Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1958 Nr. 6

Spalte:

427-429

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Toynbee, Arnold J.

Titel/Untertitel:

An historian's approach to religion 1958

Rezensent:

Lanczkowski, Günter

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

427

Theologische Literaturzeitung 1958 Nr. 6

428

KIRCHENGESCHICHTE: ALLGEMEINES
UND TERRITORIALKIRCHENGESCHICHTE

Toynbee, Arnold: An Historian's Approadi to Religion. Basedon
Gifford Lectures delivered in the University of Edinburgh in the
Years 1952 and 1953. London: Oxford University Press [1956].
IX. 316 S. gr. 8°. 21 s.

Wegweisende Werke zur systematischen Religionswissenschaft
sind, da sie neben der Fähigkeit zur synthetischen Schau
subtile historische, literarische und philologische Einzelkenntnisse
voraussetzen, selten; wir denken dabei in erster Linie an
Söderbloms „Werden des Gottesglaubens", Rudolf Ottos „Das
Heilige", Heilers „Gebet", P. Wilhelm Schmidts „Ursprung der
Gottesidee", Max Webers „Religionssoziologie", van der Leeuws
„Phänomenologie der Religion", Radhakrishnans „Eastern Re-
ligions and Western Thought" und Pettazzonis neuestes Werk
über „L'onniscienza di Dio". Man wird nicht zögern, des britischen
Universalhistorikers Toynbee „Religio Historici", wie er
das vorliegende Werk zunächst zu nennen beabsichtigte, der
Reihe dieser großen Entwürfe zuzuordnen. Vor uns liegt eine
Arbeit, deren geistige Konzeption wie auch stoffliche Ausführung
universal sind.

Das in meisterhaftem Stil geschriebene Buch baut auf und
beruft sich vielfach auf des Verfassers 10-bändige, seit 1933 in
London erschienene „Study of History"1. Das gilt nicht nur
für die aus allen Feldern der Religionsgeschichte angezogenen
historischen Fakten, sondern ebenso für die entscheidenden
Grundgedanken: die Einsicht in die prinzipielle Gleichartigkeit
zeitlich geschiedener Vorgänge, die Toynbee mit Spenglers kulturmorphologischem
Schema teilt und die ihm die Aufstellung
historischer Synopsen ermöglicht, wie auch für das eine dynamische
Entwicklung bedingende Wechselspiel von „challenge"
und „response", das die Möglichkeit menschlich freier Entscheidung
offen läßt und damit die historische von der naturwissenschaftlichen
Betrachtung scheidet2.

Die vorliegende Zusammenfassung und teilweise Erweiterung
der in der „Study of History" erstmals ausgesprochenen
religionsphilosophischen Gedanken hat durchaus ihre Berechtigung
. Denn die entscheidende Bedeutung, die Toynbee religiösen
Fakten zuweist, und die hierauf beruhende enge Zusammenschau
von Profan- und Religionsgeschichte, mit der er methodisch in
der Nachfolge Leopold von Rankes3 steht, unterscheidet ihn
teilweise prinzipiell, in jedem Falle aber graduell erheblich von
anderen zeitgenössischen Kulturhistorikern. Im religiösen Bereich
sieht Toynbee die eigentliche Bestimmung des Menschengeschlechts
, und sein an Rudolf Ottos prophetische Schau künftiger
religiöser Auseinandersetzungen* erinnernder Glaube,
daß unsere heutige Weltlage die Möglichkeit biete, mit der Abwendung
von politischen Auseinandersetzungen zur eigentlichen
menschlichen Bestimmung in der ökumenischen Begegnung der
Religionen zu kommen, bedingt seinen Optimismus und unterscheidet
sein Geschichtsbild grundlegend von der Kulturkreistheorie
Spenglers.

Da Toynbee für eine zukünftige Begegnung der Religionen
eine Reduktion auf ihren innersten Wahrheitsgehalt fordert und
den Katalog der für ihn sündhaften „non-essentials" mit Heiligen
Stätten und Heiliger Schrift, Ritualen und Mythen sehr weit
faßt, kommt er zu einer an den Geist indischer Religiosität gemahnenden
universalen Toleranz, bei der der Theologe den
Absolutheitsanspruch des Christentums nicht vertreten sieht, und

*) Auf Grund der von D. C. Somervell bearbeiteten englischen
Kurzausgabe erschienen die deutschen Übersetzungen von F. W. Pick
(„Studie zur Weltgeschichte", Hamburg 1949) und Jürgen von Kempski
(,.Der Gang der Weltgeschichte. Aufstieg und Verfall der Kulturen".
Stuttgart, mehrere Auflagen.

2) Zum Gegensatz naturwissenschaftlich faßbarer und geschichtlich-
dynamischer Entwicklungen vgl. Ernst Troeltsdi, Die Dynamik der Geschichte
, Berlin 1919.

3) Vgl. L. v. Ranke, Geschichte Deutschlands im Zeitalter der Reformation
, 1839—1847; Neuausg. von P. Joachimsen, 6 Bde., Berlin
1926.

