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Ausgabe:

1958

Spalte:

249-254

Autor/Hrsg.:

Stern, H.

Titel/Untertitel:

Die Synagoge von Dura-Europos 1958

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sich andere Folgen für die Exegese, und deswegen ist es eine
theologisch wichtige Frage.

Daß es sich bei der Überlieferung der Ezediielworte nicht um einen
Vorgang mündlicher Tradition gehandelt hat, wird heute weithin anerkannt
. Es gibt ausreichende Gründe für diese Feststellung. Selbst
wenn man für die erste Zeit eine nur mündliche Überlieferung annehmen
wollte, änderte dies nichts an der Notwendigkeit literarkritischer Untersuchung
und Scheidung, deren Grundsätze auch in diesem Falle anzuwenden
wären24. Eine derartige Untersuchung ergibt aber, daß die
Worte Ezechiels nicht in dem gleichmäßigen und einheitlichen Sinn
überarbeitet worden sind, den die Annahme eines Herausgebers oder
einer Schule erforderte. Die einzelnen Zusätze sind formal und inhaltlich
so verschiedenartig, daß sie nicht von einer Hand oder einem geschlossenen
Kreis stammen können. Wie sich eine einheitliche Bearbeitung
auswirkt, läßt sich an den verschiedenen Quellenschichten des
Hexateuch erkennen; der Verschiedenheit der Bearbeitung des gleichen
alten Stoffes durch die einzelnen Schichten entspricht die formale und
theologische Gleichartigkeit innerhalb der jeweiligen einzelnen Schicht.
Eine ähnliche Sachlage findet sich im Ezechielbuch nicht; eine Gleichartigkeit
wie innerhalb der Quellenschichten des Hexateuch ist nicht
zu beobachten. Vielmehr sind dem Text zu verschiedenen Zeiten und
von verschiedenen Händen kleinere und größere Glossen zugefügt worden
— außerdem oft wieder Glossen zu den Glossen —, die zwar „den
Text lehrhaft erläutern, reflektierend verbreitern, besonders am Schlüsse
von Absätzen wiederholend und zusammenfassend vermehren"25, doch
dies eben in sehr unterschiedlicher Weise tun, so daß sie nicht auf
einen gemeinsamen Nenner zu bringen sind.

Hat es überhaupt eine „Schule" eines Propheten gegeben? Wir
erfahren aus der frühen Zeit der israelitischen Prophetie oft von Prophetengenossenschaften
, die sich um einen hervorragenden Propheten
sammelten, doch entspricht eine solche ordensähnliche Gemeinschaft

) Vgl. die eingehende Begründung von O. Eißfeldt, Einleitung
in das Alte Testament, 19562, S. 6 f.

,s) J. Herrmann, Ezechiel, 1924, S. VII. Ein treffendes Beispiel für
die Glossierung eines Textes an Hand zweier vergleichbarer Überlieferungen
enthält die Untersuchung von C.-H. Hunzinger, Fragmente
einer älteren Fassung des Buches Milhamä aus Höhle 4 von Qumrän,
ZAW 69 (1957), S. 131—151.

nicht eigentlich einer Schule. Bei den großen Einzelpropheten gibt es
nicht einmal derartige Gemeinschaften; sie sind Einzelgestalten, die
sich von den in dieser Zeit ebenfalls einzeln auftretenden Kultpropheten
zusätzlich durch die fehlende Bindung an ein Heiligtum abheben.
Bei der einzigen Stelle, auf die man sich für die Annahme einer Schule
berufen könnte, liegt eine Glosse vor: In Jes. 8, 16 ist das Wort „in
meinen Jüngern" aus mehreren Gründen als späterer Zusatz zu bezeichnen
, den die Septuaginta übrigens anders und besser gelesen hat.
Daß es um Jeremia keine Schule gegeben hat, geht aus der Begleitung
durch Baruch hervor, der die Worte des Propheten niederschreibt
Oer. 36) und über ihn allein berichtet. Und daß sich um die eigenartige
Gestalt Ezechiels eine Schule gesammelt haben sollte, ist so unwahrscheinlich
wie möglich.

Es ist zu befürchten, daß die Annahme einer einheitlichen
Bearbeitung der Prophetenworte durch einen Einzelnen oder eine
Schule zu einem neuen Mißverstehen der Prophetie führt. Die
dadurch erreichte hohe Bewertung der Zusätze zum Text ist zu
teuer erkauft. Das ändert nichts daran, daß man diese Zusätze
nicht einfach als minderwertige Hobelspäne beiseite fegen darf,
sondern recht würdigen muß. Ihr Text ist für die Kenntnis des
späteren Verständnisses und der Nachgeschichte der Prophetenworte
wichtig. Diesen selbst darf er aber nicht gleichgestellt
werden. Er kann nur die Bedeutung erster kommentierender Anmerkungen
zum Prophetenwort beanspruchen, die verschiedene
Hände niedergelegt haben.

VII.

