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1958

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

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Neuerscheinungen

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Theologische Literatureeitung 1958 Nr. 5

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tritt. Abgesehen davon, daß es ohnehin stärker liturgisch-dogmatisch
gebunden ist, beschäftigen den katholischen Christen
jener Zeit Seligkeit und Verdammung mehr als der Jüngste Tag;
und das Einzelgericht über die Seele nach dem Tode ist ihm
wichtiger als das Weltgericht. Die katholischen Übertragungen
des Dies irae, die Korn sorgfältig und geschickt interpretiert,
beweisen, wie es ihren Verfassern um eine objektivierende
Schilderung des Ereignisses, das dem Dogma gemäß einmal eintreten
wird, geht, was die Voraussetzung für den epischen Stil
des katholischen Kirchenliedes ist. Es gestaltet das apokalyptische
Geschehen oft plastischer und anschaulicher als das evangelische
Kirchenlied, das das Thema des Jüngsten Tages lyrisch behandelt
und die eschatologische Spannung ausdrückt.

Im Bereich der Lyrik vornehmlich wurde das Thema vom
Jüngsten Tag auch in der übrigen Literatur des 17. Jahrhunderts
gestaltet. Korn weist zwar auf die große Zahl theologischer Traktate
über das Thema hin und charakterisiert cschatologisches
Prosa6chrifttum evangelischer wie katholischer Herkunft; doch
kann die Untersuchung hier nur zusammenfassend referieren und
muß aufs Ganze gesehen unergiebig bleiben ebenso wie im Hinblick
auf Roman, Epos und Drama. Da Roman und Epos im
17. Jahrhundert zu Gattungen weltlicher Dichtung geworden
und stofflich gebunden sind, ist von ihnen eine Gestaltung escha-
tologischer Thematik nicht zu erwarten, auch Hinweise sind
selten; lediglich Grimmelshausen geht auf sie gelegentlich ein.
Ein Schauspiel vom Jüngsten Tag ist im 17. Jahrhundert nicht
mehr geschrieben worden. Um so eindrucksvoller ist die Gestaltung
des Themas vom Jüngsten Tag bei den bedeutendsten deutschen
Lyrikern des Zeitalters, auf die Korn ausführlich eingeht.
Nachdem die neue Lyrik zu Beginn des 17. Jahrhunderts sich
auf einen rein weltlichen Stoffkreis bezogen hatte, waren allmählich
auch theologische Themen von ihr aufgenommen worden
, so schon bei Opitz. Das Motiv des Jüngsten Tages klingt
dann bei Fleming an, und zwar zunächst als poetisches Symbol
für die Nichtigkeit alles Irdischen. Für Logau jedoch ist es schon
echter Ausdruck unmittelbarer Enderwartung. „Der Jüngste Tag
ist nicht mehr weit", dies ist der Ton, auf den viele seiner Verse
gestimmt sind. Die umfassendste Gestaltung innerhalb der Barockdichtung
erfährt das Thema schließlich bei Gryphius, der die
vielseitigen Möglichkeiten, die es enthält, zur Entfaltung zu
bringen vermag. Der Jüngste Tag bedeutet in seiner Lyrik sowohl
einerseits das absolute Ende alles Irdischen (,die herrlich-
keit der erden / Muß rauch und asche werden') und kann in diesem
Sinne tiefste menschliche Verlorenheit und die Nichtigkeit
aller Werte sichtbar werden lassen (,0 nichts! o wahn! o träum!
worauf wir menschen bauen') wie anderseits die Offenbarung
der Herrlichkeit Christi (.Schau't! schau't! ihr Völker! schau't
die schweren wunderzeichen!'); entscheidend ist gleichzeitig der
Gerichtsgedanke. Gryphius vermag 6eine Kunst der Versgestaltung
und der Verwendung dichterischer Bilder im Dienste dieses
Themas meisterhaft zu verwirklichen; Inhalt und Form verbinden
sich zu überzeugender künstlerischer Einheit. Die Höhe, die
Gryphius hier erreicht, wird bei andern Dichtern des 17. Jahrhunderts
nicht noch einmal gewonnen, doch finden sich beachtliche
Gestaltungen des Themas in der Lyrik von Czepkos und
Dachs, und auch Harsdörffer und von Birken behandeln es. Im
späten 17. Jahrhundert tritt es bei den bedeutenderen Lyrikern
zurück. Dafür entstehen in dieser Zeit längere episierende Beschreibungen
des Jüngsten Gerichtes, und zwar im Zusammenhang
mit poetischen Betrachtungen der „letzten Dinge", weshalb
Korn sein Schlußkapitel den großen eschatologischen Predigtgedichten
des ausgehenden 17. Jahrhunderts widmet. Er zeigt
dabei die „Wendung vom lyrischen Ausdruck innerer Ergriffenheit
über die predigthafte Ausgestaltung des erwarteten Geschehens
zur poetischen Ausmalung eines dogmatisch vorgegebenen
Lehrstückes" und charakterisiert die Leistungen Schottels, Fein-
lers, Albinis, Plankenauers und Schefflers.

