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Ausgabe:

1957 Nr. 2

Spalte:

119-120

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Titel/Untertitel:

Jahrbuch der Österreichischen Byzantinischen Gesellschaft, IV 1957

Rezensent:

Irmscher, Johannes

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119

Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 2

120

Jahrbuch der Österreichischen Byzantinischen
Gesellschaft. Begr. v. W. Sas-Zaloziecky. Im Auftr.
d. Vorstandes redigiert v. Herbert Hunger. IV. Wien: Rohrer
1955. VII, 164 S. mit Taf. gr. 8°.

Wir hatten erst kürzlich Gelegenheit, in dieser Zeitschrift 81,
1956, Sp. 616 mit den Bänden 2 und 3 des Jahrbuchs der Österreichischen
Byzantinischen Gesellschaft bekanntzumachen und an
ihnen den Aufschwung aufzuzeigen, den dieses neue byzantinisti-
sche Fachorgan — wesentlich durch die Redaktionsführung Herbert
Hungers — genommen hat. Der jetzt vorliegende vierte Band gibt
keine Veranlassung, an dieser positiven Bewertung zu ändern.
Auch diesmal sind die meisten Beiträge für den Leserkreii der
Theologischen Literaturzeitung von Interesse — das mag vielleicht
charakteristisch sein für die Aufgabenstellung und Schwerpunktbildung
der österreichischen Byzanzforschung (die Autoren
sämtlicher zu besprechender Arbeiten gehören Wiener Wirkungsstätten
an).

