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Ausgabe:

1957 Nr. 2

Spalte:

137-138

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Huber, Max

Titel/Untertitel:

Jesus Christus als Erlöser in der liberalen Theologie 1957

Rezensent:

Neuenschwander, Ulrich

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137 Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 2 138

ehem. Gottes uns zugekehrtes vordergründiges Antlitz sei der
Inbegriff der Werte, auch der negativen. In ihm sei die ganze
Wertsphäre fundiert. Daher sei er Person, wie der Mensch Person
sei durch seine Erfassung der Werte. Nun seien Werte notwendig
„wirklich". Und da sie die Welt formten und wir durch sie diese
erkennten, so sei alles Welt- und Wertwissen nur möglich, weil
in ihm Gott selbst wirke. Dies sei der ontologische Gottesbeweis.
Anselm habe ihn so noch nicht gestalten können. Die positiven
Religionen aber seien, wie Denkformen, Moralen, Stile, gemeinschaftsbedingte
Ausschnitte aus der religiösen Gesamtwertsphäre
. — Von Religion trennt M. Weltanschauung. Deren Thema
sei die Frage nach dem Sinne der Welt und ihr Inhalt Gott. Wie
Religion gegen Theologie, so sucht M. Weltanschauung gegen
Wissenschaft auszuspielen. Diese sei jener gegenüber sekundär,
unfruchtbar. Nurwissenschaftler seien die omnia habentes, nihil
possidentes. Dagegen seien Religions- und Weltanschauungsmenschen
, wie die ersten Christen, die nihil habentes, omnia
possidentes.

Das Buch spiegelt ein Philosophieren der letzten Generation
im katholischen Räume. Alles ist Schau, phänomenologischer
Aufweis. Das ist seine Schwäche. Denn Wissenschaft verlangt
Nachweis. Und geschaut werden hier bekannte, umstrittene Traditionen
, die der V/ertlehre mit Einschlägen der Scholastik, untermengt
mit einigen originellen, aber eigenwilligen Aufstellungen.
Somit war hier Schau mehr reproduktiv als produktiv. Aber
vielleicht hat dieses Buch gerade deshalb mit seinem oft klugen,
pointierten, autoritativen Stile weite Kreise angezogen, ihnen
das geboten, was sie hören wollten. Sonst hätte es jetzt nicht
schon die vierte Auflage erlebt. Seine Anhänger, aber, trotz allem
, auch viele seiner sachlichen Gegner denken heute noch
gerne an diesen aufrechten, von der Bedeutung seiner Lehre fest
uberzeugten, selbstbewußten Kämpfer zurück.

Qre,fswa,d Qünther jacoby

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

Hub er, Max: Jesus Christus als Erlöser in der liberalen Theologie.

Vermittlung, Spekulation, Existenzverständnis. Winterthur/Zürich:
Keller 1956. 307 S. gr. 8°. sfr. 18.—.

Die vorliegende Zürcher Habilitationsschrift behandelt die
Christologie von neun Theologen, die zu je drei in die Gruppen
Vermittlung — Spekulation — Existenzverständnis zusammengefaßt
sind. Unter den Vermittlern figurieren D. F. Schleiermacher,
Alexander Schweizer und D. F. Strauß, unter den Spekulativen
A. E. Biedermann, A. Lipsius und H. Lüdemann, unter dem Stichwort
„Existenzverständnis" endlich aus der Gegenwart P. Tillich,
F. Buri und U. Neuenschwander. Es fällt an dieser Auswahl auf,
daß der radikal-spekulative Strauß unter die Vermittler gerechnet
wird, sowie daß eine Reihe von illustren Namen fehlt, die als
repräsentativ nicht hätten übergangen werden dürfen. Doch ist
ja bekanntlich ein Buch nicht zu beurteilen nach dem, was nicht
in ihm enthalten ist, sondern nach dem, was der Verfasser für
erwähnenswert hält.

Die eingehendsten Analysen werden Schleicrmacher und
Strauß zuteil. Schon bei Schleiermacher macht Huber seine erste
Hauptthese geltend, daß die Rede von einem Erlösungsprinzip
die Annahme eines Erlösers unmöglich mache. Nach Huber erlöst
entweder das Prinzip oder der Erlöser. Dieser Einwand verstärkt
sich bei Strauß, der im übrigen bei dem Verfasser seiner Konsequenz
wegen eine recht gute Zensur erhält. An Strauß entwickelt
Huber auch seine zweite Hauptthese, daß nämlich von Jesus nur
im Sinne des Gottmenschdogmas wirklich als „dem" Erlöser gesprochen
werden könne, und daß also alle Bemühungen der liberalen
Theologie, an Jesus Christus als dem Erlöser festzuhalten
und zugleich das Dogma aufzugeben, in Inkonsequenzen und Widersprüchen
enden. Der Verfasser selbst scheint diese Konsequenz
zu ziehen und geht sogar so weit, daß er den Begriff der
Erlösung überhaupt für verfehlt hält. Von Strauß trennt ihn die
unrationalistische Erkenntnislehre. Es ist darum eigentümlicherweise
in dem Kapitel über Strauß ein ausführlicher systematischer
Abschnitt über theologische Erkenntnistheorie enthalten. Die

darin vertretenen Sätze muten freilich recht verworren an, und
der mehrfach wiederholte Grundsatz endlich, daß Gott der zureichende
Grund der Wahrheit einer religiösen oder Glaubensaussage
sei, ist erkenntnistheoretisch überhaupt unbrauchbar, da
es der Verfasser unterläßt, auf die elementare Unterscheidung
von ratio essendi und cognoscendi zu achten.

