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Ausgabe:

1958 Nr. 6

Spalte:

444-446

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Kurze, Barbara

Titel/Untertitel:

Kurfürst Ott Heinrich 1958

Rezensent:

Fabian, Ekkehart

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Theologische Literaturzeitung 1958 Nr. 6

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ein doppeltes Seinsprinzip: ein transzendentes (Gott) und ein
immanentes (die eigentümliche Form; vgl. 72, 84, 95). Gilbert
ist also kein Pantheist, wenn er Gott die Form, das Sein aller
Dinge nennt. Ob darüberhinaus Sch.s Zurückhaltung gegenüber
der Formel Vicaires von einem Chartreser Pantheismus zu Recht
besteht (15 n. 45), hängt von der Fassung des vieldeutigen Begriffs
Pantheismus ab. Wichtig ist Sch.s Hinweis, daß das Eine
Sein Gilberts, an dem alle Dinge äußerlich teilhaben, nicht mit
der bloßen Existenz identisch ist, die nach Auffassung der arabischen
Philosophie (Farabi, Avicenna) den an und für sich
bloß möglichen Wesenheiten von außen her zukommt. Vielmehr
ist für Gilbert das Eine Sein zugleich reine Form und
steht also über der Scheidung von Essenz und Existenz (213).
Eret später wurden in der Schule von Chartres Gilberts Gedanken
mit denen Avicennas und mit anderen neuplatonischen Tendenzen
verbunden. Sch. ist mit Recht bestrebt (18 ff., 214 ff),
die Selbständigkeit Gilberts gegenüber den extrem neuplatonischen
Strömungen (auch gegenüber dem Areopagiten) zu betonen
. Bei Gilbert liege eine originale Verbindung von Plato
und Aristoteles vor. Dabei bleibe das Verhältnis des Schöpfers
zur Ideenwelt (und entsprechend das der theologischen zu den
mathematischen rationes) unklar, gerade weil Gilbert nicht an
einer Emanation, sondern an der Verschiedenheit von Gott und
Geschöpf interessiert sei (69).

Das Verhältnis des Geschöpfes zu Gott ist bei Gilbert zutiefst
durch den Begriff der Subsistenz bestimmt. Die Subsistenz
ist die immanente Form der Dinge, sofern sie aktuell deren Sein
bestimmt, das Prinzip der Singularität. Die Subsistenz ist als Sein
verleihendes Prinzip (= quo est, 87) und als das im Wechsel
der akzidentellen Bestimmungen Dauernde (80) dasjenige, was
im Bereich des Geschöpflichen Gott ähnlich ist. Aber wegen
ihrer nicht wegzudenkenden Korrelation zu akzidentellen Bestimmungen
scheidet die Subsistenz andererseits auch das Geschöpfliche
von der absolut einfachen göttlichen Essenz (81).
Im Blick auf diese Schlüsselstellung des Subsistenzbegriffs, durch
den Gilbert die Gefahren einer extrem monistischen wie die
einer extrem dualistischen Metaphysik vermeidet, ist es verständlich
, daß für Sch. in der Unterscheidung zwischen essentia
und subsistentia „der eigentliche Ausgangspunkt von Gilberts
Denken" liegt (8).

In der „Dogmengschichte der Frühscholastik" von A. M.
Landgraf ist leider die Entwicklung der Gotteslehre unberücksichtigt
geblieben. Doch gerade hier haben sich im 12. Jhdt. bedeutsame
Wandlungen vollzogen, deren Würdigung z. T. durch
den Mangel an gedruckten Texten erschwert ist, ohne die jedoch
die Wendung zur „Hochscholastik" unverständlich bleiben
dürfte. Das Werk von Schmidt gibt einen wichtigen Beitrag
zum besseren Verständnis dieser Entwicklung an einem ihrer
Ausgangspunkte.

. Heidelberg W. Pannenberg

i

Roo, William A. van, S. J.: Grace and Original lustice aecording to
St. Thomas. Rom: Universitatis Gregorianae 1955. 212 S. gr. 8° =
Analecta Gregoriana Vol. 75. Series Facultatis Theologicae Sectio A
Nr. 13. L. 1.600.—.öktape&_

