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Ausgabe:

1958

Spalte:

413-415

Kategorie:

Altes Testament

Titel/Untertitel:

Jadajim (Hände) 1958

Rezensent:

Maass, Fritz

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Theologische Literaturzeitung 1958 Nr. 6 414

413

L i s o w s k y, Gerhard, Dr.: Jadajim (Hände). Text, Übersetzung und
Erklärung nebst einem textkrit. Anhang. Berlin: Töpelmann 1956.
VI, 97 S. gr. 8° = Die Mi6chna. VI. Seder. Toharot, 11. Traktat.
DM 18.-.

B i e t en h a r d, Hans, Dr.: Sota (Die des Ehebruchs Verdächtige).

Text, Übersetzung und Erklärung nebst einem textkrit. Anhang.
Berlin: Töpelmann 1956. VII, 212 S. gr. 8° = Die Mischna, III. Seder
: Naschim. 6. Traktat. DM26.—.

Herausgeber, Bearbeiter, Verleger und Förderer dürfen der
dankbaren Anerkennung aller am rabbinischen Schrifttum Interessierten
gewiß sein, wenn das Werk der „Gießener Mischna"
nach über zwanzigjähriger Unterbrechung seine Fortsetzung findet
. Mit den beiden hier angezeigten liegen in der Edition, Übersetzung
und Kommentierung der „.Gießener Mischna" 27 der
63 Mischna-Traktate vor; aus dem VI. Seder wurde mit Lisows-
kys „Jadajim" zum ersten Mal ein Traktat bearbeitet; für den
III. Seder bietet Bietenhards Werk nach Rengstorfs großem
Jebamot-Kommentar den 2. Traktat dar. Es war ein glücklicher
und durchaus zu billigender Entschluß, nach der langen Unterbrechung
gerade diese beiden Traktate unter den noch ausstehenden
als erste erscheinen und für das Werk werben zu lassen.
Die Fülle des für die biblische, historische, religionsgeschichtliche,
philologische und folkloristische Forschung relevanten Materials
tritt im Text und in der neuen Kommentierung deutlich zutage.

Freilich fragt man sich, ob das groß angelegte Unternehmen
dem Studium der Mischna auch über den Kreis der am Rabbinen-
tum speziell Interessierten hinaus zu größerer Aufmerksamkeit
und Verbreitung verhelfen kann. Zu wenigen, manchmal nur
einer einzigen Zeile Mischna-Text zwei Seiten Exegese, die dem
Abgleiten in das zu Allgemeine oder zu Spezielle nicht immer
entgeht! Auch dieser neue Anfang wird an dem alten Leiden des
Theologie-Studiums und eingefahrenen Fakultätsbetriebes voraussichtlich
nicht viel ändern können: Die Mischna ist ein Werk,
das in den ersten beiden Jahrhunderten in Palästina in hebräischer
(in einigen Stücken aramäischer) Sprache erschienen ist,
ein Werk, in dem das Alte Testament ständig anvisiert wird und
mit dessen Vertretern aus der älteren Zeit Jesus und die Apostel
in Berührung gestanden haben müssen, — und doch ist die misch-
nische Literatur den meisten Theologen unbekannt. Nötig wäre
eine deutsche Übersetzung der Mischna in einem Band, mit kurzen
Anmerkungen, nach Art der englischen Übersetzung von
H. Danby, The Mishnah; Oxford, 1933. Ein solches Buch, zu
annehmbarem Preis herausgebracht, hätte Aussicht auf einen
festen Platz in der Standard-Bibliothek des Theologen. Vielleicht
ziehen die Herausgeber der „Gießener Mischna" ein solches Projekt
einmal in Erwägung.

