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Ausgabe:

1958 Nr. 3

Spalte:

188-190

Kategorie:

Neues Testament

Titel/Untertitel:

Novum Testamentum Graece 1958

Rezensent:

Riesenfeld, Harald

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Theologische Literaturzeitung 1958 Nr. 3

188

Er geht dabei wie die französischen Forscher, von denen er in
diesem Punkte herkommt, von einer berechtigten Voraussetzung
aus: ein Großteil der alttestamentlichen Schriftsteller war nicht
auf Originalität bedacht, sondern wollte die Traditionen neu ans
Licht bringen (S. 277) — wahrscheinlich gilt das sogar von allen.
Gemeinhin ist die alttestamentliche Wissenschaft noch viel zu
sehr in den Vorstellungen der Romantik vom schöpferischen Individuum
befangen, wir können dieser Forschungsrichtung nur
dankbar sein, wenn sie die Unzulänglichkeit der herkömmlichen
Vorstellung aufweist. Dies zugestanden, muß leider hinzugefügt
werden, daß hinsichtlich der „Anthologie" im vorliegenden Buch
weit über das Ziel hinausgeschossen wird. Nur ein paar Beispiele:
daß „Fürsten zusammen sitzen" wird im Ps. wie auch Jer. 36, 12
berichtet; daraus folgert D.: „Der Psalmist sah hier wohl seine
Situation im Lichte des Prophetenschicksals" (S. 116). Das Wort
„zugrunderichten" (-cn pi) erscheint mit den Feinden als Subjekt
nur noch Hes. 22, 27, also hatte der Dichter wahrscheinlich
die Hesekielstelle vor Augen (S. 195). „Begnaden" mit doppeltem
Akk. erscheint nur noch Gen. 35, 5: „Bei einem schriftkundigen
Verfasser ... kann es nicht Zufall sein, wenn er mit einer
sonst einmaligen Terminologie und Konstruktion mit dem ihm
vorliegenden heiligen Text übereinstimmt" (S. 124). Das Wort
„Älteste", ja das Verb „beleben" werden als Beweis für den Einfluß
— der Proverbien genommen (S. 272)! Wir könnten seitenweise
mit solchen unhaltbaren Ableitungen fortfahren. Sie können
einem stellenweise das Lesen des in mancher Hinsicht verdienstvollen
Werkes verleiden. Selbst vor Textänderungen wird
gelegentlich nicht zurückgeschreckt, um einen „intentionalen"
Bezug „wiederherzustellen" (S. 159 f.)- Kein Wunder, daß man
auf solche Weise zu dem Urteil kommt, Ps. 119 setze fast alle
alttestamentlichen Bücher schriftlich voraus. (Wohin würde man
kommen, wenn diese Methode mit der gleichen Konsequenz auf
das Neue Testament angewandt würde — da dürfte dann kein
Buch „original" sein!) Es ist gewiß richtig, daß die alttestamentlichen
Schriftsteller traditionsgebunden arbeiten. Nur darf man
ihre anthologische Arbeitsweise nicht zu einer Stilgattung erheben
.

Was die Einzelauslegung betrifft, die D. von Vers zu Vers
fortschreitend darbietet, so findet sich in ihr manche treffende
Beobachtung. Mit Recht wird wieder und wieder betont, daß die
Gedanken des Verfassers sich nicht bloß um das „Gesetz", sondern
um Jahwes Willensoffenbarung überhaupt bewegen.

Erlangen Klaus Koch

G u t b r o d, Karl: Das Buch vom König. Das erste Buch Samuel übers,
u. ausgelegt. Stuttgart: Calwer Verlag [1956], VII, 256 S. 8° = Die
Botschaft des Alten Testaments. Erläuterung alttestamentl. Schriften
, 11. Lw. DM 12.80.

