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Ausgabe:

1958 Nr. 6

Spalte:

453-458

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Pigler, Andor

Titel/Untertitel:

Barockthemen 1958

Rezensent:

Wirth, Karl-August

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Theologische Literaturzeitung 1958 Nr. 6

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Heiligen, darunter auch solche rein lokaler Bedeutung, denen
etwa nur eine einzige Kirche geweiht worden war. Für jeden einzelnen
aufgeführten Heiligen wird seine Legende oder die faßbare
geschichtliche Wirklichkeit, wie sie hinter den Weihungen
oder Darstellungen steht, kurz wiedergegeben. Für den kontinentalen
Leser bietet sich hier ein Bild, das in vielen Zügen
von dem uns Gewohnten recht stark abweicht. Das ist nicht nur
durch die große Zahl angelsächsischer und älterer keltischer Heiliger
bedingt, die außerhalb Englands kaum bekannt wurden
(interessant ist dabei, daß auch Karl I. bis 1859 als Heiliger verehrt
wurde und ihm 5 Kirchen geweiht sind, die älteste 1663!),
sondern auch durch die erstaunliche Tatsache, daß manche Heilige
, die uns sehr gewohnt sind, kaum Beachtung gefunden haben
. Das gilt nicht nur für viele der ostkirchlichen Väter, wie
Johannes Chrysostomus u. a., sondern auch für Dominicus und
Thomas von Aquino!

In diesem Katalog der Heiligen sind einige Mängel.

Zunächst stört es etwas, daß bei der Überarbeitung der ursprüngliche
Text photolithographisdi nachgedruckt, die Zufügungen aber in
etwas abweichender Type und in magererem Druck eingefügt wurden;
dadurch wird auch das ursprünglich offensichtlich weitaus ausgewogenere
Bild der Seiten ein wenig gestört. Bedauerlicher sind einige textliche
Mängel; so fehlt z.B. bei einer Zahl von Heiligen jeder Hinweis auf
Weihungen bzw. auf Darstellungen, darunter bei so bedeutenden wie
Columba und Columbanus, ferner bei Crispin und Crispinian, Cyria-
cus, David von Wales, Egwin, Ethelburga u. a. In einigen wenigen Fällen
wird man vielleicht doch ein wenig vorsichtiger in der Darstellung
sein müssen; für Patrick z.B. wird seine Legende wie eine geschichtliche
Tatsache berichtet. Die Gestalt des „Apostels Irlands" ist geschichtlich
doch wohl weniger sicher greifbar. Zu fragen wäre weiter,
ob der in Torbryan, Devon, mit Schwert und Windmühle dargestellte
St. Victor nicht eher der Patron des Xantener Domes sein soll als der
Märtyrer von Marseille, denn gerade von dem Xantener Victor wird
das Martyrium durch Eindrücken des Brustkorbes mit einem Mühlstein
berichtet, und die Grabungen 193 3 haben sein und eines Martyriumsgenossen
Skelett mit den klaren Spuren der Todesart wieder ans Licht
gebracht. Dieser Victor soll ein Märtyrer der Zeit Julians gewesen
sein. Recht dürftig und in der Zusammenstreichung gar zu knapp ist
— vor allem angesichts der Bedeutung gerade dieser Gestalt für das
Mittelalter — die Darstellung der Veronica-Legende; hier werden verschiedene
Traditionen so vermengt, daß der unkundige Leser kaum ein
klares Bild daraus gewinnen kann.

Aber diese Ausstellungen betreffen nur Kleinigkeiten; ansonsten
ist der Katalog der Heiligen recht gut und verständlich
gehalten, seinem Zweck zweifellos vollkommen entsprechend.

Zwei Anhänge vervollständigen die Darstellung. Der erste
bringt kurz das Wichtigste zur Darstellung der Engel, Propheten
und Sibyllen, jeweils mit den notwendigen Erläuterungen zum
Thema, in ikonographischer Hinsicht ausschließlich auf englische
Verhältnisse zugeschnitten. Der zweite gibt eine alphabetische
Liste der Attribute und Embleme sowie eine gute Übersicht über
die liturgische Gewandung, soweit sie in den Darstellungen erkennbar
wird.

Alles in allem eine auch über den unmittelbaren Zweck
hinaus sehr dankenswerte Leistung! Nicht nur der Besucher englischer
Kirchen wird sich des Büchleins mit Nutzen und dankbar
bedienen können, sondern auch für den Kunsthistoriker bzw.
Ikonographen, der sich mit Problemen englischer Kunst des
Mittelalters beschäftigt, stellt es ein durchaus brauchbares erstes
Informationsmittel dar. Es wäre zu wünschen, daß es Ähnliches
bald für alle Länder mit christlicher Vergangenheit gäbe.

Grcifswald-Berlin Klaus Wessel

P ' g 1 e r, A.: Barockthemen. Eine Auswahl von Verzeichnissen zur
Ikonographie des 17. und 18. Jahrhunderts. Band I u. II. Budapest:
Verlag der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, u. Berlin:
Henschelverlag 1956. 543 S. m. Abb. u. 621 S. m. Abb. gr. 8°.
Lw. DM 68.—.