In den einleitenden Abschnitten der beiden angezeigten
Kommentare sind — wie üblicherweise auch in den bisher erschienenen
— der Name des betreffenden Traktats, seine Stellung in
der Mischna, die Komposition und das Verhältnis zum Tosefta-
Traktat gleichen Namens behandelt und die im Traktat genannten
Rabbinen aufgezählt. Dazu kommen bei Lisowsky besondere
Ausführungen über Grundbegriffe der Reinheitslehre und das
System der Abgaben und über die netilat jadajim. Bei Bietenhard
steht am Ende der Einleitung ein Kapitel über das Verhältnis
des Traktats Sota zum Neuen Testament. Den Schluß bildet (vor
Registern und Verzeichnissen) jeweils ein textkritischer Anhang.
Darin werden Varianten zum Kodex Kaufmann aufgeführt, dessen
Text der Übersetzung zugrunde gelegt ist. Die Cambridger,
Parmaer, Oxforder Mischna-Handschrift, bei Bietenhard dazu die
Mischna des Babli (1522), des Jeruschalmi, die Mischna des Mai-
monides und des Münchner Babli (ed. Strack 1912), außerdem
verschiedene Fragmente, sind zum Vergleich herangezogen worden
.

In beiden Kommentaren kommt die neuste Literatur zu kurz.
Lisowsky bringt außer der üblichen bloßen Aufzählung der Rabbinen
in der Einleitung kurze Biographien, und das neuste Werk,
das er als Quelle nennt, ist die fast vierzig Jahre alte letzte
Auflage der Strackschen „Einleitung". Bei Bietenhard erscheinen
die biographischen Notizen im exegetischen Teil. Abgesehen davon
, daß die in jedem Band der „Gießener Mischna" wiederholten
, meist ganz elementaren biographischen Angaben über die
Tannaim ohnehin problematisch sind, ist hier zu beanstanden.

daß keine neueren Arbeiten über die behandelten Mischnalehrer
genannt sind; über Aqiba von P. Benoit (Cahiers Sioniens, 1949);
die Vorlesungen von G. Allon (Tel Aviv, 1953) mit ausführlicher
Behandlung Jochanans b. Sakkai und Gamliels IL; die Arbeiten
über Hillel und Schammai (M. Zulay, Melilah, 1955) und
Jehuda hannasi (A. Guttmann, HUCA 1954). Auch Hinweise auf
die neueren Mischna-Editionen (J. D. Herzog, P. Blackman,
H. Albeck, J. Fishman), auf allgemeinere Arbeiten über die tanna-
itische Zeit (R. H. Pfeifer, J. Weingreen, J. Z. Lauterbach, D.
Daube, E. Z. Melamed u. a.) hätten dem Leser gedient. Die Literatur
aus Israel sollte nicht ignoriert werden. Wer wäre in
Deutschland heute berufener, ihre Bekanntschaft zu vermitteln,
als die Herausgeber rabbinischer Texte!

Ohne auf problematische Punkte der Detail-Exegese eingehen
zu wollen, seien zu beiden Kommentaren die folgenden
Anmerkungen gemacht.

Im Jadajim-Kommentar vermißt man in der Einleitung (II l) oder
bei der Auslegung von III 4 und IV 6 jegliches Eingehen auf die alt-
testamentliche Voraussetzung und Grundlage der rabbinischen Reinheitslehre
. Die Analogie des polynesischen Tabu muß mehrmals herhalten
(S. 50. 75), aber israelitische Erfahrung und Auffassung des 1li"lp
bleibt unerörtert.

Bei der Frage nach dem Verhältnis des Mischna- und Tosefta-Trak-
tats kommt L. in der Beurteilung der ganzen Tosefta zu der kühnen
..Summa", daß sie ein Werk sei, „das Rabbi Hijja unter dem Eindruck
der großartigen Mischna-Redaktion seines Lehrers Jehuda ha-nasi verfaßt
hat" (S. 22; vgl. das Urteil Bietenhards, Sota S. 18—22).

