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Ausgabe:

1958

Spalte:

289-291

Kategorie:

Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Schiffers, Norbert

Titel/Untertitel:

Die Einheit der Kirche nach John Henry Newman 1958

Rezensent:

Holtz, Gottfried

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Theologische Literatuirzeitung 1958 Nr. 4

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kularisation (140 ff.); das Verhältnis von Puritanismus und
britisch - deutscher Frühaufklärung (176 f.); das französische
18. Jhdt. als „fortdauerndes Barock" (179 ff.); die Aktualisierung
und Radikalisierung hellenistischer Philosopheme durch den
Kopernikanischen Chok (182) und manches andere mehr. (Amüsante
Skurrilitäten, mit denen uns der Verf. nicht unterhält,
muß man allerdings in den Werken selbst nachlesen oder in den
bequemer zugänglichen Auszügen bei K. Barth, KD III/1, 451 ff.).
Entscheidend aber bleibt die Nötigung, althergebrachte historische
Vorurteile zu überprüfen und gegebenenfalls zu berichtigen, indem
man sich nicht nur den Fragen, sondern zunächst den Quellen
stellt, die sie aufgeben.

Freilich liegt es im Wesen eines so problemgesättigten Werkes
, daß es sich selbst auch Fragen stellen lassen muß. Die
Brillianz des Buches läßt den Leser nicht in allem „mitkommen"

— nicht nur, weil ihm das umfassende Detailwissen des Verf.s
fehlt, sondern weil dieser ihn sowohl stilistisch als auch gedanklich
zuweilen überfordert. Manches ist allzu gedrungen, manches
wirkt in allzu großer Raffung sprunghaft, manches allzu „dicht".

— Von den Sachfragen, die den Systematiker interessieren, nenne
ich nur drei. Einmal: Reicht, formal gesehen, der Begriff
„Transzendenz" wirklich aus, um das Grunderlebnis der Frühaufklärung
hinreichend zu beschreiben? Müßte man nicht, wenn
es sich um eine „Überwältigungserfahrung" handelt, vielmehr
von „Kondeszendenz" oder mit Gerhard Stammler von „Inszen-
denz" (Kerygma u. Dogma 3, 1957, S. 17: „Was ist eigentlich
ein Naturgesetz?") reden? — Zumanderen: Bedarf der Begriff
„diristozentrischer Zirkel" nicht noch einer besonderen
Klärung? Ist er in dieser Kürze überhaupt anwendbar? Für die
Christusbegegnung ist doch das Element der Beugung unter
das richtend-rettende Wort, der Umkehr zur Freude unabdingbar
. Wo und wie hat es in diesem „christologischen Zirkel"
seine Funktion? —Schließlich: Wo hat hier die Sicherung
gegen ein spiritualistisches Christentum (einen „Pneuma-Chri-
stus"), gegen eine kreuz-lose Herrlichkeits-Christologie (die
Gnostiker in Korinth!) ihren Ort? Fehlt sie aber — vielleicht muß
sie für die Frühaufklärung fehlen?! —, wie ist dann der qualitative
Unterschied zwischen „Natürlicher Theologie" (Wolff)
und „Physikotheologie" zu halten? Kann er mehr als ein methodischer
, wenn auch ein scharfer methodischer Unterschied
sein? Und was bedeutet das dann sowohl historisch wie theologisch
für den Vergleich von Frühaufklärung und — Reformation
(Gesetz und Evangelium)? — Diese Fragen sollen den Dank,
der dem Verf. gebührt, keineswegs dämpfen. Im Gegenteil: sie
möchten den Tatbestand unterstreichen, daß hier historisch wie
systematisch unerledigte, z. T. bewußt verschwiegene Probleme
sich mit dem Rechts-Anspruch zu Worte melden, der die Theologie
als Wahrheitsforschung kennzeichnet: ernst genommen zu
werden^

Jena Gerhard Gloege

Schiffers, Norbert: Die Einheit der Kirche nach John Henry New-
man. Düsseldorf: Patmos-Verlag [19F6] 329 S. 8°. Lw. DM 24.50.

Die Bedeutung des Themas ist groß, denn Newmans Einfluß
auf die katholische und interkonfessionelle Theologie hat ihren
Höhepunkt noch nicht überschritten. Da Forscher von Rang die
Diskussion führen — wir nennen katholischerseits E. Przywara,
O. Karrer und W. H. van de Pol —, ist der Eintritt eines Neulings
in sie nicht ohne Risiko. Wird er Neues zu sagen haben?
Sein Werk ist in zwei Hauptabschnitte gegliedert, von denen der
erste historisch den Weg Newmans in die katholische Kirche
nachzeichnet, der zweite systematisch-theologisch die Ansätze
der Ekklesiologie Newmans entfaltet und diskutiert. Ein abschließendes
Kapitel müht sich um biblisch-exegetische Fundierung
. Was den Weg Newmans nach Rom angeht, so ist seit längerer
Zeit eine Nuancierung in der katholischen und evangelischen
Betrachtungsweise zu konstatieren. Katholischerseits betont
man mit Vorliebe das evangelische Ringen Newmans
, das eine schwere schrittweise Befreiung aus evangelischem
Denken offenbare; der Endpunkt wird dann zur glorreichen Erhöhung
der katholischen Kirchenlehre, — auch Schiffers geht diesen
Weg. Die evangelische Forschung 6etzt den Akzent anders

