Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1958 Nr. 5

Spalte:

352-353

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Gils, Félix

Titel/Untertitel:

Jésus prophète 1958

Rezensent:

Conzelmann, Hans

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

351

Theologische Literaturzeitung 1958 Nr. 5

352

eine halachische Bestimmung, die Jesu Stellungnahme nach rabbi-
nischen Maßstäben erst das volle Gewicht verlieh: Num. 28, 9.

Luk. 16, 16—18 (Violence to the Kingdom, B. The Con-
text S. 294—300): Die Aufeinanderfolge dieser drei Verse ist
ein altes Problem. Dabei können wir von D.s Erwägungen über
die Versfolge 16/17 absehen, weil hier die Feststellung genügt,
daß wir einen Stichwortzusammenhang (vox: vofiog) vor uns haben
. Das Problem ist die Versfolge 17/18. Welcher Zusammenhang
besteht zwischen der Aussage, daß auch kein Häkdien vom
Gesetz hinfällt (V. 17), und der anderen, daß Scheidung (bzw.
Heirat einer Geschiedenen) Ehebruch ist (V. 18)? D. antwortet
mit dem Hinweis darauf, daß ein verwandter Zusammenhang
j. Sanh. 20c; Ex. r. zu 6, 2 vorliegt. Dort erzählt R. Schim'on ben
Jochai (um 150) die Geschichte, wie das Buch Deuteronomium
sich vor Gott über den König Salomo beklagt, weil er ein Jod in
Dt. 17, 17 beseitigt und auf diese Weise aus dem Verbot der
Polygamie (1' jrbh) ein Gebot der Polygamie (l'rbh) gemacht
habe. Aus Damaskusschrift 7, 1 ff. folgert D. weiter, daß Dt.
17, 17 schon viel früher im Kampf gegen Polygamie und wahrscheinlich
auch gegen Wiederheirat nach Scheidung benutzt worden
sei. D.s These, daß der Zusammenhang zwischen Luk. 16, 17
und 16, 18 klar werde, wenn V. 17 an eine bestimmte Schriftstelle
, nämlich Dt. 17, 17, gedacht 6ei, scheint mir ernster Erwägung
wert.

Luk. 18,6 f. (Violence to the Kingdom, A. The Saying
S. 28 5—294, hier S. 290): Gegen die seit Jülicher geäußerte Ansicht
, daß V. 6 f. ein Zusatz zu dem Gleichnis sei, spricht die
Beobachtung, daß Jesus hier ein in verschiedener Formulierung
umlaufendes Sprichwort benutzt: „Der Unverschämte besiegt den
Bösen, wieviel mehr den Allgütigen der Welt" (Pesiqta de Rab
Kahana 161a, vgl. Billerbeck I, S. 456 unter r).

Joh. 4, 9b (Samaritan Women S. 373—382) ab ydg avyxQcov-
rm 'Iovddioi 2a/uaphaig: Die übliche Übersetzung „denn die
Juden haben keinen freundschaftlichen Verkehr mit den Sama-
ritanern" ist nach D. unzutreffend. Jedenfalls liegt an keiner der
drei von Liddell-Scott, A Greek-English Lexicon, New Edition,
Oxford 1940, s. v. ovyxodojuai, angeführten Belegstellen die
Bedeutung „to associate on friendly terms, to be familiär,
to be intimate" vor. Vielmehr ist Joh. 4, 9 das ovv in
ovyxQaofiai betont und mit dem Dativ Saßagiraig zu verbinden
: „Die Juden benutzen nicht (Trinkgefäße) zusammen mit
den Samaritanern." Nun ist zwar die Bestimmung, daß die Sama-
ritanerinnen von der Wiege an mit der Unreinheit der nidda
behaftet seien (Nidda 4, 1) und deshalb jedes Trinkgefäß levi-
tisch verunreinigen, erst 65 oder 66 n. Chr. festgesetzt worden
(anders J. Jeremias, Jerusalem zur Zeit Jesu II B, Göttingen 1937,
S. 230, Anm. 44: vor 48 n.Chr., d.h. vor dem Apostelkonzil;
60 auch Billerbeck mündlich), aber sie kann sehr wohl schon
längst von den strengeren Kreisen praktiziert worden sein, ehe
sie volle gesetzliche Kraft erhielt. Diese überzeugende Deutung
von Joh. 4, 9b gibt dem Kontext neuen Sinn: Die Frau ist überrascht
über Jesu Freundlichkeit (4, 9a), und sie läßt das Schöpfgerät
zurück (4, 28), damit Jesus sich seiner bedienen kann. Ich
würde hinzusetzen, daß es sich angesichts dieser Deutung nicht
länger empfiehlt, die sachkundige Bemerkung V. 9b als redaktionelle
Glosse zu betrachten; vielmehr dürfte das Fehlen des kurzen
Satzes bei N* D a b d e j eher als Streichung mit Rücksicht
auf Heidenchristen zu erklären sein, denen der technische Sinn
von ovyxodojuai nicht ohne weiteres verständlich sein konnte.