Bis in das erste Jahrzehnt unseres Jahrhunderts pflegte sich
die kunsthistorische Forschung im allgemeinen kunsttheoretischen
Postulaten zu unterwerfen, die aus der Ästhetik der Renaissance
und dem von jener Epoche entworfenen Geschichtsbild abgeleitet
waren. Für die Überwindung dieser, Blickfeld wie Urteilskraft
des Historikers stark einschränkenden Voraussetzungen ist die
Wiederentdeckung barocker Kunst ein charakteristisches Symptom
. Die methodischen Mittel der damals einsetzenden, rasch

fortschreitenden Bestandsaufnahme barocker Kunstdenkmäler
waren jedoch zu beschränkt, um der Gesamtheit des "Problemes
Barock" gerecht werden zu können. Während für die formale
Analyse der Werke die Terminologie der Architekturgeschichte
und W ö 1 f f 1 i n s Grundbegriffe brauchbare Werkzeuge abgaben
, gelang es zunächst nicht, die barocker Ikonographie eigene
Gesetzmäßigkeit klar zu erkennen; die bei der Beschäftigung mit
der Renaissance erprobten Mittel gestatteten nicht ohne weiteres
die komplexen Bildzyklen des Barock zu lesen, weil die Struktur
ihrer Inhaltskompositionen weithin anderen Prinzipien verhaftet
ist als die der voraufgegangenen Epochen. So kam es, daß
gewöhnlich nur solche Werke, die scheinbar nach herkömmlicher
Art ikonographisch bestimmbar waren (vornehmlich nicht in
Bildfolgen eingeordnete Gemälde und Graphik), gegenständlich
beschrieben wurden; bei den besonders charakteristischen weitgespannten
Programmen gab man — wenn überhaupt — nur eine
allgemeine Umschreibung. Es blieb ein merkwürdiges Vorrecht
der Barockforschung, gegenständlich und inhaltlich nicht hinreichend
gedeutete Werke abhandeln zu dürfen. Daß sich dabei in
erschreckendem Umfang Unsicherheiten und Irrtümer einstellten,
ist nur natürlich.

Die zunächst notwendige systematische ikonographische
Grundlagenforschung wurde zuerst und vorbildlich mit den Studien
von iSmile Male (1932), Beda Knipping (1939/40),
sowie mit denen von Erwin Panofsky und des Warburg Institutes
geleistet. Dabei zeigte es sich, daß die der ikonographi-
schen Forschung bis dahin selbstverständliche Identität von Bildgegenstand
und Bildinhalt für den Barock nur bedingt gilt, daß
vielmehr das Barockbild häufig über seinen Gegenstand hinausweist
und man deshalb eines Interpretationsschlüssels bedarf, um
seinen Inhalt zu definieren. Dieser war dem zeitgenössischen Betrachter
bekannt oder erkennbar. Um seine Wiederentdeckung
bemüht sich die ikonologische Forschung. Durch Analyse charakteristischer
Einzelfälle und Nachweise der benutzten bildlichliterarischen
Quellen (Ikonologien, Emblematik, Allegorie und
Allegorese) schuf sie die Voraussetzung zu neuerlicher Erschließung
barocker Bildinhalte. Mit dem Einsetzen ikonologischer
Forschungen ging das lange unlösbar erscheinende Problem der
Barockikonographie, zusammen mit der Frage nach den Bildinhalten
, von der Ikonographie an die Ikonologie über; nur in den
Fällen, in denen Bildinhalt und Bildgegenstand identisch sind
(wie z. B. bei Historienbildern, die nicht als Allegorese dienten,
Veduten und Porträts), bleibt die Ikonographie auch weiterhin
die ultima ratio der inhaltlichen Bildkunde. Dergestalt in ihrem
Verhältnis zur formalen und inhaltlichen Qualität eines Kunstwerkes
neutralisiert, bot sich die Ikonographie mit ihrer differenzierten
Terminologie als besonders geeignet zur systematischen
Erschließung und Indizierung des schier unübersehbaren Denkmälerbestandes
an (vgl. die karteimäßige Zusammenfassung der
niederländischen Malerei im Rijksbureau voor kunsthistorische Dokumentäre
, s'Gravenhage). Piglers Verzeichnisse, im Laufe „einer
langjährigen Beschäftigung mit der Ikonographie des 17. und
18. Jhdt.s" entstanden (I, S. 5), sind ein getreues Spiegelbild der
in groben Zügen geschilderten Entwicklung. Die zunächst nicht
um ihrer selbst willen angelegte Materialsammlung wurde schließlich
als Statistik — in der Art einer Quellenpublikation — veröffentlicht
; Ausgangspunkt und Endpunkt divergieren: aus einer
texterläuternden Beispielsammlung, deren Umfang in beinahe
beliebigem Größenverhältnis zum tatsächlich Geschaffenen stehen
konnte, wurde ein Denkmälerverzeichnis, das — u. a. als Rohstoff
zu statistischer Auswertung anempfohlen (I, S. 5 f.) — nur
bei größtmöglicher Vollständigkeit von eigenem Wert sein kann.

Bei der langen Vorgeschichte der Publikation mußten sich
auch manche Probleme im Hinblick auf die ikonographische Terminologie
einstellen; denn hier war (unter dem Einfluß der iko-
nologischen Forschung) in jüngster Zeit eine starke Differenzierung
und Spezialisierung zumal der Themenbezeichnungen im
Bereich der Allegorie erfolgt. Piglers oftmals sehr persönlich geprägte
Terminologie basiert auf der älteren Praxis, nur die geläufigsten
Allegorien nach ihrem begrifflichen Inhalt zu verzeichnen
, die Masse allegorischer Szenen und Personifikationen aber
durch gegenständlich-motivische Beschreibungen thematisch zu
bestimmen, damit auf eine Inhaltsdeutung verzichtend: