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1958 Nr. 4

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Bibelwissenschaft

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Theologische Literaturzeitung 1958 Nr. 4

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vitalen Hiersein auf. Ist ihm ein Weg in die Leiblichkeit zurück
beschieden, dann mag er ein seelenloser Mensch oder ein Dämon
sein; starb er den „schlimmen Tod", so wird er als bösester
Wiedergänger sein Unwesen treiben. Durch das Ausziehen dieser
Linien leistet R. einen Beitrag zur Betrachtung religions-
und rechtsgeschichtlicher Seltsamkeiten. Er kommt von hier aus
auch zur Gestalt des Urhebers, der ja keinen Einfluß auf die Gestaltung
des Lebensgefühls hat, vielmehr eine Brücke bildet zur
Flucht in die Mystik, die von der Religion aus der Rückschlag
ist gegen die heillose Fremdheit, die jede Gottheit charakterisiert
. Diese Fremdheit macht dem Verf. nicht geringere Sorgen
als sie seit grauem Altertum allen religiös Getriebenen bereitet
hat. Hier freilich wäre es von Vorteil gewesen, hätte Verf. auf
die recht verschiedenen Weisen Nachdruck gelegt, auf welche
Religion und Magie, jede an ihrem Teile, dieser trennenden
Fremdheit zu Leibe rücken; dies wäre zugleich seinen Ausführungen
über die magisch-religiöse Wechselseitigkeit zustatten gekommen
.

Es wird R. augenscheinlich schwer, seinen eigenen Standpunkt
zu festigen, wo es gilt, zu entscheiden, ob Askese und
Weltentfremdung zur Religion gehören. Jedoch will er die Entscheidung
darüber getroffen wissen, und zwar nicht nur von der
Gemeinschaft, sondern auch vom Individuum, auf daß nicht die
Einheit der Persönlichkeit zerbreche. Denn diese ist in der Religion
immer gefährdet — eben in erster Linie wegen des fernfremden
Charakters der Gottheit. Gerade deshalb wäre es der
Behandlung des Themas diensam gewesen, wenn Verf. diesem
Punkte reichlichere Aufmerksamkeit hätte angedeihen lassen.
Zieht sich doch durch die ganze Geschichte der Religionen die
Klage hindurch über die Behinderung und Störung der religiösen
Funktion bei noch so eifriger Bemühung um ihre Bewußtwer-
dung. Nicht minder aber sind die Blätter der Geschichte gefüllt
mit den endlosen Bestrebungen zur Beseitigung solcher Hemmnisse
und zur Klarstellung, auf welcher Seite menschlicher Geistestätigkeit
und Bewußtseinslebens der reichlichere Aufwand von
Energie und der größere Erfolg für religiöse Lauterkeit zu finden
sind. Mag man sich nun den indischen Kulten oder den gnosti-
schen, zumal koptischen, oder den spätpersischen Erscheinungen
zuwenden: immer dasselbe Anliegen: ob diese Formationen der
Niederschläge des Transzendenz-Bewußtseins mehr bzw. überhaupt
als ein religiöses oder magisches Phänomen zu werten
seien. Die für diese Frage erforderliche Klarstellung betreffs des
Wesens von Magie und Religion hatte R. augenscheinlich nicht
erreicht, als er diese Veröffentlichung in Angriff nahm. So begrüßenswert
es auf der einen Seite ist, daß Verf. bei seiner vorsichtigen
Wahl des Materials darauf verzichtet, einen entwicklungsgeschichtlichen
Übergang von der Unio magica zur religiösen
Lebenssphäre zu behaupten, so wenig bedenkt er sich anderseits
, sich — gegen Mensching — auf Söderbloms Behauptung
zurückzuziehen, daß das selbstische Moment in den Religionen
dasselbe Gewicht wie in der Magie habe; eine Behauptung, die
sich nur unter dem Schutz der Klausel einigen Bestand sichern
kann, daß verunreinigte, ihrem wahren Wesen entrückte Religionen
in Betracht gezogen sind, wie sie denn ja allermeist zu
sein pflegen.

Diese fundamentale Frage kann im Rahmen dieser Buchanzeige
nicht erörtert werden. Es sei mir deshalb gestattet, mit
dem Hinweise darauf zu schließen, daß ich seinerzeit selber die
Mentalität der kulturarmen Völker mehrfach besprochen und in
Anlehnung an die Terminologie der biologischen Psychologie als
symbiotisch - sympathetische Grundlebenseinstellung bezeichnet
habe. Es galt damals, dieselben Phänomene zu erforschen; sie
der magischen Denkweise einzureihen, kann ich mich nicht entschließen
, kann auch nicht finden, daß mit der Konstruktion
einer Unio magica die mit jener Mentalität aufscheinenden Tatsachen
einem leichteren Verständnis entgegengeführt werden
können.

