Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1957 Nr. 2

Spalte:

99-102

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Pettazzoni, Raffaele

Titel/Untertitel:

The all-knowing God 1957

Rezensent:

Voretzsch, Ernst A.

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

99

Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 2

100

halten bleibt, in Verkennung der Tatsache einer seinsmäßigen
Verbundenheit des begnadeten Menschen mit der Menschheit
Christi" (525). Einigermaßen unerfindlich bleibt, wieso diese
„Verengung der heilsvermittelnden Funktion der verklärten
Menschheit Christi" eine Konsequenz des ,6ola fide' sein soll
(523). Das ,sola fide' ist doch auch für Luther konstitutiv, dessen
Christologie man eine solche „Verengung" schwerlich nachsagen
kannl

Der zweite Beitrag von J. T e r n u s ist wiederum ein geschichtlicher
Durchblick, diesmal durch die Entwicklung der protestantischen
Christologie von der Reformation bis zur Gegenwart
.

Der Bericht über den Altprotestantismus fällt sehr summarisch
aus: Die reformatorischen Ausgangspunkte werden stark
haeresiologisch schematisiert. Die Orthodoxie erweist durch ihren
Rückgriff auf aristotelisch-scholastische Begrifflichkeit die Unzulänglichkeit
von Melanchthons Grundsatz: Christum cognoscere
est beneficia eius cognoscere. Die Anerkennung des Chalcedo-
nense durch die Orthodoxie ist „begrenzt durch das Sola-Scrip-
tura-Prinzip" (607) — ein Lob der alten Theologie, das man
sonst heute selten hörtl Im geschichtlichen Versagen des orthodoxen
Systems rächte sich nach Ternus „die Absage an eine kirchlich
authentische Lehrgewalt, die wählerische Willkür und der
dogmatische Subjektivismus theologischen Denkens" (540).
Wohlverstanden: .Dogmatischer Subjektivismus' gilt als Charakteristikum
nicht etwa der Aufklärung, sondern der orthodoxen
Dogmatikl

Ausführlicher werden das 19. Jhdt. und besonders die gegenwärtige
evangelische Dogmatik behandelt. Der letzteren und
ihrem Verhältnis zu Chalkedon widmet Ternus einen instruktiven
Überblick, der mit der Beschreibung von „zwei Wegen"
abschließt: Neben dem objektiven Personalismus des Wortgeschehens
(Barth dürfte hier zu einseitig aktualistisch gesehen
sein!) die „existential-gnostische Sinndeutung der biblischen
Christusbotschaft". Ternus' besonderes Bemühen gilt der Auffindung
der vorgängigen Denkschemata, welche hier wie dort den
christologischen Aussagen zugrunde liegen. Wenngleich evangelische
Leser ihm auch hier nicht immer zustimmen werden, so ergeben
seine Analysen doch stets anregende Gesichtspunkte.

Mit sehr viel mehr Behutsamkeit und einfühlendem Verständnis
untersucht H. Volk „die Christologie bei Karl Barth
und Emil Brunner". Da Barths Versöhnungslehre bei Abfassung
des Beitrags noch nicht vorlag, hat Volk die Elemente der Christologie
Barths aus den früheren Bänden der kirchlichen Dogmatik
zusammengestellt. Er urteilt, „daß die Christologie Barths
in ihrer Anerkennung von Chalkedon echt ist" (638). Barths
spezifischer Akzent auf der Aktivität Gottes führt ihn freilich
dazu, etwa in seiner Deutung der Jungfrauengeburt „den Menschen
als ausgeschaltet zu erweisen" (631). Das bedingt, trotz
der sonst Barths Dogmatik kennzeichnenden Anerkennung der
Eigenwirklichkeit der Kreatur, eine gewisse Infragestellung der
Menschheit Christi (643). Im Zusammenhang damit schließt
Volk sich v. Balthasars Bedenken gegen Barths christologische
.Engführung' an.

Bei E. Brunner weist Volk den Gegensatz zwischen der chal-
kedonischen Christologie in „Der Mittler" und dem reinen Ak-
tualismus in Brunners „Dogmatik" auf. Während am „Mittler"
nur Brunners Ablehnung der Idiomenkommunikation zu beanstanden
ist, liegt in der „Dogmatik" ein reiner Personalismus

RELIGIONSWISSENSCHAFT

Pettazzoni, Raffaele, Prof. Dr.: The AH-Knowing God. Researdies
into early Religion and Culture. Transl. by H. J. R o s e. London:
Methuen [1956]. XV, 475 S., 51 Abb. auf Taf. 8°. 60 s.

— L'onniscienza di Dio. Torino: Einaudi 1955. XXI, 688 S., 65 Abb.
auf Taf. 8° = Collezione di studi religiosi, etnologici e psicologici
24. L. 4.500.—.

