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Ausgabe:

1958 Nr. 3

Spalte:

211-213

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Bock, Emil

Titel/Untertitel:

Paulus 1958

Rezensent:

Israel, Friedrich

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Theologische Literaturzeitung 1958 Nr. 3

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weist darauf hin, daß die in La Salette und Fatima erscheinende
Jungfrau den „heiligen Sinn" der gegenwärtigen Geschichte
offenbart hat und auf göttliche Weise den Lauf der Geschichte
beeinflußt. So 6ind die Erscheinungen der Maria ein Anruf Gottes
, der aufs engste mit allen übernatürlichen Geschehnissen
verbunden ist. Die Pilgerfahrt zu den Erscheinungsorten hat
eschatologische Bedeutung. Sie vollendet sich in der Eucharistie,
dem Kulminationspunkt, in dem die Verehrung Christi und der
Maria vereint ist. Darum haben die Erscheinungen nicht nur
große Bedeutung im Leben der Kirche, sondern auch im Leben
des einzelnen Christen. Vor allen Dingen sieht der Verfasser die
Erscheinungen im „Mysterium" der Maria: Unbefleckte Empfängnis
, Verkündigung und Heimsuchung, ihr Gang über Kaivaria,
ihre Aufnahme in den Himmel und ihr Königtum. Sie alle bilden
eine Einheit. Das gesamte Leben der Maria ist ihr „Mysterium
".

Es ist wichtig, daß auch die evangelische Theologie sich mit
dem gesamten Komplex der Erscheinungen beschäftigt. Sie kann
nicht mit einer rationalistischen Begründung an ihm vorüber gehen
oder in ihm ein Christentum „zweiter Ordnung" sehen. Sie
wird allerdings nicht mit Jean Guitton (La Vierge Marie 1949.
S. 123. 125), welcher den dogmatischen Gehalt der Marienerscheinung
in Lourdes untersucht, einverstanden sein, mit ihm
zu sagen: „Zugeben, was die Erscheinung die „Unbefleckte Empfängnis
" nennt, bedeutet: „die Gottesmutterschaft zugeben, so
wie die Gottheit Christi und die Trinität; es heißt zugeben, daß
die religiöse Entwicklung, wie sie 6ich unter der Leitung des
Bischofs von Rom in einer bestimmten Linie vollzogen hat, richtig
ist; heißt: die Autorität einer Definition zugeben, die der
Papst ausgesprochen hat; heißt: die Unfehlbarkeit des Papstes
zugeben". Die evangelische Theologie wird in diesen Erscheinungen
Privatoffenbarungen sehen, denen sie keine Bedeutung
für das Glaubensleben des einzelnen ChristeH zumessen kann.
Lochets Buch bestätigt erneut, welche Auswirkung die kirchliche
Anerkennung der Marienerscheinungen von Lourdes und Fatima
für die Mariologie und die Frömmigkeitsgeschichte der katholischen
Kirche hat.

Berlin Walter Delius

Bock, Emil, Lic: Paulus. Stuttgart: Urachhaus 1956. 317 S. gr. 8°
= Beiträge zur Geistesgeschichte der Menschheit IV.

Die 7 stattlichen Bände der „Beiträge" hatten 1956 eine
Gesamtauflage von 79 OOO erreicht. Der Nachfolger Rittel-
meyers in der Leitung der Christengemeinschaft gewinnt mit dieser
schwersten geistigen Kost recht weite Kreise. Dieser theologische
Außenseiter will Paulus nicht so sehr als Theologen,
sondern vielmehr als einen der größten schöpferischen Beweger
und Neubeginner in der Geschichte des menschlichen Bewußtseins
sehen. Bode verfügt nicht nur über das Handwerkszeug
und über die Ergebnisse der Theologie, sondern legt darüber hinaus
die anthroposophische Geheimlehre Rudolf Steiners in die
übersinnlichen Erfahrungen des Apostels Paulus durch alle Briefe
und die Apostelgeschichte hindurch. „Es steht denen, die um ein
neues Bibelverständnis bemüht sind, noch manches Staunen darüber
bevor, wie nahe, und oft bis in den Wortlaut hinein übereinstimmend
, in dieser Hinsicht Paulinismus und Anthroposophie
miteinander verwandt sind" (S. 218).

Seine 18 Kapitel gliedert Verf. in 4 Abschnitte: Grundlegung
, Lebenswege, die Dokumente, Christus-Erkenntnis. Die
Grundlegung geht von dem Satze Albert Schweitzers aus: „Paulus
ist der Schutzheilige des Denkens im Christentum" (Die Mystik
des Apostels Paulus S. 365/6). Das Damaskuserlebnis ist nicht
Bekehrung, sondern Einweihung. Die „Lebenswege" sind eine
hinreißende Dichtung, insofern alle Möglichkeiten, die in den
Ortschaften und Landschaften wie in den Zeitgenossen liegen,
als Wirklichkeit genommen werden. Adolf Deißmann hat hier
Pate gestanden, wie auch im folgenden Abschnitt über die Dokumente
, d. h. die Briefe und die Sprache der Briefe. Mit Gewinn
wird auch der anders eingestellte Theologe in dem Abschnitt
Christus-Erkenntnis das 13. Kapitel lesen „der alte und der neue
Adam" mit der äv&Qmnog-libeWe S. 212. Auch die Tabellen zu
Römer 8 (S. 233 und S. 236) sind des Nachdenkens wert. Zu Römer
7 wird S. 240/1 eine neue Übersetzung geboten.

