Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1958 Nr. 4

Spalte:

255-258

Autor/Hrsg.:

Jaeger, Werner

Titel/Untertitel:

Basilius und der Abschluß des trinitarischen Dogmas 1958

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

255

Theologische Literaturzeitung 1958 Nr. 4

256

Basilius und der Abschluß

Von Werner J a e g e r,
Man würde fehlgehen, wollte man den gegenwärtigen Mangel
an monographischen, tiefer eindringenden Untersuchungen
über das Haupt der Kappadokischen Schule der Theologie ausschließlich
mit der herrschenden theologischen Richtung erklären,
die im ganzen der historischen Erforschung des Christentums,
wie sie im 19. Jhdt. blühte, eine sekundäre Rolle zuweist oder
ihr mit ausgesprochener Interesselosigkeit gegenübersteht. Schon
Ad. Jülicher (vom Verf. zitiert S. 1) beklagte das Fehlen „zuverlässiger
und umfassender Untersuchungen über Basilius' Arbeiten,
deren Überlieferung und ihren Einfluß auf die Kirche". Ein Anfang
mit der Erschließung der handschriftlichen Überlieferung
ist für die asketischen Schriften und das Hexaemeron seither von
Stig Rudberg und M. Amand, die in wirksamer Weise zusammenarbeiten
, sowie von J. Gribomont, O. S. B., gemacht worden,
aber es fehlt noch viel zu der systematischen Inangriffnahme
einer Gesamtausgabe des Basilius, wie sie vom Rez. für Gregor
von Nyssa seit 1911 unternommen wurde und mit Hilfe von
anderen Gelehrten weitergeführt wird. Doch fand Verf. für seine
Untersuchung über das Hauptwerk des Basilius, De Spiritu Sanc-
to1, dem sein Buch gewidmet ist, eine revidierte textliche Grundlage
vor in C. Th. Johnstons The Book of St. Basil ... On the
Holy Spirit (Oxford 1892) und neuerdings bei B. Pruche, O. P.,
Basile de Cesaree, Traite du Saint-Esprit (in Sources Chretien-
nes, Paris 1945). Die Beschäftigung der historischen Theologie
der liberalen Ära mit Basilius ist hauptsächlich in den großen
dogmengeschichtlichen Werken jener Zeit aufgegangen, und eine
freilich dann so fundamentale Einzeluntersuchung über die großen
Kappadokier wie Karl Holls Buch über Amphilochius von
Ikonium (Tübingen 1904), den Schüler des Basilius, ist vereinzelt
geblieben, während Gregor von Nyssa, der in der kirchlichen
Tradition stets hinter seinem Bruder Basilius zurücktrat,
seit einigen Jahren eine Art Renaissance erlebt und eine ganze
Literatur erzeugt hat. So stellt Dörries' Arbeit einen vielversprechenden
neuen Anfang für Basilius dar, den jeder dankbar begrüßen
wird.

D. verbindet in seinem Buche zwei Dinge, die sich gerade
im Falle des Basilius glücklich vereinen: das tief dringende analytische
Studium eines einzelnen Werks, das allerdings das
Hauptwerk des Autors ist, und die geschichtliche Behandlung
der großen Streitfrage, die es zum Gegenstande hat, der Kontroverse
über die Gottheit des hl. Geistes, die die Kirche im 4. Jhdt.
nach Nicäa erschütterte und schließlich auf dem Konzil von Konstantinopel
(381) zum Abschluß der Entwicklung des trinitari-
schen Dogmas führte. Der Untertitel des Buches deutet an, daß
Verf. sich bewußt auf den Anteil des Basilius an diesen Vorgängen
beschränkt, obgleich dieser ja das Konzil von 381 nicht
mehr erlebt, also den Ausgang seines Kampfes nicht selbst gesehen
hat. Hier greift dann vor allem die Tätigkeit des Gregor
von Nyssa ein, doch auch Gregor von Nazianz und andere sind
zu nennen. Eine Gesamtdarstellung der Entwicklung des Dogmas
vom hl. Geist müßte den Schlußstein dieser Forschungen bilden,
doch wird eine Sonderuntersuchung des Nysseners, wie Rez.
selbst sie unter den Händen hat, eine notwendige Vorbedingung
für letztere bilden. Dörries Buch schließt 6ie nicht mit ein, doch
in gewissem Sinne vollendet sich in ihr und setzt sich in originaler
Weise fort die Theologie des großen Bruders, der den
Grund gelegt hatte.

