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Ausgabe:

1957 Nr. 2

Spalte:

155-156

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Kahle, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Die Begegnung des baltischen Protestantismus mit der russisch-orthodoxen Kirche 1957

Rezensent:

Kahle, Wilhelm

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155

Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 2

156

ausgebreitet. Der Kernteil dieses Abschnitts hat Schweitzer selbst vorgelegen
, der sich darin zutreffend wiedergegeben fand. Der Abschnitt
endet mit einer Kritik gegenüber den von der weiteren Forschung herausgestellten
Unzulänglichkeiten der Position Schweitzers. Der achte
Hauptabschnitt wendet sich in ähnlicher Weise den Problemen des Paulinismus
zu, wie sie bei Schweitzer anzutreffen sind. Mit grundsätzlichen
Einwänden gegen die Paulusdarstellung Schweitzers endet auch dieser
Abschnitt. An Einzelheiten daraus sei nur auf die „Verkürzung der
alttestamentlichen Grundlagen in Schweitzers Paulusdeutung" und auf
die Infragestellung der Behauptung Schweitzers, wonach die Rechtfertigungslehre
nur ein „Nebenkrater" im Gesamtgefüge der paulini-
schen Theologie sei, hingewiesen.

Der neunte bis elfte Hauptabschnitt beschäftigt sich mit Schweitzer
als praktischen Theologen, der Kirche in der Auffassung Schweitzers
und ergänzend einigen relativen Lücken in seinen religiösen
Äußerungen. Diese sieht der Verf. in zu spärlichen Bezugnahmen
Schweitzers auf das Problem des Todes. Auch eine bedingte Lutherferne
Schweitzers ist festzustellen, wodurch in mancher Beziehung sein Abstand
zur heutigen thcologiegeschichtlichen Lage spürbar wird. Als
praktischer Theologe kann Schweitzer im positiven Sinne Anreger für
die Verkündigung sein. Damit wird zugleich dem Einwand begegnet,
als ob die Basis der konsequenten Eschatologie eine Beeinträchtigung
in Predigt und Unterweisung im Gefolge haben müsse.

Das Ergebnis der Gesamtarbeit ist in knappen Schlußthesen zusammengefaßt
. Auch in ihnen wird dem bloßen Personenkult mit einem
gegenwärtig viel gefeierten Namen entgegengetreten, aber auch das
Leben und Werk dieses Mannes als ein „Geschenk" an die „evangelische
Christenheit" unterstrichen.

Kahle, Wilhelm: Die Begegnung des baltischen Protestantismus mit
der russisch orthodoxen Kirche. Diss. Marburg 1956. XV1I1, 340 S.
u. 12 Bildbeilagen.

Die vorliegende Arbeit will ein Beitrag zur Geschichte der ökumenischen
Begegnung sein. Hierbei wurden die Beziehungen des baltischen
Protestantismus zur russisch orthodoxen Kirche von den Tagen
der Reformation bis zum Beginn des 2. Weltkrieges untersucht. Die
Besonderheit dieser Begegnung im baltischen Räume liegt darin, daß
sie nicht in erster Linie akademisch-literarischen Charakter trug, die
nur durch einige interessierte Gestalten bestimmt wäre, sondern eine
solche des täglichen Umgangs durch Jahrhunderte hindurch war. So
liegt das Schwergewicht der Untersuchung auch nicht so sehr bei der
Entfaltung der Ansichten einzelner im baltischen Räume, vielmehr
wurde der Versuch unternommen, während des bestimmten Zeitraumes
das zum großen Teil nur geringe Gut an Aussagen des baltischen Luthertums
über die Orthodoxie, ihre Dogmatik, Kirchlichkeit und ihr
praktisches Verhalten zusammenzustellen und zu sichten. Dabei konnte
auch auf scheinbar unwesentliche Äußerungen und Reaktionen im einzelnen
Falle nicht verzichtet werden, weil diese erst — gerade in einer
durch Tradition und Sitte festgefügten Landschaft mit lutherischer
Kirchlichkeit — zu einem Gesamtbild verhelfen, wo es um die Hauptlinien
der Sicht der östlichen Orthodoxie innerhalb der baltischen Welt
geht. Die Quellen weisen aus, daß durch lange Zeiträume hindurch die
Urteile bestimmt und eingebettet waren im politischen Erleben der
Landschaft und in starkem Maße durch das von Ordenszeiten her geprägte
Vorpostenbewußtsein gestaltet wurden.