Der Berichterstatter hat als Gefangener monatelang ohne
Erfolg die „Erkenntnisse höherer Welten" nach den Weisungen
Rudolf Steiners meditiert; Freunde hatten ihm einschlägige
Schriften ins Gefängnis geschickt, die Zensur hatte sie durchgelassen
. Also hat der Berichterstatter auch kein Organ für den übersinnlichen
Teil von Bocks „Paulus".

Wir fragen jetzt nur, was Bock am Protestantismus auszusetzen
hat. Vielleicht ist auch daraus etwa6 zu lernen. Wir greifen
nur fünf Punkte heraus.

1) „Bis in den intellektuellen Protestantismus pflanzt sich
der Widerwille gegen eine Anschauung von den Hierarchien
fort . . . wie ein abstrakt gedachter Monotheismus die Reiche der
Engel sozusagen wegsaugt..." (S. 58). Es würde allerdings nicht
viel nützen, wenn nun statt des Römerbriefs etwa die Korinther-
briefe und der Epheserbrief mit ihrer kosmischen Note in den
Vordergrund gerückt würden. Vor dieser Note schreckten die
Protestanten lange gefühlsmäßig zurück. „Heute sind es im wesentlichen
wohl nur noch die Theologen, die 60 reagieren" (I).
Bock meint, im Zeitalter der Naturwissenschaften habe das dazu
geführt, daß das moderne wissenschaftliche Erkennen dem religiösen
Bereich entfallen ist (S. 230).

2) „Da das kirchlich-traditionelle Christentum trotz Paulus
die alttestamentliche Gesetzesstimmung festgehalten hat,
gehört das meiste, was bis auf den heutigen Tag an Gewissensregsamkeit
im christlichen Lebensbereich auftritt, als .. . „negatives
Gewissen" mehr der Gesetzesströmung an. Das Gewissen
als reine innere Instanz ist nicht nur rückschauend und negativ
anklagend, sondern es zeigt auch in die Zukunft schauend positive
Ideale und Ziele" (S. 101 zu Römer 2, 14).

3) Diakonia in Apostelgeschichte 6 als tägliche Handreichung
und die Diakonen als Almosenpfleger übersetzen kann
nur, wer, wie die protestantische Theologie, kein Organ hat für
die kultische Komponente des frühen Gemeindelebens. An dieser
Stelle ist Diakonia ausgesprochenermaßen Gottesdienst, die tägliche
Feier des Brotbrechens. Es fragt sich nur, wieso nun gerade
die Witwen der Hellenisten dabei übersehen wurden (S. 111).

4) „Es ist offenbar damals in Athen keine Gemeinde entstanden
. Also war Paulus gerade hier, am Zentrum des europäischen
Denkens, ein Mißerfolg beschieden? — Wenn irgendwo,
so muß an dieser Stelle der Bann des konfessionell-eingeschränkten
Denkens durchbrochen werden ... In Wirklichkeit hat die
Areopagrede des Paulus die Einmündung der edelsten in Europa
gereiften Mysterien-Weisheit in den Strom des christlichen Denkens
herbeigeführt" (S. 142). An keinem andern Buche außer der
Bibel haben sich die großen theologischen Denker des Mittelalters
wie Albertus Magnus und Thomas von Aquino mehr geschult
und innerlich gebildet als an den dionysischen Schriften,
die vom 6. Jahrhundert an auftauchen als der schriftliche Niederschlag
der mündlich fortgepflanzten Lehren des Dionysius Areo-
pagita. Diese Phantasien führen weiter bis nach St. Denis bei
Paris.

5) Den Hauptangriff gegen den Protestantismus richtet Bock
im 14. Kapitel Sünde und Erlösung. „Die Frömmigkeit und
Theologie des Protestantismus ist von Grund auf bestimmt
durch die Lehre von der Rechtfertigung aus dem Glauben." .. .
„Luther hat in den Paulusbriefen zweifellos seinen Blick dahin
gerichtet, wo wirklich das Herz des paulini6chen Erkennens
schlägt: wo nämlich von Sünde und Erlösung gesprochen wird."
Aber es ist tragisch, daß Luther das Überpersönlich - Kosmische
fremd war. „Er konnte sich von einer nur-seelischen, moralischjuristischen
Gottesvorstellung, wie sie das Alte Testament enthält
, nie ganz freimachen und verstand deshalb den, der am aller
radikalsten den Trennungsstrich zwischen dem Alten und dem
Neuen Testament gezogen hat, dennoch vielfach alttestament-
lich." Gerechtigkeit Gottes ist infolgedessen nicht die Gerechtigkeit
, die vor Gott gilt, sondern eine substantielle Eigenschaft
Gottes, ebenso wie „der Ruhm, den wir vor Gott haben sollen"
(Römer 3,23) die Herrlichkeit Gottes selbst ist.

Wenn Bock mehr als Steiner Wert legt auf Gott als auf die
occulten Fähigkeiten des Menschen, so soll sich doch nach ihm
schließlich der Eingeweihte selbst erlösen, damit er dann an der
I Seltsterlösung der andern arbeiten kann. Schon damit ist das