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Ausgabe:

1957 Nr. 2

Spalte:

135-137

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Müller, Aloys

Titel/Untertitel:

Welt und Mensch in ihrem irrealen Aufbau 1957

Rezensent:

Jacoby, Günther

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Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 2

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das Sein zu negieren (Iii). Die Transzendenz des Absoluten gegenüber
dem Sein des Geistes ist aufgehoben (112). Und als das Sein wird
Gott der Ursprung alles Seienden (113). Das formlose göttliche Sein
erzeugt jetzt das formhafte endliche Sein (116).

Worin sieht nun der Verf. den weiteren Fortschritt von Victori-
nus zu Augustin? Das Sein wird bei Augustin noch enger mit dem
transzendenten Absoluten ineinsgesetzt (117). Gott ist die summa es-
sentia (129). Dies göttliche Sein ist unfaßbar. Alle Kategorien, selbst
die der Substanz, sind auf das absolute Sein nicht anwendbar (130).
Das Sein ist bestimmungslos geworden, wie das Plotinsche Absolute
(131). Gott als das Sein ist das indifferente Absolute (135). Das Sein
hat alle Formbestimmung verloren. Zwar werden die Ideen nun zu Gedanken
Gottes (137). Sie haben ihren Ort im Sohn als dem Logos
(138) und sind damit auch mit dem Sein des Vaters identisch. Die Ideen
sind in Gott (139). Aber weil Gott das absolute Sein ist, wird die
Vielheit der Ideen jetzt problematisch (141). Das Intelligible selbst ist
zu etwas Unbegreiflichem geworden (145). Augustin, der so sehr nach
der Erkenntnis Gottes gestrebt hat, ist bei der negativen Erkenntnis
des Absoluten gelandet! (156 f.)

Das Buch schließt mit einem Ausblick. Zuerst gibt uns der
Verf. einige eigene Gedanken über die behandelten Probleme,
dann zieht er in historischen Aspekten die Linien über Thomas
von Aquino, Meister Eckehardt, Nicolaus Cusanus, Spinoza,
Leibniz, Kant und den deutschen Idealismus zur Gegenwart. Dieser
Anhang scheint uns weniger gelungen als die beiden Hauptteile
. In den Ausblicken deutet der Verf. die Probleme mehr an,
als daß er klare eigene Urteile fällte — er ist so vorsichtig, daß
er oft nur „es scheint" sagt —, und in den historischen Aspekten
bekundet er wohl eine große Belesenheit und eine gründliche
Kenntnis der Geschichte der Philosophie, aber die Fülle des angeschnittenen
Stoffes ist so groß, daß die gegebenen Durchblicke
nicht befriedigen können. Das gilt noch am wenigsten von der
Darstellung des Aquinaten, am meisten von den Hinweisen auf
Leibniz und Kant.

Die Bedeutung des Buches sehen wir vor allem in folgendem:
Erstens wird uns die theologische und philosophische Aktualität
und das Gewicht der Begriffe Sein und Absolutes lebendig vor
Augen geführt und gründlich erörtert.

Zweitens wird unseTe Kenntnis des Neuplatonismus wesentlich
vertieft.

Drittens wird vor allem dem Theologen die enge Verbindung
der Gotteserkenntnis mit der Metaphysik eindrücklich gezeigt
, die nicht zu vermeiden ist, sobald der Theologe mehr sein
will als biblischer Theologe oder Psychologe des christlichen
Glaubens.

Viertens wird die Problematik und die theologische Gefahr
der heute durch die Existentialphilosophie wieder so aktuell gewordenen
negativen Theologie deutlich gemacht.

Im ganzen eine hervorragende Leistung, welche die Beachtung
, die sie durch Gelehrte wie Heinrich Barth, Karl Jaspers und
Harald Fuchs erfahren hat, vollauf verdient. —

Derben Erilt Schmidt

Müller, Aloys: Welt und Mensch in ihrem irrealen Aufbau. Grundzüge
der Philosophie. 4., verb. u. erw. Aufl. Leiden: Brill 1951.
XI, 295 S. Pp. DM 19.80.

Das Buch, ein Lebenswerk M.s, hieß in seinen beiden ersten
Auflagen „Einleitung in die Philosophie" und trägt als Versuch
ihrer Gesamtskizze noch heute diesen Charakter. M. ist phänomenologischer
Intuitionist. „Die spezifische Methode der Philosophie
", erklärt er, „ist die unsinnliche Schau". Er bietet so Ge-
schautes, Aufweise ohne Nachweis. So schildert er als das Wissenschaftsfeld
der Philosophie den „irrealen" Formaufbau der
Wirklichkeit. Und „Wirklich" heißt für ihn alles, was sich offenbaren
, ontische Beziehung zu uns haben kann, vom Ich unangreifbar
, jedem seiner Akte vorgegeben ist oder auch nur eines dieser
Merkmale hat. Die „geistigen Werte" hätten alle. Darum
seien sie wirklich. Aber „irreal". Sie seien absolut, ewig, ortlos,
allgegenwärtig, metaphysikfrei, polar, dynamisch, nicht quantifizierbar
. Sie hingen in ihrer Rangordnung zusammen. Sie seien
zu dem Menschen hingeordnet und er zu ihnen. Sie durchwesten
die Wirklichkeit und hätten den Primat über sie. Was sonst
diese Werte sind, bleibt unklar. Denn Werte in üblichem Sinne
werden, weil einer Beziehung zu uns bedürftig, als ungeistig abgelehnt
. Wir erfahren nur, daß geistige Werte von uns unabhängige
Gedanken seien, und im letzten Teile des Buches, daß
zu ihnen auch die ethischen, ästhetischen und religiösen gehörten.
Ebenso ungeklärt bleibt die Art ihrer „Wirklichkeit". Denn wir
lernen wohl, sie sei ein Gelten, aber nicht, was Gelten ist. Vielleicht
muß auch das geschaut werden. Wer das nicht kann, muß
es ungeklärt hinnehmen.