Die Polemik gegen Cornill und Eißfeldt (S. 56) trifft insofern ins
Leere, als die durch die Synode von Jabne festgesetzte Kanonizität
Qohelets und des Hohenliedes tatsächlich als offizielle Auffassung und
Lehre zur allgemeinen Geltung kam. Daß einzelne, auch prominente
Rabbinen die offizielle Entscheidung und Lehrmeinung noch diskutierten
und von ihr abwichen, ist auch in anderen Fällen bezeugt (Berakot
I 1. 5 IV 7 VII 5 Schabbat IV 2 VI 3 u. ö.).

Besonders verdienstvoll ist L.s Aufspüren mnemotechnischer Finessen
der Rabbinen. In der Tat sind viele Aussagen der Mischna bewußt
'n ein Schema gefaßt, wie L. es auf S. 41 des Kommentars anschaulich
skizziert hat.

Sehr anfechtbar sind dagegen die Folgerungen auf eine planmäßige,
zeitliche geordnete Zitierung der Autoritäten (S. 16 f.). L. stellt fest,
daß in den beiden ersten Kapiteln nur Rabbinen der 3. Generation (nach
der Gruppierung von Strack) genannt sind, im 3. Kapitel der 2. und 3.
und im Anhang der 1. und 2. Generation. Erstens stimmt das nicht, da
mit Schim'on aus Teman im 1. Kapitel auch ein Vertreter der 2. Generation
zitiert ist; und außerdem ist in Kapitel 1 nur ein einziger Repräsentant
der jüngsten Generation genannt (Jose ben Halafta), und das
ist — wie auch die ausschließliche Nennung der drei späteren Autoritäten
in Kapitel 2 und die Bevorzugung der älteren in Kapitel 3 und
4 — eher zufällig als planmäßig; finden wir in den Mischna-Traktaten
doch auch sonst nicht eine exakte Ordnung, nach der die jüngeren
Autoritäten in den früheren, die älteren in den späteren Kapiteln aufgeführt
werden. Vielmehr werden ältere Lehrer sehr oft in den ersten
Kapiteln der Traktate zitiert (Ber Pes Suk Bez Rosch ha-schana Ta'an
Naschim u.ö.; vgl. auch bes. Abot).

In IV 3 fehlt jede sachliche Erläuterung der interessanten Diskussion
über Ammon, Moab, Ägypten und Babylonien; zu IV 3 f. wäre
ein Hinweis auf die unhistorische Konstruktion der Traditionskette
(sogen. „Große Synagoge" u. a.) erwünscht gewesen.

Die Behauptung über die älteste Bezeugung der Quadratschrift
(S. 72) bedarf auf Grund von 4QSam a (BASOR 1953, 12—26) und
bes. 4QSam b (JBL 1955, 147—172) einer Revision.

Bietenhard hat die Mischna über die einzige Ordalbestimmung
des Alten Testaments (Numeri 5,11—31) sehr eindrucksvoll zu erläutern
verstanden. Man wird dem Verf. bes. auch Dank dafür wissen,
daß er in seinem Sota-Kommentar durchgehends das Alte und Neue
Testament in Betracht zieht und viele Stellen des Mischna-Traktats
für die biblische Exegese fruchtbar macht; fast zu jedem Vers sind Bi-
belstellen genannt. Die Beziehungen zum Neuen Testament sind im
VIII. Abschnitt der Einleitung zusammenfassend angedeutet, wobei
hervorgehoben wird, daß Sota IX 15 die einzige Erwähnung des Messias
in der Mischna enthält. Dieser Gesichtspunkt wird auch in den
andeien Einleitungskapiteln und bei der Exegese nie außer acht gelassen
; ob vom Gedanken der „Stellvertretung" (S. 12), von der Leviratsehe
(S. 30 f.), von der Heiligkeit Gottes (S. 35), der Verdienstlehre
(S. 69 f.), vom Verhältnis der Gottesfurcht zur Gottesliebe (S. 101 f.),
von der Eschatologie (S. 178) u. a. die Rede ist, oder ob es sich um
philologische und archäologische Probleme handelt. Auch die Qum-
rän-Texte und von den tannaitischen Midraschim die Sifre zu Numeri
werden 6tändig vergleichend herangezogen.