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Ausgabe: | 1958 Nr. 3 |
Spalte: | 232-234 |
Kategorie: | Praktische Theologie |
Autor/Hrsg.: | Niemöller, Martin |
Titel/Untertitel: | Herr, wohin sollen wir gehen? 1958 |
Rezensent: | Konrad, Joachim |
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231 Theologische Literaturzeitung 1958 Nr. 3 232
Auffassung von Luthers Rechtslehre (108). Das ministerium von
CA 5 ist nicht das Predigtamt im technischen Sinne, sondern die
Glauben weckende Evangeliumspredigt, wo und wie immer sie
Gott in dieser Welt erschallen läßt. (Erst CA 14 redet vom
Pfarramt.) Mit diesem ministerium verbindet M. nun den Begriff
des göttlichen Rechtes, das er mit Gottes schöpferischem Wort
identifiziert, sei es im natürlichen Gemeinschaftsleben (ius naturale
), sei es in der Kirche (viva vox evangelii). Obwohl M. damit
vom üblichen Sprachgebrauch abweicht (103), meint er doch, nur
durch Beibehaltung des ius-divinum-Begriffs den Aussagen der
Bekenntnisschriften gerecht werden zu können.
Hier befinden wir uns an dem schwierigsten Punkt der
M.sehen Konzeption. Der Begriff des göttlichen Rechtes ist nun
einmal stark vorbelastet, und man muß fragen, wie weit seine
Umdeutung gelingt. Zwar betont M. sehr nachdrücklich immer
wieder, daß das „göttliche Recht mit der Wortgewalt identisch"
ist (136), daß die Ekklesia nur „Werkzeug, Mund" ist und nicht
ein Recht „hat" (122), daß nach lutherischem Verständnis
des göttlichen Rechtes Gottes neuschöpferisches Wort mit der
Rechtfertigungsbotschaft das Heil wirkt (162), daß es zur „Verwirklichung
des göttlichen Rechtes" in der Kundmachung des
göttlichen Heilswillens ,, keiner rechtlich verfaßten Institution"
bedarf (103); zwar lehnt M. den Gedanken einer „Christokratie"
als Vergesetzlichung und den der „biblischen Weisungen" als
biblizistische Verengung ab (180 f.). Aber er sagt dann doch:
„Das göttliche Recht verlangt die Einrichtung eines geordneten
öffentlichen Dienstamtes und gebietet der Ekklesia in göttlicher
Autorität, dafür die institutionellen Formen zu schaffen" (113).
Das Amt von CA 14 „ist eine Institution, eine göttliche Stiftung
", die allerdings nach menschlichem Recht geordnet sein
muß (1195). Die Notwendigkeit des öffentlichen Dienstamtes
ergibt sich aus göttlichem Recht; 6eine konkrete Gestalt ist „ein
allen geschichtlichen Veränderungsmöglichkeiten unterworfenes
menschliches Recht" (175). „Nicht das Sosein, wohl aber das
Dasein dieser Formen beruht auf göttlichem Recht" (113).
Aber wie soll diese Unterscheidung durchgeführt werden?
Wo soll die Grenze zwischen Dasein und Sosein des Pfarramtes
liegen? Was ist hier also vom göttlichen Recht geboten und
daher unabdinglich, was geschichtlich veränderliches menschliches
Recht? M. betont als vom göttlichen Recht her gefordert
den Öffentlichkeitscharakter des kirchlichen Amtes. Was heißt
in diesem Zusammenhang „öffentlich"? Wird hiermit eine besondere
kirchliche Öffentlichkeit postuliert etwa im Unterschied
zum nichtöffentlichen Bereich der Hausgemeinde? Oder liegt ein
politischer Öffentlichkeitsbegriff zugrunde im Sinne eines öffentlichen
Rechts im Unterschied zum Privatrecht (Kirche als Körperschaft
des öffentlichen Rechtes)? Und welcher Art soll die
aus dem göttlichen Recht stammende Vollmacht der Kirche für
diese Öffentlichkeit sein? Wird durch das göttliche Recht eine
Gesetzgebungsgewalt der Kirche begründet? M. bejaht diese Frage
(134), verwahrt sich aber dagegen, daß „der Gehorsam gegen
ein kirchliches Gesetz als Zwang den Gewissen auferlegt" wird
(144), „Zwang und gesetzlicher Gehorsam ist - - - ausgeschlossen,
die christliche Freiheit gewahrt" (130). Haben also Kirchengesetze
keine Gesetzesautorität? In welchem Sinne reden wir
dann aber von Kirchengesetzen? Wäre es nicht sachgemäßer auf
den Gesetzesbegriff zu verzichten?
Trotz dieser kritischen Fragen, die gestellt werden müssen,
ist M.s Untersuchung im ganzen sehr förderlich. Weithin sind
M.s aufschlußreiche Ausführungen einfach überzeugend und werden
die Forschung sicher entscheidend befruchten.
Druckfehlerberichtigung: S. 3 5, Z. 24 lies: unüberbrückbarem statt:
überbrückbarem; 98,32 1: notwendig nicht st: nicht notwendig: 106,
20 1: Anthropologie st: Andrologie; 120, 12 1: und von st: und der
von; 135,8 1: Bildung st: Bindung; 143,25 1: per eas st: pereas;
146, Anm. 83 ist durch Fortfall einer (oder mehrerer?) Zeile verstümmelt
; 148 Durchschuß zwischen Text und Anmerkungen muß zwei Zeilen
tiefer gerückt werden; 158,17 1: legislator st: legislatur; 173,42
1: ac st: ae; 179,11 ist Zahl nicht ausgefüllt; 187, 18 1: Übereinstimmungen
st: Üereinstimmungen; 181,38 1: Gallicana st: Galicana.
