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Ausgabe:

1957

Spalte:

117-118

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Schreiber, Georg

Titel/Untertitel:

Irland im deutschen und abendländischen Sakralraum 1957

Rezensent:

Bieler, Ludwig

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117

118

D°Id, Alban, P. DDr.: Palimpsest-Studien L hrsg. u. bearb. Mit
einer Zeichnung u. zahlreichen Schriftproben auf 10 Taf. Mit Anhang:
Beachtliche, nicht palimpsestierte Texte aus Vor- bzw. Nachsatzblättern
der Darmstädter Codices 752 u. 754. Beuron: Beuroner Kunstverlag
195 5. XVI, 113 S., 10 Taf. gr. 8° = Texte u. Arbeiten, 1. Abt.
Beiträge zur Ergründung des älteren lateinischen christlichen Schrifttums
u. Gottesdienstes H. 45. DM 13.—.

Seit Jahrzehnten hat sich der Beuroner Benediktiner P. DDr.
Alban Dold um die Erforschung zumal lateinischer Handschriften
des Abendlandes wohlverdient gemacht. Die Früchte seiner mühsamen
Arbeit erschienen vornehmlich in den von ihm 1917 begründeten
Texten und Arbeiten, hrsg. durch die Erzabtei Beuron,
und zeigten die wachsende Befähigung des Verfassers, wichtige liturgische
, aber auch andere biblisch-theologische Denkmäler des
Christentums, die durch die Reskription der alten Pergamene
kaum oder gar nicht zugänglich gewesen waren, vor uns auszubreiten
. Die Forschung hat die rastlosen und erfolgreichen Bemühungen
um die Entwicklungserkenntnis der Kirche, der Bibelkunde
und Patristik, der Paläographie, Buchkunde u. a. voll auch in der
Öffentlichkeit, trotz gelegentlicher Bedenken gegen den spröden,
nicht gerade die Kürze liebenden Stil, lebhaft anerkannt, während
der buchhändlerische Erfolg nicht immer so war, wie man es wünschen
mußte. P. Alban verfügt nicht nur über das ungewöhnliche
Vermögen, fast erloschene, stark abgeschabte Texte durch die Mittel
hochentwickelter Photographie wieder entzifferbar zu machen
und die Schäden abzuschwächen, die im 19. Jahrhundert durch unvorsichtige
Anwendung chemischer Reagentien entstanden sind,
sondern auch über äußerste Geduld, hervorragende Kombinationsgabe
und über ausgezeichnete Kenntnisse der oft verwickelten
Textgeschichte gottesdienstlicher und anderer Bücher. Diese Vorzüge
sind auch dieses Mal zu beachten, wo D. Palimpsesttexte
der Missae defunetorum und Exhortationes matutinales des San-
gallensis 908 vorlegt, Probleme um den Codex 133C des Bistumsarchivs
Trier behandelt, zwei unbekannte Formulare für Gottesgerichte
aus dem 12. Jhdt., Perikopentexte des Vat. lat. 5755,
Stücke aus Palimpsesten und nichtreskribierten Handschriften von
Darmstadt darbietet und erörtert. Es ist Sache der eigentlichen
Liturgiehistoriker, die einzelnen Ergebnisse zu würdigen und einzureihen
. Ich maße mir da trotz oftmaliger Beschäftigung mit der
christlichen Überlieferung kein fachmännisches Urteil an, jedoch
werte ich die mitgeteilten Erfahrungen in der grundsätzlichen und
individuellen Behandlung und Beurteilung alter Codices hoch
und empfehle Dolds Darlegungen seines bald beweglichen, bald
festen Vorgehens allen, die sich mit den abendländischen handgeschriebenen
Büchern tatsächlich beschäftigen oder doch befassen
sollten.

Die Studien sind sorgfältig gedruckt.

Einzelne Versehen, z. B. S. 59 und 64 Rochinger statt Rockinger,
S. XIV Bußkanonos statt Bußkanones lassen sich leicht beheben. Nicht
einverstanden bin ich zuweilen mit der Heraushebung durch Sperrdruck,
so S. XV, und halte es für überflüssig, auf dem Titelblatt und S. 111
von „Beachtlichen" Texten zu sprechen, da wir Leser wissen, daß P, Alban
uns keine nichtbeachtlichen mitteilen würde.

Möchte es dem betagten Verfasser vergönnt sein, noch manche
Probe seines Scharfsinns und Finderglücks an die Öffentlichkeit
zu bringen.

München paul Lehmann

Schreiber, Georg: Irland im deutschen und abendländischen Sakralraum
. Zugleich ein Ausblick auf St. Brandan und die zweite Kolumbusreise
. Köln u. Opladen: Westdeutscher Verlag [1956]. 120S.
m. 20 Abb. auf Taf. gr. 8° = Arbeitsgemeinschaft für Forschung des
Landes Nordrhein-Westfalen. Geisteswissenschaften, H. 9. DM 9.—.

