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Ausgabe:

1958 Nr. 6

Spalte:

433-435

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Řičan, Rudolf

Titel/Untertitel:

Das Reich Gottes in den böhmischen Ländern 1958

Rezensent:

Molnár, Amedeo

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Theologische Literaturzeitung 1958 Nr. 6

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stenheit, dann sei sie bereit" (61 b nach „Erlebtes", 5. Aufl. 1929,
S. 14).

Der Bericht von K. Wessel über Victor Schultze beginnt mit
illustrativen Beispielen aus den Jahren 1922, 1947 und 1954, die zeigen
, „welchen überragenden Ruf in der wissenschaftlichen Welt Victor
Schultze besaß" (63 b). (Bd. I, 131 b war Schultze neben Proksch und
Kunze unter politischem Aspekt kritisch erwähnt worden). Wessel
würdigt die verschiedenen Veröffentlichungen Schultzes, wobei ihm die
noch heute aktuellen Forderungen Schultzes zur Ausweitung der Christlichen
Archäologie besonders wichtig sind. Schultzes Gutachten von
1913 „Die evangelisch-theologischen Fakultäten in Preußen und die
christliche Kunst" stellte sowohl die Bedeutung der Christlichen Archäologie
für die Erforschung der Kirchengeschichte, insbesondere der
ältesten, fest, wie auch ein praktischer Gesichtspunkt zur Geltung gebracht
wurde: „In der unmittelbarsten Nähe der Denkmäler steht ...
der Pfarrer, und es muß dafür gesorgt werden, daß er nicht interesselos
und kenntnislos dort steht. . ." (64 b). Wessel stellt fest, daß diese
„Forderungen immer noch der Verwirklichung" harren. Doch ist die
Zahl der für die Christliche Archäologie offenen Kirchenhistoriker
stark gewachsen. Wessel nennt namentlich Hans Lietzmann, H. W.
Beyer, Hans Lother, Walter Elliger, Erich Dinkler und Ethelbert Stauf-
fer (66 a). Mögen Schultzes Interpretationen altchristlicher Denkmäler
heute meist überholt sein, „seine Interpretationsmethode ist noch
heute vorbildlich" (66 a).

Aus den Berichten der übrigen Fakultäten können nur
einige Punkte angesichts der Fülle des Gebotenen herausgegriffen
werden: So lehrten als Philosophen (S. 77 ff.) Wilhelm Schuppe
(berufen 1873 auf Empfehlung Lotzes), Johannes Rehmke (seit
1885), Hans Pichler (seit 1921) und Günther Jakoby, der sich
1909 in Greifswald habilitierte. 1952 wurde mit Erhard Albrecht
„zum l. Mal in der Geschichte der Greifswalder Philosophie ein
Vertreter des dialektischen und historischen Materialismus berufen
" (8 3 a). In der Reihe der Historiker findet man u. a.
Bernhard Erdmannsdörfer, Otto Seeck, Ernst Bernheim, Albert
Werminghoff und den kürzlich verstorbenen Adolf Hofmeister,
der den Bericht über das historische Institut noch selbst teilweise
bearbeitet hat (S. 92 ff.). In der Reihe der klassischen Philologen
(S. 120 ff.) wird u. a. über Usener, Bücheler und Wilamowitz
berichtet. Fritz Tschirchs Artikel über die Vor- und Frühgeschichte
der Greifswalder Universitätsgermanistik behandelt
ausführlich u.a. die Jahre 1877—1909, in denen Reiffersdheidt in
Greifswald wirkte (S. 157 ff.). Der Bericht von L. M a g o n über
das Nordische Institut nennt 6ich mit Recht „Beitrag zur Geschichte
der deutsch-nordischen kulturellen Beziehungen". Der
Zeitabschnitt von 1648-1815, der in Bd. I so kurz behandelt
worden war (S. 66-81), wird hier ausführlich beleuchtet (S. 237
—272). Die Medizinische Fakultät stellt in besonderen Beiträgen
folgende Personen heraus: den Pathologen Paul Grawitz (319
-26), die Internisten Berdt (367-70), Haeser (371—74), H. v.
Ziemssen (374-76), Krehl und Moritz (377-78), Minkowski
(378/81), Morawitz (381-85) und Straub (386-89), die Chirurgen
August Bier (398-99) und Sauerbruch (399-400), sowie
den Psychiater Paul Schröder (413-19). Die mathematischnaturwissenschaftliche
Fakultät ehrt mit besonderen Beiträgen
die Geologen Deeke (497/98) und Jaekel (498—503) sowie die
Botaniker Hornbusch (540-47) und Ledebour (547-52). Den
Abschluß des Bandes bilden Berichte über die Arbeiter und
Bauern-Fakultät „Martin Andersen Nexö" (S. 577 ff.) und das
Institut für Gesellschaftswissenschaften (S. 585 ff.).

Zusammenfassend kann gesagt werden, daß die vorliegenden
zwei Bände nicht nur reiches Material aus der Geschichte der
500 jährigen Universität bieten, sondern auch ihrerseits ein
historisches Dokument darstellen, das Einblick gewährt in den
jetzigen Zustand der Universität und die in ihr wirkenden Kräfte.

Berlin Gert Ha endler

Rican, Rudolf: Das Reich Gottes in den böhmischen Ländern. Geschichte
des tschechischen Protestantismus. Ins Deutsche übersetzt von
B. Popelar. Stuttgart: Evang. Verlagswerk [1957]. 245 S. mit Abb.,
1 Kte. 8°. Kart. DM 12.80.