Halle/Saale E.Schott
PRAKTISCHE THEOLOGIE
N i e m ö 11 e r, Martin: Herr, wohin sollen wir gehen? Ausgewählte
Predigten. München: Kaiser 1956. 135 S. 8°. Kart. DM 5.80.
Steinwand, Eduard, u. Girgcnsohn, Herbert: Laß leuchten
dein Antlitz! Predigten. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht [1956].
256 S. gr. 8°. Lw. DM 12.80.
Trillhaas, Wolf gang: Von den Geheimnissen Gottes. Predigten.
Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1956. 76 S. gr. 8° = Pflüget
ein Neues. Göttinger Predigt-Hefte, H. 1. Kart. DM 2.80.
Wolff, Hans Walter: Alttestamentliche Predigten mit hermeneutischen
Erwägungen. Hermann Schlingensiepen zum 60. Geburtstag. Ncu-
kirdien Kr. Moers: Verlag der Buchhandl. d. Erziehungsvereins [1956].
132 S. kl. 8°. Lw. DM 5.80.
N i e m ö 11 e r hat in diesem Bändchen 1 5 Predigten, darunter
2 Rundfunkpredigten, aus den Jahren 1953—56 veröffentlicht
. Sie suchen Textnähe und Gegenwartsnähe miteinander zu
verbinden und rufen in einem nüchternen, herben und männlichen
Ton zur Gehorsamsentscheidung für den alleinigen Herren Jesus
Christus gegen alle verfälschenden Tendenzen einer angeblich
„christlichen" Welt. Wer N. nur als Kirchenpolitiker kennt, bekommt
in diesen Predigten einen Einblick in das geistliche Fundament
seiner oft befehdeten Haltung. „Unsere Aufgabe als
Kirche ist mitten in der Welt" (S. 114). Und das gerade veranlaßt
den, der Christus in den „unmöglichen" und „aussichtslosen
" Situationen dieser Welt wirklich als Herren anzuerkennen
wagt, im Gegensatz zu allen „RückversicherungenC (S. 99)
zu einem Vertrauensgehorsam von radikal zugreifender Mächtigkeit
. Die Entlarvung der die Botschaft verfälschenden „Christlichkeit
" zieht sich als Antithese durch alle Predigten. Von daher
ist auch ihr politischer und kirchenpolitischer Charakter bedingt
. Aber dieses politische Moment entstammt dem Glauben
und nicht primär einer parteipolitischen Stellungnahme. Darum
hat es ein Recht in der Predigt. So, wenn N. seine „christlichen"
Gegner sagen läßt (S. 90 f.): „Und mit der Herrschaft Christi,
das sei auch nicht so unmittelbar und absolut gemeint; es gäbe
eben auch noch andere Gewalten, die berücksichtigt werden müßten
, und sie wollten schon dafür Sorge tragen, daß alles hübsch
zu seinem Recht käme, die Wirtschaft und die Gesellschaft, der
Staat und die Kirche: der Einzelne dürfe natürlich nicht töten,
aber im Dienste des Staates müsse er es unter Umständen tun;
und der Einzelne dürfe natürlich nicht stehlen; aber innerhalb der
Wirtschaft sei es erlaubt; und der Einzelne dürfe natürlich nicht
lügen und verleumden, aber es gebe höhere Notwendigkeiten
der menschlichen Gesellschaft, die auch Lüge und Verleumdung
rechtfertigen; kurzum, es gebe nicht nur den Herrn Christus, es
gebe auch noch so etwas wie eine christliche Welt, in der man
neben ihm auch noch einige andere Autoritäten gelten lassen
müsse, und das sei durchaus in Ordnung: schließlich mache es
die Kirche ja auch nicht anders"! Und nun antwortet der Prediger
N.: „Da lauert die große Versuchung zum falschen Spiel; da
heißt es Bekennen oder Verleugnen: wer ist nun eigentlich Herr?
Denn niemand kann zweien Herren dienen" (ebenda). An Stellen
wie diesen wird die Linie sichtbar, die vom Kirchenkampf
unmittelbar bis zu dieser Art politisch zu predigen führt. Aber
auch abgesehen von aller Polemik bedeuten diese Predigten einen
starken Ruf zu dem Herren, der „Worte des ewigen Lebens"
hat, und damit eine eindeutige Antwort auf die Überschriftsfrage
dieses Predigtbüchleins: „Herr, wohin sollen wir gehen?".
Die 70 Predigten, von denen 53 auf Steinwand und 17
auf Girgensohn kommen, stammen aus den Jahren 1940
bis 1955. Sie haben noch Krieg und Katastrophe und schon die
bürgerliche Sattheit des „Wirtschaftswunders" als zeitlichen
Hintergrund. Ihre Herausgabe will einem doppelten Zweck dienen
. Sie wollen den umgesiedelten Heimatgenossen der Verfasser
dazu helfen „inmitten aller Heimatlosigkeit eine bleibende Heimat
zu finden" (S. 3), sowie den jetzigen und einstigen Hörern
der homiletischen Vorlesungen St.s und G.s Beispiele durchgeführter
Predigten an die Hand geben. Aus diesem zweiten
Grunde werden auch im Vorwort von St. einige homiletische Gesichtspunkte
herausgestellt, die den Verfassern als besonders
wichtig erscheinen, z. B. die Gefahr der Verharmlosung, die das