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Ausgabe:

1957 Nr. 2

Spalte:

154-155

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Grabs, Rudolf

Titel/Untertitel:

Albert Schweitzer als religiöser Charakter und als religionswissenschaftlicher Denker 1957

Rezensent:

Grabs, Rudolf

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153 Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 2 154

..Mittleres" zu behaupten hatte. Auch das Schema des jüdisch-gesetz-
lidien Monotheismus, welcher der sichtbaren und endlichen Welt als
einem bloßen Gemachte den Despotes und Macher nur entgegensetzte,
War ungenügend. Wo man diese Tendenz des trinitarischen Bekenntnisses
nicht bemerkt hat oder bemerken wollte, da blieb nichts übrig
als ein pures Mysterium und die Unterwerfung, oder auch die Verehrung
— statt des einen Gottes — eines von der Welt dinglich unterschiedenen
dreiköpfig — einen Gottwesens. Die eigentliche Leistung
jener Theologie war damit verborgen geblieben.

Immerhin ist es Gefühl und Wissen geblieben in der christlichen
Theologie, seit jenen Streitigkeiten um die Gottheit Jesu, daß dasselbe
Dogma in praktischer Hinsicht die Eindeutigkeit der christlichen Gottesverehrung
definiert hat durch den einen Menschen und die von ihm
repräsentierte Menschlichkeit, andererseits aber jede eindeutige theoretische
Gottesvorstellung absolut gesprengt hat. Dieses Dogma ist zugleich
Begriff des Unvermögens, von Gott eindeutige theoretische Aussagen
(im Sinne einer herkömmlichen Metaphysik) zu machen als von
einem, der Welt entgegengesetzten, vorkommenden Ding. Gott ist der
Andere und Fremde, er ist der Unsere, er ist Mensch wenigstens gewesen
, incarnatus. Er ist immanent und transzendent zugleich, wie nun
die Formeln des Gegensatzes heißen mögen.

Daraus resultiert eine Dialektik, die, wenn sie nicht bloß eine
Mode und Methode ist. weiß, daß dies den Verzicht auf Gott als Gegenstand
eines metaphysischen Wissens bedeutet. Man kann nicht eigentlich
über Gott reden und ihn zum Gegenstand machen, sondern bestenfalls
aus Gott, aus dem Geist. Wie denn die geistliche Rede nicht daran
kenntlich ist, daß sie das „Geistliche" zum Gegenstand gemacht hat
oder machen will. Die geistliche Rede redet geistlich vom — Profanen
z. B.

So hat sich also das junge Christentum existentiell und spekulativ
konstituiert als ein „Mittleres" zwischen „Hellenismos und Judaismos
(vgl. Holl, Amphilochius S. 143). Es hat sein absolutes Bewußtsein so
auszudrücken gewagt, daß es seinen Helden, sein Wesen und seinen
Geist faktisch und prinzipiell zum bestimmenden Moment der Gottheit
gemacht hat. (Der Islam, den die faktische Frömmigkeit auch vor dies
Problem gebracht hat, hat diesen Mut nicht finden könnnen un 1 gekniffen
; vgl. dazu etwa Menschin g, Gott und Mensch, 1948,
S. 143 f.) Insofern ist das trinitarische Dogma expressis verbis dogmatis

Ende des Weges, an dessen Anfang der „Gott der Väter", der
..Schild Abrahams" steht, der Gott nicht von Lokalitäten, sondern von
Subjektivitäten; dieser Gott ist von Beginn an nicht Numen, sondern
Geist, oder auf dem Wege, sich dahin zu befreien.

Selbstverständlich ist dies nur der eine, der menschliche Aspekt des
Geschehens. Im Glauben und für den Glauben dann wird bewährte
Meinung Wahrheit und Offenbarung, und das anfänglich Bestimmende
wird zum Bestimmten, das Erkennende zum Erkannten, das Erste zum
Zweiten und Letzten. Daß Menschenmaß auch Engelmaß sei, steht in
der Offenbarung (21, 17). Aber die Identitätsformel dieser Theologie
setzt nicht einfach das Menschliche dem Göttlichen gleich; sie unterscheidet
Menschliches und wahres Menschliches, Göttliches und wahres
Göttliches, und dieses nur wird in der Kraft des Glaubens und Geistes
gleichgesetzt, besser: geeinigt. Auf der andern Seite wurde aber mit
diesem Dogma nicht ein abnorm Menschliches erhoben, gerühmt, verbindlich
gemacht, sondern die Menschlichkeit des Menschen, „der
menschliche Mensch" (M. Bube r).

