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Ausgabe:

1958 Nr. 6

Spalte:

411-412

Kategorie:

Altes Testament

Titel/Untertitel:

L' Ancien Testament : 1 1958

Rezensent:

Bardtke, Hans

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411

Theologische Literaturzeitung 1958 Nr. 6

412

La Bible, L'Ancien Testament. Introduction par Edouard Dhorme,
de l'Institut. Traduction et Notes par Edouard D h o r m e (Genese,
Exode, Levitique, Nombres, Deuteronome, Josue, Juges, Samuel,
Rois, Chroniques), Frank Michaeli (Esdras, Nehemie), Antoine
Guillaumont (Maccabees). Paris: Gallimard 1956. CXXV,
1720 S. kl. 8° = Bibliotheque de la Plejade I.

Die Reihe Bibliotheque de la Plejade hat sich zur Aufgabe
gesetzt, die besten Texte der Weltliteratur in bequemen Ausgaben
und kommentierten Übersetzungen vorzulegen. Demnach
liegt der Hauptakzent des auf zwei Bände berechneten Werkes
auf den neuen Übersetzungen der alttestamentlichen Texte ins
Französische. Die Übersetzung strebt nach Treue gegenüber dem
Original in seinem geistigen Gehalt und in seiner ursprünglichen
Gestalt. Dem hebräischen Satz soll auch in der Übersetzung
„saveur" und „coulem" bewahrt werden. Bei diesen Grundsätzen
läßt sich nicht vermeiden, gelegentlich den Text paraphra-
sierend zu übersetzen, wenn man nicht die Gesetze der französischen
Sprache verletzen will. In solchen Fällen steht der Übersetzungstext
in Klammern, und die wörtliche Übersetzung wird
in der Anmerkung geboten. Darüber hinaus wollen die Anmerkungen
die Übersetzung beleben, indem sie historisches, geographisches
, psychologisches und literarisches Material ausbreiten
. Dadurch wird das Übersetzungswerk zum gedrängten Kommentar
zu den historischen Büchern des Alten Testaments. Das
Taschenformat gewährt bequeme Handhabung auch als Nachschlagewerk
zur raschen Orientierung.

Das Werk ist für jeden gebildeten Laien bestimmt, aber
auch der Theologe und der alttestamentliche Fachwissenschaftler
kommen auf ihre Kosten.

Sehr häufig werden in den Anmerkungen die hebräischen Wörter
in Umschrift geboten und auf ihren Wortsinn hin untersucht. Zuweilen
nehmen die Anmerkungen dreiviertel der Seite ein, wenn ausführlicher
kommentiert werden muß oder zahlreiche Ortsnamen dazu zwingen,
reiches topographisches Material auszubreiten. Auch die Ausgrabungen
werden herangezogen, sofern sie für die Erläuterung der einzelnen Stellen
von Bedeutung sind, so zu 1 Reg. 14,25 (teil mutesellim), zu
1 Reg. 22, 39 (Ausgrabungen von Samaria). Neuere Texte werden ebenfalls
herangezogen, zu Ex. 23, 19 die Parallele der Ras Schamra-Texte
oder am Anfang der Zeittafel die Mari-Texte. An zahlreichen Stellen
wird reiches keilschriftliches Material verwendet. Man merkt dem Verfasser
an, daß hier das Zentrum seines wissenschaftlichen Lebenswerkes
liegt. Gewissenhaft werden die einzelnen Lesarten der Versionen in
den Anmerkungen abgehandelt und ihre Entstehung gegebenenfalls erklärt
. Auch die Abweichungen der großen griechischen Handschriften,
Vaticanus, Sinaiticus, Alexandrinus, untereinander finden Berücksichtigung
. Bestimmte Sacherklärungen nehmen in den Anmerkungen größeren
Raum ein, 60 die Erklärung von Urim und Thummim zu
Ex. 28, 30 oder die des Nasiräers zu Num. 6, 2. Auf wissenschaftliche
Kontroverse ist in den Anmerkungen verzichtet worden. An Literatur
wird in ihnen nur „Recueil Edouard Dhorme" zitiert. Das theologische
Element tritt naturgemäß stärker zurück angesichts der Aufgabenstellung
der Gesamtreihe. So z. B. wird mmlkt khnjm „dynastie de
pretres" nicht durch eine Anmerkung erklärt. Die Schiloh-Weissagung
in Gen. 49, 10 wird übersetzt in einer Anmerkung ,,ä qui il appartient
(she-16).

Drei beigegebene Karten erhöhen die Brauchbarkeit des
Werkes. Sie stellen den nahen und mittleren Orient von Alexandrien
bis Persepolis, die Stämme Israels und die beiden Königreiche
Israel und Juda dar.

