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Ausgabe:

1958 Nr. 5

Spalte:

362-364

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Baar, P. A. van

Titel/Untertitel:

Die kirchliche Lehre der Translatio Imperii Romani bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts 1958

Rezensent:

Grundmann, Herbert

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Theologische Literaturzeitung 1958 Nr. 5

362

KIRCHENGESCHICHTE: MITTELALTER

Duns Scotus, Joannis, Dr. O. F. M.: Opera Omnia. Jussu et aucto-
ritate Rmi. P. Augustini Sepinski. Studio et cura Commissionis
Scotisticae ad fidem codicum edita, praeside P. Carolo Balic. —
IV. Ordinatio. Uber Primus a distinctione quarta ad decimam. X,
48*, 442 S. 2°.

.Extractum': Adnotationes ad nonnullas Quaestiones circa Ordinationen
! L Duns Scoti. IV, 48* S. 2°. Civitas Vaticana: Typis Poly-
glottis Vaticanifi 1956.

Der vorliegende vierte Band der kritischen Ausgabe der
Werke des Duns Scotus enthält die den Grundfragen der Trini-
tätslehre gewidmeten Quaestionen über die göttliche Einheit in
der Dreiheit, die Zeugung des Sohnes, den Hervorgang des Geistes
, ferner die für die Gesamtkonzeption des .doctor subtilis'
so wichtigen Quaestionen über die Einfachheit und Unveränder-
lichkeit Gottes zu dist. 8 des ersten Sentenzenbuches. Dieser neue
Band ist nach den gleichen Grundsätzen gestaltet und weist die
gleichen großen editionstechnischen Vorzüge auf wie die zuvor
erschienenen Bände der Ausgabe (s. ThLZ 1956, 550—52). Von
der Fülle der in den früheren Bänden berücksichtigten Hss sind,
um eine übersichtlichere Gestaltung des Apparates für die Lesarten
und des Appendix B zu ermöglichen, vier weniger wichtige
ausgeschieden worden. Auch der vorliegende Band enthält eine
große Zahl von oft erstmals edierten handschriftlichen Anmerkungen
des Duns Scotus zum Manuskript 6eines Sentenzenkommentars
. Darunter befinden sich einige, die neues Licht auf wichtige
Lehren des Franziskanerlehrers werfen, so der Abschnitt 19
zu dist. 5 pars 1 (p. 18 f.), wo Zusammenhänge der berühmten
.distinctio formalis' mit der Abstraktionslehre berührt werden,
oder die zahlreichen Ergänzungen zu dist. 8, 1 q. 3, welche manches
an den schwierigen Ausführungen über die Univokation von
auf Gott und Kreatur angewendeten Begriffen verständlicher
werden lassen.

Die Herausgeber haben diesem Bande eine auch separat erschienene
Abhandlung (s. o.) beigefügt, die für die Scotusfor-
schung und darüber hinaus für die Literaturgeschichte der Zeit
um 1300 von großer Bedeutung ist. Die Untersuchung geht davon
aus, daß Duns Scotus in einer Randbemerkung zu Beginn
der dist. 4 auf eine „quaestio cantabrigiensis" verweist, die an
dieser Stelle — mit den Argumenten zur selben Frage aus der Pariser
Vorlesung verbunden — in den Text der Ordinatio eingefügt
werden sollte. Nun ist es durch das „explicit" einer alten
Handschrift der Ordinatio bezeugt, daß Duns außer in Oxford
und in Paris auch in Canterbury gelehrt hat. Der Hinweis zu
Ord. I dist. 4 bezieht sich offenbar auf diese bisher verschollene,
zu Canterbury gehaltene Vorlesung. Der Umstand, daß Duns in
seinem Hinweis auch den Inhalt der betr. Quaestion stichwortartig
andeutet, hat es nun der Scotuskommission ermöglicht, eine
Nachschrift der Vorlesung zu identifizieren. Unter allen Nachschriften
von Sentenzenvorlesungen des Duns Scotus, die in sieben
verschiedenen Formen überliefert sind, gibt es nur zwei Fassungen
, bei denen der Inhalt der Ausführungen zu I dist. 4 dem
in der Ordinatio angegebenen Stichwort in etwa entspricht. Eine
dieser beiden Fassungen, die in einem Manuskript der Stadtbibliothek
zu Todi erhalten ist (cod. 12 bibl. comm. Tudertinae),
ist wohl eine Nachschrift der zu Canterbury gehaltenen Sentenzenvorlesung
. Die andere Fassung (Cod. Vat. lat. 13687) enthält
offenbar eine Art Kommentar eines anderen Autors zu jener
Vorlesung des Duns Scotus über das erste Sentenzenbuch: Duns
wird hier wiederholt namentlich zitiert, und der Autor gibt die
scotischen Lehren nicht nur wieder, sondern weicht gelegentlich
auch ausdrücklich von ihnen ab. Dem bewunderungswürdigen
Scharfsinn der Gelehrten der Scotuskommission ist es nun gelungen
, auch den Namen dieses Autors mit größter Wahrscheinlichkeit
zu ermitteln: Heinrich von Harcley, ein Zeitgenosse des
Duns Scotus, 1312 Kanzler der Universität Oxford, gest. 1317
(vgl. F. Pelster, Heinr. v. H., in: Miscellanea Fr. Ehrle I, Rom
1923, 308 ff.). Von diesem Autor waren bisher (durch Pelster)
nur Quaestiones ordinariae bekannt, nicht hingegen sein Sentenzenkommentar
. Durch einen eingehenden Vergleich zwischen
diesen Quaestionen und dem im Cod. Vat. lat. 13687 erhaltenen