Allwissenheit eignet nicht der Gottheit an sich, sondern nur
einer bestimmten Kategorie göttlicher Wesen. Sie gehören zu

vor, wodurch ein „Verlust an theologischer Substanz" eingetreten
ist (668 f.). Volks Zustimmung findet, daß hier „der Mensch
ab wahrer Partner in der Begegnung mit Gott gilt", so daß
Brunners Dogmatik „in manchem ... nahezu katholisch wirkt"
(658). Doch damit nicht genugl Es sollte 6ehr nachdenklich gegenüber
der heutigen Form des theologischen Personalismus überhaupt
machen, daß der katholische Dogmatiker den evangelischen
Kollegen geradezu an den Sinn der Gnade erinnern muß:
„Indem Brunner die antwortende Selbstbestimmung als höchste
und einzige Form von Personbestimmung überhaupt betrachtet,
verschließt er sich leicht den Zugang zum Begriff der Gnade. Die
Einebnung auf das Ethische droht" (656 n. 6)1

Um Bultmanns Stellung zu Chalkedon darzulegen, könnte
man sich damit begnügen, die Ablehnung der chalkedonischen
Christologie durch Bultmann zu konstatieren und sie als Konsequenz
seines existenztheologischen Ansatzes zu charakterisieren
. R. Schnackenburg macht sich seine Aufgabe nicht
so leicht. Er folgt Bultmann in die Exegese der christologischen
Aussagen des NT und stellt fest, daß sich seine Leugnung einer
nt.lichen Bezeugung der wesenhaften Gottheit Jesu Christi nur
dann ergibt, „wenn man die Texte aus dem Vorverständnis
Bultmanns erklärt" (684). So wird schließlich doch die Frage unvermeidlich
„ ... ist bei solcher Haltung der christliche Glaube
noch zu retten?"

Einen Überblick über die anglikanische Christologie in den
letzten hundert Jahren gibt B. L e e m i n g. Die Beurteilung
Chalkedons in der russischen kirchengeschichtlichen Forschung,
sowie besonders in der russischen dogmatischen Theologie seit
Chomjakov und in der neurussischen Gnosis seit Soloviev ist
Gegenstand einer vielseitig anregenden Studie B. Schultzes.
Über den noch immer unentschiedenen Streit zwischen den Patriarchaten
von Moskau und Konstantincpel um den Anspruch
Konstantinopels auf einen auch jurisdiktionell wirksamen Vorrang
in der orthodoxen Welt berichten J. O 1 s r und J. Gill.
Ihre Darstellung knüpft an den 28. Kanon von Chalkedon an,
auf den sich der Anspruch Konstantinopels vornehmlich stützt.

Den Abschluß des Werkes bildet eine kostbare Abhandlung
von J. Neuner über die indische Lehre von den Avatäras. den
„Herabkünften" des Absoluten, im Vergleich zur chalkedoni«chen
Christologie. Allerlei Ähnlichkeiten steht der entscheidende Unterschied
gegenüber, daß die Avatäras keinen wirklich menschgewordenen
und noch weniger einen leidenden und sterbenden
Gott kennen. Gleichwohl sieht Neuner in diesen Mythen — wie
überhaupt in den „Mythen der Völker" — eine verborgene Wahrheit
, die Wahrheit der Verheißung. Die mit dieser These verbundene
Schlußfrage Neuners nach dem Heil der Menschen, welchen
die Christusoffenbarung nicht zuteil wurde, schließt merkwürdig
tiefsinnig das einer dogmatischen christologischen Besinnung
gewidmete Werk ab.

Die Vielfalt von Ergebnissen und Gesichtspunkten, die in
den oft äußerst konzentrierten Beiträgen enthalten sind, konnte
dieser Bericht nur andeuten. Das monumentale Werk legt Zeugnis
ab von der Intensität der christologischen Vertiefung in der
katholischen Theologie der Gegenwart. Auch ein evangelischer
Theologe wird dieses Buch nicht aus der Hand legen, ohne — zu
besserer Einsicht wie auch zum Widerspruch ermuntert — fruchtbare
Anregungen für die eigene Aufgabe empfangen zu haben.
Grund genug auch für ihn, ein solches Werk dankbar zu begrüßen.

I einem ideologischen Komplex, dessen Herkunft und Erscheinungsformen
Gegenstand des neuen Werkes des bekannten italienischen
Religionswissenschaftlers Pettazzoni sind. Das Buch, 1955 unter
dem Titel „L'Onniscienza di Dio" bei Einaudi-Turin in etwas
besserem Druck erschienen und nun von dem englischen Gräzisten
Rose-St. Andrews sehr gut übersetzt, geht ursprünglich auf eine
Vortragsreihe zurück, die der Verfasser 1935 in Uppsala gehalten
hat.

Wie auch mit seinem kürzlich erschienenen Aufsatz „Das
Ende des Urmonotheismus?" (Numen, Vol. III, Fase. 2, 1956) zum
Ausdruck gebracht, ist es ein besonderes Anliegen P.s, die These