Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1958 Nr. 6

Spalte:

419-421

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Staudinger, Josef

Titel/Untertitel:

Die Bergpredigt 1958

Rezensent:

Schneider, Johannes

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

419

Theologische Literaturzeitung 1958 Nr. 6

420

im Gegensatz zum Gebot der Feindesliebe Matth. 5, 43 f., den
Militarismus, die Bedeutung des richtigen Festkalenders, die
Geheimlehren, den Messias aus dem Haus Aaron, die Kritik am
Jerusalemer Klerus, Tempelkult und Tempel überhaupt. Die Abschnitte
4 bis 7 sind dem wesentlichen Gegensatz zwischen Qum-
rän und Jesus gewidmet, der Frage nach der Stellung zur Thora.
Klar wird in Kap. 5 die Thoraverschärfung herausgearbeitet, zugleich
aber auch die Klerikalisierung der Sündenvergebung deutlich
herausgestellt. Die Stellung Jesu zur Thora wird in Kap. 6
an der Sabbathfrage erläutert. Ebenso klar und eindeutig wird
Jesu Haltung in der Sündenvergebung aufgezeigt. Man wird dem
Verf. nur dankbar zustimmen können, wenn er den letzten siebenten
Abschnitt „Gesetz und Evangelium" mit der Aufforderung
schließt, die Thorafrömmigkeit der Wüstenleute sorgfältig
zu studieren, „gerade dann wird uns das Evangelium Jesu ganz
neu aufgehen in seiner schöpferischen Freiheit und Macht, in
seiner festlichen Herrlichkeit".

Leipzig Hans B a r d t k e

Staudinger, Josef, S. J.: Die Bergpredigt. Wien: Herder [1957].
IV, 360 S. 8°. DM 19.-.

St. versteht die Bergpredigt als die eigentliche Reichs-
Gottespredigt, als die Zusammenfassung der gesamten Lehrverkündigung
Jesu, die er „am Tage der feierlichen Grundlegung
6eines Reiches" gehalten hat. Es ist dem Verf. darum zu tun, den
Vollsinn der Worte Jesu zu erfassen und unverfälscht wiederzugeben
. Die Darstellung ist, damit sie auch weiteren Kreisen zugänglich
ist, nicht mit Erörterungen rein fachwissenschaftlicher
Art belastet; diese werden gesondert in einem Anhang dargeboten
. Die Situation der Bergpredigt stellt sich St. so vor, daß die
Zwölf einen engeren Kreis um Jesus bildeten, daß sich dann die
übrigen Jünger anschlössen, und schließlich „bis zum See hinunter
" das Volk. Dabei ist die Rede „ihrem Hauptteil nach" an das
Volk gerichtet, die Jünger sind jedoch „miteingeschlossen".
„Einiges in der Bergpredigt" ist für die Jünger bestimmt, „doch
wird dabei auch das Volk nicht ausgeschlossen". Die Bergpredigt
hat aber nicht nur für die unmittelbaren Hörer derselben Bedeutung
gehabt, 6ie ist vielmehr für alle Menschen, aller Völker und
Zeiten, verbindlich. Aus der richtigen Zusammenstellung der
Überlieferungsformen bei Mt. und Lk. ergebe sich „ziemlich genau
" der ursprüngliche Wortlaut des Textes.

Literarkritische Probleme kennt St. nicht. Die synoptische
Frage kann nach seiner Auffassung nicht durch die „heute überholte
" Zwei-Quellen-Theorie in ihrer klassischen Fassung gelöst
werden, denn am Anfang der christlichen Verkündigung stehe
nicht eine unpersönliche Gemeinde, sondern geschichtlich faßbare
Persönlichkeiten. Das heißt, daß hinter dem ursprünglich
aramäisch geschriebenen Mt.-Ev. der Apostel Matthäus und
hinter der griechischen Übersetzung desselben Barnabas steht,
während der Hauptzeuge des Lk.-Ev. der Herrenbruder Jakobus
ist. Das Lk.-Evangelium weise eine ausgesprochen „jerusalemische
Note" auf. St. stellt sich das Verhältnis von Lukas und Jakobus
folgendermaßen vor: „Lk. dürfte die Predigt des Jakobus nicht
unmittelbar gehört, sondern nur in Auszügen vor sich gehabt
haben, meist aramäisch, teilweise auch griechisch gschrieben.
Weitere Berichte von Augen- und Ohrenzeugen kamen dazu.
Er prüfte aufs sorgfältigste ihren authentischen Wert und reiht
6ie dann sinngemäß in sein Werk ein" (S. 250). Ein entscheidender
Grund, den Bericht über die Bergpredigt bei Lk. der Jakobus-
Quelle zuzuerkennen, liegt für St. darin, daß in Lk. 6, 34—3 8 die
Übereinstimmung mit dem Jak.-Brief „mehrfach bis aufs Wort"
geht, so daß der Jak.-Brief „stellenweise geradezu als Kommentar
zum Text von Lk." angesehen werden könne. Aber die Hypothese
von St. scheitert ganz einfach daran, daß Jakobus kein unmittelbarer
Augen- und Ohrenzeuge der Geschichte Jesu gewesen
ist und darum auch die Bergpredigt nicht gehört haben kann.

