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Ausgabe:

1958 Nr. 5

Spalte:

387-390

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Titel/Untertitel:

Die Wahrheit des Christentums 1958

Rezensent:

Fritzsche, Hans-Georg

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387

Theologische Literaturzeitung 1958 Nr. 5

388

Riedmann, Alois, Prof. Dr.: Die Wahrheit des Christentums.
C: Die Wahrheit über Gott und sein Werk. 2. Aufl. XXV, 379 S.
DM 22.50. IL; Die Wahrheit über Christus. Ein religionsgesdiiditl.
Vergleich. 2. Aufl. XVI, 393 S. DM24.80. III.: Die Wahrheit über
die Kirche Jesu. XVI, 245 S. DM 18.50. IV.: Die Wahrheit über die
vier letzten Dinge. XVI, 342 S. DM21.80. gr. 8°. Freiburg/Br.: Herder
1952/56.

Das vorliegende Werk des 1954 verstorbenen Verfassers
stellt eine interessante Verbindung zwischen einer Dogmatik und
einer Apologetik dar. Es ist eine Dogmatik, die den Schwerpunkt
nicht auf intern-theologische Kontroversen legt (sich auch fast
jeder konfessionellen Polemik enthält), sondern dartun will,
„daß es sich in den Dogmen christlichen Glaubens ... nicht um
geringfügige, weitabgewandte, zeitunwichtige Meinungen müßiger
Theologengespräche handelt, sondern um Menschheitsfragen,
um deren Lösung sich die edelsten Geister in jahrtausendealter
Wissenschaftsentfaltung leidenschaftlich bemühten" (Bd. I,
p. VII). Daß die Dogmen des christlichen Glaubens auf jahrtausendealte
Fragestellungen zurückgehen, soll zugleich eine „geschichtliche
Rechtfertigung des Christentums" sein (I, p. VIII).

In allen Fremdreligionen (wie auch in fast allen vorchristlichen
Philosophien) will R. eine positive oder auch negative
Hinführung zu Christus sichtbar machen, und er strebt damit
(formal gesehen) etwas an, was die protestantische Theologie
noch kaum als Aufgabe empfunden hat, nämlich dies: die Re-
ligionö- und Philosophiegeschichte nicht nur interessanten Wissens
- und Bildungsstoff sein zu lassen, sondern sie .systematisch
' auszuwerten und in umfassender Weise Material einer
theologischen Konzeption werden zu lassen. In dieser grundsätzlichen
und formalen Hinsicht ist das Werk R.6 durchaus beispielgebend
. Aus dem religionsgeschichtlichen Lehrbuch und Kompendium
muß in der Tat eine irgendwie theologisch relevante
religionsgeschichtliche Konzeption werden. Nur im Hinblick
hierauf getrieben ist religionsgeschichtliche Forschung ein
sinnvolles theologisches Unternehmen. Und eine Ärgernis erregende
, zu doktrinäre und schematische, eine kurzum provozierende
Konzeption kann hierbei fruchtbarer sein als gar keine.
R.s Werk ist eine derartige. Jedenfalls wird man es in der Schule
Karl Barths als Skandalon empfinden. R. unternimmt es nämlich,
jene Grundthese der katholischen Theologie, daß dem christlichen
Glauben eine natürliche Religion des Menschen und der
Menschheit insgesamt als Vorhof zum Heiligtum zugeordnet sei,
am wissenschaftlichen Material unserer heutigen Religionsgeschichte
(wie auch der Philosophiegeschichte) umfassend durchzuführen
und zu belegen. Und der vielfach reichlich schematischen
Art, in der das geschieht (wenn z. B. die Religionen und
Philosophien auf die Rubriken Theismus und Atheismus verteilt
werden, s. bes. I, 5 ff.), wird sicher auch kein Vertreter der Alt-
haus'schen Ur-Offenbarungslehre zustimmen wollen. Aber jeder
protestantische Theologe sollte sich an R.s Werk (und an der
„zum Teil sogar begeisterten" Zustimmung, die es in der katholischen
Welt gefunden hat, s. I, p. X) klarmachen, daß die Konzeption
einer natürlichen Theologie nicht durch abstrakt dogmatische
Einsichten überwunden wird, sondern erst dann, wenn
diese dogmatischen Einsichten ihrerseits dazu imstande sind, die
Fülle des religionsgeschichtlichen Materials (statt es der Gleichgültigkeit
oder dem Kompendiumwissen anheimzugeben) theologisch
auszuwerten, d. h. theologisch relevant zu machen.

Ehe näher auf die einzelnen Bände eingegangen werden soll,
noch etwas anderes zur Gesamtcharakteristik des Werkes von
R.: Neben der religionsgeschichtlichen Basis spielt die theologische
Stellungnahme zur Naturwissenschaft eine wichtige Rolle.
Auch hier kann der protestantische Theologe zunächst — formal
gesehen — nur lernen. Wir dürfen dieses Feld (gerade heute)
thematisch nicht verlieren (setzt doch die Bibel selbst — Gen. 1 —
gerade mit dieser Materie ein). Nur darf das nicht darauf hinauskommen
, nun wieder .Apologetik' von den Fragestellungen des
ausgehenden 19. Jahrhunderts aus betreiben zu wollen. Leider
hat man bei R. verschiedentlich diesen Eindruck. Er schrieb noch
ganz im Banne der Mentalität der ersten Nachkriegsjahre, wo
man sich mancherorts von der Atomphysik die konstantinische
Wende im Verhältnis von Theologie und Naturwissenschaft versprach
. Indes wird weniger diese Verkennung der Lage bei der

Mehrzahl der Leser haften bleiben als einfach der Eindruck einer
Vielzahl interessanter Belehrungen über Kosmos, Erde und
Mensch, verbunden mit der Tatsache, daß es ein Theologe ist,
der hierüber so wohlinformiert zu unterrichten weiß.