Clasen, Hartmut: Die Arkandisziplin in der Alten Kirche. Diss.
Heidelberg 1956, 119 S.

Die altkirchliche Arkandisziplin stand im 17. Jahrhundert als Streitobjekt
der katholisch-evangelischen Auseinandersetzung im Mittelpunkt
des kirchlich-theologischen Interesses. Aus dieser Zeit stammen die
ersten ausgedehnten Arbeiten zum Thema, die bis heute noch grundlegend
sind. Seit den Untersuchungen von R. Rothe, Th. Harnack,
Bonwetsch und Anrieh ist das Thema nicht wieder ausführlich behandelt
(Einleitung).

Das Jahrhundert nach dem 1. Konzil von Nicäa war die Blütezeit
der kirchlichen A. Die Prediger äußern und betonen ihre Verpflichtung,
bestimmte Geheimnisse vor Ungläubigen und Katechumenen zurückzuhalten
. Die Katecheten gebieten ihren Taufkandidaten Schweigen über
die heiligsten Geheimnisse. Aber selbst in dieser Zeit der ausgebildeten
kirchlichen A. wurden Wesen, Sinn und Ziel der A. in den einzelnen
Gebieten je nach kirchlicher Tradition unterschiedlich bestimmt. Drei
Typen lassen sich vornehmlich unterscheiden: Im alexandrinischen Ein-
flußgebiet war die A. besonders beliebt und verbreitet (Kappadozier.
Kyrill von Jerusalem). Sie sollte hier dem Uneingeweihten die schrittweise
Einführung zu den hohen Geheimnissen ermöglichen. Wie das
Fehlen einer A. in den Zeugnissen des Theodor von Mopsuestia zeigt,
maß man im antiochenischen Einflußgebiet der A. zum Teil keine große
Wichtigkeit bei. Soweit sie hier doch ernst genommen wurde (besonders
bei Johannes Chrysostomus), sollte sie verhindern, daß die Verhärtung

derer, die Christus ablehnen, vorangetrieben und ihr Spott unnötig provoziert
wird. Im Abendland endlich schätzte man die A. wegen ihrer
praktischen Brauchbarkeit. Eine theologische Rechtfertigung der christlichen
A. wurde hier im aligemeinen nidit unternommen (1. Teil).

Die ausgebildete A. des 4. und beginnenden 5. Jahrhunderts hat
ihre Vorläufer in vornicäischer Zeit. Kirchliche A. ist zwar vor 300
nicht sicher bezeugt; aber die alexandrinische Geheimgnosis haben wir
doch in engem Zusammenhang mit der späteren A. zu betrachten
(2. Teil).

Die Wurzeln der kirchlichen A. reichen bis in die urchristliche Zeit
hinauf. Die heidnische A. ist älter als das Christentum. Auch die jüdische
Sekte der Essener kannte eine ausgebildete A., wie die Qumrän-
Texte zeigen. Die spätere A. der Kirche hat aber auch eine christliche
Wurzel, die bis an den Anfang des Christentums zurückreicht. Nach den
Aussagen des Neuen Testaments ist die Offenbarung Gottes in Jesus
ein nvaxriQiov. Obwohl das Geheimnis der Person Jesu und das Geheimnis
der Botschaft von ihm allen Menschen in gleicher Weise gilt, scheiden
sich in der Begegnung mit ihm die Menschen jeweils in Gläubige
und Ungläubige. Dieser scheidende Charakter der christlichen Verkündigung
führte die verantwortlichen Kirchenmänner später, als die Massen
allzu unterschiedslos in die Kirche einströmten, zur Einführung der A.
(3. Teil).

Grabs, Rudolf: Albert Schweitzer als religiöser Charakter und als
religionswissenschaftlicher Denker. Diss. Leipzig 1954, X u. 280 S.

