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Ausgabe:

1958

Spalte:

302-305

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Brinktrine, Johannes

Titel/Untertitel:

Die Lehre von der Gnade 1958

Rezensent:

Koch, Gerhard

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301 Theologische Literatuxzeitung 1958 Nr. 4 302

fen, daß ihr literarisches Werk flüchtig bleibt wie eben Broschüre
und Aufsatz flüchtige Gebilde sind. Mehr als andere sind solche
Autoren darauf angewiesen, daß die Sammlung ihrer Quodlibeta
gelingt. Bereits 1936 erschien ein Sammelband „Um Kirche und
Lehre", der 12 Aufsätze und Vorträge enthielt. Nunmehr
haben Freunde und Schüler — ohne daß ihre Namen genannt
wären und ohne in einem Begleittext des Anlasses zu gedenken
— zum 70. Geburtstag Sch.s weitere 19 kleine Arbeiten
gesammelt und erneut einem dankbaren Leserkreis dargeboten.
Dieses Unternehmen ist gerechtfertigt; denn Sch.s Arbeiten
6ind, so zeitbedingt auch immer ihre Entstehung sein mag, in
hohem Maße über den Tag hinaus von Bedeutung und verdienen
es, daß sie mit dem ganzen Gewicht der verantwortlichen Besinnung
eines Gelehrten weiterwirken. Sch. dient nirgends der
theologischen Mode. Er ist auch dann nicht Konformist, wo er
mit seiner Arbeit der Kirche und der Kirchenleitung zu dienen
sucht. Immer erweist er dem Leser die Wohltat eines (sit venia
verbo!) bis zur Behäbigkeit gepflegten und geschliffenen Stils.
So wird man diese Sammlung unveralteter Aufsätze und Studien,
die sich dem Leser rasch zu einer fugenlosen Gesamtanschauung
zusammenschließen, als einen Gewinn buchen.

Die in dem vorliegenden Bande vereinigten Aufsätze sind ohne
dironologische Reihenfolge in 4 Gruppen geteilt, über deren Berechtigung
man wird streiten können. Die 1. Abteilung ist überschrieben
..Wissenschaft" und umfaßt 4 Aufsätze, unter denen wir mit besonderer
Freude die große Abhandlung „Gestalt und Geschichte" (1941)
wiederfinden. Außer ihr noch „Die Evangelische Kirche und die geistigen
Mächte des 19. Jahrhunderts" (1938), „Die Christusfrage in der
modernen Welt" und „Wahrheit und Wissenschaft", drei Abhandlungen
, die von dem Problem der Moderne bewegt werden, aus dessen
Analyse Sdi. seine eigenen theologischen Grundprobleme hervorzuholen
weiß. — Die 2. Abteilung „Wort und Verkündigung" enthält zunächst
vier Aufsätze zu Luthers Theologie: „L.s Trostgedanken wider den
Tod", „Gottesglaube und Anfechtung bei L.", „Bemerkungen zur Lehre
vom Gesetz" (unter kräftiger Beiziehung de6 Nomosbegriffs der Griechen
) und „Gedanken L.s zur Frage der Entmythologisierung". Von den
restlichen Aufsätzen dieser Abteilung nennen wir den 1937 schon als
selbständige Broschüre erschienenen Beitrag „Vom Geheimnis der Schöpfung
" als einen der wichtigsten des ganzen Bandes. Es folgen, in einer
3. Abteilung „Die Kirche und ihre Gestalt" vereinigt, weitere vier
Aufsätze: „Die Bekenntnisse und das Bekenntnis" untersucht die Möglichkeit
, dem Barmer Bekenntnis Bekenntnischarakter im Sinne der älteren
Bekenntnisschriften beizulegen und entscheidet die Frage im konfessionellen
Sinne. „Kircheneinheit und Konfessionen" ist der Untersuchung
verschiedener ekklesiologischer Einheitsbegriffe gewidmet. Mit
den weiteren Artikeln über „Amt der Kirche und Berufung zum Amt",
sowie über „Theologische Grundfragen der Kirchenleitung", führt Sch.
ältere Studien zum Gegenstande fort. Die 4. Abteilung „Recht und
Ehe", bringt schließlich noch zwei Früchte der Mitarbeit des Verf.« in
kirchlichen Studienkommissionen. Sie sind „der Frage der Menschenrechte
in der Sicht des christlichen Glaubens" und dem Namensrecht
gewidmet.

