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Ausgabe:

1958 Nr. 4

Spalte:

310-311

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Söderblom, Nathan

Titel/Untertitel:

Worte für jeden Tag 1958

Rezensent:

Heiler, Friedrich

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309

Theologische Literaturzeitung 1958 Nr. 4

310

vom Neuen Testament bis zur jüngsten Vergangenheit, in denen
die wichtigsten Entscheidungen und Gestalten der christlichen
Glaubenswelt geschildert werden, sodann eine zweite Abteilung
mit Versuchen zur Diagnose der Gegenwart, die unter die nicht
eben neue Thematik „Zwischen heute und morgen" gestellt
sind, und schießlich einen Schlußteil religiöser Belehrung im
Stil eines gehobenen Konfirmandenunterrichts oder christlicher
Erwachsenenbildung mit etwas Dogmatik, ein bischen Apologetik
und viel Anweisung zum christlichen Leben. Das eine oder
andere Stück ist von anderswoher übernommen — z. B. K. Barths
bekannter „Brief an Mozart", H. Gollwitzers Einleitung zu der
in der Fischerbücherei erschienenen Luther-Auswahl u. a. m.
Viele Autoren sind um einen Beitrag zu ihren Spezialthemen
gebeten worden, so äußert sich H. Diem zu Kierkegaard, G.
Heinemann zur Frage der Wiedervereinigung, W. v. Loewenich
über Augustin u. s. w.

Am erstaunlichsten ist die Vielfalt der Autoren, die die
Herausgeber zusammengebracht haben. Sie reicht von K. Barth
und den ihm Nahestehenden bis zu H. Asmussen und O. Dibe-
lius. Aber die bekannten und bewährten Autoren der Evangelischen
Akademien und des Kirchentags bilden den Kern und bestimmen
das geistige Bild dann doch sehr wesentlich. K. Barth
hat man freilich an die Kette seiner Liebe zu Mozart gelegt, und
O. Dibelius ist nicht mit einem kirchenprogrammatischen, sondern
mit einem historischen Beitrag — „Wie es zum Glaubensbekenntnis
kam" — vertreten. Vielleicht ist es gar nicht verkehrt
, auch einmal von all dem, was uns in Kirche und Theologie
veruneinigt, so völlig abzusehen und die gegensätzlichsten Autoren
unter das Dach eines solchen Sammelwerks zu bringen.
Aber es könnte ja für den weniger informierten Leser, für den
das Werk zunächst gedacht ist, auch ein sehr verkehrter Eindruck
davon entstehen, wie wir in Kirche und Theologie tatsächlich
dran sind. Die Bultmann-Debatte, die gerade auch die Gebildeten
beschäftigt, wird z. B. nicht wirklich berücksichtigt. Das
eigentliche Problem des Buches liegt aber in seinem Titel
bzw. darin, daß hier von einem m. E. äußerst irreführenden
Schlagwort Gebrauch gemacht wird. Die Herausgeber schreiben
in ihrem Vorwort: „Die mündige Welt wartet auf den Glauben
der mündigen Christen". Dieser lapidare Satz scheint mir in jedem
seiner Teile fragwürdig zu sein. Denn worin soll eigentlich
die Mündigkeit des Menschen in seiner Welt heute bestehen?
Objektiv-technisch-organi£atorisch ist ihm mehr als je die Freiheit
der verantwortlichen Entscheidung unmöglich gemacht, 6chon
weil er zu einer Beurteilung der Entwicklungen und Zusammenhänge
weniger als je in der Lage ist. Daher denn auch die überall
festzustellende Neigung, sich überindividuellen Autoritäten anzuvertrauen
— freilich auch Mißtrauen und Unbehagen angesichts
dieser Entwicklung zur universalen ,fides implicita'. Was Bon-
hoeffer mit seinem Schlagwort von der mündig gewordenen Welt
6innvollerweise gemeint haben konnte, war etwas viel Beiläufigeres
: nämlich der geschichtliche Tatbestand, daß im Ablauf der
sog. Säkularisierung der letzten Jahrhunderte die Fraglosigkeit
der kirchlich-religiösen Lehren und ihrer Autorität ein für allemal
dahin geschwunden ist. Wieweit es diese Fraglosigkeit früher
wirklich gab, ist wiederum eine Frage, die hier auf sich beruhen
muß. Es mag also in gewisser Weise zutreffen, daß wir heute in
Sachen von Christentum und Religion eine gewisse früher geduldete
Bevormundung nicht mehr gerne ertragen wollen und daß
die offizielle Kirche gut tut, darauf Rücksicht zu nehmen. Aber
davon wird die bis ins Groteske gehende .Unmündigkeit' des
Menschen heute in sämtlichen wesentlichen Gebieten des Lebens
gar nicht berührt. Es müßte denn sein, es werde gerade dem zunehmend
entmündigten Menschen von heute der christliche Bereich
als eine Insel der Mündigkeit empfohlen. Aber es fragt
sich, ob er das auch nur will. Und es fragt sich noch mehr, ob
das ein berechtigts Argument der christlichen Verkündigung sein
kann.

