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Ausgabe:

1958 Nr. 5

Spalte:

382-384

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Korn, Dietrich

Titel/Untertitel:

Das Thema des Jüngsten Tages in der deutschen Literatur des 17. Jahrhunderts 1958

Rezensent:

Emmel, Hildegard

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Theologische Literaturzeitung 1958 Nr. 5

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persönlichen Gewissensentscheidung eine Synthese eingehen, die voll
ungeheurer Spannungen ist" (22).

Ehe das 2. Buch „Im Bannkreis des deutschen Barock" den Leser
zur Lyrik hinführt, wird ihm ein Überblick über „Barock und Krieg''
geboten. Das ist bezeichnend für das ganze Werk: die Dichter und
ihre lyrischen Dichtungen werden nicht vereinzelt, sondern in das Gesamtgefüge
ihrer Zeit hineingestellt; daher also das für das Jahrhundert
des dreißigjährigen Krieges bezeichnende Einleitungsstück über
Barock und Krieg. Gerade hier im 17. Jahrhundert darf der Leser Dichter
kennen lernen, deren Namen er meist noch nie gehört, die aber in
ihrer Zeit von Bedeutung waren. Dann aber kommt ausführlich die
Mystik des deutschen Barock zu ihrem Recht (Fr. v. Spee, Angelus Si-
lesius, Quirinus Kuhlmann): Angelus Silesius wird sogar auf rund
20 Seiten abgehandelt.

Das 3. Buch „Im Spannungsfeld von Aufklärung und Pietismus"
— wie auch die Titelformulierungen der anderen Bücher (immer wieder
,,lm Bannkreis von. ..") — zeigt, daß es hier um Zeiträume und
Geistesbewegungen geht, die weder durch Jahreszahlen noch durch
Einzelnamen zu begrenzen sind. Das 4. Buch „Im Spannungsfeld von
Sturm und Drang und Klassik" bringt die Gipfel der neueren deutschen
Lyrik: von Klopstock über den Hainbund, zu Goethe, Schiller und
Hölderlin. Goethe erhält rund 70, Hölderlin fast 50 Seiten (schon in
dieser Äußerlichkeit des langen Hölderlin-Kapitels zeigt sich die neue
Schau dieses Dichters). Das 5. Buch führt in den Bannkreis der deutschen
Romantik, einem Hauptgebiet der Lyrik. Neu und überraschend wird
manchem sein, daß das 6. Buch mit rund 150 Seiten den Bannkreis des
deutschen Realismus zeigt: von der politischen Dichtung eines Hoffmann
von Fallersleben über G. Keller, Storni, C. F. Meyer bis zu Lilien-
cron, Dehmel und Arno Holz. Das 7. Buch — wohl das am schwierigsten
zu schreibende — umfaßt die neueste Zeit und ist überschrieben:
„Erneuerung und Verwandlung des klassisch - romantischen Erbes' .
Dadurch stellt der Verfasser die verpflichtende Verbindung mit dem
Erbe her, das in einer so chaotischen Zeit wie der unseren vor allem
zv. beachten den Verantwortlichen aufgetragen ist.

Das Gute an dieser umfassenden Zusammenschau ist, daß hier
nicht in Allgemeinplätzen geredet wird, sondern zahlreiche Gedichte
werden genau untersucht (werden überhaupt textlich dargeboten, in
welch großer Zahl!), so daß wir, dem Gedicht in seiner Eigenart nachsinnend
, selbst hilfreiche Belehrung über die Eigenart lyrischer Dichtung
empfangen. Darauf seien alle jene gewiesen, die selbst sich dichterisch
versuchen. Dem Kundigen ist gar nicht wohl, daß heutzutage
soviel christliche Reime geschmiedet werden und ihren Weg in die
Gesangbücher hinein suchen, obwohl ihre Verfasser nicht einmal die
grundlegende Entdeckung eines Opitz verstanden haben: daß im
Deutschen die vom Metrum als betont geforderte Silbe zugleich im
Worte selbst eine betonte Silbe sein muß. Wir sollten hier noch schärfer
darüber wachen, daß nicht mehr im Meistersängerton gereimt werde.

