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1957

Kategorie:

Religionswissenschaft

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Neuerscheinungen

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des „primitiven oder Urmonotheismus" (Pater Schmidt) zu bekämpfen
, also des angeblichen Urglaubens an einen unendlich guten
und gerechten Gott, der schon den ältesten oder primitivsten
uns bekannten Religionen eigen gewesen sei. Man dürfe den Begriff
Höchster Wesen bei primitiven Völkern nicht für wahren
Monotheismus nehmen. Diese Verwechselung entspringe einem
Kompromiß zwischen historischer Forschung und Theologie. Die
wissenschaftlichen Tatsachen ergeben ein anderes Bild. Der wirklich
historische Monotheismus ist der Glaube an einen einzigen
Gott und die Leugnung aller anderen Götter; also setzt er einen
Polytheismus voraus und kann demnach nicht die früheste Form
der Religion sein. Nicht daß der Monotheismus sich allmählich
aus dem Polytheismus entwickelt hätte, — sondern er entsprang
ihm, wenn überhaupt, durch eine tiefgreifende religiöse Bewegung
, durch das Werk einer großen Persönlichkeit. Das Höchste
Wesen bei wilden Völkern dagegen ist nur eine Annäherung an
den idealen eigentlichen Monotheismus, der nur unter besonderen
historischen Umständen entstehen konnte. — Diese Klarstellung
wird vorangesetzt, um die Betrachtung des eigentlichen Gegenstandes
, der Allwissenheit, unbeeinflußt von vorgefaßten monotheistischen
Begriffen zu halten.

Dieses Attribut der Gottheit, das als religiöses Gebilde in
seinem geschichtlichen Wachstum untersucht wird, findet sich
durchaus nicht nur bei dem großen Gott monotheistischer Religionen
— es wurde z. B. Varuna zuerkannt, einem allwissenden
Gott in einer polytheistischen Religion —, sondern es gehört
überhaupt nicht zu irgendeiner besonderen religiösen Umgebung,
ja nicht einmal stets zu dem jeweils höchsten Wesen. Helios ist
allwissend, ohne der höchste Gott zu sein; Demeter wiederum,
eine der größten Göttinnen, ist dennoch nicht allwissend. Unterschieden
wird auch die dunkle Weisheit der „Mutter Erde", der
„Wasser der Tiefe" und alles magische, orakelhafte Wissen, wie
es Geistern, Tieren oder besonderen Menschen zugeschrieben
wird, von der „visuellen" Allwissenheit, die, meist Himmelsund
Sterngottheiten eigen, den eigentlichen Gegenstand der Untersuchung
bildet. Der gedankliche Zusammenhang zwischen
Sehen und Wissen kommt nicht nur in den klassischen Sprachen
zum Ausdruck (olda und uideo), sondern z. B. in hamitischen
Sprachen entstammen die Worte für Auge, Sonne, Licht und Wissen
alle der gleichen Wurzel.

Was aber wissen solche allsehenden Wesen? Denn es ist in
besonderer Weise ihr Objekt, das sie kennzeichnet: nämlich
der Mensch, sein Tun und sogar seine innersten Gedanken. So
wurden schon bei den Mitanni Varuna und Mitra bei allen Vertragschließungen
angerufen, und in Babylon schwor man Eide bei
dem Sonnengott Schamasch, in Griechenland bei Zeus. Die allwissenden
Gottheiten teilen gewöhnlich auch Strafe (diese freilich
häufiger) und Lohn aus. Meist sind es Taten wie Nahrungsvergeudung
, Meineid, Grausamkeit gegen Tiere, Inzest und andere
sexuelle Vergehen, Verstöße gegen Stammesgesetze u. a.,
die eine Bestrafung heraufbeschwören, wie sie der Natur alles-
sehender höchster Wesen entspricht; d.h. die Rache geschieht
gewöhnlich durch Mittel des Wetters, durch Stürme, Gewitter
oder Dürre. Denn „eine innere Logik vereint die Lichtnatur allwissender
Wesen mit der Macht des Sehens und die Sichtbarkeit
menschlicher Handlungen von oben mit der meteorologischen
Natur der Vergeltung" (S. 22). Dieser ideologische Komplex war
nicht das Ergebnis des Nachdenkens über den abstrakten Begriff
der Göttlichkeit, sondern spontaner Ausdruck urmenschlichen
Empfindens, „poetical metaphysics", wie G. B. Vico es genannt
hat. Himmel und Wetter spielten die Hauptrolle schon in den
frühesten Gottesauffassungen.

