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Ausgabe:

1958

Spalte:

368-369

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Titel/Untertitel:

Das Münster Unserer Lieben Frau zu Konstanz 1958

Rezensent:

Lehmann, Edgar

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nach einem der Evangelisten durchgepredigt; das Verzeichnis
sämtlicher Predigten Luthers in WA 22 enthält auch unter den
dort aufgeführten zahlreichen textlosen Predigten keine einzige
und keine Reihe, die als Bußpredigt oder Bußpredigten bezeichnet
wären.

Wir sind damit schon etwas über das formal Verbindliche
und Freundliche an Brenzens Sprache, das Luther so anerkennend
hervorhebt, hinaus gegangen zu einem gewissen Vergleich des
Inhalts der Verkündigung. Auch hier bestehen neben starken
Gemeinsamkeiten doch auch gewisse Unterschiede in Geist und
Temperatur der beiderseitigen Predigten. Die 3 Predigten vom
Leiden und Sterben Christi, die S. 92—124 zu lesen stehen, haben
gewiß große Ähnlichkeit mit den zahlreichen Predigten Luthers
, in denen er von Ursach und Nutzen der Passion spricht.
Besonders schlicht und klar die erste dieser 3 Prdigten, die als
die 3 Hauptursachen, deretwegen Christus litt, aufführt, erstens
„daß er will die Schrift erfüllen" (S. 95), zweitens, „daß er dem
ganzen menschlichen Geschlecht seinen guten geneigten Willen
und gegenwärtige Gnad in allem Unglück und Widerwärtigkeit
zu erkennen gebe" (S. 100), drittens, „daß Gott wahrhaftig wäre"
(S. 102) und die Sünde nicht ungebüßt dahingehen läßt. Immerhin,
man hat doch auch hier den Eindruck, daß der Ton des Ganzen
gegenüber Luther etwas herabgestimmt ist. Bei Luther überragt
doch der in der Passion stattfindende Kampf mit Gesetz, Sünde,
Tod und Teufel all die von Brenz genannten Gesichtspunkte
bzw. ordnet sie sich ein und unter. Brenz ist etwas vordergründiger
auf die fromme Verständlichkeit und Anwendbarkeit der
Sache eingestellt. Die Beziehung zwischen Christi Passion und
unserm „Unglück und Widerwärtigkeit" kommt ihm schneller in
den Sinn als Luther; siehe z. B. das schöne Wort S. 200: „wie er
einmal ein Karfreitag gehabt, darauf der Ostertag ist gefolget,
also hat er erlangt und zuwege gebracht, daß die ganze Zeit uns-
rer Anfechtung zu einem Karfreitag geweihet ist, darauf gewißlich
auch der Ostertag folgen solle". Luther jedoch betont in
diesem Zusammenhang immer zuerst und am stärksten: „menge
deine Passion und Christi Passion nicht ineinander, laß dein Leiden
ein irdisch Leiden 6ein, ein Werk der Züchtigung, Christi
Leiden aber ein himmlisch Leiden, ein Werk der Rechtfertigung",
„menge deine Passion und Christi Passion nicht ineinander, sondern
unterscheide sie wie Himmel und Erde, Gold und Dreck"
(meine Evangelienauslegung Luthers V, 82 f.).

Ähnlich geht es einem, wenn man Osterpredigten von Brenz
und solche von Luther miteinander vergleicht. Ich habe z. B. die
in der Bizerschen Ausgabe S. 138—152 dargebotenen Brenzpredigten
über Luk. 24, 13—35 mit denjenigen Luthers über denselben
Text verglichen, die in meiner Evangelienauslegung Luthers
V, 276—284 stehen. Brenz stellt die zwei Emmausjünger
als solche hin, die mehr oder weniger kaltherzig nach Christi
Kreuzigung „ihrem Gewerb und Handel nachgingen, auch sich
nichts anfechten ließen, wie es mit Christo stünde" (S. 140), er
hebt stark heraus ihren großen Irrtum, ihren Unglauben und ihren
Unfleiß (S. 142); aus dem Passus, wie Christus ihnen Mose und
die Propheten von der Passion und Herrlichkeit auslegt, hebt
Brenz die allgemeine Lehre hervor: „neben diesem will uns der
Herr Christus auch die heilige Schrift befohlen und uns angezeigt
haben, in was großem Ansehen und Würde wir sie halten sollen
" (S. 143). Um bei Luther das Entsprechende daneben zu halten
, so spricht er nicht vom Abfall, Irrtum und Unfleiß der
Emmausjünger, sondern vielmehr positiv davon, daß, wenn man
von Christus spricht wie die 6ich unterhaltenden Jünger, er selber
in der Nähe ist; ferner zeichnet er mit psychologischer Feinheit
die traurige Stimmung der Jünger, denn wie der Mensch in
seinem Herzen gesinnt ist, so sehe er auch Gott und die Welt;
und endlich hebt er nicht auf die allgemeine Bedeutung der Schrift
ab, sondern konkret auf deren „Hauptverstand", nämlich Passion
und Herrlichkeit. Wie viel freier, frischer, großzügiger und konkreter
ist Luthers Gespräch mit dem Text! Man hat bei Brenz
doch den Eindruck, daß das Ganze eine beträchtliche Nüance weniger
unmittelbare Textbegegnung ist und mehr Übersetzung ins
Schulmeisterliche und Kleinbürgerliche und in die etwas zu
schnelle Nutzanwendung. Es ist wohl kein Zufall, daß Hermelink
in seiner schon erwähnten feinsinnigen Studie über Brenz von

einer unverkennbaren Wendung zum Moralistischen, namentlich
beim späteren Brenz, spricht.

