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Ausgabe:

1958

Spalte:

422-425

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Sjöberg, Erik

Titel/Untertitel:

Der verborgene Menschensohn in den Evangelien 1958

Rezensent:

Delling, Gerhard

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Theologische Literatutrzeitung 1958 Nr. 6

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des Buches. Man wird an manchen Punkten, z. B. bei der Erklärung
der 4. Bitte des Vaterunsers, zu anderen Ergebnissen
kommen, aber der Verf. hat, aufs Ganze gesehen, einen beachtlichen
Beitrag zur Exegese der Bergpredigt gegeben, für die wir
ihm dankbar sein müssen. Doch sei eins nicht verschwiegen:
seine Tendenz zur Harmonisierung der Texte ist oft so gezwungen
, daß sie wissenschaftlich nicht zu rechtfertigen ist. Um nur
ein Beispiel zu nennen: es geht doch nicht an, den bei Mt. und
Lk. verschiedenen Text der Seligpreisungen dadurch zu erklären,
daß man sagt, die Seligpreisungen bei Mt. sind zu dem ganzen
Volk gesprochen, während die „besonderen Seligpreisungen" bei
Lk. an die Jünger gerichtet sind. Hier kommt man ohne eine
literarkritische Analyse nicht aus.

Das Buch von St. gibt, so wenig wir uns seine Grundkonzeption
zu eigen machen können, eine Fülle von Anregungen.
Und gewiß darf die dem Verf. eigene Betrachtungsweise in der
Fülle der Auslegungen der Bergpredigt nicht fehlen. Jedenfalls
gilt das von der Exegese des Verf.s.

Berlin Johannes Schneider

Lerle, Ernst, Mag. phil. Dr. theol.: Das Raumverständnis im Neuen
Testament. Hrsg. im Einvernehmen mit der Evang.-Luth. Freikirche.
3., durchgesehene Aufl. Berlin: Evang. Verlagsanstalt [1957]. 125 S.
8°. Lw. DM 5.40.

Der Verfasser hat sich die zweifellos berechtigte Aufgabe
gestellt, das Grenzgebiet zwischen antiker Astronomie und biblischer
Exegese quellenmäßig zu erfassen und mit der vorliegenden
Monographie eine Lücke in der Wissenschaft auszufüllen.
Da er aber der Ansicht ist „nicht immer und nicht überall kommt
es zur Entstehung eines Weltbildes", möchte er lieber den umfassenderen
Begriff des Raumverständnisses als Thema wählen.
Das Buch bietet mehr als sein Titel ankündigt; denn der Darstellung
des Raumverständnisses im Neuen Testament (S. 67
—110), geht eine solche Babyloniens (S. 9—13), des Griechentums
(S. 14-33), des AT (S. 34—51) und des Spätjudentums (S.
52—66) voraus. Den Abschluß bildet ein kurzer Abschnitt über
das Raumverständnis in einigen außerkanonischen Schriften
(S. 111—113), eine Zusammenfassung (S. 114 f.), ein kurzes Literaturverzeichnis
(S. 116 f.) und ein Register (S. 119—125). Am
besten gelungen erscheinen mir die Abschnitte über das Griechentum
und Spätjudentum. Bei der Darstellung des AT konzentriert
der Verf. 6ein Interesse „auf die Höhenlagen prophetischer
Frömmigkeit, die den Glauben des NT in entscheidender Weise
befruchtet haben" (S. 34). Das führt neben richtigen Einzelfeststellungen
etwa zu Psalm 139 oder Jes. 57, 15 zu einer m. E. recht
anfechtbaren Auslegung von Jes. 14 (S. 48 f.), da Lerle die zweifellos
vorhandene Vorstellung eines räumlichen Totenreiches zugibt
, dann aber zu der merkwürdigen Umdeutung schreitet: „Die
Scheol ist kein Ort, der sich in gewisser Tiefe unter der Erde als
Totenreich erstreckt, sondern sie ist die Endstation, die der
Mensch erreicht, wenn er von Gott gestürzt wird." Man wüßte
gern, ob eine Endstation kein Ort ist, wird aber dann weiter belehrt
, daß „für das AT nicht die Topologie der Scheol von Wichtigkeit
" sei, „sondern die Richtung, die Bewegung, die der Fallende
hat". Und mit einer sonst bei anderen verpönten Uminterpretierung
folgt dann die abschließende Formel: „Höhe ist
Herrschaft und Macht. Tiefe ist die Strafe Gottes." Die dem Verf.
zuzubilligende Tatsache, daß im AT schon vom Schöpfungsglauben
her ein selbständiges "Weltbild wie in den heidnischen Religionen
nicht existieren kann, hat keineswegs zur Folge, daß auf
ein solches Weltbild gänzlich verzichtet würde. Und der Verf.
würde weniger gewiß in seiner Ablehnung sein, wenn er nicht
nur selbst ausgesuchte Höhenlagen prophetischer Frömmigkeit
behandelte, sondern auch Stellen wie Genesis 37, 35; Psalm 6, 6
und 18,5-20 oder Hiob 26,9-11; Jes. 40,22 und Psalm 9,18
oder 88, 11—13.