Kennzeichnend für R.s religionsgeschichtliche Konzeption
ist der Satz: „Es ist für den Menschengeist überaus ehrenvoller,
sich in Grundfragen der Religion zu irren, als in völliger Erkaltung
überhaupt keine religiöse Frage mehr zu stellen" (I, S. 125).
Von diesem Standpunkt aus muß sich in der Tat dem Dogma-
tiker an der Religions- und Philosophiegeschichte die Aufgabe
stellen, eine umfassende Koalition gegen Atheismus, Materialismus
und Positivismus (s. I, S. 15) aufzubieten und hierbei apologetisch
auszuwerten, daß sich zu fast allen christlichen Aussagen
irgendwelche Parallelen oder Vorformen bei außerchristlichen
Denkern auffinden lassen. Besondere Aufmerksamkeit widmet
R. bei diesen Bemühungen der Religion der sog. Primitiven,
weil er die Ansicht vertritt, daß eine Entwicklung etwa folgender
Art zu konstatieren sei: das Ursprüngliche sei der Monotheismus
gewesen (nach der These von R.s Lehrer Wilhelm Schmidt
in: Ursprung der Gottesidee, 6 Bde., 1926—35), und heute —
nach dem Abfall in Polytheismus und Atheismus — setze sich
wiederum immer stärker der Glaube an Gott durch (was besonders
an Glaubenszeugnissen großer Naturwissenschaftler des 18.
und 19. Jahrhunderts belegt wird).

Es ist „die Hauptaufgabe dieser Apologie, nachzuweisen, wie der
Materialismus auf allen Gebieten menschlidier Forschung mehr und
mehr zurückweicht vor der Macht des Geistes, wie sie von Pionieren
neuzeitlidier Entdeckungsarbeiten immer eindringlicher verkündigt wird''
(I, P- VIII).

Mitunter (besonders im II. Band) erfährt die Methode des
religionsgeschichtlichen Unterbaues eine Variation in der Richtung
, daß die religionsgeschichtlichen Parallelen weniger als
Vorhalle und Vorstufe zu Christus verstanden werden denn als
Kontraste. Wenngleich prinzipiell daran festgehalten wird, daß
„Christus und das Christentum . . . zugleich die Kritik wie
auch die Vollendung von all dem bedeuten, wessen sich
der zu Gott veranlagte Menschengeist in seinem dunklen Drange
stets bewußt geblieben ist" (II, S. 382).

Als am eindrucksvollsten empfindet man (im II. Band) einige Gegenüberstellungen
, die das Wesen des christlichen Glaubens auf dem
Hintergrund konträrer Anschauungen sichtbar machen wollen. So wird
dem Buddhismus gegenüber der Optimismus Jesu betont (II, S. 224 ff.),
dem Taoismus gegenüber der Aktivismus Jesu (II, S. 242), und gegen
den Konfuzianismus (wie die chinesische Mentalität überhaupt) wird
geltend gemacht, daß hier der Begriff der Sünde fremd ist (II, S. 324).
Die Tatsache der Inkarnation als solcher wird dem Pantheismus gegenübergestellt
(II, S. 101) und der Kern des Gegensatzes zwischen Religion
(überhaupt!) und (nidit-diristlidi orientierter) Philosophie
darin gesehen, daß die letztere nur die Selbsterlösung kenne, wohingegen
die Religionen grundsätzlich eine Fremderlösung voraussetzten Ol,
S. 338). Ähnliche Gegenüberstellungen im IV. Band zur Frage der Deutung
des Todes.

Sosehr der protestantische Theologe R.s starkes Heranziehen
der Religionsgeschichte begrüßt (auch wenn er die apologetische
Tendenz in ihrer massiv-systematischen Art mit Besorgnis
beobachtet), so muß ihn doch andererseits mit Befremden berühren
, mit welcher Verständnislosigkeit R. der historisch-kritischen
Exegese gegenübersteht:

Er setzt sie im Grunde gleich mit der liberalen Theologie und
schreibt u.a.: sie, „die moderne historisch-kritische Theologie" habe
„seit mehr als 50 Jahren bis in die unmittelbare Gegenwart zwischen
sich und die positive Theologie der Protestanten eine tiefere Kluft
gerissen . . ., als sie zwischen Katholizismus und gläubigem Protestantismus
besteht" (II, S. 262). Zum Apostolicumstreit äußert R.: „Die
Kirche besaß jedoch nicht die Kraft, die Kritiker aus ihrer Mitte auszustoßen
" (II, S. 147). Inzwischen habe „vor allem die Kernphysik der
letzten zwanzig Jahre mit den Hindernissen für die Annahme des Wunders
gründlidi aufgeräumt" (II, S. 34).

Damit berühren wir den zweiten neuralgischen Punkt der
apologetischen Konzeption R.s: seine Begrüßung der heutigen
Naturwissenschaft als Bundesgenossen gegen den Materialismus
(und die Erneuerung der The6e: Kein Naturforscher ersten
Ranges sei Materialist bzw. Atheist gewesen, s. I, S. 135). Hier
gilt dasselbe, was zur religionsgeschichtlichen Arbeit R.s gesagt
werden muß: Solange referiert und informiert wird, kann man