Herbert Hunger besorgte die Herausgabe eines Vortrages, den der
am 10. Juni 1942 gefallene Wiener Papyrologe Peter Sanz im Jahre
1937 in seiner Heimatstadt hielt (S. 1 ff.). Sanz machte darin mit
einem in der Wiener Papyrussammlung verwahrten Papierfragment des
9. Jahrhunderts (Pap. Graec. Vindob. 3 1956) bekannt, welches ein
Fragment eines bisher unbekannten Kanons des Andreas von
Kreta, des „Erfinders" dieses Genos byzantinischer Kirchendiditung.
enthält (der Schluß auf den Autor gründet sich vor allem auf die in
dem Kanon verwendete Musterstrophe — n'nou;). Das Gedicht dient
dem Lobpreis Gottes, der Dreifaltigkeit, der Jungfrau Maria; es bringt
nichts, was über die gewohnten Formen und Formeln hinausginge. Die
Edition ist sehr sorgfältig: Beschreibung des Fragments und seiner
Schrift (mit Foto), Abschrift und Umschrift mit metrischer Analyse,
Übersetzung, eindringende Interpretation. — In der vatikanischen
Handschrift Barberinus Gr. 30 s. XV. f. 140r—143 v entdeckte Herbert
Hunger die Verse 41—527 der Xnnviy.ij ßiß/.r? des Vielschreibers
Johannes Tzetzes. Dieser Fund bedeutet ein Plus von ca. 80 Versen
gegenüber dem bisher Bekannten und ermöglicht die wahrscheinlich vollständige
Rekonstruktion der Eingangspartie der Verschronik (die
Tzetzes seinem eigenen Zeugnis zufolge unvollendet gelassen hat).
Hunger veröffentlichte S. 13 ff. den Text mit Einleitung und Kommentar
; er enthält außer der bereits Theologische Literaturzeitung 81,
1956, 619 erwähnten Einteilung der Mythenallegorie Allegoresen des
Kronos (V. 95—129), der Rhea (V. 130—147), der übrigen Götter (V.
148—196), der Kosmogonie (V. 197—527). — Die verschiedenen
Grundrißlösungen des byzantinischen Kirchenbaues skizziert S. 87 ff.'
Gerhart E g g e r. Konstantinisch ist sowohl die Querhausbasilika
(Laterankirche und Peterskirche zu Rom) wie die aus dem römischen
Grabbau abzuleitende Zentralraumanlage (deren Einflüsse sich bei St. Peter
, der Grabeskirche in Jerusalem und der Apostclkirche in Konstantinopel
bemerkbar machen). Von den Bauten Justinianischer Zeit sind
die Sergios-Bakchos-Kirche und San Vitale in Ravenna reine Zentralbauten
, die 527 neuerrichtete Konstantinopler Apostelkirche, Hagia
Sophia und Hagia Irene zeigen Verschmelzung von basilikaler und zentraler
Bauform. Riditungweisend bleiben für die folgenden Jahrhunderte
Apostclkirche und Hagia Sophia, bis mit der 881 geweihten Nea, der
Palastkirche Basileios' L, und der in ihrer Nachfolge stehenden Kreuzkuppelkirche
(repräsentiert durch das Myrelaion in Konstantinopel,
Ende des 10. Jahrhunderts) eine neue Tendenz sichtbar wird: das
,,Wiedererstarken des Richtungsbaues, und zwar mit betonter Querachse
" (S. 92). Das nächste Stadium zeigt das Achtstützensystem mit
dem Bestreben, den Hauptraum gegen die Nebenräume abzuschließen
(Hauptkirche von Hosios Lukas, dann Daphni, Nea Moni auf Chios und
Panagia Paragoritissa in Arta). — Otto Demus kündigt S. 119 Anmerkung
1 eine umfassende Geschichte und Kunstgeschichte der Markuskirche
in Venedig an. In deren Vorbereitung behandelt er zwei Reliefplatten
von der Nordfassade der Kirche, welche etwa lebensgroß den
heiligen Leonhard und den Evangelisten Johannes darstellen. Die ihnen
beigegebenen Inschriften zeigen den gleichen paläographischen Charakter
, während sich die Kunstwerke selbst stilistisch voneinander unterscheiden
. Demus weist als ihre unmittelbaren Vorbilder byzantinische
bzw. • venetobyzantinische Reliefikonen nach und findet für die Datierung
die Mitte des 13. Jahrhunderts, wobei das Leonhardrelief um
eine Generation jünger sein mag als die Johannesdarstellung. Ursprünglich
gehört^todie Kunstwerke als Altarikonen zu zwei Querschiffaltären
der Kirche/lftm 1617/18 zum Marienaltar umgestalteten Johannesaltar
und cjem vofj!X663 abgetragenen Altar des heiligen Leonhard. — Auf
die Begegnung von Ost und West im Krönungsornat des Heiligen Römischen
Reiches weist Hermann Fillitz S. 123 ff. hin. Neben sizilia-
nischen Arbeiten nach byzantinischem Vorbild begegnen darin solche
von gleicher Provenienz, die dem lateinischen Muster folgen, und als
Ergänzung die Lorum-Stola. eine rein abendländische Arbeit des 14.
Jahrhunderts — nach byzantinischem Vorbild. — Ein Vortrag von Hans

Aurenhammer hat die Entstehung des halbfigurigen Marienbildes
nördlich der Alpen zum Thema (S. 135 ff.). Es wird deutlich gemacht,
daß auch außerhalb Italiens zur selben Zeit, zu der jener Typus des
Marienandachtsbildes neu auftritt, byzantinische Marienikonen und italienische
Werke, die in ihrer Tradition stehen, zahlreich kopiert werden
und so ihre Wirkung auf die neu entstehende Darstellungsform
ausüben. — Die bekannten Oktateuch-Handschriften im Serail und in
Smyrna zeigen zu Gen. VI 4 Darstellungen der Riesen. Friedrich R e p p
sucht S. 151 ff. wahrscheinlich zu machen, daß dabei Krimgoten Modell
gestanden hätten, wie sie den Byzantinern z. B. durch das „Gotische
Spiel" des Zeremonienbuches (II 83) vertraut waren. — Polychronis
K. Enepekides publiziert S. 157 ff. ein von Antoine Galland
(1646—1715) kopiertes Inhaltsverzeichnis einer Handschrift, welches
der Bischof Maximos Margunios von Kythera (1549—1602) anlegte
(Ancien fonds francais der Pariser Nationalbibliothek Ms. 6139): „Index
tractatuum quorundam in quodam codice Margunii propria manu
descripto contentorum" (f. 17v). Die Liste enthält die Titel von 16
Traktaten des Patriarchen Georgios Scholarios sowie Schriften anderer
byzantinischer Theologen. Über den Verbleib des von Margunios beschriebenen
Kodex ist nichts bekannt.