Kommentar zum ersten Sentenzenbuch kommt die Scotuskommission
zu dem überzeugenden Ergebnis, daß es sich hier um das
erste Buch des lange gesuchten Sentenzenkommentars Heinrichs
handeln muß. Darüber hinaus gelingt der Nachweis, daß im Cod.
Vat. Borgh. 346 das zweite Buch des Sentenzenkommentars Heinrichs
von Harcley erhalten ist. Die Identität des bisher anonymen
Autors des letzteren Werkes mit Heinrich wird durch die
Übereinstimmung des Stils und besonders der eigentümlichen
Weise, Duns Scotus zu zitieren, mit Buch I des Cod. Vat. lat.
13687 begründet, ferner durch das Zeugnis des Dominikaners
Crafthorn und vor allem durch Verweise in den Quaestionen
Heinrichs auf den Sentenzenkommentar und umgekehrt. Die Abfassung
des Kommentars — mindestens des ersten Buches — ist
früher als die der Quaestionen anzusetzen. Im Anschluß an diese
überaus sorgfältigen und für die Scholastikforschung bedeutsamen
Darlegungen wird die literarische Abhängigkeit des Scotus-
schülers Alfred Gonterus von Heinrich nachgewiesen. Duns selbst
zitiert, soweit bisher festgestellt werden konnte, Heinrich von
Harcley nur an einer Stelle mit Sicherheit (Ord. I d. 2 n. 242, II
274, 4; die in Band II der Ausgabe an dieser Stelle gebotene Auflösung
der betr. verschiedenartigen Siglen durch „articulos Can-
tuarienses" wird jetzt p. 29*sqq. durch „Ardey, Cantabrigiae"
ersetzt). Obwohl die Scotushandschriften noch an sieben anderen
Stellen ähnliche Siglen bieten, beziehen sie sich nach Auffassung
der Scotuskommission in diesen anderen Fällen nicht auf Harcley.
Die Ausführungen zu dieser Frage geben dem Leser einen Begriff
davon, mit welchen Schwierigkeiten die Editoren bei der Synthese
und Deutung der überlieferten Textlesarten bisweilen zu
ringen haben. Der Art, wie diese Schwierigkeiten im vorliegenden
Falle gemeistert und zum Ausgangspunkt der Identifizierung
neuer Texte, sowie der Gewinnung neuer Aufschlüsse über die
scholastische Literatur um 1300 gemacht wurden, wird man
höchste Anerkennung zollen dürfen.

Heidelberg W. Pannenberg

Baar, A. van den, P.: Die kirchliche Lehre der Translatio imperii
Romani bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts. Rom: Libreria Editrice
della Pontificia Universita "Gregoriana 1956. XXI, 153 S. gr. 8° =
Analecta Gregoriana LXXVIII: Series Facultatis Historiae Eccle-
siasticae Sectio B (n. 12).

Friedrich Kempf S. J. hat in seinem Buch über „Papsttum
und Kaisertum bei Innocenz III." (1954) S. 67 ff. bereits auf die
Ergebnisse dieser 6eit 1953 vorliegenden Dissertation seines
Schülers Piet van den Baar hingewiesen, deren nachträglicher
Druck also kaum noch große Überraschungen bringen kann. Bemerkenswerte
neue Aufschlüsse gibt am ehesten die kanonistische
Literatur zwischen Alexander III. und Innocenz IV., die der Verf.
mehr als bisher für dieses Thema auswertet. Im übrigen sichtet
er die zumeist bekannten Zeugnisse der Translatio-Idee seit der
Karolingerzeit unter ausdrücklicher Beschränkung auf die kirchliche
Translations-Lehre, wonach der Papst kraft apostolischer
Autorität das römische Imperium von den Griechen auf die Franken
und Deutschen übertragen hat — und darüber auch weiterhin
verfügen kann — zur Verteidigung der Kirche, der Christenheit.
Der Verf. weiß natürlich so gut wie 6ein Lehrer, daß es daneben
immer auch andere Auffassungen der Translatio Imperii gab,
kaiserliche bzw. fränkisch-deutsche und stadtrömische; aber er
beachtet sie nur, „insoweit sie irgendeine Bedeutung für diese
kirchliche Idee haben", die erst bei Innocenz III. voll ausgebildet
ist. Für dessen politisch höchst wirksam gewordene, ins Kirchenrecht
eingegangene Translations-Lehre wird hier also gleichsam
die Vorgeschichte geschrieben und ihre hierokratische Weiterbildung
bis 1250 verfolgt. Dabei verfällt der Verf. nicht in den
Fehler, sie möglichst weit zurückzudatieren, wie es oft geschah.
Er betont vielmehr mit Recht, daß sich noch im Investiturstreit
und bei Gregor VII., auch bei Gratian und den frühen Dekre-
tisten höchstens Ansätze und Voraussetzungen dazu finden, aber
keine bewußt formulierte Theorie. Kein Papst hat politischen
Gebrauch von ihr gemacht vor Innocenz III., wenn er die Elemente
seiner Lehre auch schon vorfand, bei einzelnen wenig
älteren Kanonisten auch in ähnlicher Kombination. Kempf
(S. 75 f.) bezeichnete es geradezu als „originellen Einfall Innocenz
' III., sein Eingreifen in den deutschen Thronstreit nicht nur