Man wird es nur begrüßen können, daß Verf. über die
Lehre des Basilius vom hl. Geiste nicht nur allgemein reflektiert,
sondern dessen klassisches Werk über den Geist vor uns aufbaut,
ein Verfahren, das reichlich Anlaß bietet auch zur theologischen
Würdigung dessen, was da geleistet ist. Es ist also in seinem
Hauptteil Interpretation eines Textes, aber den Historiker muß
es sehr befriedigen, daß D. den Versuch macht, die Schrift über
den hl. Geist in ein Gesamtbild der Entwicklung dieses Teiles

') Dörries, Hermann: De Spin'tn Sancto. Der Beitrag des Basilius
zum Abschluß des trinitarisdien Doemas. Göttinnen: Vandenhoeck
& Ruprecht 19 56. 199 S. gr. 8° = Abhandl. d. Akademie der Wiss. in
Göttingen. Philolog.-Hist. Kl. 3. F. Nr. 39. DM 15.—.

des trinitarischen Dogmas

Cambridge/Mass, U.S.A.
der Theologie des Basilius hineinzustellen, was in einer Monographie
weit besser möglich ist als etwa in der Einleitung einer
kommentierten Ausgabe, über deren Dimension diese Aufgabe
weit hinauswächst. D. widmet der Vorgeschichte der Schrift 43
Seiten 6eines Buches, der Analyse von De Sp. S. S. 44—93.
Diese dehnt sich dann aus zur Geschichte des damit seine Höhe
erreichenden pneumatomachischen Streits S. 94—120, und gipfelt
in der „Lehre" vom hl. Geist S. 121—162, die manches wiederholen
muß, doch straffer zusammengefaßt. Der Abschnitt über
Basilius zwischen den Synoden S. 163—176 (mit folgendem Ausblick
auf den Ertrag) spannt den großen Rahmen der historischen
Betrachtung, läßt aber 6chon in der Überschrift erkennen, daß
an eine Einordnung in die Vorgeschichte des Problems vor
Nicaea nicht gedacht ist. Das ist kein allzu großer Verlust, da
der hl. Geist in dieser Periode keine den Fragen der Christo-
logie vergleichbare Lehrbildung hervorgerufen hat. Doch gäbe es
hier im einzelnen manches Wichtige zu vergleichen, vor allem
Origenes. Da anderseits Athanasius erst spät beginnt, der Frage
des Geistes besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden und in ihr
auch dann nicht führend hervortritt, 60 kann er vom Verf. leicht
noch in das Bild mithineingezogen werden.

An der Analyse der Schrift De Sp. S. ist ihre Subtilität und
Sauberkeit zu rühmen, sowie das theologische Urteil des Verf.s,
der Basilius mit tiefer Bewunderung gegenübersteht, wenn er auch
für die Kritik Verständnis hat, die eine spätere Theologie gelegentlich
geübt hat. Er erkennt richtig die Allseitigkeit der Betrachtungsart
des Basilius, sein feinfühliges Zurückhalten, bevor
er mit einer fertigen Formel hervortritt, die erst ein Ergebnis des
Kampfes ist, seine von den Gesinnungsgenossen vielfach getadelte
Ökonomie, seine Rücksicht auf den langjährigen Freund Eusta-
thius von Sebaste, den er dann doch preisgeben muß, nachdem
alle Friedensversuche gescheitert sind. Die Nuancierung des Bildes
ist von bemerkenswerter Treffsicherheit in der Abwägung
der äußeren Umstände, des Drucks der kirchenpolitischen Lage,
der Psychologie des Basilius selbst und des Verhaltens seiner
Freunde. Dank dieser Fähigkeit des Verf.s gelingt es ihm, das
meiste in den Briefen enthaltene Material für das Entwicklungsbild
zu verwerten, ja dies ist an dem Buch das eigentlich Entscheidende
. Am wichtigsten werden hier die Briefe, die zwischen
der Jugendarbeit, dem Antirrhetikos gegen den Arianer Euno-
mius, und De Sp. S. liegen. In ihnen sucht Verf. mit dem Blick
auf das endgültige Produkt, De Sp. S., ein allmähliches Wachsen
in der Bestimmtheit und Vollständigkeit der Äußerungen des
Basilius nachzuweisen, während diejenigen in C. Eunomium
noch relativ undifferenziert und von der späteren Theologie des
hl. Geistes des Basilius noch weit entfernt sind. Die Chronologie
der Basiliusbriefe, die D. seiner Rekonstruktion der Entwicklung
zugrundelegt, ist die von Loofs, Eustathios von Sebaste
und die Chronologie der Basilius-Briefe (Halle 1898), ermittelte
mit den Modifikationen von H. Lietzmann (Apollinaris
von Laodicea, Tübingen 1904).

Die sorgfältige chronologische Arbeit der letzten Generation
wird dadurch eigentlich erst fruchtbar gemacht. Es kann
natürlich hier nicht versucht werden, die einzelnen Stadien
nachzuzeichnen, doch die Richtung der im Laufe der Jahre
wahrzunehmenden Veränderungen in der Sprache des Basilius
ist unzweideutig, wenn auch bei einem Versuch dieser Art die
Gefahr der gelegentlichen Überinterpretation einzelner Äußerungen
und des Fehlens oder erstmaligen Auftretens gewisser
Aussagen nicht ganz zu bannen sein wird. Es handelt sich dabei
um Schattierungen und Zwischenstufen, die in der dogmengeschichtlichen
Literatur notwendig unbeachtet bleiben, und e6
fällt so mehr Licht auf das Eigentümliche der wechselnden Situation
, die Rolle des persönlichen Charakters und den Zusammenhang
mit anderen Zeitgenossen. Wir kommen mit einem
Wort der eigentlich geschichtlichen Wirklichkeit näher,als es bei
der Konstruktion überpersönlicher Ideenzusammenhänge möglich
ist. Weniger Licht fällt dagegen auf die vorhergehende oder
nachfolgende Geschichte des Problems.