Prälat Schreiber, dem die deutsche Wissenschaft als Forscher
wie als Organisator der Forschung gleich verpflichtet ist, legt
hier auf knappstem Raum ein reiches und höchst interessantes
Material übersichtlich vor und gibt wertvolle Fingerzeige für dessen
geistesgeschichtliche Auswertung. Das Thema ist in neuerer
Zeit mehr und mehr als aktuell empfunden worden, wie auch die
kürzlich in Essen veranstaltete Ausstellung „Weidendes Abendland
" beweist: es ist der Einfluß Irlands auf die Formung der
mittelalterlichen Kultur des europäischen Festlandes. Sehr, konzentriert
sich auf ein Spezialthema, das auf den ersten Blick eng
erscheinen könnte: die Verehrung irischer Heiliger im deutschen
Sprachgebiet. Jedoch geht aus der Behandlung selbst deutlich hervor
, daß damit ein zentrales Problem angeschnitten ist. Ein systematisches
Studium des hagiologischen Befundes führt nicht nur zu
einer klareren Abgrenzung des Raumes, in dem sich irische Einflüsse
fühlbar machen, es zeigt auch den Weg, den diese Einflüsse
nahmen, und wirft manches Licht auf ihre besondere Art. Wir
sehen Deutschland, und vor allem den rheinisch-westfälischen
Raum, als Mittler zwischen der „Basis" Frankreich und den Ausstrahlungen
nach Norden, Osten und Süden (Hansa, Österreich,
Italien), und wir lernen viel Neues vor allem über die soziologischen
Faktoren, die hier im Spiel sind.

Schr.s Quellenmaterial ist teils liturgisch (Altar- und Kir-
chendedikationen, Offizien, Kaiendarien, Martyrologien usw.),
teils soziologisch-volkskundlich (Volksandachten, Wallfahrten,
Bruderschaften zu Ehren irischer Heiliger, ihre Verehrung als Patrone
bestimmter Berufe oder als Helfer in bestimmten Nöten);
auch die bildende Kunst wird gelegentlich (A. 380, S. 65) herangezogen
. Ein wenig zu kurz gekommen scheint mir das Zeugnis
der Heiligenlegende, ihrer Verzweigung und Wanderung (doch
s. Anm. 118, S. 32). Andeutungen darüber finden sich in meinem
Buch „The Life and Legend of St. Patrick" S. 120 f. und in S t u -
dies 35 (1946) 5 36 f. Der Gegenstand verdient weitere Untersuchung
.

Unter dem wenigen, das mir fraglich erscheint, nenne ich die Vermutung
(S. 71), daß die Lichterbäume, die die Lüneburger Bader zu
Ehren St. Brendans in ihren Prozessionen trugen, etwas Spezifisches
mit der Person dieses Heiligen zu tun haben, da man ihn „mit der Kultur
der Kerze in Beziehung setzt". Lichterbäume werden doch gewiß
auch sonst verwendet, und das Kerzenanzünden ist zu weit verbreitet,
um charakteristisch zu seinl Umgekehrt scheint mir der Passus in der
Oratio s. Brandani „et celebrauit pascha supra mare vii annis continuis"
in seinem Kontext nicht des Hinweises auf die volkstümliche Rolle des
Osterfestes und auf die Symbolik der Siebenzahl (S. 72 f.) zu bedürfen;
die Erklärung trifft auf die Quelle zu, nämlich die Navigatio Brendani.
Das Ungeheuer, auf dem der Heilige siebenmal Ostern feiert, heißt in
einigen Handschriften geradezu Casconius, „Oster-Monstcr" (s. meine
Notiz in £igse V. 2, 1946, S. 139 f.). Übrigens, der Name des Heiligen
ist in den älteren Quellen stets Brendanus, irisch Brenaind; Brandanus,
die von Seh. bevorzugte Form, findet sich erst später, vor allem im deutschen
Sprachgebiet.

Jede Seite des Buches zeugt von der gründlichen Quellenkenntnis
des Verfassers und von seiner ausgebreiteten Belesenheit
in der einschlägigen Literatur. Im folgenden gebe ich einige
bescheidene Beiträge zur Vervollständigung der Nachweise:

S. 22, A. 51: Shane Leslie, St. Patrick's Purgatory, 1932. — S. 24:
Zur „Adoptierung" des heil. Patrick durch die Augustiner-Chorherren
s- jetzt auch P. Grosjean, Anal. Bolland. 70 (1952) 315 f.; J. Hennig,
Comparative Literature Studies XVII-XVIII (1945—16) 20-29. —
S. 66: Zur anglo-normannischen Navigatio Brendani des Benedeiz s.

L. G. Ritchie, Medium Aevum 19 (1950) 64—66, der für ein Datum
ea-1106 eintritt; eine grundlegende Studie der handschriftlichen Überlieferung
des lateinischen Originals gibt M. Esposito, Romania 64
(1938) 328 ff. — An allgemeiner Literatur verweise ich auf meinen Aufsatz
„Recent research on Irish hagiography", Studies 35 (1946) 231—8,
536—44,

Eine falsche Jahreszahl steht auf S. 20: das traditionelle (von mir
bezweifelte) Datum der Gründung von Armagh ist 444, nicht 441.

Die systematische Darstellung wird gelegentlich durch Exkurse
unterbrochen, wie die Behandlung der steirischen Patrizius-
Litanei (S. 23—26), die auf einer, soweit ich sehe, sonst nicht bezeugten
Vita fußt, oder der sehr interessante Abschnitt über die
zweite Kolumbusreise und ihre Beziehungen zur Navigatio Brendani
. Den Schluß bildet eine sehr dankenswerte Geschichte der
Erforschung des behandelten Themas.

Reproduktionen aus dem Heidelberger Codex der mittelhochdeutschen
Navigatio Brandani und aus seltenen alten Druk-
ken sind eine willkommene Beigabe. Möge diese wertvolle Studie
zu reicher Arbeit auf diesem noch wenig ausgewerteten Boden
anregen!

Dublin Ludwig Bieler