Den Aufsätzen sind in erfreulicher Sparsamkeit Anmerkungen beigegeben
, wo es unerläßlich ist. Der feierliche Anlaß der Herausgabe des
Bandes wird nur durch eine Bibliographie („Zur" Bibliographie!) am
Schluß des Buches und durch ein Bildnis Sch.s vor dem Titel versinnbildlicht
, welches Bildnis uns den verehrten Verfasser in vergnügter und
liebenswürdiger Festlichkeit vor Augen stellt.

Es übersteigt die Möglichkeit der Anzeige, bei der Besprechung
nun ins einzelne zu gehen, zumal die wichtigsten Aufsätze
längst ihre Wirkung angetreten haben und ihre Herausforderung
aufgenommen worden ist. Zwei Themenkreise heben sich doch
aus der Arbeitsbreite dieses so betont gebildeten Theologen
heraus: der Fragenkreis um Kirche und Recht, und der andere:
die Theologie der Schöpfung. Nur zu dem letzteren sei noch eine
Anmerkung hinzugefügt, die im wesentlichen auf die wichtige
Studie „Vom Geheimnis der Schöpfung" Bezug nehmen soll,
welche in unserem Bande (S. 226—258) auch eine gewisse
Schlüsselstellung einnimmt. Der Aufsatz, ursprünglich eine Son-
dershausener Vorlesungsreihe, ersetzt in seiner gedanklichen
Dichte und Beziehungsfülle einen ganzen Band Dogmatik. Während
der Mensch der Geheimnishaftigkeit der Welt und seines
Seins wohl auch auf natürliche Weise inne werden kann, erschließt
sich das Geheimnis der Schöpfung doch nur durch die
Offenbarung in Christus. Sch. deutet nun den Gedanken, daß
Gott Schöpfer ist, unmittelbar von dem „spiritus creator" her,
in dem die Welt geschaffen ist und in dem Gott sein Mitsein mit