Die vorliegende Untersuchung will Albert Schweitzer im Sinne der
1 itelsetzung umfassend würdigen. Zunächst wird ein „Umriß der
Gestalt" als Einführung gezeichnet. Im zweiten Abschnitt erfolgt die
Ausbreitung des psychologischen Problems, das mit dem Namen des
Iropenarztes und Denkers gegeben ist. Die elsässisdie Herkunftskomponente
, die Polymorphie der Persönlichkeit, das Ineinander rationaler
und irrationaler Faktoren zur Kennzeichnung des Willensproblems und
das kontinuierliche Moment im Wesensgefüge Schweitzers treten her-
^orgsam wir£l <*en seelischen Quellgründen des Afrikaentschlusses
nachgespürt. Das „Atypische" im Wesensbefund wird deutlich, wenn
herausgestellt wird, daß bei Schweitzer keine „Bekehrung" ersichtlich
lst- Deutlich wird auch, daß dem „Stil als Kriterium der Persönlichkeit"
und dem „Humor als weltanschauliches Charakteristikum", wie überhaupt
dem künstlerischen Element bei Schweitzer starke Bedeutung zukommen.
Der dritte Hauptabschnitt beschäftigt sich mit der Frage nach der religiösen
Struktur Schweitzers. Es wird auf das für ihn typische Ineinan-

7 Yon Religion und Philosophie und Theologie und Religionswissenschaft
verwiesen, zugleich aber auch, daß das Zentrum der Persönlichkeit
Sdiweitzers religiöser Natur ist und daß der eigentliche Charakter
seiner religiösen Grundhaltung kontinuierlich ist. Dazu treten wieder

.zeluntersuchungen, s'<^1 etwa au^ Fragen erstrecken wie die, inwieweit
Schweitzer als Denker dem Christentum zuzurechnen ist. Kritische
Fragen werden aufgeworfen, so z. B. nach einer buddhistischen
£.°mponente ^ei Schweitzer, dem weltanschaulichen Charakter des
humanitären (nicht im strengen Begriff „missionsärztlichen") Lamba-
reneunternehmens. Den Fragen nach der „Vermoralisierung der Religion

ei Schweitzer" oder dem „Synkretismus" in seiner religiösen Haltung
Wlfd nachgegangen. Das Ergebnis hebt hervor, daß Schweitzers Frömmig-

eitstypus eindeutig neuprotestantische Merkmale trägt, ohne im engeren
Sinne „liberal" zu sein. Diese Kennzeichnungen werden entsprechend
erläutert. Mystik und Rationalismus sind die vorherrschenden Züge,
uie bei Schweitzer anzutreffen sind. Es wird dem nachgegangen, ob und
'"Wieweit im protestantischen Umkreis ein positives Verständnis der
Mystik möglich sei. Der konkreten Begriffserklärung dient eine vergleichsweise
Gegenüberstellung der Mystik bei Söderblom und Schweitzer
. Weitere Hervorkehrungen der Mystik im weltreligiösen Umkreis,
insonderheit aus dem Bereiche der späteren Stoa, Alt-Chinas bis hin
zu modernen „Außenseitern" werden getroffen. Unterstrichen wird die
Außerachtlassung der mittelalterlich-dominikanischen Mystik bei
Schweitzer. Diese Eigentümlichkeit bei ihm wird verständlich gemacht
durch sein vorwiegend ethisches Bewegtsein. Der fünfte Hauptabschnitt
beschäftigt sich mit dem metaphysischen Agnostizismus Schweitzers.
Damit im Zusammenhang steht Sechstens die Spannung in der Gottesauffassung
Schweitzers, die bei ihm als bleibend belegt wird, und zwar
zwischen Theismus und Pantheismus.

Der siebente Hauptabschnitt geht vom systematischen zum neu-
testamentlichen Teil der Arbeit über. Zunächst steht die Auffassung
des historischen Jesus bei Schweitzer im Blickfeld. Hier ist der Ort, wo
so subtile Fragen wie die in der medizinischen Doktordissertation
Schweitzers behandelte nach der psychiatrisdien Beurteilung Jesu ihren
Platz haben. Diese Frage wird als „Kriterium der intellektuellen Redlichkeit
" bei Schweitzer bezeichnet. Mit besonderer Eindringlichkeit
"■erden die „Außenseiter" der neutestamentlichen Forschung, denen
Schweitzer Sympathie zollt, erwähnt. Schweitzers eigener Beitrag, die
„neue Sicht" des synoptisdien Problems in Gestalt der Auffassung der
„konsequenten Eschatologie" und der „ausgebliebenen Parusic" wird