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Ausgabe:

1958 Nr. 6

Spalte:

437-438

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Tertullianus, Quintus Septimius Florens

Titel/Untertitel:

Apologeticum 1958

Rezensent:

Dekkers, Eligius

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Seite 1

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437

Theologische Literaturzeitung 1958 Nr. 6

438

nötig mit einer französischen Übersetzung oder einer kurzen Erklärung
. In einigen Fällen wird auch etwas näher auf den Ursprung
des christlichen Sonderbrauchs (Gräzismen, Hebräismen
usw.) und auf den Zusammenhang mit dem Vulgärlatein und
den romanischen Sprachen eingegangen. Zuletzt folgen gute In-
dices und 11 Seiten Literaturangaben.

Das Büchlein stellt keine wissenschaftlichen Ansprüche,
wird aber für die klassisch Gebildeten sehr nützlich sein, um sich
die christliche Sondersprache zu eigen zu machen. Manche Mißverständnisse
biblischer oder christlicher Autoren werden dadurch
beseitigt werden. Die Spezialisten werden wahrscheinlich dieses
oder jenes einzuwenden wissen, entweder gegen die Einteilung
(daß die Stillehre an erster Stelle besprochen wird, ist wohl etwas
befremdend), oder gegen diesen oder jenen Abschnitt (z. B.
§ 205: dabitur ei de auro Arabiae [Ps. 71, 15 Vulg.]; de
auro ist doch gar nicht ,le sujet du verbe passif dabitur'.), oder
gegen die Literaturhinweise (wo manches Veraltete genannt wird
und Besseres fehlt, z. B. wird die alte .Syntaxe latine' von Rie-
mann-Lejay-Ernout von 1927 genannt, 6tatt der ganz neuen und
weit besseren von Ernout-Thomas, 2. Aufl. 1953; Sainio, ,Sema-
siologische Untersuchungen', steht zweimal auf S. 216 aber nicht
auch S. 215, wo es genannt werden sollte; Fridhake (J.) (S. 210)
soll heißen Fridh (Äke J.); BücheTtitel sind bisweilen unvollständig
wiedergegeben (bei Prendergast, 'Latinity of the Vita
contemplativa', muß wenigstens angeführt werden, daß es der
'Vita contemplativa' von Julianus Pomerius gilt). Aber das sind
sämtlich nur Schönheitsfehler, welche den großen Verdiensten
dieser bequemen Zusammenstellung keinen Abbruch tun und bei
einer neuen Auflage leicht beseitigt werden können.

Steenbrugge E. Dekkers

Tertullian: Apologcticum. Verteidigung des Christentums. Lateinisch
-Deutsch, (hrsg., übersetzt und erläutert von Carl Becker)
"v(o München: Kösel-Verlag [1952]. 317 S. 8°. Lw. DM 22.—.

Becker, Carl: Tertullians Apologcticum. Werden und Leistung.
München: Kösel-Verlag [1954]. 382 S. gr. 8°. DM 24.80.

Die Untersuchung des Apologeticums Tertullians ist immer
eine reizvolle Aufgabe für den Theologen, den Philologen und
den Historiker. Die kühnen Gedankengänge des sprachgewandten
Autors werden jedermann fesseln, dem das Erbe der Antike und
der alten Kirche am Herzen liegt.

Carl Becker bietet uns, in zwei vorzüglich ausgestatteten
Bändchen, neben einem kritischen lateinischen Text eine glänzend
gelungene Übersetzung1 und eine eingehende Untersuchung
über das Werden des Apologeticums und seine Stellung innerhalb
der altchristlichen Apologetik. Durch eine schöne Einführung
, manche knappe, aber inhaltreiche Anmerkungen und drei
Exkurse über die Chronologie der Schriften Tertullians, über die
altchristliche Sondersprache und über den Rechtsgrund der ersten
Christenverfolgungen, wird das Ganze abgerundet zu einem
fesselnden Gesamtbild des sonderbaren Mannes und seiner Stellung
in der Kirche, der heidnischen Umwelt und im literarischen
Schaffen seiner Zeit. Man spürt, wie das gesamte Material ,,con
amore", aber nichtsdestoweniger mit getreuer Objektivität erforscht
, geprüft und zuletzt zu einer wirkungsvollen Gesamtdarstellung
verarbeitet worden ist.

Dabei sind soviele Einzelfragen berührt worden, für die
Verf. eigene und durchaus wohlbegründete Lösungen gibt, aber
die doch nicht immer, — könnte man fürchten — ganz überzeugend
wirken. Das ist m. E. der Fall bei dem Exkurs über die
christliche Sondersprache. Wer die Aufsätze von Chr. Mohrmann
im zuletzt erschienenen stattlichen Band „iStudes sur le Latin
des Chretiens" (Rom 1958) studiert, wird vielleicht zu einer mehr
positiven Stellung in dieser Frage gelangen.