Man weiß, daß Thomas im Unterschied zu den Franziskanertheologen
des 13. Jhdt.s die Verleihung der heiligmachenden
Gnade an Adam im Urständ nicht erst als Ergebnis von Adams
vorangehender Hinwendung zur Gnade verstand, sondern annahm
, daß Adam bereits in der heiligmachenden Gnade geschaffen
wurde. Von hier aus erhebt sich die Frage, wie sich die Gnade
zu der den ursprünglichen Zustand Adams ausmachenden Urstandsgerechtigkeit
verhält. Ist die Gnade nur Wirkursache der
Urstandsgerechtigkeit oder gehört sie zu deren Bestand, als ihre
Formalursache? Dieser seit Beginn der zwanziger Jahre umstrittenen
Frage ist die vorliegende Spezialstudie zur Gnadenlehre des
Thomas gewidmet. Bemerkenswert ist das in der thomistischen
Literatur sonst noch keineswegs selbstverständliche streng historische
Vorgehen van Roos: Die einschlägigen Thomastexte werden
in chronologischer Reihenfolge, ohne vorschnelle systematische
Schematisierung analysiert, die Unterschiede der verschiedenen
Aussagen nicht postulatorisch eliminiert. Van Roo kommt
nach eingehenden Untersuchungen von Grundzügen der Auffassung
der Urstandsgerechtigkeit sowie von Bedeutung und Wirkungsart
der Gnade im Urständ zu dem Ergebnis, daß nach Thomas
, obwohl er selbst den Sachverhalt so nicht formuliert hat,
die Gnade, sofern sie in die Seelenessenz eingegossen ist, „formal
" zur Urstandsgerechtigkeit selbst gehört. Wirkursache ist
sie nicht für die Urstandsgerechtigkeit als ganze, sondern nur für
die tugendhafte Vervollkommnung der Seelenpotenzen. Diese
Beziehung zwischen Seelenpotenzen und Gnade ist von Thomas
ursprünglich als ein exemplarisches, abbildendes Verhältnis aufgefaßt
worden; doch im Laufe seiner Lehrentwicklung wird, wie
van Roo hervorhebt (156, 163 f.), die Betonung der wirkursächlichen
Funktion der Gnade bei Thomas immer stärker. Insofern
bestätigt und präzisiert die Untersuchung dieser Einzelfrage
— wenngleich van Roo selbst keine weiterreichenden Konsequenzen
sichtbar macht — den wirkursächlichen Grundzug des Gnadenverständnisses
, in dem man heute, besonders mit J. Auer, die
spezifische Eigenart der Gnadenlehre des Thomas erblickt.

Heidelberg W. Pannenberg

KIRCHENGESCHICHTE: REFORMA TI0NSZE1T

Kurze, Barbara: Kurfürst Ott Heinrich. Politik und Religion in der
Pfalz 1 556—1559. Gütersloh: Bertelsmann 1956. 147 S. gr. 8° =»
Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte Nr. 174, Jg. 62.
DM 9.80.

Eine Differenz zwischen dem Vorwort der Verf. und dem
für den Druck neuformulierten und erweiterten Titel führt mitten
in die Problematik dieser anregenden Studie einer Schülerin
eines Gerhard Ritter-Schülers wie R. Nürnberger. Die sachdienlichere
Überschrift der maschinenschriftlichen Bonner Phil.-
Dissertation von 1953 lautet: „Die Politik des Kurfürsten Ottheinrich
von der Pfalz."; in dem genannten Vorwort zur gedruckten
Ausgabe von 1956 betont Verf. ausdrücklich: „Die
Akten für die kurfürstliche Politik, die das Hauptthema vorliegender
Untersuchung bildete, sind weit verstreut, und ich
darf keineswegs den Anspruch erheben, ein vollständiges Bild
von der politischen Gedankenwelt des Kurfürsten geben zu wollen
. Doch das schon vorhandene soll — 400 Jahre nach Ottheinrichs
(— Verf. schreibt im Unterschiede zum neuen Titel
im Text wie im alten Titel stets beide Vornamen des Kurfürsten
zusammen in einem Wort —) Regierungsbeginn — verlebendigt
und vertieft werden." Diese begrenzte Aufgabe dürfte Verf.
im Rahmen einer Dissertation in durchaus vertretbarem Maße
gelöst haben. Der Unterschied zu dem neuen Titel liegt in dem
darin enthaltenen, gerade für diese Zeitschrift besonders bemerkenswerten
Zusatz „und Religion". Wenn auch damals
„Politik und Religion" kaum trennbar verschlungen waren, so
ist doch zu betonen, daß die vorliegende Arbeit trotz jenes
„Zusatzes" eine ausgesprochen politisch-historische Studie darstellt
, die freilich auch kirchen-historische Sachverhalte entsprechend
berücksichtigen mußte. Hier interessiert aber hauptsächlich
diese kirchengeschichtliche Seite der Dinge, die Verf.
bewußt nicht in den Mittelpunkt ihrer Untersuchung stellte.
Wenn in dieser Studie schon ihr „Hauptthema" (Politik) keineswegs
„vollständig" behandelt wird, um so weniger kann sie als
abschließende Arbeit über die damalige engere Reformationsgeschichte
der Kurpfalz gelten. Auf ein ausführlicheres Inhaltsreferat
kann hier aber auch deshalb verzichtet werden, weil bisher
schon wenigstens zwei eingehendere Besprechungen hierüber
erschienen sind (vgl. Gerh. Ritter, in: ARG 46. 1955, S. 138 f.,
und Ruth Roth-Wesel, in: ZSRG Kan. Abt. 43. 1957, S. 483-
485) und weitere Rezensionen, z.B. in den einschlägigen landesgeschichtlichen
Zeitschriften wohl in Kürze veröffentlicht werden
(vgl. etwa ZGO u. ZWLG). Für die Hauptprobleme der
Theologie bzw. ihrer Geschichte liegt die Bedeutung dieser
Arbeit vor allem in dem Versuch, aus bisher ungedruckten kurpfälzischen
Akten aus dem Geheimen Staatsarchiv München
(z. Zt. Neuburg/Donau) und den kursächsischen Reichstagsakten
von 1556 und 1557 aus dem Landeshauptarchiv Dresden den
Anteil des „Ersten weltlichen Kurfürsten" des Reiches, des Pfalzgrafen
Ott Heinrich bzw. vielleicht noch mehr seines Kanzlers,
Dr. Erasmus von Minckwitz, bei der Einführung der „Reforma-