und wohl richtiger: seit der Studentenzeit entfalte sich folgerichtig
der hochkirchliche Ansatz, d. h. die Hingabe an objektive
Stützen subjektiver Gläubigkeit, woraus gradlinig, wenn auch
nicht ohne Kämpfe, der Katholizismus Newmans wurde. Besonderen
Wert legt Sch. auf den Patristiker Newman; über der Beschäftigung
mit dem Konzil von Chalzedon sei ihm die Theorie
der via media zerbrochen und Rom für ihn rehabilitiert; seitdem
sei ihm der schismatische Charakter der anglikanischen Kirche
aufgegangen. Von ähnlicher Bedeutung ist für Sch. die Begegnung
Newmans mit den karolinischen Theologen (17. Jahrhundert
) und dem „Homilienbuch", die den hochkirchlichen Einsatz
vermittelten oder befestigten. Für historische Belehrung hier
wird man dankbar sein. Aber der Ertrag ist nicht sehr groß. Unkritisch
und farblos ist die Behandlung des „Tract 90" vom
27.2.1841, in dem Newman seine letzte Auseinandersetzung
mit den 39 Artikeln, der ekklesiologischen Grundlage des Ang-
likanismus, vollzog. Newmans gefährliche Dialektik hier und
seine Unredlichkeit dem evangelischen Bekenntnis gegenüber
werden verdeckt, sicherlich aus apologetischen Gründen. Unklarheiten
bei Sch. geben sich schon oft in seiner Sprache zu erkennen
. Newman wußte natürlich immer, daß Gott Autorität ist;
Sch. gewinnt daraus ein Argument für die Unfehlbarkeit der
römischen Kirche, aber wie deutlich spiegelt sich die Unredlichkeit
hier in der Sprache des Verf.s. „Newman glaubt die Kategorie
des Einzelnen überschreiten zu müssen, weil positiv diese
deutlich vernehmbare Autorität Gottes, wie sie sich etwa in der
Schrift oder im Lehramt der Kirche ausspricht, schließlich geradezu
gefordert wird durch den Insekuritätscharakter des Gewissensspruches
" (26). Wir könnten mehr solcher Beispiele bringen.
Was soll man zu folgender Konsequenzmacherei sagen: in einer
episkopalen Kirche gehe der ökumenische Charakter des Taufsakramentes
verloren, denn „jeder Anglikaner war an das Glaubensbekenntnis
seines Bischofs und der Diözese gebunden" (106).
Unredlich ist nicht zuletzt die Wendung „Wiedervereinigung
der Christenheit" (145 ff.). Sachlich richtig erscheint hier die
vorbehaltlose Unterwerfung unter Rom, aber warum nennt man
das Kind nicht beim richtigen Namen? Das evangelische
Ringen Newmans, das dargestellt werden sollte, ist sehr bald
aus den Augen verloren, zugunsten der unerweichlichen römischen
Positionen: die Kirche ist die Fortsetzung der Inkarnation
Christi, darum stehen Tradition und Schrift im gleichen Rang,
darum gibt es päpstliche Unfehlbarkeit und eine fortgehende
genuine Lehrentfaltung bis zur letzten mariologischen Definition
und über sie hinaus. Erwähnt mag noch das historische Fehlurteil
werden, Friedrich Wilhelm IV. und Bunsen seien an der
Errichtung des Jerusalemer Bistum6 „wohl aus staatspolitischen
Gründen" interessiert gewesen, „um so einen Stützpunkt in der
dortigen jüdischen und arabischen Welt zu gewinnen" (99). Man
sollte dem frommen Romantiker auf dem preußischen Königsthron
nicht koloniale Motive unterschieben und ihn mit englischen
Machtpolitikern in dieselbe Grube stoßenl

Das Schwergewicht der Arbeit dürfte im ersten Teil liegen,
mit dem wir es bisher zu tun hatten. Der zweite Teil, dessen
Thema schon genannt ist, entfaltet das dogmatische und sakramentale
ekklesiologische Prinzip im Rückgang bis auf Origenes
und Athanasius. Wenn hier für den Kenner der römisch-katholischen
Kirchenlehre auch nichts Neues hervortritt, so ist doch
die Diskussion, in die außer modernen katholischen Theologen
evangelische Forscher wie Bultmann, Barth, Cullmann, Käsemann
eingeschaltet werden, lebhaft und lehrreich und vermittelt ein
willkommenes Bild vom Stand des modernen katholischen ekklesiologischen
Denkens.

Es muß wohl auffallen, daß ein evangelischer Theologe
der Gegenwart nicht ins Gespräch gezogen wird, obgleich er in
ihm erscheinen müßte; es ist Emanuel Hirsch, dessen Namen man
vergebens sucht. Liest man neben Sch. Hirschs Kapitel über
„Theologische Ansätze in der anglikanischen Kirche" (Gesch. d.
neueren ev. Theol. III, 1951, S. 277 ff.), so wird man zu seiner
Freude gewahr, daß hier die Antwort auf Sch. bereits gegeben
ist und daß dem evangelischen Theologen heute kaum etwas entgeht
, wenn er Sch. nicht lesen 6ollte. Hirsch sieht scharf, daß
die grundlegende Verschiedenheit in der Rechtfertigungslehre
I beginnt (Hirsch 303 ff.), was bei Sch. in seinem kargen Kapitel