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Ausgabe:

1958 Nr. 6

Spalte:

441-443

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Schmidt, Martin Anton

Titel/Untertitel:

Gottheit und Trinität 1958

Rezensent:

Pannenberg, Wolfhart

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Theologische Literaturzeitung 1958 Nr. 6

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Schramm (Die Anerkennung Karls d. Gr. als Kaiser, Hist. Zeitschr.
172, 1951) lenkt sogar in mancher Beziehung zur Auffassung
Caspars zurück, freilich mit einer Fülle neuer, von Schramm angeregter
Beobachtungen und Argumente, die unsere Kenntnis der
Jahrzehnte vor 800 wesentlich bereichern. Warum man nun aber
Caspars posthume Fragmente nochmals unverändert als Buch
veröffentlicht, wie es der Verfasser gewiß nie getan hätte, ist
nicht recht einzusehen. Wer unter diesem Titel eine Darstellung
der Geschichte des Papsttums unter fränkischer Herrschaft erwartet
, wird enttäuscht. Nach einer kurzen allgemeinen Betrachtung
über „Grundlagen und Auswirkungen des fränkisch-päpstlichen
Bundes" werden nur drei allerdings zentral wichtige Einzelfragen
erörtert: „Die Konstantinische Schenkung und ihre Bedeutung
für die Zwei-Gewalten-Lehre", „Hadrian I. und Karl d. Gr."
und „Das Papsttum unter Leo III. und die Begründung des abendländischen
Kaisertums". Obgleich der Herausgeber 6chon 1935
den kritischen Apparat kürzte und die Auseinandersetzung mit
der Sekundärliteratur fortfallen ließ, war e6 sehr dankenswert,
daß diese sachkundigen Diskussionsbeiträge zu den auch weiterhin
lebhaft erörterten Problemen damals bekannt gemacht wurden
. Ein Neudruck aber hätte zum mindesten auf die inzwischen
erschienenen Arbeiten zum gleichen Thema hinweisen sollen;
vielleicht hätte sich auch eine Zusammenfassung solcher Aufsätze
wie in der nützlichen Buchgesellschafts-Reihe „Wege der Forschung
" empfohlen. Statt dessen wurde die frühere Veröffentlichung
nur mechanisch abgedruckt mitsamt manchen Druckfehlern
in den lateinischen Zitaten, oft (nicht immer) mit unveränderten
, verwirrenden Verweisen auf die früheren Seitenzahlen,
auch auf einen Aufsatz von Pereis „in dieser Zeitschr." (für Kirchengeschichte
). In dem gleichfalls damals von U. Gmelin zusammengestellten
Verzeichnis der Schriften E. Caspars, das dem
Buch am Schluß wieder beigefügt ist, hat man die letzte Nummer
(„Demnächst erscheint: Die sächsischen Kaiser . . .") lieber gestrichen
statt ergänzt und berichtigt: Deutsches Reich und Kaisertum
, Begründung und Aufstieg 919—1056, im Handbuch der
Deutschen Geschichte, hrsg. von A. O. Meyer, Bd. 1, S. 147—177
(Potsdam o. L, erschienen 1937). So bequem sollte es sich die
Buchgesell6chaft nicht machen. Aus der Vorbemerkung ist nicht
einmal ersichtlich, wer den Neudruck besorgt und seine Mängel
zu verantworten hat; nur U. Gmelin (seit Stalingrad verschollen,
was man aus dem Buch nicht erfährt) ist als Herausgeber genannt
. Dem Forscher bleibt es nicht erspart, auf die erste Veröffentlichung
zurückzugreifen, die durchaus genügt hätte; einem
breiteren Leserkreis ist schwerlich mit dem Buch gedient. Die
ersten beiden Bände von Caspars großem Werk bedürfen zum
Glück noch keines solchen Nachdrucks, sie sind beim Verlag
J. C. B. Mohr noch vorrätig. Nur als Ergänzung zu ihnen kann
die vorliegende Publikation allenfalls nützlich sein.

Münster/Westf. Herbert Grundmann

Schmidt, Martin Anton: Gottheit und Trinität. Nach dem Kommentar
des Gilbert Porreta zu Boethius, De Trinitate. Basel: Verlag
für Recht u. Gesellschaft 1956. XI, 273 S. gr. 8° = Studia Philoso-
phica. Jahrbuch der Schweiz. Philos. Gesellsch. Suppl. 7.

Gilbert von Poitiers (f 1154), die beherrschende Gestalt
der Schule von Chartres und einer der größten Theologen des
12. Jhdt.s, galt schon seinen Zeitgenossen als dunkel. Dieses
Urteil trifft besonders seine berühmten Kommentare zu den
opuscula sacra des Boethius. Die in ihnen niedergelegten Gedanken
haben die Gotteslehre der Scholastik entscheidend bestimmt,
aber sie sind in der Knappheit ihrer Formulierung äußerst schwer
verständlich, und so ist es möglich, daß der Verdacht der Häresie,
der 1148 auf dem Konzil zu Reims gegen Gilbert erhoben wurde,
etwa nur als Mißverständnis solcher dunkler Formulierungen
beurteilt werden muß. Bei dieser Lage der Dinge ist es als sachgemäßes
Vorgehen zu begrüßen, daß Schmidt in seiner vorliegenden
Basler theologischen Habilitationsschrift sich entschlossen
hat, die Auffassung Gilberts nicht nach systematischen Gesichtspunkten
darzustellen, sondern dem Kommentar Gilberts „Kapitel
für Kapitel folgend, sozusagen einen Kommentar zum Kommentar
" zu schreiben (9). Gegen dieses Vorgehen sind bereits
Bedenken geäußert worden (N. Haring in Scholastik 32, 1957,
26'). Aber Texte, die durch ihre Knappheit der oberflächlichen