Die vorliegende Arbeit wird damit in dem kirchlich-theologischen
Bereich zu einer Teilgeschichte der deutsch-russischen Begegnung überhaupt
, da die Urteile und Sicht des deutsch-baltischen Protestantismus,
— in dieser Beschränkung auf das deutsch-baltische Urteil wurde die
Begegnung dargestellt —, in starkem Maße gerade in der Kampfzeit der
Begegnung zwischen Protestantismus und östlicher Orthodoxie etwa
beginnend von den 40er Jahren des vergangenen Jahrhunderts bis hin
in die Zeit des ersten Weltkrieges auch das binnendeutsche Urteil bestimmt
haben. Hier seien nur die Namen Harnack, Seeberg, Bonwetsch
genannt sowie die der Historiker wie Johannes Haller und Th. Schie-
mann. Neben diesen für das deutsche Urteil bestimmenden Gestalten
steht eine große Zahl anderer Ungenannter, die in mündlichen und
auch schriftlichen Äußerungen zur Urteilsbildung des deutschen Protestantismus
und auch Deutschlands selbst über die russische Kirche
und Rußland im allgemeinen beigetragen haben.

Gerade in der Zeit der größten Spannungen der beiden Konfessionen
zueinander zeichnen sich auch erste Ansätze zu einer Weise der
Begegnung ab, die unabhängig von politischen und kulturellen Tagesurteilen
sich um die Sache selbst bemühte. Hierbei ist Gestalten wie
der Kurländerin Edith von Rahden und dem Dorpater Theologen K. K.
Graß ein größerer Abschnitt eingeräumt. In innerer Folge der Bemühungen
dieser beiden kam es in der Zeit zwischen den beiden großen
Kriegen zu den bedeutsamen Bemühungen der baltischen Rußlandsarbeit
unter der Leitung von Oskar Schaben und seines Nachfolgers
Eduard Steinwand, die Beziehungen des baltischen Protestantismus zur

russischen Orthodoxie neu zu verstehen und zu einer praktischen Zusammenarbeit
zu gelangen. Mit der Darlegung der damit verbundenen
Anstöße und Wegweisung für künftige Begegnung des Protestantismus
und der russischen Orthodoxie schließt die Arbeit ab.

Kaiser, Otto: Die mythische Bedeutung des Meeres in Ägypten.
Ras Schamra und Israel. Diss. Tübingen 1956, 269 S.

Die Arbeit sucht mittels des Vergleiches der Urmeermythen zweier
landschaftlich verschieden geprägter Kulturzentren untereinander wie
mit den israelitischen Vorstellungen über das Verhältnis der Gottheit
zum Meere sowohl die Eigenart und Bedingtheit mythischer Religion
als auch das Besondere des israelitischen Schöpfungsglaubens zu erfassen.

Die mythische Welt des alten Ägypters war Ausdruck seiner als
göttliche Ordnung erfahrenen Wirklichkeit, wie sie ihm im Niltal begegnete
. Entsprechend einem Grundgesetz mythischen Denkens, das im
Laufe des Jahres wie des Tages die Wiederholung urzeitlichen Geschehens
sieht, dachte er sich den Ursprung seiner Welt gleich dem jährlichen
Aufgang des Landes aus den Fluten der Nilüberschwemmung.
Da sich aber die Welt erst im Lichte der Sonne öffnet, begann für ihn
die eigentliche Schöpfung mit dem Aufsteigen der Sonne aus dem Ur-
meere, dem Nun. Entsprechend sah der Ägypter in dem Nun den Vater
der Götter und in dem Sonnengott Re den eigentlichen Schöpfer. Der
Gedanke der Vaterschaft war dabei nicht notwendig mit dem der Zeugung
verbunden. Das mythische Denken gibt auf einzelne Fragen einzelne
Antworten, die nicht logisch miteinander verknüpft werden mußten
. (Frankfort's multiplicity of approaches.) Die Bindung der Urmeer-
vorstellungen an die Nilerfahrung wird dadurch bestätigt, daß das offene
Weltmeer, abgesehen von verschwindenden Ausnahmen, als eine
profane Größe erscheint, die als das „große Grüne" oder das „große
Schwarze" bezeichnet wurde. Ob die Ägypter darüber hinaus genuine
Vorstellungen über einen Chaoskampf kannten, läßt sich trotz Z. 131
der Lehre für Merikare nicht mit Sicherheit ausmachen. Für Oberägypten
fehlen dafür jedenfalls auch die geographischen und metereologi-
schen Voraussetzungen, während sie im Deltagebiet gegeben waren. In
der Zeit des Neuen Reiches, als der Schwerpunkt des Landes aus Oberägypten
in das Delta verlegt wurde, begegnen mehrere Zeugnisse für
einen Mythos von der Bezwingung des Meeres durch den Gott Seth-
Baal, wobei sich aber mindest im Astarte-Papyrus eindeutig ugaritische
Einflüsse bemerkbar machen.

