ist wieder eine Ordnung.
Ein absolutes Chaos ist undenkbar (53). In den Grundbestimmungen
der Welt enthüllt sich nicht das eigentliche Wesen des Seins. Was
Natur, Leben, Seele, Geist, Logos eigentlich sind, wissen wir nicht.
Wir begreifen die Beziehungen, aber nicht das Bezogene, die Ordnung,
nicht das Geordnete.

2. Die anorganische Welt: Die physikalische Welt
'st nicht die ganze Natur. Sie ist ärmer als die Wahrnehmungswelt,
dafür aber eine unbezweifelbare Realität. Die physikalischen Grundbegriffe
stellen nur ein Maßsystem der unbelebten Natur dar (56). Daneben
muß auch die nicht-quantitative Natur analysiert werden, was
freilich nie erschöpfend geschehen kann. Grundbestimmungen der Natur
sind Räumlichkeit und Zeitlichkeit (57), Kausalprinzip und Kau-
'algesetzmäßigkeit (63). In diesem Zusammenhang setzt sich der Verf.
auch mit der Relativitätstheorie, mit der Quantentheorie und der bloß
statistischen Gesetzmäßigkeit der Physik in sehr besonnener Weise
auseinander.

3. Die organische Natur: Die physikalischen Kausalgesetze
definieren nicht restlos und allein das Werden in der Natur,
'nre Grenze ist die Tatsache des Lebens. Am Lebewesen treten uns Erscheinungen
entgegen, die an unbelebten Körpern nicht vorkommen.
Es entstehen hier Stoffe und Impulse, zu denen es im Unbelebten
nichts Vergleichbares gibt (70). Über die physikalisch-chemische Erklärbarkeit
der Lebensvorgänge läßt sich freilich heute noch nichts
Endgültiges sagen (72). Aber die Endbezogenheit der Lebensvorgänge,
die Zweckhaftigkeit ist jedenfalls nicht auf physikalisch-chemische Tatsachen
zurückzuführen (73). Die Unzweckmäßigkeit organischen Geschehens
ist kein Einwand gegen die organische Zweckhaftigkeit, da
sich das Leben über den Tod der Einzelwesen hinweg behauptet (74).
Der Organismus ist seiner Umwelt, das Organ seiner Aufgabe angepaßt,
d. h. zu zweckmäßigen Rückwirkungen befähigt (75). Das Wesen des
Lebens ist also nicht physikalisch-chemischer Art (76). Das Leben wird
beherrscht von einer nicht-quantitativen Kausalität, einer statistischen
Gesetzmäßigkeit. Darum wird man mit physikalisch-chemischen Methoden
dem Wesen des Lebens nicht gerecht (77).

4. Die Seele: Die seelischen Erlebnisse setzen eine stark ausgebildete
Vorderhirnrinde voraus, die die nervösen Systeme des Rückenmarks
beherrscht (82). Die seelische Wirklichkeit ist gegenüber der
belebten Natur ein ontisches Novum (83). Was die seelischen Funktionen
an sich sind, bleibt unerkennbar, aber das Seelische löst sich
nicht in Leben auf (84). Das seelische Leben spielt sich in der Naturzeit
ab, aber die Erlebniszeit ist den besonderen Ordnungen des Seelischen
unterworfen. Hier zeigen sich Zeitdehnung und Zeitschrumpfung
(8 5). Von Kausalverknüpfungen kann man beim Psychischen nicht
reden, wohl aber von Gesetzmäßigkeiten im Zusammenhang der psychischen
Vorgänge und Zustände (86). Merkwürdigerweise bezweifelt
der Verf. in diesem Zusammenhange die Existenz eines unbewußten