BIBELWISSENSCHAFT

Biblia Sacra iuxta latinam vulgatam versionem ad codicum fidem
iussu Pii PP. xii cura et studio monachorum abbatiae pontificiae
sancti Hieronymi in urbe ordinis sancti Benedicti edita. XI: Libri
S a 1 o m o n i s, id est Proverbia, Ecclesiastes, Canticum canticorum
ex interpretatione sancti Hieronymi cum praefationibus et variis
capitulorum seriebus. Rom: Typis polyglottis vaticanis 1957. XVI,
202 S. 4°.

Wenn man den 30. April 1907, an dem Papst Pius X. an
den Abt-Primas der Benediktiner die Anfrage richtete, ob der
Orden bereit sei zu der Arbeit einer Vulgata-Revision, als den
Geburtstag dieses großen und schwierigen Unternehmens der
römischen Vulgata-Kommission bezeichnen darf, so nimmt
genau ein halbes Jahrhundert später der 11. Band des Werkes
seinen Weg in die Öffentlichkeit. Er bringt uns die 3 Bücher,
welche Hieronymus libri Salomonis nannte, nämlich die Pro-
verbien, Koheleth und das Hohe Lied, die in den Hss immer in
dieser Reihenfolge zusammen sich finden.

Der Text ruht auf 27 Hss, zu denen noch 3 Fragmente kommen
. Von den in den früheren Bänden benutzten wurden einige
als entbehrlich ausgeschieden. Dafür treten nun ein: Madrid,
Univ. 32 (saec. ix/x), Monte Cassino 553 (xi), London, Egerton
1046 (viii), Amiens 12 (viii), München, Gm 19105 (vii/viii),
Metz 7 (viii/ix), Salzburg A. ix. 16 (viii), St. Gallen 28 (ix),
Monza A. 2 (ix). Dazu treten noch einige Fragmente: Vat. Barb.
lat. 671 (viii), Orleans 19 (vi), St. Gallen 194 (vii/viii). Der
per cola et commata ohne Interpunktion gedruckte, von dreifachem
Apparat begleitete Text weist in der Überlieferung eine
bemerkenswerte Festigkeit auf. Zwar ist die Zahl der Abweichungen
von der klementinischen Vulgata nicht gering, doch
Wichtiges findet sich selten. Am stärksten geändert ist der Text
der Proverbien, wo es besonders galt, die Eindringlinge aus der
Vetus Latina zu entfernen. Prov. 16, 11 lesen wir wie bisher sae-
culi, nicht mit den Hss. sacculi; 8, 23 nicht mehr ab aeterno
ordinata, sondern ordita, die letztere Lesart nur schwach, die andere
gar nicht bezeugt, aber beide durch die hebräische Vorlage
als zweifellos richtig erwiesen. Ungern jedoch glaubt man den
Herausgebern, daß Hieronymus Prov. 30, 19 adulescentia geschrieben
hat, und noch weniger, daß 17, 6 sui (statt illorum)
aus seiner Feder stammt. So wird dies und jenes immerhin fraglich
bleiben.

Erwägt man, daß zwischen dem Original und unserer ältesten
Überlieferung doch ein Abstand von etwa 200 Jahren liegt,
so wird man namentlich auch in bezug auf die Rechtschreibung
einige Unsicherheit in Rechnung stellen müssen. Ob Hieronymus
schon ein tormonsus kannte, wie man nun in Ct liest, wage ich
nicht zu beurteilen; vielleicht edierte Quentin Gen. 41,5 richtiger
iormosae. Ob man besser daran tut, jetzt atfligo und repperio
zu schreiben, statt wie früher adiligo und reperio, mögen die
Spezialisten entscheiden. Wenn man Prov. 5, 19 inulus liest,
dagegen im Ct mehrfach hinulus, so wird wohl eines von beiden
den Vorzug verdienen, aber die Frage welches, muß offen bleiben
und wird sich einer sicheren Antwort entziehen.

Die Hauptsache ist aber jedenfalls, daß uns durch diese Edition
zum erstenmal ein Einblick in die Überlieferung der Vulgata
geboten wird, wie man ihn früher auch nicht ahnen konnte.
Als imctus diuturni laboris charakterisieren die ungenannten
Mönche von S. Girolamo in dem Widmungswort diesen Band.
Man darf ihnen mit Dank bestätigen, daß er sich würdig seinen
Vorgängern anreiht und an Gewissenhaftigkeit und Sorgfalt
nichts zu wünschen übrig läßt. Als nach 19jähriger Vorbereitung
der erste Band der gelehrten Welt dargeboten wurde und dann
langsam andere heranreiften, meinte man wohl: „die römischen
Mühlen mahlen langsam, aber sie liefern ein sehr feines Mehl".
Nur wenige Benutzer dürften eine Vorstellung davon haben,
wieviel strenge Zucht hinter einer solchen Arbeit steht, und wieviel
Zeit und Geduld, Mühe und Ausdauer sie erfordert hat.

Bonn Heinridi Vogels

Chicago

K. Beth

Schäfer, Karl Th.: Die altlateinische Bibel. Rede zum Antritt des
Rektorates der Rheinischen Friedrich Wilhelms-Universität zu Bonn
am 17. November 1956. Peter Hanstein Verlag GmbH. Bonn 1957.