Nicht zu verwechseln mit dem „allwissenden Gott" ist der
„Schöpfergott". Zwar konvergieren diese Begriffe in manchen
Religionen, in vielen anderen werden sie jedoch durchaus als
verschieden empfunden: Mutter Erde z.B. ist schöpferisch, aber
nicht allwissend, Jupiter sieht und straft, aber ist kein Schöpfergott
usw.

Mit einem immensen Wissen und einer wahrhaft lateinischen
, sozusagen wolkenlosen Klarheit des Geistes, dem Überschwang
und nebelhafte Mystik fremd sind und der wirre Verallgemeinerung
und undeutlichen Ausdruck streng meidet, geht

Pettazzoni dem Ideenkomplex der „Allwissenheit" in alten Kulturen
und den Religionen der Völker in allen Weltteilen nach,
indem er die oft verwechselbaren und verschlungenen Begriffe
sorgfältig wie mit dem Skalpell trennt.

Er untersucht schließlich die Zugehörigkeit allwissender
höchster Wesen zu bestimmten Kulturformen. Denn „in jeder
Kultur besteht ein innerer Zusammenhang zwischen den sie bildenden
Elementen, von denen eines die Religion ist. Das Höchste
Wesen wiederum ist ein Teil der Religion und teilt deshalb den
besonderen Charakter der Kultur, zu der sie gehört" (S. 434). So
wird der Weg des anthropologischen Vergleichs oder der sprachvergleichenden
Mythologie ausdrücklich verworfen. Verglichen
wird vielmehr — unter Beachtung namentlich auch des Unterscheidenden
— „das historisch Vergleichbare, weil zu gleichartigen
Kulturen gehörend" (436). Verschmelzungen und Überlagerungen
sind möglich, aber im allgemeinen gehören ursprünglich
Erdmuttergottheiten zu Ackerbaukulturen, und Jägervölker beten
zum „Herrn der Tiere"; dagegen formten sich in Wüste und
Steppe jene Kulturen von Hirten und Nomaden, die Himmelsgötter
mit dem Attribut der Allwissenheit verehren. So sind
etwa, bei aller Verschiedenheit von Form und Schicksal, Jahweh
und der mexikanische Tezcatlipoca vergleichbar, beide himmelbewohnende
, mit dem Donnerkeil strafende Götter, beide zu
Nomadenstämmen gehörend, die sich zwischen ackerbautreibenden
Völkern zu behaupten hatten. „Das Attribut der Allwissenheit
entwickelt sich mit der Gottesidee, — nicht der abstrakten
Gottesidee mit einem theoretisch einheitlichen Entwicklungsplan
(d. h. Animismus, dann Polytheismus und dann Monotheismus),
sondern einer besonderen Gottesauffassung, die in ihrer Bildung
kulturell gegeben und in ihrer Entfaltung historisch unterschiedlich
ist" (S. 438). -

Durch die in 24 Kapiteln durchgeführte umfassende Behandlung
aller Religionen (ausgenommen der christlichen und der islamischen
) ist das Werk — von dem eine Kurzfassung bei Einaudi-
Turin im Erscheinen begriffen ist — nicht zuletzt auch auf Grund
seiner ausgiebigen Literaturangaben, der zahlreichen angeführten
Originaltexte und des 17 seifigen Index gleichsam als eine Art
Kompendium der Religionswissenschaft zu betrachten, bei dem
endlich auch einmal das archäologische Material (mit guten Abbildungen
) gründlich verwertet wurde. Es wird nicht nur für
Theologen und Religionsgeschichtler, sondern auch für Orientalisten
, Archäologen und Kulturhistoriker von außerordentlichem
Interesse sein.

Rom E. A. Voretzsch

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