Überwiegt im ersten Teil die Interpretation, so zeigt der
zweite Teil eine durchgehende Tendenz zur Kritik. Der Grundsatz
der Kritik ist der schon bei Schleiermacher erwähnte, daß
ein Erlösungsprinzip im Grunde einen Erlöser überflüssig mache
und daß demnach alle Versuche der spekulativen Theologie, Jesus
Christus als den Erlöser darzutun, von vorneherein zum
Scheitern verurteilt seien.

Den spekulativen Theologen, besonders Biedermann, wird
zudem vorgeworfen, daß sie im intellektuellen Bereich verblieben
und nicht bis in den religiösen vorstießen. Lipsius wiederum kann
keine Lösung bringen, denn er „hinkt zu sehr auf beiden Beinen,
um entscheidende Bedeutung erlangen zu können" (S. 143). Lüdemann
aber bleibt im Wissenschaftlichen und Ethischen stecken.
Je mehr wir uns der Gegenwart nähern, um so mehr dominiert
die Polemik. Von der Theologie der drei ausgewählten Systematiker
der Nachkriegszeit, die Huber behandelt, bleibt zuletzt
nicht mehr viel übrig, um so mehr als sich der Verfasser nicht auf
die Christologie beschränkt, sondern darüber hinaus vor allem
die Erkenntnistheorie in den Raum der Betrachtung hineinnimmt.
Der Eifer der Polemik führt ihn so weit, daß darunter die Sachlichkeit
der Interpretation leidet.

Zuerst behandelt Huber die Ausführungen des Rezensenten
zum christologischen Problem. Überall will er Widersprüche und
Inkonsequenzen sehen, die er gelegentlich künstlich so konstruiert
, daß er zitierte Äußerungen anderer Theologen als selche
des kritisierten Theologen ausgibt und auf diese Weise Gegensätze
und LInklarheiten im Gebrauche der Terminologie herstellt,
die er daraufhin mit Scharfsinn als solche aufdeckt (S. 205, vgl.
U. Neuenschwander, Die neue liberale Theologie, S. 112).

Auch Paul Tillich, dem nur wenige Seiten gewidmet werden,
erscheint als zwiespältig und widerspruchsvoll. Gegen ihn macht
Huber den fast stereotyp gegen die meisten der behandelten
Theologen erhobenen Vorwurf der „Entfremdung von der Religion
". Einen ungewöhnlich breiten Raum nimmt angesichts der
so kurzen Darstellung die Diskussion von Tillichs Verhältnis zu
Schelling ein. Die sehr fragmentarischen Ausführungen über
Tillichs Christusauffassung begründet der Verfasser mit der
Klage, daß Tillich bisher kaum etwas über sie geäußert habe. Leider
unterläßt er es aber, so wesentliche Aussagen wie den Auf-
satz „Christologie und Geschichtsdeutung" (in „Religiöse Verwirklichung
") der Aufmerksamkeit zu würdigen.

Das Kapitel über Fritz Buri befaßt sich vor allem mit erkenntnistheoretischen
Fragen. Doch kommt Huber offenbar mit
der existenzphilosophischen Terminologie Buris nicht zuredit; die
Unterscheidung von „Glauben" und „Wissen" bei Buri ist nicht
richtig erfaßt.

Das ausführliche Schlußkapitel „Ergebnis" läßt erwarten, daß
hier Huber seine eigenen Vorschläge vorbringt, wie es denn nun
hesser zu machen sei als bei all den kritisierten Theologen, da
der Verfasser selbst mit Strauß darin einig ist, daß das kirchliche
Dogma nicht die Lösung der christologischen Frage darstelle Wir
stoßen aber nur auf eine zusammenfassende Wiederholung der
Kritik; die letzten Zeilen enthalten einen vagen Hinweis auf eine
„Theologie des Geistes", die eine „Theologie des Glaubens der
Gemeinde Gottes" sei — ein sehr unbestimmter Satz, mit dem
wenig anzufangen ist. Das Schlußkapitel verstärkt den Eindruck,
daß wir ein vorwiegend destruktives Werk vor uns haben. Hubers
einmal hingeworfene Bemerkung, daß sich leichter zerstören
als aufbauen lasse, erweist sich an ihm selbst als wahr. Wenn die
Innenseite des Umschlages verheißt: „Das Ergebnis der Auseinandersetzung
wird zur Grundlage einer grundsätzlichen Neubesinnung
über die Erlösungslehre der liberalen Theologie", so
muß der Rezensent bekennen, daß ihm diese Grundlage verborgen
geblieben ist.

Ölten Ulrich Neuenschwander