Denn — dies wäre der zweite Einwand gegen das Mündigkeitsprogramm
der Herausgeber — die Behauptung, die Welt —
ob mündig oder nicht — „warte auf den Glauben der mündigen
Christen", ist doch recht zweifelhaft. Selbst wenn man in mannen
Teilen der Welt von einer relativen Hochkonjunktur für
Christentum und Kirche geredet hat und vielleicht noch reden

kann, 60 ist aus diesem .Warten der Welt auf ...' noch wenig
wirkliche Erneuerung und Rückkehr zum Evangelium entstanden,
gleichviel durch wessen Schuld. Wir möchten als Christen und
Kirchenleute wohl gerne, daß die Welt auf uns und unser Wort
wartet. Aber das ist zu allen Zeiten eine Illusion, es ist auch in
der Bibel so einfach keineswegs vorgesehen (vgl. Joh. 1, 11 mit
1. Kor. 1,21 ff.). An diesem Punkt wird das Programm der
Herausgeber zur religiösen Kraftmeierei. Bleibt noch zu fragen,
was man eigentlich unter dem .mündigen Christen' zu verstehen
hat. Es gibt ihn nicht ohne weiteres; das meinen auch die Herausgeber
. Sie wollen ihm aber doch wohl durch dieses Sammelwerk
ein wenig zur Existenz verhelfen. Oder sind es gar nicht die prä-
6umptiven Leser, sondern die Autoren des Buches, die wir als
Muster mündigen Christentums betrachten und nach deren Beispiel
wir uns richten sollen? Das kann kaum gemeint sein; denn
dann dürften nicht die kirchlich-theologischen Funktionäre und
Fachleute unter den Mitarbeitern so absolut in der Mehrheit
sein. Aber gibt es den .mündigen Christen' überhaupt? Im zentralen
Punkt, in unserer Existenz vor Gott, gibt es so etwas wie
Mündigkeit gewiß nicht. Die Aussagen des Neuen Testaments
von der Sohnschaft und Kindschaft zielen aufs genaue Gegenteil.
Aber vielleicht gibt es Mündigkeit des Christen in der Welt und
ihr gegenüber, zumal auch dem Stück Welt gegenüber, das wir
offiziell Kirche nennen? Es hat sie dort gegeben und gibt sie,
wie oben angedeutet, noch in Restbeständen. Aber ist es Aufgabe
der Kirche und Theologie, sich hier der Entwicklung ent-
gegenzustemmen? Laufen wir nicht auch hier Gefahr, dieser Entwicklung
Leitbilder einer vergangenen Zeit im Namen des
Christlichen entgegenzustellen, ohne mit der nötigen Nüchternheit
zu prüfen, was wir damit unternehmen? Aber selbst wenn
man der Meinung sein sollte, das Programm vom mündigen
Christen einfach als heutige Form dessen aufzunehmen, was mit
dem Kernsatz von der Freiheit eines Christenmenschen gemeint
ist, so fragt es sich sehr, ob einem solchen Programm mit solchen
letztlich alles verharmlosenden Sammelwerken gedient ist,
in denen sich reiche positive Belehrung im einzelnen unlöslich
mischt mit dem süßen Gift einer Christentumsauffa6sung, die
dem Evangelium kaum so nahe ist, wie sie es selbst zu sein
meint. Das ,süße Gift' ist dabei die unverkennbare Verwechslung
von Evangelium und Bildung, die bei dem ganzen Unternehmen
Pate gestanden ist und die das Buch gerade für den gutwilligen,
weniger kritischen Leser so anziehend macht.

Frankfurt a.M. K. G. Steck

[Söderblom, Nathan:] Worte für jeden Tag. Gesammelt aus den
Schriften Nathan Söderbloms von Anna Söderblom. Ins Deutsche
übertragen von Tona Baut. 2., veränd. Aufl. Berlin: Töpelmann
1956. VII, 370 S. kl. 8°. Geb. DM 14.80.

Nach dem Tode des großen Religionsforschers und ökumenischen
Kirchenmannes Erzbischof Söderblom von Upsala hütete
dessen Witwe, die ihn fast 25 Jahre überlebte (f 195 5), sein großes
literarisches Erbe. Sie besorgte die Neuauflage mehrerer seiner
Werke. Um die in ihnen ruhenden Schätze auch für breitere
Kreise und für das tägliche Leben auszumünzen, wählte sie mit
feiner Hand kleinere Abschnitte aus seinen Schriften aus, die
durch die Anordnung auf alle Tage des Jahres für die Lesung in
Hausgottesdiensten und für die private tägliche Meditation bestimmt
sind.

Die Herausgeberin entnahm diese Stücke vor allem seinen beiden
Predigtsammlungen (När Stunderna växla och skrida, 4 Bände 1909
bis 1921; Tal och skrifter, 6 Bände. 1929—1930) sowie seinem großen
Passionsbuch (Kristi pinas historia, 1928), das die Mitte hält zwischen
exegetischer Untersuchung und Meditation. Auch einzelne Abschnitte
aus seiner theologischen Antrittsvorlesung in Upsala über „Die allgemeine
Religionsgeschichte und die kirchliche Theologie" (1901) und
aus seinem theologischen Werk über Offenbarungsreligion (Uppenbarelsereligion
1903, 21930) fanden Aufnahme, ebenso aus seiner Erklärung
der Bergpredigt (Jesu Bergspredikan förklarad 1921), seiner Sammlung
von Aufsätzen über Luther (Humor och melankoli och andra Lutherstudier
, 1919), seinen Schriften über die schwedische Kirche (Sveriges
kyrka, 1908; Svenska kyrkans kropp och själ, 1916), «einem Katechismus
(Levnaden, tron och bönen 1919, e1928), der Beschreibung seiner
Amerika-Reise (Frän Upsala tili Rock Island, 1924) u. a. m. Auch ungedruckte
Stücke wurden eingefügt, darunter ein noch während seiner
letzten Krankheit diktiertes Stück.