Von besonderer Wichtigkeit sind in einem Kommentarwerk
, das zur Exegese nur auf Fußnoten angewiesen ist, die Einleitungen
zum gesamten Werk und zu den einzelnen Büchern.
Diese Einleitungen umfassen 112 Seiten und bieten umfassendes
Material einleitungswissenschaftlicher Art dar. Dabei sind diese
Abschnitte fesselnd und interessant geschrieben, daß wohl kein
Benutzer des Werkes sie überschlagen wird, wenn er einmal eine
Leseprobe unternommen hat. Erst wird ein Abriß der Kanonsgeschichte
geboten (La Bible hebraique). Ein zweiter Abschnitt
„le texte hebreu" führt gründlich in die Textgeschichte unter
besonderer Berücksichtigung der Handschriftenfunde am Toten
Meer ein. Ein weiterer Abschnitt ist den alten Übersetzungen
und den Targumen gewidmet. Das Kapitel über die Gattungen
beschränkt sich auf die poetischen Stücke der historischen Bücher
unter der Überschrift „La Poesie primitive". Hier werden Gen.
4, 23 f., Ex. 15, 20 f., Num. 21, 1, Sam. 18, 6 f. u.a.m. behandelt
. Diese Beschränkung ist durch die Verteilung des Werkes
auf zwei Bände bedingt, so daß prophetische Gattungen und die
Weisheitsliteratur erst in der Einleitung des zweiten Bandes behandelt
werden dürften.

Umfangreicher sind die Abschnitte zur Buchgeschichte, bei
denen erst dem Gesamtwerk der Thora und dann jedem einzelnen
der fünf Bücher eine eigene ausführliche Abhandlung gewidmet
wird. Hier wird das Pentateuchproblem entwickelt, die Namen
von Abraham Ibn-Ezra, Spinoza und Astruc genannt und
ihre Methoden kurz angedeutet. Mit großem Sachverständnis
wird das Ergebnis der Literarkritik an der Genesis beschrieben,
wobei die Priesterschrift sorgfältig in einen erzählenden und
einen legislativen Komplex geschieden wird. Der erzählende
Teil wird allgemein als „chroniqueur" bezeichnet. Aus dem
Exodusbuch werden besonders die Kapitel 18 und 21—23 herausgehoben
. Die Gestalt des Mose wird stark in ihrer Geschichtlichkeit
unterstrichen. Für Ex. 32 wird der Mondkult zur Erklärung
herangezogen. Beim Levitikusbuch ragt die Behandlung des
Heiligkeitsgesetzes hervor. Im Abschnitt über das Numeribuch
fällt auf, daß der Verfasser bereit ist, selbst Teile der Priesterschrift
aus der Nomadenzeit herleiten zu wollen, speziell Lev.
12—15. Im Kapitel über das Deuteronomium, dem eine ausführliche
Analyse gewidmet wird, entsteht ein Bild von der allmählichen
Zusammenarbeitung der verschiedenen Quellen zum Pen-
tateuch. Esra ist der letzte Redaktor.

Die Geschichtsbücher erfahren eine ähnliche eingehende
Analyse unter Berücksichtigung des Erzählungsstils sowie eine
Herausarbeitung der einzelnen Quellen, die S. LXXXIII am Ende
der Ausführungen über die Samuelbücher zusammenfassend genannt
werden als volkstümliche Quellen, priesterliche Traditionen
und redaktionelle Stücke mit deuteronomischem Geist. Die
beiden Königsbücher werden unter Heranziehung paralleler
Quellen des Alten Orients besprochen, und S. LXXXV wird
,,le redacteur de l'ecole deuteronomienne" ausdrücklich erwähnt.
Dessen Betrachtungsweise wird als „philosophie de l'histoire
sainte" charakterisiert. Der Betrachtung der Chronikbücher wird
eine Zusammenfassung ihrer leitenden Gedanken vorausgeschickt,
die Inhaltsanalyse achtet sorgfältig auf unbekannte Quellen.
Nach Meinung des Verfassers schreibt der Chronist für die Juden
in Jerusalem zur Perserzeit. Die Verbindung der Chronikbücher
mit den Büchern Esra-Nehemia soll durch einen Schüler
des Chronisten erfolgt sein, da in Esra-Nehemia eine andere
Methode der Quellenverwertung — lange Zitierungen der ursprünglichen
Quellen — sichtbar wird. Hinsichtlich der neueren
Diskussion über die zeitliche Ansetzung von Esra und Nehemia
fällt der Autor keine Entscheidung. Für das Gesamtdatum einer
Zusammenarbeitung der vier Bücher entscheidet er sich für einen
Zeitpunkt plus proche du retour de la capti-
v i t e, also offenbar um 400 v. Chr.

Die beiden Makkabäerbücher werden in gleicher Weise eingehend
behandelt, das erste, in hebräischer Sprache ursprünglich
verfaßt, soll kurz nach dem Tod des Johannes Hyrkanus (104
v. Chr.) veifaßt sein. Das zweite Makkabäerbuch, ursprünglich
griechisch geschrieben, soll noch vor 63 v. Chr. entstanden sein.
Der literarische Unterschied zwischen beiden wird klar herausgearbeitet
.

Auf diese Einleitungsabschnitte folgen eine Transkriptionstafel
für die Umschrift hebräischer Wörter sowie eine Erklärung
über die Behandlung der Eigennamen in der Transkription, ferner
eine chronologische Tafel zur Geschichte Israels und eine
Tafel über Längen-, Hohlmaße und Gewichte.

Das ganze Werk ist dankbar zu begrüßen. Hier ist ein
Kommentarwerk geleistet worden, das mit starker Benützung
der kritischen Forschung das Alte Testament als Literaturwerk
und als historische Urkunde erschließt. Es ist das reife, überschauende
Werk eines Gelehrten, der mit souveräner Beherrschung
der biblischen und außerbiblischen Quellen sein eigenes
Bild vom geschichtlichen Werden des Alten Testaments vorlegt.
Dem zweiten Band des Gesamtwerkes darf man daher mit großen
Erwartungen entgegensehen.

Leipzig Hans B a r d t k e