*) R. Otto, Vischnu-Näräyana, Jena 1923, S. 223.

der der Religionswissenschaftler, besonders bei der für Toynbee
charakteristischen, erstaunlich weitgehenden und, abgesehen von
ihrer irenischen Intention, sachlich auf Grund eines nur etymologisch
, aber nicht semasiologi6ch verwandten und zu weit gespannten
Begriffes von „Prophetie" (S. 123, Anm. 1) beruhenden
synoptischen Schau von Christentum und Mahäyäna-Buddhismus,
nicht ganz ohne Skepsis gegenüberstehen kann. Es ist deutlich:
Toynbees Buch ist ein approadi „to religion", aber nicht „to
Christianity"5.

Freilich ist es auch nicht die Absicht des Verfassers, der sich
selbst als dezidierter Christ versteht, für sein Werk normative
Ansprüche zu erheben: „My object in writing is to ask que-
stions, not to coin dogmas" (S. VI). Es ist ein persönliches Bekenntnis
, dem wir gegenüberstehen; und in jedem Falle schulden
wir dem Ernst und dem Verantwortungsbewußtsein, mit dem es
vorgetragen wird, Hochachtung und Ehrfurcht.

Die Verantwortung und die Möglichkeit des Universalhistorikers
besteht nach Toynbee darin, daß er den Irrtum jener
Haltung aufzeigen kann, in der Toynbee die Sünde katexochen
sieht, die Hybris von „Self-centredness", die egozentrische Haltung
eines Menschen oder einer Gruppe in bezug auf ihren religiösen
Besitz. Toynbee verhehlt nicht, daß diese Möglichkeit,
die ihm der historische Vergleich mit seiner Relativierung für
absolut angesehener Gegebenheiten bietet, eine nur unvollkommene
ist, weil der Historiker selbst Kind 6einer Zeit — mithin
heute Erbe des abendländisch-christlichen Denkens ist; Benedetto
Croce hat mit dem Satz ,,Ogni vera storia e storia contempora-
nea"° den Sachverhalt dieser Grenzen historischen Erkennens
und Wertens am schärfsten ausgesprochen.

Indem Toynbee die so im Prinzip begrenzte historische Erkenntnismöglichkeit
, wie sie angesichts des der Zeitlichkeit verhafteten
Blickes des betrachtenden Forschers generell besteht,
ausdrücklich bekennt, betont er in fairer Weise die sachliche Berechtigung
eines kritischen Gesprächs über sein bedeutendes
Werk.

Toynbees religionsgeschichtliches Weltbild führt die Fülle
religiöser Verwirklichungen auf die Typen "Worship of Nature",
"Man-Worship" und "Higher Religions" zurück.

Die Verehrung der Natur hat für Toynbee ein Janus-Ge-
sicht, weil sie offen ist für die Entwicklung polar entgegengesetzter
Möglichkeiten: "The worship of Nature the monster Ieads
on to Man's suicidal worship of Man himself. The worship of
Nature the victim leads on to Man's redeeming worship of a
God who sets his worshippers a divine example by sacrificing
Himself for their sake" (S. 26).

Die erste Möglichkeit sieht Toynbee realisiert in zwei unterschiedlichen
Typen historischer Bildungen. Eine "idolization of
parochial communities" führt notwendigerweise, vielleicht mit
Ausnahme der Maya-Kultur (S. 34), zu selbstzerstörerischen
Kriegen und zur Verehrung von Numina, für die „Moloch"
symptomatisch genannt wird. Ist Moloch die Endform von Religion
in "parochial communities", so wohnt "oecumenical communities
" die unabwendbare Tendenz persönlicher oder unpersönlicher
Verehrung der Weltreiche - in der Person des ver-
göttlichten Herrschers oder in der vergöttlichten Institution -
inne.

In der Tatsache der radikalen Abkehr von diesen beiden
unterschiedlichen Wegen von self-centredness gewinnt Toynbee
die Definition für "higher religions"; sie sind charakterisiert
durch die Ersetzung eines Machtdenkens durch die Ideale der
Liebe und des Leidens. Nach geschichtsphilosophischen Prinzipien
unterscheidet Toynbee innerhalb dieser Hochreligionen zwischen

5) Vgl. die Kritik früherer Werke Toynbees bei: Karl Löwith,
Meaning in History, Chicago 1949, S. 12 ff. — Zur Würdigung Toynbees
vgl. ferner vor allem: Georg Stadtmüller, Toynbees Bild der Weltgeschichte
, in: Saeculum I (1950), S. 165—195; Joseph Vogt, Die antike
Kultur in Toynbees Geschichtslehre, in: Saeculum II (1951), S. 557
bis 574.

6) B. Croce, Teoria e Storia della Storiografia, 2. Aufl., Bari 1920.
S. 4. — Vgl. auch: Adolf von Harnack, Über die Sicherheit und die
Grenzen geschichtlicher Erkenntnis, in: Reden und Aufsätze, NF Bd. IV,
Gießen 1923, S. 3—23.