In seiner Zusammenfassung betont Korn, daß man sich in
der christlichen Überlieferung bei der Betrachtung des Themas
vom Jüngsten Tag schon früh lediglich darauf beschränkte, Christus
und die verlorene oder gerettete Menschheit gegenüberzustellen
, daß erst die Reformation wieder den Blick auf Gottes

heilsgeschichtliches Handeln am Menschen lenkte und das 17.
Jahrhundert das Erbe der Reformationszeit wieder verlor.

Nach einem Exkurs über die chiliastischen Bewegungen im
17. Jahrhundert gibt Korn noch einen kurzen Ausblick auf die
Folgen, die die Entwicklung der barocken Esdhatologie in der
Aufklärung des 18. Jahrhunderts hatte: nachdem die Entwertung
des Diesseits aufgegeben war, konnte sich der Glaube durchsetzen
, die Zukunft des Menschen liege auf dieser Erde, und der
Jüngste Tag verlor als Thema der Literatur seine Bedeutung.

Die sorgfältige und gründliche, solide Kenntnisse verwertende
Untersuchung von Korn schafft Voraussetzungen für Erkenntnisse
, die weit über ihren Rahmen hinausgehen. Haben
doch in der Wirklichkeit wie in der Literatur des 20. Jahrhunderts
der Gedanke des Gerichtes und die 7 Vorstellungen vom
Ende der Zeiten erneut Bedeutung gewonnen, so daß sich Analogien
zu dem von Korn behandelten Thema ergeben, denen
einmal nachzugehen sich lohnen müßte.

Greifswald Hildegard Emmel

K r a f t, Werner: Das Opfer. Gedanken über Shakespeare.
Eckart 27, 1957 S. 295—303.

Marcel, Gabriel: Die Idee des christlichen Dramas der Gegenwar:.
Eckart 27, 1957 S. 285—294.

Reissner, Hanns G.: Heinrich Heine an Eduard Gans: „Quand
meme . . ." Bemerkungen zu einem kürzlich gefundenen Heine-Brief.
Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte X, 1958 S. 44—50.

Zimmermann, Wolf-Dieter: Kritik des Herzens. Zum 50. Todestag
von Wilhelm Busch.
Die Zeichen der Zeit 12, 1958 S. 99—102.

PHILOSOPHIE UND RELIGIONSPHILOSOPHIE

Chevalier, Jacques: Histoire de la Pensee. I.: La pensee antique.
Paris: Flammarion [1955]. 761 S. 8°. ffr. 2.500.—.

Das Buch gibt eine umfassende Darstellung der griechischen
Philosophie, die als ausdrücklichste und bewußteste
Ausprägung des gesamten vorchristlichen Denkens dieses
überhaupt repräsentieren soll. (Der zweite Band des Gesamtwerks
„La pensee chretienne, des origines ä la fin du XVIe siecle" ist
1956 erschienen, der dritte unter dem Titel „La pensee moderne,
du XVIIe siecle ä nos jours" angekündigt). Die Beziehungen der
griechischen Philosophie zum heutigen, durch das Christentum
bestimmten Denken werden besonders hervorgehoben. Diese
Zusammenhänge ergeben sich aus der Kontinuität und Geschlossenheit
der Entwicklung des Denkens selbst: Der Prozeß
des menschlichen Denkens erscheint nämlich im einzelnen und im
ganzen als spiralenförmige Aufwärtsbewegung um eine Achse,
die auf Gott als die eigentliche Realität weist. Im großen ist
dabei die Umgestaltung und Bereicherung des griechischen Denkens
durch das christliche gemeint; die Entdeckung des eigentlichen
Seins hinter den Erscheinungen durch das menschliche Denken
und die Offenbarung Gottes bei den Menschen durch Christus
sollen einander entsprechen und zusammen das eine große
Ereignis in der Geschichte der Menschheit ausmachen. Von dieser
Einheit einer ,,philo6ophia perennis" her kann an der griechischen
Philosophie sowohl die einmalige grundlegende Leistung als auch
das gesehen werden, was — am christlichen Denken gemessen —
noch fehlt. Mit der wissenschaftlich an sich berechtigten und aufschlußreichen
, in gewissen Grenzen unumgänglichen Methode,
geistesgeschichtlich Früheres ex eventu mit Späterem zu vergleichen
, verbindet sich durch den persönlichen Standpunkt des Verfassers
eine Höherbewertung des Späteren; zunächst wäre jedoch
festzustellen, daß jeder Fortschritt des allgemeinen Bewußtseins
durch einen Verlust erkauft wird.

Die Darstellung selbst ist, wenn auch strenge philologische
Kritik und neue Entdeckungen im einzelnen fehlen, stets zuverlässig
aus den Quellen heraus gearbeitet. Jeder Abschnitt ist mit
einem für den Nichtfachmann wertvollen bibliographischen Anhang
verschen. Der Verf. verfährt in der üblichen doxographi-
schen Weise, erreicht aber durch gedankliche und literarische Gestaltungskraft
eine Übersichtlichkeit und Klarheit, wie sie bei
gleich vollständiger Materialdarbietung in den vorliegenden