Ebenso phantastisch und darum unhaltbar ist die Theorie,
die St. über das Vater-Unser entwickelt. Da die Annahme, Jesus
habe „sein" Gebet in verschiedener Form mitgeteilt, unmöglich
ist, gibt es nur den Ausweg, daß Lk. den Text bewußt geändert
hat. Barnabas habe das Gebet Jesu, wie es bei Mt. vorlag, schon
bald nach seinem Eintreffen in Antiochien ins Griechische übertragen
und zwar „für die fertige Christengemeinde" (S. 311).
Die lukanische Form dagegen gehe auf Paulus zurück, der für
die aus dem Heidentum stammende Gruppe der antiochenischen
Gemeinde nur eine Form des Vaterunsers gebrauchen konnte,
in der alles weggelassen wurde, was die „Fassungskraft" dieser
Gruppe überstieg. Das heißt, es handelt sich bei der von Lk.
überlieferten Form des Vaterunsers um „die Gebetsschulung der
Katechumenen von Antiochien" (S. 309). „Möglicherweise hat
auch Lk. selber in Antiochien das Vaterunser zuerst in der Form
kennen gelernt, wie er es dann später in seinem Text aufbewahrt
hat" (S. 310). Aber das ist eine unmögliche Hypothese, für die
auch St. nur ganz wenige, in keiner Weise überzeugende Argumente
geltend machen kann. Die Quellen bieten nicht die geringste
Möglichkeit, derartige Behauptungen aufzustellen. Weder
die Apostelgeschichte noch die Briefe des Paulus geben zu
den Vermutungen von St. Anlaß. Es ist doch auffallend, daß
die Gebetstexte oder gebetsähnlichen Formulierungen bei Paulus
mit keinem Wort darauf hindeuten, daß der Apostel von
dem Vaterunser Gebrauch gemacht hat; man hat vielmehr den
Eindruck, daß es für ihn keine Rolle spielte.

Man muß also sagen, daß die Theorien, die St. an die Stelle
der bisherigen Lösungsversuche der synoptischen Frage setzt, in
keiner Weise überzeugend sind.

In den Parallelen zum Mt.-Text der Bergpredigt, die sich
im Reisebericht de6 Lk. finden, sieht St. keine Dubletten, vielmehr
habe Jesus über verschiedene Themen öfter gesprochen,
„mit leichter Wandlung von Wortlaut und Sinn" (S. 256). Die
sogenannten Dubletten passen „ausgezeichnet in den jeweiligen
Zusammenhang" (S. 255). Aber auch diese Erklärung befriedigt
nicht. St. selbst gibt zu, daß Lk. außer der „Predigt des Jakobus
" noch weitere Berichte von Augen- und Ohrenzeugen benutzt
hat, und daß er, nachdem er zunächst die größeren, zusammenhängenden
Stücke seiner Quellen nach der Reihenfolge
der Ereignisse gegeben hat, die kleineren, unzusammenhängenden
„losen Blätter" „ohne zeitliche Abstimmung aufeinander in
einem losen Rahmen zusammengefaßt" hat (S. 250). Da liegt
doch die Erklärung am nächsten, daß die Parallelstücke zu dem
Mt.-Text der Bergpredigt, die im Reisebericht des Lk. 6tehen,
aus literarischen Quellen stammen, die dem dritten Evangelisten
zur Verfügung standen, und die doch nun wohl am besten als
Dubletten bezeichnet werden.

Andere ist über die Auslegung der Bergpredigt durch
den Verf. zu urteilen. Man muß dabei freilich in Kauf nehmen,
daß St. gelegentlich die radikalen Forderungen Jesu abschwächt.
Das hat seinen Grund darin, daß er sie in Einklang mit bestimmten
Sätzen der katholischen dogmatischen Tradition zu bringen
sucht. So glaubt er, daß sich die Unterscheidung von schweren
und läßlichen Sünden und die Lehre vom Fegefeuer, dem „Reinigungsort
im Jenseits für noch ungesühnte läßliche Sünden", auf
Jesus selbst zurückführen läßt. Noch schwerwiegender ist, daß
St. im Hinblick auf die praktische Erfüllung der Forderungen
Jesu zwei Gruppen unterscheidet, 1. Menschen, die im Besitz
der Fülle des hl. Geistes sind und die darum bereit sind, „bis
zum letzten Buchstaben getreu so zu tun, wie Jesus in der Bergpredigt
lehrt" und 2. solche, die ohne die Fülle des Geistes sind,
von denen Gott darum nicht ohne weiteres „das Martyrium oder
die Außerachtlassung der naturgegebenen Gesetze" verlangt
(S. 130). Diese Auffassung des Verf.'s hat nicht nur dogmatische
Gründe, sie hängt auch mit dem Ausgangspunkt der Darstellung
St.'s zusammen, daß die Bergpredigt sowohl an das Volk als
auch an die Jünger, insonderheit die „Zwölf", gerichtet ist.
Aber die Bergpredigt ist ausschließlich Jüngerlehre.

Den Sinn der Bergpredigt findet St. in der „polaren Gegenüberstellung
zwischen Christus und Satan" (S. 269). Das ist zweifellos
ein richtiger Gesichtspunkt, aber es ist doch die Frage, ob
er das entscheidende und zentrale Anliegen der Rede Jesu trifft.

Positiv zu beurteilen ist aber, was der Verf. im einzelnen
zur Auslegung der Bergpredigt zu sagen hat. Da finden sich,
wenn man von den dogmatischen Zwischenbemerkungen absieht
, sehr sorgfältige Untersuchungen, die sowohl den zeitgeschichtlichen
Hintergrund als auch den ursprünglichen Sinn der
Worte Jesu deutlich machen. Darin liegt der eigentliche Wert