3. Das vorliegende Werk ist schließlich noch darin bedeutsam
für uns, und das rechtfertigt diese ausführliche Anzeige,
daß es — wohl zum ersten Mal in dieser Weise — dem e v a n
gelischen Kirchenlied gerecht zu werden versucht.
Dies ist zunächst historisch gemeint: bei jeder Epoche wird aufgezeigt
, was in ihr das ev. Kirchenlied geleistet hat. Es ist verständlich
, daß hier vor allem die ersten drei Bücher in Frage
kommen. Der letzte Abschnitt dieser Art ist der letzte Teil des
3. Buches: „Das geistliche Lied zwischen Aufklärung und Pietismus
". Danach ist die echte Kirchenlieddichtung so gut wie erloschen
, bis sie erst in unserer Zeit neu erwacht ist. Die religiöse
Lyrik, die einen weiteren Bereich als das Kirchenlied umfaßt,
wird überall gewürdigt, wo sie dem geschichtlichen Blick begegnet
. Zwischen allgemein-religiöser Lyrik und ev. Kirchenlied
steht die christliche Lyrik, die aber im 19. Jahrhundert gleichfalls
keine besondere Blütezeit hatte. Solange wir noch keine
eigene Darstellung der Geschichte der evangelischen Kirchenlied-
Dichtung haben — und zwar aus der Sicht der Dichtung heraus
geschrieben —, wird das vorliegende Werk wohl das einzige bleiben
, das uns auch in dieser Hinsicht unterrichtet.

Bei der Fülle des Stoffes kann natürlich nicht ausbleiben,
daß der Rezensent zum Schluß noch Wünsche anmeldet.

So hat man den Eindruck, Tersteegen und Geliert seien zu kurz
weggekommen. Verdanken wir diesen beiden Dichtern doch auch gerade
geistlich nicht wenig I Tersteegen wird zwar auf etwas mehr als einer
Seite dargestellt (Bert Brecht dagegen erhält 7 Seiten und schließt das
Werk ab!), aber es ist doch zu fragen, ob das kurze Stück S. 230/31
dem Dichter Genüge tut, von dem kein Geringerer als der viel zu
früh verstorbene Richard Newald im 5. Bande seiner großangelegten
„Geschichte der deutschen Literatur", in der zum ersten Mal eingehend
auch der christliche Anteil dargestellt wird, auf S. 441 bemerkt:

„Tersteegen ist einer der bedeutendsten geistlichen Dichter, in dessen
Werk sich tiefe Gläubigkeit mit Formvollendung und klarer Durchsichtigkeit
verbinden" (statt „Gläubigkeit" sollte jedoch „Glaube"
gesagt werden). Vor allem hätten auch seine Epigramme behandelt
werden müssen. — Geliert erhält zwar auch eine Seite, gleich auf
Tersteegen folgend. Wer aber die Studie von Karl Kindt in seinem
leider vergriffenen Buche „Geisteskampf um Christus" (1938, S. 44—65)
kennt, wird doch dem frommen Dichter des 18. Jahrhunderts ein noch
größeres Gewicht geben.

Eigentlich ist solch eine umfassende geschichtliche Darstellung
eine fast übermenschliche Leistung. Denn wo wäre der Forscher, der
allem gerecht werden könnte? Müßte er nicht, im Blick auf die geistliche
Dichtung, selbst etwas von Mystik erfahren haben; müßte er
nicht sogar der Meditation (im exakten Sinn des Wortes) fähig sein,
um die inneren Wege derer nachzuschreiten, die auf ihnen ihre Gedichte
und Lieder geschaut und gestaltet haben? Eine gute Hilfe für
jegliche wissenschaftliche Arbeit am ev. Kirchenlied wäre, die ausgezeichnete
und in ihrer Art einzigartige Studie von Johannes Pfeiffer
aufmerksam zu bedenken, die er in seinem Sammelbande „Zwischen
Dichtung und Philosophie" (1947) über „Das geistliche Lied" vorgelegt
hat (S. 177-185).

