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Ausgabe:

1958

Spalte:

294-297

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Titel/Untertitel:

Lutherische Generalsynode 1956 1958

Rezensent:

Schanze, Wolfgang

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Theologische Literatufzeitung 1958 Nr. 4

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logische Grundfragen, wenn er von der geschichtlichen Besonderheit
handelt und notwendigerweise auch auf das Verhältnis der
Luth. Kirche zu den innerdeutschen Kirchen, das ökumenische
Bewußtsein der lutherischen Kirchen und auf die Frage nach dem
Recht einer Konfessionskirche eingeht. Mit einer Analyse der
sich wandelnden Welt und mit seinen ausgezeichneten deskriptiven
Ausführungen über die Neuorientierung der kirchlichen
Arbeit, die alles außer der Heidenmission umschließt, dient er
den Lesern der engl. Ausgabe als vertrauenswürdiger Dolmetscher
des kirchlichen Europa und den Benutzern des deutschen
Textes als ein Augenöffner für Wirklichkeit und Möglichkeit
der kirchlichen Existenz heute, bei uns und bei unseren Nachbarn.
S. 26 (und S. 28/29 im engl. Text) wird nicht ganz klar, ob zur
VELK „über 21 Millionen" oder „insgesamt 20478 000" gehören.

Ragnar A s m a r k, Dekan an der Gothenburger Kathedrale,
berichtet über das Luthertum in Schweden. Nach der Umreißung
des geschichtlichen Hintergrundes bespricht er die geistige Situation
der Gegenwart, die Begegnung der Kirche mit der modernen
Zeit und das Bistum und Gemeinde. „Die Kirche war (um die
Jahrhundertwende) auf einen plötzlichen und radikalen Angriff
nicht vorbereitet.. . Die Kirche übernahm also die Rolle eines
passiven, wenig Vertrauen erweckenden, skeptischen und gleichgültigen
Zuschauers inmitten des lebendigen Geschehens" (S. 40).
Auch er betont den guten Einfluß der Stewardship-Bewegung.
Seltsam erhellend wirkt der ein bezeichnendes Licht auf die bisherige
Gemeindearbeit werfende Satz: „In den letzten Jahren
hat man regelmäßige Besuche bei den Familien der Gemeinde
eingeführt" (S. 46). Im Unterschied vom amerikanischen Luthertum
gehört auch in diesem europäischen Beitrage die große
schwedische Missionsarbeit nicht sofort zum Bild und Ganzen
der Kirche.

Bei Laszlo T e r r a y, einem geborenen Ungarn und jetzigen
Norweger, der über die europäischen Minderheitskirchen
schreibt, findet sich eine solche bezeichnende Auslassung nicht.
Das ganze Kapitel ist eine ausgezeichnete Informationsquelle
über Kirchen, von deren Geschichte und Leben nur wenig bekannt
sein dürfte: es geht über West- und Südeuropa und die
Schweiz über Österreich und Ungarn und die slawische Welt bis
nach Rumänien. Für eine Neuauflage würde es sich empfehlen,
das Deutsch nicht von einem „stud. theol." (S. 60), sondern von
einem cand. theol. durchsehen zu lassen.

Theodore Bachmann, Professor für Kirchengeschichte
und Dekan am Pacific Lutheran Seminary Berkely in Californien,
werden für 6eine Darstellung des amerikanischen Luthertums
viele Leser danken. Er schreibt von einem Lande, in welchem
„paradoxerweise wirtschaftlicher Wohlstand und religiöse Wiederbelebung
Hand in Hand gehen" (S. 97). Bachmann geht auf
die Anfangszeit und die frühen Jahre und das Wachstum des
Luthertums ein, beschreibt den luth. Konfessionalismus und
das Leben der Gemeinden, die Aufgabe des Pfarrers, erwähnt
bei den Ausführungen über die Kirche die geplante Veröffentlichung
einer 55 bändigen englischen Ausgabe der Werke Luthers
und die Vorbereitung einer neuen Übersetzung des Konkordien-
buches, macht mit dem Lutherischen Nationalrat und seiner Bedeutung
wie auch mit dem kanadischen Luth. Rat bekannt,
handelt vom „Ruf zur Ökumene" und schließt mit Darlegungen
über „Die Lutheraner im Lichte ihres Erbes". Auffallend ist bei
aller Weite die starke und bewußte konfessionelle Bindung und
die für die amerikanischen luth. Kirchen typische Betonung der
„missionarischen Aufgabe der Gesamtkirche" daheim und draußen
. Das klingt an zehn Stellen an, womit über den Kirchenbegriff
und das kirchliche Leben der amerikanischen Lutheraner
nichts Geringes ausgesagt ist. Die S. 103 gemachte Aussage, nach
der die auswandernden Sachsen um Pastor Stephan nur „vor
dem Rationalismus in Sachsen geflohen waren", dürfte eine Berichtigung
dahingehend verdienen, daß die Motive auch damals
«chon merkwürdig gemischt waren (cf. W. O. Forster: Zion on
the Mississippi, St. Louis 1953).