Die Geschichte des Protestantismus in Böhmen und Mähren
wurde auch seitens der deutsch, französisch und englisch geschriebenen
Historiographie öfters behandelt. Die Entwicklung wurde
da jedoch meistens in eine vorwiegend politische oder kulturhistorische
Sicht gerückt. R. Rican, Ordinarius für Kirchengeschichte
an der theologischen Comenius-Fakultät in Prag, ist es gelungen,
in knapper Fassung die Geschichte des böhmischen Protestantismus
einmal von innen her als Ausdruck der geschichtlichen Selbstbesinnung
der tschechischen Protestanten zu schildern. Ein
schwieriges Unternehmen, da der Verfasser einerseits die erwähnte
Selbstbesinnung bewußt und willig einem theologischen
Urteil unterstellt, andererseits für deutsche Leser schreibt, denen
vieles nicht so selbstverständlich erscheinen mag, was ein Tscheche
so auffaßt. In diesem Sinne sind auch die Ausführungen Herbert
Krimms in seinem Vorwort zu verstehen: „Es verbindet uns die
Überzeugung, daß die geschichtliche Wahrheit das billige Schema
der Propaganda sprengt und unzulänglich ist für alles, was die
politische Überlegung im Augenblick für opportun hält."

Für die eigentliche Geschichte des tschechischen Protestantismus
bedeuten die Anfänge, die Konsolidierung des Christentums
in Böhmen und Mähren sowie die Entfaltung der mittelalterlichen
Kirchenmacht, die in den ersten zwei Kapiteln behandelt
werden, nur einen Auftakt. Die ersten Reformversuche, die
sich protestartig gegen die zu bedrückender Obrigkeit gewordenen
Kirche während der Königsherrschaft der Luxemburger
wendeten, werden vom Verfasser mit Rücksicht auf die sozialen
Verhältnisse geschildert. Neben den Waldensern, die sehr richtig
als eine aus Österreich nach Böhmen vordringende Begleiterscheinung
der deutschen Kolonisation bezeichnet werden, treten die
starken Persönlichkeiten des Deutschen Konrad von Waldhausen
und des Mährers Milic von Kromeriz in den Vordergrund. Von
theologiegeschichtlicher Fernwirkung war die literarische Tätigkeit
Matthias' von Janov, kirchengeschichtlich eine merkwürdige
Parallelerscheinung zu Wiclif (Kap. III). Nach einer kurzen Darstellung
des Lebenswerkes von Johannes Hus versucht der Verfasser
die üblichen Deutungen dieser Persönlichkeit zu berichtigen
. Beachtenswert und wohl durch Quellen belegbar ist Ricans
Richtigstellung der falschen Annahme, Hus wäre in seinen Entscheidungen
vom Deutschenhaß erfüllt gewesen (Kap. IV). Kapitel
V und VI skizzieren die Weiterentwicklung des Hussitis-
irius zuerst in seinem revolutionären Aufschwung bis 1434, dann
m der hussitischen (utraquistischen) Kirchenbildung und würdigen
seine Bedeutung. Auch hier kommt der Verfasser auf die vielerörterte
Frage des nationalen Einschlages des Hussitentums zu
sprechen und betont mit Recht den internationalen, auch Deutsche
umfassenden Charakter der Bewegung. Über die soziale Wirkung
des Hussitismus nachsinnend, postuliert Rican eine theologische
Deutung, die den engen Zusammenhang erkennen läßt, in dem
die materielle Seite des menschlichen Lebens mit dem geistlichen
Leben steht. Relativ ausführlich und in sauberer Genauigkeit
wird in Kapitel VII die Entstehung der Brüderunität (der Böhmischen
Brüder), ihre theologische Eigenart und Kirchenverfassung
wie auch die innere Spannung zwischen den alten und neuen
Brüdern an der Wende des 15. und 16. Jahrhunderts dargelegt.
Ein weiteres Kapitel (VIII) geht dem Zusammentreffen und den
gegenseitigen Einwirkungen des böhmischen und des europäischen
Protestantismus im klassischen Reformationszeitalter nach. Die
tragische Auflösung der böhmischen Reformation in den politischen
Wirren des beginnenden Dreißigjährigen Krieges wird in
ihren Vorspielen vom Jahre 1575—1620 in Kapitel IX verfolgt.
Die Schlacht am Weißen Berge bedeutet zwar mit dem Siege der
Gegenreformation einen vernichtenden Einschnitt in die Geschichte
des tschechischen Protestantismus (Kap. X), aber der
Verfasser kann trotzdem die Spuren der Überreste der Evangelischen
wie in der Heimat, so besonders in der Emigration verfolgen
(Kap. XI), um dann wieder das Neuaufleben zweier tolerierten
Protestantischen Kirchen seit 1781 bis zur Mitte des
19. Jahrhunderts in den böhmischen Ländern begrüßen zu können
(Kap. XII). Offensichtlich wuchs das quellenmäßige Material für
diese neuere Geschichte Professor Rican unter der Hand, da er
sich für die Zeit der Gleichberechtigung (seit 1861) an die Ergebnisse
seiner gründlichen zweibändigen Monographie über K. E.
Läny (Prag 1935 und 1938) stützen konnte. Eine ähnliche Fülle
und Breite charakterisiert das Kapitel XIV, da6 der Union der
evangelischen Kirchen H. B. und A. B. in einer einheitlichen Brüderkirche
wie auch dem Entstehen der Tschechoslowakischen