In positivem wie negativem Sinn ist die heutige Ezechielforschung
für die wissenschaftliche Problematik symptomatisch.
An ihr werden die in den Mittelpunkt rückenden Forschungsgebiete
ebenso deutlich wie die Grenzen und Gefahren der anzuwendenden
Methoden. Es ist für die ganze Theologie, der die
Ergebnisse der alttestamentlichen Exegese ja nicht gleichgültig
sein können, von besonderer Wichtigkeit, diese Sachlage zu beachten
.

Die Synagoge von Dura-Europos

Von H. Ste rn, Paris

Das Buch Kraelings über die Synagoge von Dura-Europos1
bringt nun endlich die umfassende und bis zu einem gewissen
Grade erschöpfende Monographie dieses einzigartigen Denkmals
, die wir seit langem erwarteten.

Der Verfasser hat sich auf das gewissenhafteste bemüht,
die seit der Entdeckung 1932/33 erschienene umfangreiche Literatur
zu verarbeiten und dem Leser eine möglichst objektive
Darstellung sowohl der Grabungs- als auch der Forschungsresultate
vorzulegen. In drei Hauptabteilungen sind 1. die Architektur
, 2. die Innendekoration, 3. die religions-, kultur- und
kunstgeschichtlichen Probleme behandelt, die sich aus diesen
Untersuchungen ergeben. Ein eingeschobenes Kapitel über die
aramäischen (von C. Torrey), griechischen (von C. B. Welles)
und mittelpersischen Inschriften (von B. Geiger) (pp. 261—317)
bringt vor allem in seinem letzten Teil (mittelpersische Inschriften
) außerordentlich interessante neue Aufschlüsse über
die geschichtliche Lage dieser mesopotamischen Grenzstadt
kurz vor ihrer Zerstörung.

Der erste Teil bietet einen kurzen, präzisen Überblick über
die Baugeschichte des Synagogenkomplexes. Ein Privathaus
wurde zu Anfang des 3. Jahrhunderts n. Chr. in eine erste Synagoge
verwandelt, um dann in den vierziger Jahren desselben
Jahrhunderts eine zweite und endgültige Form zu erhalten.
Durch ein Zusammenwirken ungewöhnlicher Umstände hat sich
ein großer Teil der Innendekoration erhalten, die normaler Weise
bei Zerstörung der Stadt im Jahre 256/57 einem sicheren Llnter-

Der für die Wissenschaft wichtigste Teil des Bauwerkes ist
ohne Zweifel dieser Innenschmuck, und zwar sind es vor allem
die figürlichen Fresken, die sich ringsum an den Wänden in drei
Zonen hinziehen und von denen etwa die Hälfte erhalten ist. In
sorgfältigen archäologischen Einzeluntersuchungen sind diese
Bilder im zweiten Teil erklärt unter Heranziehung eines reichen
jüdischen Textmaterials.

Im letzten Teil schlägt der Verfasser Lösungen vor für die
vielumstrittenen Probleme, die sich aus dieser ganz außergewöhnlichen
Entdeckung ergaben: Kunst- und religionsgeschicht-
'iche Stellung der Malereien zwischen Ost und West, Sinn und
Bedeutung des Zyklus, Ursprünge 6einer Ikonographie, Zusammenhänge
mit der christlichen Kunst.

Ehe wir uns jedoch den Einzelfragen zuwenden, seien zunächst
einige prinzipielle Bemerkungen gemacht. Wie wir eingangs
erwähnten, läßt sich Kraeling stets angelegen sein, den
Meinungen seiner Vorgänger gerecht zu werden. Es geht dies
aber nicht immer ohne Schwierigkeiten ab. Gedankengut des Verfassers
und das seiner Vorgänger sind häufig so eng verquickt,
daß es unmöglich wird, eine klare Trennung ohne weitläufige
eigene Studien vorzunehmen. Um nur ein Beispiel zu nennen:
Bei der Auslegung des Mittelfeldes der Malereien, p. 62—65,
P- 214—227, ßtützt sich Kraeling im wesentlichen auf die Arbeiten
Leveens2 und Grabars3, fügt dem aber eine eigene Interpretation
des Thronenden und der Orpheusfigur hinzu, ohne
irgendwie diese verschiedenen Beiträge voneinander zu scheiden.

gang geweiht gewesen wäre. Die buchtedinische Ausstattung läßt zu wünschen übrig.

Indices fehlen völlig, wären aber für die Benützung des Werkes,
das ein abschließender Bericht ist, unumgänglich notwendig. Das

') Kraeling. Carl H.: The Synagogue. With contributions by
G. C. Torrey, C. B. Welles and B.Geiger. New Häven: Yale University
Press 1956. XV111,402 S., 124 Abb., 78Taf., 12Ktn. 4° =» The Ex-
cavations at Dura-Europos, condueted by Yale University and the
French Academy of Inscriptions and Letters. Final Report VIII, 1, ed. by
A. R. Bellinger, F. E. Brown, A. Perkins, C. B. Welles.

2) J. Leveen, The Hebrew Bible in Art. London, 1944, p. 24—27.
*) A. Grabar, Le theme religieux des fresques de la 6ynagogue de
Doura. dans Revue de l'histoire des religions, t. 123, 1941, p. 161 ff