Diese Hinweise machen natürlich keineswegs den Anspruch,
einen erschöpfenden Eindruck von dem vorliegenden Predigtbüchlein
von Brenz gegeben zu haben. Sie möchten vielmehr mit
Dankbarkeit ausdrücken, daß in der Tat der Vergleich der Brenzischen
Predigt mit derjenigen Luthers lehrreich ist. Es ist sicher
auch möglich, die Gemeinsamkeiten zwischen beiden Predigern
noch stärker zu belegen, als dies hier geschehen ist.

Möge das Büchlein viele Leser namentlich auch unter den
jungen Theologen finden, die predigen lernen. Denn dazu, schlicht
verständlich und behältlich zu predigen, woran es unsrer heutigen
Predigt weithin so sehr mangelt, könnte es wertvolle Hilfe geben.

Wuppertal Erwin Mülhaupt

GESCHICHTE DER CHRISTLICHEN KUNST

Reiners, Heribert: Das Münster unserer lieben Frau zu Konstanz.

Konstanz: Kommissionsverlag Jan Thorbecke [1955]. XII, 607 S.
506 Abb., 11 Taf. 4° = Die Kunstdenkmäler Südbadens, hrsg. v.
d. Staad. Denkmalpflege, 1. Lw. DM 34.—.
Reiners-Ernst, Elisabeth, Dr.: Regestcn zur Bau- und Kunstgeschichte
des Münsters zu Konstanz. Lindau u. Konstanz: Kommissionsverlag
Jan Thorbecke 19 56. XVI, 187 S. gr. 8° = Schriften des
Vereins für Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung. Sonderheft
.

1887 erschien der erste Band des amtlichen badischen Denkmälerinventars
, das den Kreis Konstanz, einschließlich von Stadt
und Münster, umfaßte und keinen geringeren als Franz Xaver
Kraus zum Verfasser hatte. Leider konnte der verdiente Gelehrte
die badische Inventarisation nicht bis zu ihrem Abschluß betreuen.
Sie wurde nach seinem Tode (1901) nur stockend weitergeführt
und war noch nicht vollendet, als nach dem 2. Weltkrieg der
badische Staat aufgeteilt wurde. Wohl infolge dieser Teilung
wurde mit dem vorliegenden Band von H. Reiners eine neue
Inventarisationsreihe begonnen. Ob e6 glücklich war, diese wiederum
mit Konstanz einsetzen zu lassen, anstatt die Kräfte zunächst
zur Schließung der Lücken (Stadt Freiburg i. B.f) zu verwenden
, mag man bezweifeln, ebenso, ob die Ausweitung der
Aufgabe eines Inventars zu einer umfassenden Baumonographic
grundsätzlich richtig ist. Aber von solchen allgemeinen Überlegungen
abgesehen wird man es dankbar begrüßen, daß ein so
wichtiges und reich ausgestattetes Bauganzes wie das Konstanzer
Münster in neuer eingehender Bearbeitung vorliegt. Von der
Gründlichkeit des Vorgehens legt die Tatsache beredtes Zeugnis
ab, daß die Frau des Verf.s, E. R e i n e r s - E r n s t, die schriftlichen
Quellen zur Bau- und Kunstgeschichte völlig neu durchgearbeitet
hat und in Regestenform etwa gleichzeitig mit dem
Inventarband der Öffentlichkeit zur bequemen Benutzung vorlegen
konnte. Die hohe Bedeutung einer solchen Quellensammlung
für weite Bezirke der Kunstgeschichte braucht nicht besonders
betont zu werden. Im übrigen entzieht sich diese rein historische
Arbeit der Beurteilungskompetenz de6 Rez. Der Verf. hat
daraus eine Fülle wertvoller Einzelheiten für die Geschichte des
Baues und seiner Ausstattung entnehmen und manchen alteingewurzelten
Irrtum berichtigen können. Von besonderer Wichtigkeit
im Bereiche der Ausstattung sind die Feststellungen des
Verf.s zu Nicolaus Gerhaert und seinen Beziehungen zum Konstanzer
Domkapitel, wonach das von Gerhaert gelieferte hölzerne
Altarretabel eine silberne Schutzmantelmadonna als Hauptfigur
umschloß, während der Vertrag zur Herstellung des Chorgestühls
wieder gelöst wurde, ehe der Künstler etwa6 Erfaßbares
dafür geleistet hatte. Daß der Band mit gleicher Liebe Bau und
Umgebung, plastische und malerische Ausstattung, Schatz und
Bibliothek, Siegel und Glocken und auch besonders eingehend
die Steinmetzzeichen behandelt, mag die riesige Arbeitsleistung
bezeichnen, die hier zu bewältigen war.

Wenn trotz aller dieser Vorzüge, zu der noch eine ausgezeichnete
Ausstattung hinzutritt, der Rez. gegenüber dem Band
große Reserven behält, so liegt das im Grunde an den gleichen
Ursachen, die K. Hecht 1956 im „Münster" (Jg. 9, S. 229/32^