Eingehender wird die faszinierende Frage der Textüberlieferung
des Apologeticums behandelt, ja, sie ist fast zur zentralen
Frage dieser beiden Bücher ausgewachsen. Bekanntlich gibt
es zwei Rezensionen de6 Apologeticums: die „Vulgata", in etwa

') Einige verbcsscrungsfähige Stellen hat jedoch J. W. Ph. Borleffs
angedeutet („M ntmosyne" IV, 10 11957], S. 278 ff.).

30 Handschriften überliefert, und die „recensio Fuldensis", eine
im XVI. Jhdt. aus einem jetzt vermißten Fuldaer Kodex herausgeschriebene
Fassung, die in fast tausend, teils wichtigen Stellen
von der Vulgata abweicht. Diese Varianten hatten noch wenig
Beachtung gefunden, als Callewaert 1902 ihren außerordentlichen
Wert in ausgezeichneter Weise ans Licht rückte (wenn er auch
seine Kenntnis der Fuldaer Varianten wie der recensio Vulgata
nur aus Oehlers Ausgabe entnehmen konnte). Seitdem sind fast
alle Lösungen leidenschaftlich vertreten worden: entweder die
Fuldaer Rezension sei der einzige echte Tertulliantext und die
Vulgata eine Überarbeitung derselben (von Cyprian?), oder: die
Vulgata sei ursprünglich, und der Fuldakodex biete nur eine
korrupte Textgestalt; oder: beide Rezensionen seien wirklich
von Tertullian, und Fulda stelle einen ersten Versuch dar. In
dieser Richtung ist wohl die endgültige Lösung zu suchen, auch
wenn man, wie es notwendig scheint, schwere Entstellungen in
der Vulgata annimmt (wo sie gerade das Gegenteil von der
ursprünglichen Fuldarezension gibt). Verf. sucht nun die Entwicklungslinien
nachzuzeichnen, die von den griechischen Apologeten
über Tertullians Ad nationes und der ersten Rezension
des Apologeticums bis zu seiner endgültigen Fassung (und dem
Octavius des Minucius Felix) führen. Er fußt dabei nicht nur
auf grammatischen und stilistischen Unterschieden, sondern
sucht auch die führenden Gedanken herauszufinden, welche die
grammatische und stilistische Entwicklung bestimmten. Eine
zweifache, planmäßige, streng durchgeführte Neubearbeitung
des ersten apologetischen Werkes Ad nationes wird aus den
philologischen Einzelheiten heraus gefordert. Gerade das macht
Carl Beckers Arbeit so anziehend, aber leider auch anfechtbar.
So muß er die beiden Rezensionen, so wie sie uns jetzt kritisch
vorliegen, Tertullian zuschreiben. Wie bestechend die Auffassung
Beckers auch ist und wie glänzend gelungen manche seiner
Einzelerklärungen auch sind, so bleiben doch erhebliche Schwierigkeiten
bestehen. Besonders muß man Tertullian eben nicht
geringe Abänderungen seiner früheren Ansichten zumuten. Ich
möchte also, statt einer 1. und 2. Fassung Tertullians die These
von Varianten des Autors bevorzugen. Am Rande und zwischen
den Zeilen eines ersten Versuches hat Tertullian im Laufe der
Zeit selbst kleine oder größere Änderungen angebracht. Der
Abschreiber des Urexemplars der recensio Fuldensis hat aber
diese Korrekturen entweder nicht berücksichtigt oder seine
Kopie ausgefertigt, als Tertullian diese Korrekturen noch nicht
oder nur zum Teil vorgenommen hatte. Im Urexemplar der recensio
Vulgata sind dagegen die Korrekturen sämtlich aufgenommen
worden. Weil aber vor wie nach Tertullians Korrekturen
das Apologcticum ein sehr schwer verständliches Werk
blieb, ist der Vulgata-Text an einigen Stellen so ungeschickt umgearbeitet
worden, daß man diese Änderungen dem Autor selbst
nicht zumuten kann und wohl Eingriffe von einer fremden Hand
(oder von mehreren fremden Händen?) annehmen muß.

Die Grenzen zwischen Varianten des Autors und zweiter
Fassung sind gewiß schwankend. Die von Tertullian selbst vorgenommenen
Änderungen mögen weit zahlreicher gewesen sein
als die wenigen, die in der Ausgabe des Apologeticums im L Band
des Corpus Christianorum angedeutet sind, wie es Becker will
(Theologische Revue, 1957, S. 172 ff.) und wie wir es selbst bereits
sagten (Corp. Christ. I, S. 8 3 ff.); es wird aber sehr schwierig
sein, sie einzeln mit Sicherheit zu bestimmen, besonders in
bezug auf die leichten Korrekturen, die nur den Text glätten:
sind sie das Werk Tertullians oder spätere Normalisierung?

Wenn also Bedenken gegen einige und nicht unwichtige Behauptungen
Carl Beckers bestehen bleiben, so muß doch anerkannt
werden, daß seine Bücher unsere Einsicht in mancher verwickelten
Frage ungemein gefördert haben und daß auch dort,
wo man ihm zu folgen sich nicht genötigt fühlt, seine Auffassungen
sehr anregend sind und, wenn nicht unanfechtbar, doch
mit guten Gründen zu verteidigen sind.

Steenbrugge E. Dekkers