1. Tim. 4, 14 (The Laying on of Hands S. 224-246):
entöeoic rcöv xeiQÜ>v T°v ngeaßvtF.Qiov ist Wiedergabe von
D-opT renno, was nicht bedeutet „Handauflegung seitens des
Presbyteriums" (gen. subj.), sondern „Handauflegung, die zum
Ältesten macht" (gen. finalis); so auch Billerbeck II, S. 65 3,
Anm. 2. Wir haben also l.Tim. 4, 14 einen aus dem Judentum
übernommenen Fachausdruck für die Ordination vor uns. Wer
sie vollzieht, sagt der Ausdruck nicht; ein Widerspruch in dieser
Hinsicht zwischen 1. Tim. 4, 14 und 2. Tim. 1,6 („Auflegung
meiner Hände") liegt also nicht vor. Diese Deutung der
Wendung ernftsou; rcöv xeiotöv rov ngsaßvTEQiov wird, wie der

Referent in ZNW 48 (1957), S. 127-132 (IIPEZBYTEPION
außerchristlich bezeugt), zeigte, bestätigt durch den einzigen
existierenden außercbristlichen Beleg für jiQEoßvrFQiov Sus. 50
0 v. 1., wo TtQEüßmeQiov tatsächlich die von D. postulierte
Bedeutung „Ältestenwürde" hat. Ein Kollegium der Ältesten hat
es also zur Zeit der Pastoralbriefe in den christlichen Gemeinden
noch nicht gegeben. Diese kennen vielmehr nur die beiden Ämter
des Bischofs und des Diakonen (l.Tim. 3, vgl. NTD, Exkurs zu
1. Tim. 5, 17).

1. Petr. 2,18; 3,1 (Haustafeln S. 90-105): Im nachbiblischen
Judentum taucht als neue „form of legislation" das didaktische
Partizip auf. Dem AT noch unbekannt, setzt es sich sehr
rasch durch. D. schätzt, daß 4/5 des tannaitischen Gesetzesstoffes,
und zwar sowohl des religiösen wie des säkularen, in diese Form
gekleidet sind. Dieses didaktische Partizip hat nicht die volle
Befehlskraft des Imperativs und wird daher bei allgemeinen Anforderungen
, bei Regeln usw. angewendet. Es handelt sich um
einen Semitismus. D. hat nun (wie er bereits in einer „Appended
Note" zu E. G. Selwyn, The First Epistle of St. Peter, 1946,
S. 467 ff., mitgeteilt hat) die wichtige Beobachtung gemacht, daß
der 1. Petrusbrief mindestens an zwei Stellen dieses „unattached"
Partizip, wie er es nennt, d a aufweist, wo die Parallelen in der
paulinischen Literatur den Imperativ bieten (vgl. 1. Petr. 2, 18
mit Kol. 3, 22; Eph. 6, 5, und 1. Petr. 3,1 mit Kol. 3, 18); man
kann ferner noch auf 1. Petr. 1, 14 (/urj ovoxrifxaxit,6fiEvoi,
vgl. Rom. 12, 2 fir] ovoxilfMTi&oftF) verweisen. Damit ist der
— auch aus anderen Gründen abzulehnenden — These der älteren
Kritik, daß der 1. Petrusbrief literarisch vom paulinischen Brief-
corpus abhängig 6ei, auch vom Stilistischen her der Boden entzogen
. Diese angebliche literarische Abhängigkeit von Paulus
aber war das Hauptargument der älteren Kritik gegen die Echtheit
des 1. Petrusbriefs. Da auch die übrigen Argumente (z.B.
die Behauptung, die im Brief vorausgesetzten Bedrängnisse der
Christen seien zu Lebzeiten des Apostels nicht unterzubringen)
mit Recht aufgegeben sind, stehen die Verteidiger der Unecht-
heit des 1. Petrusbriefs heute vor keiner leichten Aufgabe.

Referent hofft, daß diese Beispiele dem Leser besser, als es
viele lobende Worte vermocht hätten, einen Eindruck von der
großen Bedeutung des Buches vermittelt haben. Es gehört zu den
wichtigsten Erscheinungen auf dem neutestamentlichen Büchermarkt
unserer Tage.

Göttingen Joachim Jeremias

G i 1 s, Felix, C.S.Sp.: Jesus Prophete d'aprcs les evangilcs synoptiques

Louvain: Universite, Inst. Orientaliste 1957. XI, 196 S. gr. 8° =
Orientalia et Biblica Lovaniensia II.

Das Interesse des Buches ist nicht so sehr ein begriffsgeschichtliches
als ein phänomenologisches.

Der erste Teil (S. 9^17) untersucht sowohl die direkte Bezeichnung
Jesu als Prophet wie auch die indirekte Charakteristik
als eines solchen, die darin gegeben ist, daß er mit Mose, Elia
in Beziehung gesetzt wird. Da der synoptische Bericht als historisch
zuverlässig angesehen wird, ergibt sich: Jesus selber bezeichnet
sich nur gelegentlich, gewissermaßen en passant, als
Propheten (Mt. 13,57 par. usw.). Die Evangelisten verwenden
diesen Titel nicht, wo sie (in den erzählenden Partien) selbst
formulieren. Sie benützen ihn nicht systematisch-christologisch.
Das weist darauf, daß hier ein alter (vielleicht der älteste) Titel
vorliegt, der auf Jesus — zu seinen Lebzeiten — angewendet
wurde; später mußte er zurücktreten, da er sein Wesen nur ungenügend
umschrieb. Welche Züge seines Auftretens führten
dazu, daß man ihn so benannte? Danach fragen die folgenden
Abschnitte.

Der zweite Teil (S. 49 ff.) befaßt sich mit Jesu prophetischen
Visionen (Taufe, Versuchung, Verklärung; Lk. 10,18; 22,43),
der dritte (S. 89 ff.) mit seinen direkten Prophezeiungen. Hier
wird zunächst seine Weissagung vom Reiche Gottes untersucht.
Diese umfaßt sämtliche gegenwärtigen und künftigen Phasen der
Verwirklichung desselben. Dazu tritt die Weissagung über sein
eigenes Schicksal; auch hier gilt die synoptische Darstellung als
historisch. Woran dem Verf. besonders liegt, ist der Umstand,