Betrachtung vieldeutig bleiben, sind bei einer sofort systematisierenden
Behandlung zu sehr der deutenden Willkür ausgeliefert
. Sie lassen sich, wenn überhaupt, nur durch kommentierenden
Nachvollzug eines jeden Schrittes des Gedankenganges aufhellen
. Allerdings gewinnt das Buch von Schmidt auf diese Weise
nicht an Übersichtlichkeit, und Wiederholungen der Grundgedanken
werden unvermeidlich. Doch dem steht der auf diese Weise
ermöglichte Fortschritt für das Verständnis Gilberts gegenüber.
Für eine systematische Darstellung der Gedanken Gilberts, wie
sie gerade in jüngster Zeit häufiger versucht wurde, kann eine
zuverlässige Grundlage nur durch eine solche kommentierende
Arbeit gewonnen werden. Eine Reihe von Einzelproblemen hat
Sch., um den kommentierenden Gedankengang nicht zu ßtark
auszuweiten, herausgenommen und in sieben Anhängen behandelt
: vor allem Fragen der Begrifflichkeit Gilberts, aber auch die
Konzilsverhandlungen gegen ihn, sein Verhältnis zur Schule von
Chartres, das Universalienproblem und das Verhältnis des in
Sch.s Werk hauptsächlich untersuchten ersten Boethiuskommen-
tars zum zweiten.

Die „strenge Unterscheidung zwischen dem Göttlichen als
dem Einen und dem Bereich der Kreatur als dem des Vielfachen"
(10) wird als das „eigentliche Thema" Gilberts in dem behandelten
Kommentar herausgestellt. Dem Unterschied von Einheit und
Vielheit entspricht ein Unterschied der Methoden (59): Während
die rationes naturales zur Erkenntnis der natürlichen Dinge in
ihrer Vielfalt führen, zielen die rationes theologicae auf das die
Existenz aller Dinge begründende Eine Sein. (Die etwas unklar
zwischen diesen beiden liegenden rationes mathematicae behandelt
Sch. im Anh. III) Die philosophische Vernunft kann durch
die ihr eigenen rationes theologicae die Einheit Gottes erkennen,
aber nicht seine Dreiheit. Die Dreiheit Gottes ist in keiner Weise
von seiner Einheit her ableitbar. Damit steht Gilbert in schroffem
Gegensatz zur Erklärung der Trinität durch psychologische
Analogien, wie sie von Augustin und vor allem von Anselm von
Canterbury geübt worden war und in verschiedenen Formen im
12. Jhdt. gebräuchlich blieb. Auf Gilbert geht die der Hochscholastik
geläufige These zurück, daß die Dreiheit Gottes i. U.
zu seiner Einheit streng Offenbarungswahrheit sei. Auf Grund
dessen, daß die Dreiheit Gottes durch seine Offenbarung bekannt
ist, versucht nun freilich auch Gilbert, kreatürliche Analogien
aufzuspüren, die es erlauben, die Dreiheit in Gott nachträglich
einigermaßen zu denken. Aber diese Analogien bleiben samt dem
Personbegriff selbst ganz unzureichend, und die Begrenztheit
ihrer Aussagekraft wird von Gilbert scharf betont. Diese Problematik
der Analogie bzw. der verschiedenen rationes haben,
wie Sch. zeigt (175), Gilberts Gegner in Reims nicht verstanden.
Mit Recht erblickt Sch. bei Gilbert ein Überwiegen des kritischen
Interesses in der Trinitätslehre. Seine Dialektik ist „mehr kritisch
ak konstruktiv" (144). An konstruktiver Kraft bleibt sie
hinter der psychologischen Erklärung Augustins zurück (153).
Die Grenze der in der Unterscheidung von Gott und Geschöpf
vorbildlichen Konzeption Gilberts 6ieht Sch. darin, daß er letztlich
doch nur die Einheit Gottes als für sein Wesen konstitutiv
versteht, während Gottes Dreiheit etwas Äußerliches bleibt (152).
Das Bedenkliche an der Position Gilberts komme in seiner Meinung
, „die göttliche Einheit könne unübertragen, direkt, die
Dreiheit der Personen aber nur übertragen, indirekt dargelegt
werden" (155), zum Ausdruck.

Angesichts solcher Feststellungen überrascht es, daß Sch.
von einer doppelten Analogie bei Gilbert spricht (bes.
172 ff.). Die Dreiheit Gottes zwar kann bloß analog (Gilbert:
ex aliqua rationis proportione), von den geschöpflichen Dingen
her ausgesagt werden, die Einheit aber wird gerade direkt, ohne
Analogie erfaßt. Sch. gibt auch zu, daß nur die Übertragung von
Bestimmungen aus dem Bereich der Vielheit auf Gott bei Gilbert
ausdrücklich als Analogie gekennzeichnet werde (173). Daß die
Erkenntnis der Einheit Gottes ebenfalls nur analog sei, wie Sch.
im Anschluß an Hayen behauptet, ist von Gilberts Sprachgebrauch
her nicht zu begründen und trifft schwerlich seine Meinung
.

Das „Scharfsinnigste und Tiefsinnigste des ganzen Kommentars
" (94) findet Sch. in Gilberts Gedanken über das Verhältnis
des geschöpflichen zum göttlichen Sein. Jede6 Ding hat