seinem Werke bezeugt. Wie nun der Schöpfungscharakter der
Schöpfung sich nur von diesem Mit-sein Gottes mit ihr her erschließt
, so erschließt sich auch die Frage des ursprünglichen
Menschseins nur von daher, nämlich, daß der Mensch Imago Dei
ist. Sch.s Ausführungen hierzu, welche ältere Forschungen von
ihm aufnehmen und fortführen, sind außerordentlich erhellend.
Imago Dei bezeichnet nach ihm weder einen Zustand noch einen
Besitz des Menschen, sondern es ist der Ursprung de6 Menschen
in der Tat des Schöpfers und die Bestimmung, die in dieser Tat
liegt. Das fernere Mitsein des Schöpfers mit dem Menschen bestimmt
also auch sein geschöpfliches Sein. Diese Interpretation
Sch.s hat nun den großen Vorzug, daß die alte, quälende Frage
der Tradition, was denn nach dem Fall verloren und was erhalten
sei an der menschlichen Natur, gegenstandslos wird. Freilich
bleibt mir die Frage, wie von Sch.s Deutung aus die „Überbietung
" der verdunkelten Imago Dei durch Christus aufzunehmen
ist, die ja doch — abgekürzt formuliert — voraussetzt, daß die
Imago Dei im Menschen dunkel geworden ist und in Christo
wiedergebracht ist. Ich bin mir auch nicht sicher, ob die Imago
Dei dermaßen, wie es hier geschieht, ohne „kosmologische" Bezüge
interpretiert werden kann. Ich verweise hierzu auf das, was
G. von Rad (Theologie des Alten Testaments, Bd. I, 1957,
S- 148 ff.) zu diesem Begriff von der Genesis her sichtbar gemacht
hat. Ich komme damit zu meinem anderen Bedenken. Im Zusammenhang
mit der Präzisierung des Schöpfungsgedankens vollzieht
Sch. eine scharf polemische Wendung gegen den Begriff der
„Natur" in der Theologie, der immerhin bei einem so unverdächtigen
Zeugen wie Schlatter eine Schlüsselstellung gehabt hat.
Der Schöpfungsglaube bedeute „den schärfsten Gegensatz zum
Verständnis des Seienden als „Natur" (S. 239). „Das Sein der
Welt darf christlich nicht als ,,Natur"-Sein verstanden werden"
(S- 241). Das Rätsel dieser polemischen Wendung löst sich allerdings
beiläufig auf S. 242, wo Sch. unversehens von einem „materialistischen
oder idealistischen Naturalismus" spricht. Es scheint
rnir aber, daß damit das Problem der Natur ebenso wenig erledigt
ist wie das Vernunftproblem damit bewältigt wäre, daß man
sich mit dem „Rationalismus" auseinandergesetzt hat. Wie aber
die vernehmende Vernunft den christlichen Glauben unablässig
begleitet, dieser ohne jene gar nicht sein kann, so kann auch der
Schöpfungsglaube nicht sein, ohne daß das „Vernehmen der Natur
" ihn artikuliere. Die Natur bzw. das Natürliche dabei verstanden
als „die von Gott der gefallenen Welt erhaltene Gestalt
des Lebens", um einen Satz aus Bonhoeffers Ethik in Erinnerung
zu rufen (Ausg. von 1949, S. 94). Kann man den Schöpfungsgedanken
gewinnen und gleichzeitig den Begriff des Natürlichen
und der Natur ins Leere fallen lassen?

Güttingen W. Trillhaas

Brinktrine, Johannes: Die Lehre von der Gnade. Paderborn:
Schöningh 1957. 265 S. gr. 8°. DM 14.— ; Lw. DM 16.—.

Seit dem Buch J. H. Oswalds (Die Lehre von der Heiligung
3. Aufl. 1885) ist das hier besprochene Buch die erste katholische
Monographie über dieses Thema in deutscher Sprache. Das ist
insofern verwunderlich, als Verf. den Traktat über die Gnade
nicht nur zu den erhabensten rechnet — unser Ziel ist die visio
beatifica, und diese hat in der heiligmachenden Gnade ihren Beginn
—, sondern auch im Blick auf das konfessionelle Gespräch
(Rechtfertigung und Verdienst) für einen der aktuellsten hält.
Er ist freilich auch einer der schwierigsten, weil in ihm die Verhältnisbestimmung
von Natur und Gnade behandelt werden muß.
Hier besteht unter den katholischen Theologen Meinungsverschiedenheit
, ohne daß bisher eine Stellungnahme von Seiten der
Kirche erfolgt ist. Verf. wählt seinen Standort bei der Anschauung
des Thomas und seiner Schule. Er läßt die Lehre von der
Gnade derjenigen von der Schöpfung folgen. Damit sind bereits
Vorentscheidungen in bezug auf das Verhältnis von Gnade und
Christusereignis getroffen (s. u.). Nach einem ersten allgemeinen
Teil (S. 13—36), in welchem nach einer Realdefinition auch ein
geschichtlicher Überblick über die Entwicklung der Lehre von der
Gnade geboten wird, folgt (S. 37—151) ein Abschnitt über die
aktuelle und ein letzter (S. 151-254) über die habituelle Gnade.

Gnade ist ein übernatürliches Geschenk. Sie kann allein als
effectus proprius Dei von dem über der Natur stehenden Gott