Ähnlich verfährt Lerle in dem größeren Abschnitt über das
NT. Ganz abgesehen von der Frage, ob Phil. 2, 10 nicht mißverstanden
ist, wenn der grammatisch zweifellose Finalsatz mit
einem „muß" statt einem „soll" übersetzt wird, ist mir die Behauptung
unwahrscheinlich, daß der Text Eph. 4, 8—10 kein zeitliches
Nacheinander von Herabstieg und Aufstieg aussage. Wenn
man die Lesart der Codices BH beachtet und Joh. 6, 62 hinzuzieht
, läßt 6ich durchaus ein Zeitverhältnis für jenseitige Vorgänge
feststellen. Diese Beispiele mögen genügen, um noch zu
bemerken, daß der Verf. Stellen wie Matth. 8,11—12; 13,42
u. 50; 24,51; 25,30 u. Lk. 13,28 nicht behandelt und Mt. 22,13
auf S. 74 nur unzulänglich. Warum die Offenbarung Joh., welche
doch unter den neutestamentlichen Schriften das antike Weltbild
am eindrücklichsten erkennen läßt, in der Darstellung des
NT ganz fehlt, während im Abschnitt über das Spätjudentum die
Apokalyptik ihre sachgemäße Darstellung erfährt, ist nicht recht
einzusehen. Es gibt ganz gewiß im NT Stellen, an denen man
besser von „Herrschaftsbereichen", von „Sphären" (so Lohmeyer)
oder von Erscheinungsweisen redet. (Der Verf. spricht gelegentlich
von einer „vierten Dimension".) Aber daneben gibt es in
den Gleichnissen der Synoptiker, in den Offenbarungsreden des
Joh. und den Erzählungen der Apg. Stellen, in denen die Begriffe
des Hinauf- und Hinabsteigens zweifellos nicht als Bild für ein
unvorstellbares „Jenseits" gedacht, sondern auf einen Ort innerhalb
des Weltganzen bezogen sind. Gibt man das zu, dann kann
man die auf S. 7 geäußerte Polemik gegen Bultmann nicht gut
heißen, da sie sein wesentliches Anliegen nicht trifft, aber auch
die Überzeugung des Verf.s nicht teilen, er habe „Bultmanns
Weltbildtheorie so schlagend widerlegt, daß wir diese Ergebnisse
für die hermeneutische Arbeit in vollem Umfang auswerten können
" (S. 107). Wenn man das Raumverständnis des NT in vollem
Umfange behandelt und nicht nur mit ausgewählten Stellen,
ist eine so schlagende Widerlegung nicht möglich und das Problem
der Hermeneutik doch nicht so einfach zu systematisieren,
wie der Verf. meint. Diese Bemerkungen könnten den Eindruck
erwecken, als ob die Leistung des Autors gering eingeschätzt
werden 6ollte. Das ist keineswegs die Absicht; denn der Verf.,
ein Schüler von Martin Dibelius, hat zweifellos die Gabe, auch
verwickelte Tatbestände verständlich darzustellen, und der Erfolg
dieser Untersuchung — diese Besprechung gilt der 3. Auflage
— bestätigt ja, daß „die Katecheten dem Verf. besonders
dankbar sein werden". Man möchte ihn davon abbringen, den
Wert seiner Arbeit durch unzutreffende Polemik zu gefährden
und die Leser, die ja wohl zumeist gutgläubige Laien sind, vor
der Versuchung bewahren, einer Wissenschaft zu mißtrauen,
welche die Dinge eben nicht zu ihren Gunsten vereinfachen kann.

- Berlin Erich Fascher

S j ö b e r g, Erik: Der verborgene Menschensohn in den Evangelien.

Lund: Gleerup 1955. X, 290 S. 8° = Skrifter utg. av Kungl. Huma-
nistiska Vetenskapssamfundet i Lund (Acta Reg. Societatis Huma-
niorum Litterarum Lundensis) LIII. Kr. 30.—.

Das vorliegende Buch stellt nicht die Menschensohn-Theologie
der Evangelien überhaupt dar, sondern geht speziell dem
Gedanken der Verborgenheit des Menschensohn-Messias nach
und nimmt damit die Frage nach dem Messiasgeheimnis insbesondere
in den Synoptikern und zumal bei Mark. auf. So setzt sich
Sj. selbstverständlich auch immer wieder, z. T. bis ins einzelne
(und hier öfters auch zustimmend), mit Wrede (daneben u. a.
mit Bousset, Bultmann, M. Dibelius, H. J. Ebeling) auseinander,
bei dem „das eigentliche Problem ... noch ungelöst" sei, die
Spannung zwischen der behaupteten Messianität Jesu und ihrer
Verhüllung durch Jesu6 selbst bei Markus (Sj. 116). Wrede
beachtet im übrigen „nicht den Unterschied zwischen der Lage
des Evangelisten und seiner Leser einerseits und der der Zuhörer
Jesu andererseits" (Sj. 105).

„Der Men6chensohn im äthiopischen Henochbuch" war der Gegenstand
einer Untersuchung Sj.s (in der gleichen Reihe XLI [1946]>.
die Joach. Jeremias in ThLZ 74 (1949) 405 f. besprochen hat. Vermißte
Jeremias dort eine Bearbeitung des spätjüdischen Materials zu dem
Thema „Der verborgene Messias im Judentum" überhaupt, so wird
dieses Desiderium nunmehr durch Sj. in Kap. 2 (41—98) erfüllt.

Der Gedanke eines präexistenten, im Himmel verborgenen
, vorerst nur den Auserwählten offenbarten Messias einerseits
findet sich nach Sj. in der apokalyptischen Literatur des
1. Jhdt.s vor und nach Chr. „hauptsächlich in den Menschensohn-
vorstellungen" von 1. Hen. und 4. Esr. (54; bei den Rabbinen
begegnet er erst spät); mit ihm verbindet sich jedoch nicht die
Idee de6 leidenden Messias. Der Gedanke eines auf Erden
vorläufig verborgenen Messias andererseits ist in der rabbinischen