Berlin Johannes Irmscher

KIRCHENGESCHICHTE: MITTELALTER

Gwynn, Aubrey, S.J.: The Writings of Bishop Patrick. 1074—1084.
Dublin: The Dublin Inst, for Advanced Studies 1955. VIII, 147 S.
gr. 8° = Scriptores Latini Hiberniae Vol. I. 2 5 s. ^

Die neue Serie, deren erster Band hier vorliegt, wendet sich
an einen weiten Kreis von Forschern, nicht zuletzt aber an den
Theologie- und Kirchenhistoriker als Quellenwerk für die in
ihren Einzelheiten immer noch dunkle und umstrittene Geschichte
der keltischen Kirche Irlands.

Bischof Patrick (gest. 10. Oktober 1084) steht bereits an der
Schwelle der Reformbewegung des 12. Jahrhunderts, aber das
wenige, das wir über ihn wissen, und die erhaltenen Werke zeigen
ihn doch in einem doppelten Licht, auf halbem Weg zwischen
der älteren und der späteren Zeit. Irischer Abstammung, wird er
ein Schüler des heiligen Wulfstan in Worcester, dann Bischof von
Dublin unter der Oberhoheit Lanfrancs von Canterbury. Er ist
der Autor eines Gedichtes über die märchenhaften Wunder Irlands
, aber auch einer im einzelnen vielfach dunklen Allegorie
im Stile des Hochmittelalters und einer weitverbreiteten Erbauungsschrift
De tribus habitaculis.

Es bedurfte der Meisterhand des großen irischen Kirchenhistorikers
, die geschichtliche und vor allem die literarische Persönlichkeit
Patricks von Dublin klar herauszustellen. Ersteres geschieht
durch eindringende Interpretation der wenigen und verstreuten
Zeugnisse, letzteres durch den höchst anregend geführten
Nachweis der Identität des Verfassers der fünf Gedichte, die
unter Patricks Namen gehen, mit dem Autor der Prosaschrift. So
wird der Mann, dessen literarischer Nachlaß bisher fast unbekannt
war, sofern er nicht unter den Spuria des Irenaposties Patricius
ein Schattendasein führte, zum erstenmal lebendig.

Die Textausgabe der Gedichte basiert auf allen bisher bekannt
gewordenen Handschriften; die der Prosaschrift auf einer
kleinen Auswahl (die Gesamtzahl der Handschriften geht in die
Hunderte), vor allem auf solchen, die der Zeit des Autors nahestehen
und das Werk, das später oft Cyprian oder Augustinus
zugeschrieben wurde, unter dem Namen des Patricius überliefern.
Der lateinische Text ist von einer englischen Übersetzung begleitet
, die vor allem bei den Gedichten gute Dienste leistet. Im Anhang
behandelt der Herausgeber einige Sonderproblcme, vor allem
das Verhältnis des lateinischen Gedichtes De mirabilibus
Hiberniae zu der irischen und skandinavischen Parallelüber-
licfcrung, und die Textgeschichte der Decem homiliae
ad monachos des Caesarius von Arles in England, da das
Werkchen De tribus habitaculis mit dieser Sammlung
oft in der Überlieferung verbunden ist.

Das Werk bietet in gedrängter Form eine Fülle von Anregungen
auch für solche Leser, die auf diesem Gebiet nicht Spezialisten
sind.

Dublin Ludwig Bieler