Der Ugariter lebte in dem ständigen Gegenüber zur See, die unter
dem Einfluß eines atlantischen zyklonalen Tiefdruckgebietes bei Winterbeginn
gegen das Festland anstürmt. Die Domäne des obersten Gottes
El war, wie Pope V.T.S. II gezeigt hat, das Grundwasser. Begriff der
Ugariter die Welt als eine durch einen obersten göttlichen Willen geregelte
, so mußte er diesen Aufstand des Meeres gegen das Land dem
göttlichen Willen unterordnen: El räumte seinem Liebling zbl ym tpt
nhr die Königsherrschaft über die Erde ein, bis Baal den Emporkömmling
von seinem Thron stürzte. Mitsamt seinem Drachen Lotan, dem
Leviathan des AT, wurde er von Baal und Anat vernichtet. Die bisher
bekannten ugaritischen Mythen sind mit dem Jahreskreislauf verbunden
und setzen vermutlich theogonische und kosmogonische Erzählungen
voraus. Die Texte Gordon 129. 137. 68. 51: V: 120—VI: 15; VII:
1—4; 15—31. 67: Ii 1—3; 28—30 und 'nt: III: 33—44 werden ausführlich
in der Arbeit kommentiert und übersetzt.

Die Götter waren, wie der Vergleich zeigt, keine reinen Erfindungen
eines frühen Denkens. Sie offenbarten sich ihm als ein machtvolles
Gegenbild der erfahrenen und in ihrer vorgegebenen Unaus-
gelegtheit bedrängenden Welt in der Tiefe der Seele. Götter und Menschen
fanden sich, letztlich gleicher Natur, in dem einen mythischen
Raum.

Dieser natürlichen Einheit der Welt tritt im AT die durch das
Gegenüber des einen Gottes zu aller Welt geschaffene entgegen. Da
dem Glauben an diesen Gott eine mythisch ausgelegte Welt vorgegeben
war, mußte er sich bei der Bezeugung der Schöpfermacht und Gottheit
Gottes zunächst der überkommenen, mythisch geprägten Sprache
bedienen. So sind die Elemente der jahwistischen Paradieserzählung
mesopotamischen Traditionen entnommen, die in besonderer Beziehung
zum Ea-Götterkreis stehen und ausweislich des archäologischen Befundes
bereits vor der Landnahme Israels in Palästina eingedrungen waren.
Die priesterliche Schöpfungsgeschichte zeigt Anklänge an den babylonischen
Tiamat-Mythos, die jedoch bereits so weit neutralisiert sind,
daß eine sichere Entscheidung, ob sie auf einer unmittelbaren Kenntnis
des mythischen Materials oder auf allgemein altorientalische kosmische
Vorstellungen zurückgehen, nicht mehr möglich ist. In den Geschichten
von Hagar am Brunnen, Gen. 16, vom Kampf Jakobs am Jabbok, Gen. 32,
und von der Heilung des Naamann, 2. Kön. 5, finden sich Nachklänge
mythisch-magischer Vorstellungen, die zumindest aus einer der ugaritischen
verwandten Religionsform abzuleiten sind. Es handelt sich
hier wie in den Sintfluterzählungen um die Umschmelzung des vorgefundenen
Materials durch den Glauben an den in der Geschichte han-