Stewart H e r m a n ist als Direktor des Latein-Amerika-
Komitees des LWB der Mann, der heute über das Luthertum in
Südamerika am besten orientiert und zu schreiben in der Lage
ist. Er beschreibt die Kolonialzeit, das 19. Jahrhundert und die

letzten 50 Jahre und fügt dem Ausführungen über die kommenden
Jahre an. Zweifelhaft nur erscheint mir die Bemerkung, Las
Casas habe den Sklavenhandel befürwortet, um dadurch die Indianer
zu retten (S. 140). Die 5. Auflage John Colliers „In-
dians of the Americas" (1956) scheint mir ein anderes Bild zu
geben. Von den 5 Millionen Protestanten in Südamerika gehören
750 000 dem LWB an. Die Introvertiertheit der protestantischen
Kirchen, denen es anfangs vor allem um die Pflege
sprachlicher und kultureller Traditionen gegangen war und die
„wenig zur Verkündigung des Evangeliums unter ihren Nachbarn
beigetragen haben" (S. 148, 156, 161, 165) und „die Millionen
von Indianern" außer acht ließen (S. 166), wird ebenso herausgestellt
wie die Neigung 6elbst „großer und reicheir Gemeinden
in Brasilien, Argentinien und Chile, auch dann noch Unterstützung
aus Europa zu erwarten, wenn die eigene Erhaltung längst
möglich war" (S. 166).

Bischof Rajah M a n i k a m führt in das Luthertum Asiens
ein, und F. B i r k e 1 i, bisher Direktor der Abteilung für Weltmission
im LWB, macht mit dem Luthertum in Afrika bekannt.
Jedes Land bzw. jeder Landesteil wird vorgeführt, wobei die
Umwelt und das kirchliche Leben mit Zahlen und Fakten in
einer Weise dargestellt werden, wie man es so kurz und doch so
umfassend im deutsdien Schrifttum ^nirgends findet. Der angeblichen
Hilflosigkeit vieler Epiphaniasprediger könnte durch
die Auswertung dieser horizonterweiternden zwei Kapitel wirksam
abgeholfen werden. Daß sich die Entwicklung von der Mission
zur Kirche „nur allzu langsam" vollzogen hat, und daß
»die Lutheraner ihren angeborenen schwerfälligen Konservatismus
hätten überwinden sollen" (S. 218), sind nötige und wahre
Feststellungen. Die Mitteilung von der Missouri-Kooperation
(S. 174, 187, 191) wird vielen neu und geeignet sein, der Tra-
dierung überkommener Vorstellungen entgegenzuwirken.

Einige die Übersetzung angehende Kleinigkeiten seien angemerkt:
zu Unrecht wurden „Churches in . .." und „Lutherans in . . ." der engl.
Ausgabe in das blasse „Luthertum in. . ." verwandelt; es muß heißen
Mühlenberg (statt Muhlenberg, S. 100); Basler (statt Baseler) Mission
(S. 173, 175); Tamilsprache (statt Tamilensprache, S. 185); Tamulische
Kirche (statt Tamilische Kirche, S. 186).

Der Wert des Buches würde ungemein erhöht, wenn ein
jedem wissenschaftlichen Buche nötiger Index eingearbeitet worden
wäre. Der auch sonst leider nur oft zu beobachtenden Unsitte
, den zur Auswertung und zur Gewinnung von Durchblicken
durch Sachzusammenhänge nötigen Index wegzulassen, sollte
ernsthaft gesteuert werden.

Halle/S. Arno Lehmana

Lutherische Gener»l»ynode 1956. Bericht über die zweite
Tagung der zweiten Generalsynode der Vereinigten Evangelisch-
Lutherischen Kirche Deutschlands vom 2. bis 7. Juni 1956 in Hannover
. Im Auftr. d. Kirchenleitg. d. Vereinigten Ev.-Luth. Kirche
Deutschlands hrsg. v. Luth. Kirchenamt Hannover. Berlin: Luth.
Verlagshau« 1957. 455 S. 8° = Darstellungen u. Dokumente zur Geschichte
d. Luth. Kirche. DM 14.80.

Die Lutherische Generalsynode des Jahres 1956 hat sich zum
ersten Male ein theologisch - kirchliches Gesamtthema gestellt,
das über die Erledigung der routinemäßigen Synodalarbeiten
hinausgriff und der Tagung einen stärkeren Publizitätsfaktor
verlieh. E6 ging um das Problem der Toleranz. Dem Wesen
einer leitenden kirchlichen Körperschaft entspricht es, daß ihre
Arbeitsthemen nicht in der kühlen Luft theoretischer Betrachtung
erwachsen, sondern konkreten kirchlichen Problemlagen zu dienen
haben. Diesmal war es die Notwendigkeit des Zusammenlebens
mit dem römischen Katholizismus im Raum der deutschen
Nation der Nachkriegszeit, die die Themastellung bedingte. Es
wurde im Laufe der Darlegungen deutlich, daß die Frage nach der
Möglichkeit oder Notwendigkeit einer interkonfessionellen Toleranz
nur ein Sonderfall des Toleranzproblems überhaupt ist.
Zu ihm gehört die mindestens ebenso bedrängende Frage nach
der vom Staat zu übenden Toleranz gegenüber den in seinem Bereiche
wirkenden religiösen Faktoren. Dabei ist in der gegenwärtigen
Weltsituation zu beobachten, daß sowohl konfessionell
gebundene Staaten wie auch solche, die von einer totalitären
Weltanschauung geprägt sind, keineswegs jene Neutralität des