Was unsere Zeit angeht, so genügt es nicht, in nur einem Satz
bloß darauf hinzuweisen, daß Rud. AI. Schröder mit Jochen Klepper
und ^ anderen „die Wiedergeburt des Kirchenlieds vom lutherischen
Typ ' (S. 832) bestimmt haben. Es sei auch nicht vergessen, was Gertrud
von Lefort in ihren „Hymnen an die Kirche" uns allen gegeben
nat (auch wenn wir ev. Christen statt „Kirche" meist „Christus"
setzen). Dieser Hinweis ist nicht nur geistlich, er ist auch sprachlich
gemeint.

Bei einer wünschenswerten Neuauflage sollte dem Werk ein Register
beigegeben werden.

Künzelsau Friso M e 1 z e r

Korn, Dietrich: Das Thema des Jüngsten Tages in der deutschen Literatur
des 17. Jahrhunderts. Tübingen: Niemeyer 1957. 143 S. gr. 8°.
Kart. DM 12.-.

Indem Dietrich Korn sorgfältig zwischen den im 17. Jahrhundert
von zahlreichen Strömungen getragenen chiliastischen
Vorstellungen und dem in der Literatur behandelten Thema vom
Jüngsten Tag unterscheidet, gewinnt er eine klare Linie für seine
Untersuchung sowie die Möglichkeit einer sinnvollen Ordnung
für das reiche Material, das er zusammentrug. Er geht aus von
den Enderwartungen in den lutherischen Gemeinden zu Beginn
des 17. Jahrhunderts, in denen die eschatologische Erregung der
Reformationszeit in mannigfachen Formen fortlebte und Luthers
Endzeitbewußtsein 6ich noch auswirkte. An Hand des evangelischen
Kirchenliedes zeigt er, wie der Gedanke vom Jüngsten
Tag sich im Bereich der lutherischen Dichtung im Laufe des
17. Jahrhunderts wandelt. Obwohl der Jüngste Tag zu Anfang
des Jahrhunderts noch wie in der Reformationszeit als großer
Tag erhofft wird, sind die Erwartungen der Gläubigen — wie
die zusammengetragenen Beispiele beweisen — nicht mehr in
gleichem Maße wie bei Luther auf die Offenbarung des Gottesreiches
gerichtet, sondern vielmehr auf die Erlösung von der
Welt. Schon im Zusammenhang mit diesem Wandel hatte sich
eine Individualisierung des eschatologischen Denkens vollzogen,
und der Dualismus von Leib und Seele war als bestimmend
empfunden worden. In der Folgezeit konzentriert sich die Erlösungssehnsucht
auf die Todesstunde, so daß sowohl das Auferstehungsmotiv
wie der Gedanke an den Jüngsten Tag als Tag,
an dem die Herrlichkeit Gottes anbrechen würde, zurücktreten
. Der Jüngste Tag erscheint als Gerichtstag und als Stunde
der Rache, weshalb nun mehr vom Jüngsten Gericht als vom
Jüngsten Tag gesprochen wird, was bis heute im Sprachgebrauch
nachwirkt. Dennoch bleibt der Grundton des evangelischen
Kirchenliedes von der Hoffnung auf Erlösung und der Gewißheit
der Errettung bestimmt. Dies bezeugen die Lieder von Johann
Heermann, Paul Gerhardt und Ahasverus Fritsch. Der Pietismus
schließlich bringt eine Erneuerung reformatorischer Vorstellungen
, so daß am Ende des Jahrhunderts die Freude über den
Triumph Christi noch einmal Ausdruck eschatologischer Erwartungen
sein kann.

Von dieser dem Wesen der Sache entsprechenden Entwicklung
hebt Korn die Eigenheiten des katholischen Kirchenliedes
im 17. Jahrhundert ab, in dem im Gegensatz zum evangelischen
der Gedanke des Jüngsten Tages im allgemeinen mehr zurück-