Nach M. formen die irrealen Werte die Welt wie Glockenformen
Glocken, teils von sich aus ohne den Menschen, teils durch
ihn als Weltelement. Der erste Teil des Buches behandelt die
Welt ohne ihn. Ihre alles durchherrschenden Formen seien Analogie
, Gesetzlichkeit, Gegensatz, Formenhierarchie, Potenz-Akt
und die Prinzipien der Logik. Einzelformen seien Einheit, Mehrheit
, Quantität, Qualität, Notwendigkeit, Möglichkeit, Wesenheit
, Zufälligkeit. Das sind die Kategorien der früheren Schul-
ontologie. Die von uns erfahrene sei die Welt selbst, nicht deren
Bild. Ein Ausschnitt aus ihr sei die Welt der Naturwissenschaften
. Deren Formen seien Identität, Quantität, Einheit, Zeitlichkeit
, Räumlichkeit, Gesetzlichkeit, Kausalität, im Organischen
Ganzheit und im Seelischen Unräumlichkeit. Die von unserer Erfahrung
unabhängige, metaphysische Schicht der Welt sei der erfahrbaren
weitgehend analog. Wie sich beide zueinander verhalten
, bleibt offen. Wir hören dann noch, Leib und Seele seien
„selbständige Gegenstände" mit eigenen Substanzen. Und es
scheine „Seinswerte" zu geben, denen die Welt ihre Wirklichkeit
verdanke, und die sie für die geistigen Werte aufnahmefähig
machten.

Der zweite, über doppelt so große Teil des Buches behandelt
die Weltformung durch den Menschen. Auf ihn sei sie hingeordnet
. In ihm entfalte sie sich. Sein Urbild ruhe in dem göttlichen
Wesen. Von dem Tiere unterscheide ihn besonders sein
Geist, das von den Werten durchherrschte, nicht mehr naturhafte
, unsterbliche Ich. An dieses gebunden ruhe die Geschichte
auf der Natur auf. Sie sei kausal, teleologisch, spontan, gesetzlos
und durchlaufe eine naturhafte, eine staatliche und eine wirtschaftliche
Phase. Zu diesem Kapitel gehört noch ein abgesprengtes
über den objektiven Geist. Das umfangreichste des Buches
behandelt die Erkenntnis. Sie gliedere sich in das Subjekt, das
Denken, das Gedachte, seinen Gegenstand und seine Sprachform.
Der Gedanke bestehe aus geltenden Bedeutungen, letzten, von
uns unabhängigen, aber unselbständigen Elementen. Deren Beziehung
zu ihrem Gegenstande sei eine originäre, ebenfalls
letzte. Auf unseren Geist hingeordnet, selbst durch Gedanken geformt
, sei die Welt durch die unseren erkennbar. Unsere Erkenntnis
ermögliche die Willensfreiheit. Sie erhebe uns zu einem
überindividuellen Ich. Das Kapitel enthält noch weitere, aber
wenig originelle Bemerkungen. Es endet mit einer fragwürdigen
Unterscheidung zwischen Struktur- und Kulturwissenschaft. Eingeschoben
ist aus der Feder von Kempski eine knappe, aber klare
Charakteristik der Logistik.

Der letzte Abschnitt des zweiten Teiles behandelt Ethik,
Ästhetik, Religionsphilosophie. Nach M. geht die Entwicklung
der Wertethik von Windelband-Rickert über Scheler, Hartmann
und die Zwischenstufen Rud. Otto und Joh. Hessen zu ihm selber
. Ihr Fundament, Gut und Böse, seien originäre, letzte, nur
durch Schau faßbare Gegebenheiten. Auf sie seien die ethischen
Werte, Barmherzigkeit-Unbarmherzigkeit, Liebe-Haß usw. ausgerichtet
. Aus ihnen entsprängen die ethischen Normen, deren
„Du sollst!". Das Kapitel endet nach unerheblichen weiteren
Ausführungen mit Betrachtungen über Sozialethik unter dem
Gesichtspunkte der Gerechtigkeit und Ordnung und über Mo-
ralen als Sittlichkeitstypen von Gemeinschaften und Zeitaltern. —
Fundament der Ästhetik ist das Schöne. Ihr Hauptthema ist die
Kunst. Nur der Künstler lasse neu sehen. Er wie der Wissenschaftler
spreche nur gewisse Menschenschichten an und verschiedene
zu verschiedenen Zeiten. Denn Kunststile wechselten
wie Moralen. Doch sei hier in Zeitlichem auch Überzeitliches.
Beides müsse man unterscheiden. Auch in religiöser Kunst. —
Fundament der Religionsphilosophie sei das Heilige. Es sei absolut
, vollkommen, Geheimnis, unnahbar, Majestät, energisch, erhaben
, faszinierend. Stellung des Lebens unter diese Heiligkeitswerte
sei Religion. Zu deren Werten gehörten Gnade, Sünde,
Schuld, mystische Besessenheit menschlichen Seins von göttli-