Der Verfasser, der in der gleichen Sammlung „Das Buch
vom Lande Gottes" = die Bücher Josua und Richter veröffentlicht
hat, legt hier eine Auslegung von 1. Sam. vor. Die Arbeit
ist dadurch charakterisiert, daß das Buch 1. Sam. als ein Ganzes
gewertet wird, und zwar in sich wie im Gesamtzusammenhang
der Bibel. Das ist als ein Positivum zu beurteilen. Die Einleitungsfragen
treten sonst zurück; der Verf. bleibt dabei gern
bei der aufgeworfenen Frage stehen und weicht bibelkritischen
Entscheidungen aus. Für die Einstellung ist bezeichnend folgender
Satz: Hier sind „ursprünglich selbständige und untereinander
nicht verbundene Überlieferungen ... kleine Werke wie 4—7 ..
miteinander vereinigt ... und oft nur knapp vernäht. Dies ist
aber nicht etwa ein kümmerliches Zusammenspiel. Vielmehr ist
hier eine hohe Kunst am Werke gewesen und ein gewaltiges
Gefüge vor uns gestellt, das in allen seinen Teilen in grandioser
Weise Botschaft vom Herrn Israels und der Welt und 6einem
zielvollen Herrschen ist" (S. 52). In diesem Sinne werden die
Kapitel 16—31 ständig aus dem Gegensatz der beiden „Gesalbten
" ausgelegt. Der vom Verf. vertretene Grundsatz „man solle
die Schrift nur sagen lassen, was sie selbst sagt", den er gegen
Greßmanns nach der Historie fragende Methode anwendet, ist
richtig; doch sündigt der Verf. mitunter selbst dagegen, wenn
er Dinge hinter dem Text sieht, die dieser nicht enthält, so wenn
er in Kap. 11 f. den Skopus findet von dem strahlenden Königssohn
, der nie König werden wird, wenn David als der „listenreiche
Dulder" mit Odysseus und Jesus verglichen wird, oder
wenn von der Abigail vermutet wird, sie habe bei Nabais Tode
ein wenig nachgeholfen. Auch die Ausdeutung von Sauls Tod in
dem Sinne, er habe damit das Nein zu sich selbst gesprochen und
sich so endgültig von Gott gelöst, entspricht nicht dem Tenor
des Textes; durchaus anders ist die Wertung bei Ahitophel!
Überhaupt ist das Schlußurteil über Saul unrichtig: „Saul verkehrte
sein Amt als König Israels in die Sicherung seiner Macht
und seiner Dynastie und in die Sorge um die Ehre seiner Person
und seines Hauses." Gern werden die christologischen Bezüge in
Anlehnung an Vischer herausgestellt, wa6 mitunter gekünstelt
wirkt. Anderes wird originell gesehen, so die Beziehung des
Wortes higgid zum nagid in Kap. 9. Die neuere Literatur wird
berücksichtigt; von älterer Literatur wird, wenn ich recht gesehen
habe, Budde nur einmal, aus zweiter Hand, Caspari überhaupt
nicht erwähnt. Fast völlig fehlt das Eingehen auf die für
das Buch 1. Sam. sehr wesentlichen geographisch-topographischen
Probleme; das führt gelegentlich, z.B. bei Adullam S. 183, zu
exegetischer Fehldeutung. Die Übersetzung ist gut, oft kühn und
frei bis hin zu doch wohl zu vermeidenden Modernismen wie
„Ortsveränderung" 5, 9 und „Wandergepäck" 9, 7; mißverstanden
ist 22, 23, und die Polemik gegen das übliche Verständnis
von „die Füße bedecken" ist unglücklich. Die Verwechslung von
„Beschnittener" und „Verschnittener" S. 57 dürfte ein Druckfehler
sein.

Das Ganze kann, besonders im Rahmen der Calwer Auslegungen
, als eine erfreuliche Erscheinung gewertet werden, zumal
es dem Benutzer nicht die Arbeit abnimmt, sondern ihn zum
Nachdenken und zu eigenen Entscheidungen anregt.

Kiel H. W. Hertzberg

NEUES TESTAMENT

Nestle, Eberhard, D.: Novum Testamentum Graece. Cum apparatu
critico curavit. Novis curis elaboraverunt Erwin Nestle et Kurt
Aland, üdltio 23. Stuttgart: Priv. Württemb. Bibelanstalt 1957.
lio*, 671 sTVTäf. " oUl^i ' hlfr, <rf)

— Novum Testamentum Graece et Latine. Utrumque textum cum
apparatu critico imprimendum curavit. Novis curis elaboraverunt
Erwin Nestle et Kurt Aland. Editio 18. Ebda 1957. 110",
XV. 671. 657 S.. 3Taf. T^LC* H>

— Novum Testamentum Latine. Textum Vaticanum cum apparatu critico
ex editionibus et libris manu scriptis collecto imprimendum
curavit. Edjtio 8. Ebda 1956. XV. 657s., 3 Taf.

Mit der 22. Auflage des „Nestle" trat zum ersten Male ein
neuer Name im Titeldruck jenes nunmehr klassischen Haupthilts-
mittels der neutestamentlichen Arbeit auf: Kurt Aland wurde als
Mitarbeiter (adiuvans) genannt. In der Ende 1957 erschienenen
23. Auflage ist er als Mitherausgeber eingetreten. Damit kommt
zum Ausdruck, daß — mit dem bewährten Nestleschen Werke
als Grundlage — die in den letzten Jahrzehnten erzielten Fortschritte
der Arbeit am neutestamentlichen Texte den Benutzern
der Textausgabe in größerem Maße zugänglich gemacht werden
sollen, was gewisse Neuerungen sowohl im Text als auch vor
allem im Apparat mit sich führen muß.

Schon mit der 21. Auflage (1952) begann diese notwendige
und zu begrüßende Entwicklung, die außer dem Herausgeber einen
größeren Kreis von Mitarbeitern voraussetzt, wie ja überhaupt
die heutige Arbeit am Text nicht mehr von Einzelnen zu bewältigen
ist. Die nächste (24.) Auflage, die sich schon in Vorbereitung
befindet, wird in mancher Hinsicht ein neüe6 Bild bieten:
Typographie und Aufbau des Apparates sollen sichtbar verbessert
und umgestaltet werden. Vor allem soll, was im Hinblick auf
die immer deutlicher hervortretenden Ergebnisse der textgeschichtlichen
Forschung wünschenswert ist, der bisher nur sparsam
durchbrochene Grundsatz des mechanisch rezensierten Mehrheitstextes
als solcher aufgegeben werden. Natürlich kann man damit
rechnen, daß Änderungen gegenüber dem jetzigen Text nur in
solchen Fällen vorgenommen werden, wo ein gewisser Consensu6
unter Mitarbeitern in verschiedenen Ländern vorausgesetzt werden
kann. Es ist jedoch an der Zeit, daß der Text an etlichen
Stellen von dem aus, was man jetzt über die Textgeschichte und