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Ausgabe:

1957

Spalte:

95-100

Autor/Hrsg.:

Pannenberg, Wolfhart

Titel/Untertitel:

Neue Wege katholischer Christologie 1957

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Theologische Literatvirzeitung 1957 Nr. 2

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In der evangelischen Dogmatik ist unter dem Einfluß Karl
Barths die Christologie wieder zur Mitte der theologischen Arbeit
geworden. Aber auch auf katholischer Seite ist die Christologie
in Bewegung geraten. Das ist im deutschen Sprachraum für
Außenstehende bisher selten so sichtbar geworden wie durch den
dritten, abschließenden Band des katholischen Chalkedonwerkes1.
Eine Schar hervorragender, vorwiegend dem Jesuitenorden angehörender
Gelehrter hat sich zu diesem Gemeinschaftswerk zusammengefunden
, um die Lebendigkeit des für die Christologie
klassischen Konzils unter Beweis zu stellen. Unter der großen
Zahl reichhaltiger und bedeutender Untersuchungen finden sich
neben dogmatischen auch theologiegeschichtliche Abhandlungen,
die zur christologischen Problematik der Gegenwart hinführen,
indem sie ihren geschichtlichen Horizont bestimmen. Das Interesse
des Werkes gilt nicht nur der Wirksamkeit und Fortbildung
chalkedonischer Motive in der katholischen, sondern auch der
Stellungnahme zu Chalkedon in der nicht-katholischen Theologie
. Die Hauptformen evangelischer Christologie hier einmal in
katholischer Perspektive zu sehen, ist ebenso lehrreich wie die
Berührung mit katholischen Neuansätzen zur Lösung der alten,
den Konfessionen doch weithin gemeinsamen Probleme.

Die der katholischen Christologie gewidmete Hälfte des
Bandes eröffnet K. R a h n e r mit der Frage: „Chalkedon — Ende
oder Anfang?" Er sieht die katholische Christologie vor einer
Fülle noch unbewältigter Aufgaben. Von einer stärkeren Berücksichtigung
der Bibeltheologie erwartet Rahner eine entschiedenere
Orientierung der Christologie an der Menschheit Jesu, wodurch
auch eine „Christologie in den Kategorien der Bewußtseinsgegebenheiten
" (23) möglich würde. Das neuer Klärung bedürftige
Problem der hypostatischen Einheit von Gott und Mensch
führt zur Frage nach den Konsequenzen der Christologie für die
Anthropologie. Immer wieder werden in Rahners „Aporetik
einer heutigen Christologie" ein Hinausdrängen über traditionelle
, metaphysische Schemata und Impulse zu einer christozen-
trischen Durchdringung der ganzen Dogmatik, z. B. auch der
Gnadenlehre, spürbar.

Einige der Programmpunkte Rahners werden durch die folgenden
Beiträge im Ansatz verwirklicht. So entfaltet B. W e 11 e
im Anschluß an Thomas das Stichwort „homoousios hemin", indem
er in der Struktur des Menschseins als solchen die Bestimmung
und die Anlagen zur Einung mit Gott aufsucht. In solcher

Neue Wege katholischer Christologie

Von Wolfhart Pannenberg, Heidelberg

nicht dadurch behoben wird, daß Ternus versichert, in den Selbstaussagen
des Jesus der Evangelien „Tore zum Seelenleben Jesu"
(94) zu besitzen. Doch primär zielt Ternus nicht so sehr auf eine
Beschreibung der psychologischen Individualität Jesu ab als vielmehr
auf die Integrität des Menschseins Jesu auch hinsichtlich
einer menschlichen Geistigkeit; und die Notwendigkeit dieser
Frage wird keine besonnene Theologie von der Hand weisen.
Auf 156 Seiten durchleuchtet Ternus von durchgehend wirksamen
dogmatischen Fragestellungen aus die gesamte Geschichte seines
Problems vom monenergistischen Streit bis zur Gegenwart. Drei
immer wieder in Spannung zueinander tretende und zu gegensätzlichen
Lösungen ausgebildete „Kernfragen" arbeitet er als die
„Unruhemomente" in dieser Entwicklung heraus ( — und sie
sind gleichzeitig „die drei Hauptprobleme der christo-ontologi-
schen und der christo-psychologischen Kontroverse der Gegenwart
" 208): Die Hegemonie des Logos über die menschliche Natur
, die menschliche Natur als Organ des Logos, endlich eine
„relative Autonomie der Human-Psychologie Jesu". Ternus
möchte diese drei Aspekte (und damit auch die alexandrinische
mit der antiochenischen, die thomistische mit der scotistischen
Linie) zu einer inneren Einheit verbinden; doch der Schwerpunkt
seines Interesses liegt unverkennbar beim dritten Aspekt. Er verfolgt
die Problematik der menschlichen Autonomie Jesu vom
Dyotheletismus über die Homo-assumptus-Theorie der Scholastik
und Duns Scotus bis zur gegenwärtigen Diskussion um
Deodat de Basly und zur Enzyklika .Sempiternus Rex' 1951.
Eine sehr interessante Beleuchtung erfahren in diesem Zusammenhang
die neuprotestantische und die modernistische Leben-
Jesu-Literatur.

Ternus hält an der Annahme eines besonderen „menschlichen
Ich" in Jesus Christus fest (222 f.), das im Anschluß an
Scheeben als „quasi-personales Subjekt" seiner menschlichen
Handlungen charakterisiert werden kann (133 n. 27). „Insofern
wird Christus der Mensch als relativ von Gott verschiedene Person
bezeichnet" (219). Entscheidendes Motiv für solche den ,Ne-
storianismus' streifende Zuspitzungen des dyotheletischen Ansatzes
scheint zu sein, daß der freie menschliche (!) Wille Jesu als
Prinzip seines Opfers und unserer Erlösung gewahrt werden soll
(233). Ähnlich hatte schon Rahner von Jesus als dem wahren
Menschen gesprochen, „der in echter menschlicheT Freiheit auf
Gott hin unser Mittler sein kann" (13). Hier werden Zusammen-

r> i . j_ . * ... r+Jt. t. „,„,1,4, „,,„;_..„ Ii j. hange der Person Christi mit dem Versohnungsamt und daruber-

Perspektive erscheint die mit Gott hypostatiscn geeinte Mensch- " , , , ,. . , n , 6 ,, . , , __.

, ./, , , . ,. Ti. .... „jj,* ,ic u„ß a i hinaus mit der durch .Verdienst oder , Gnade allem bestimmten

heit Jesu gerade auch in dieser Hinsicht nicht als bloße Aus- c.t , , », _ , .{,, ,. , £ ,.

.Ja** ,u Crfnn™» A~ MoncA^in* flk.,,«,«,* I Situation des Menschen vor Gott deutlich, die auch auf evangeli-

nahme, sondern als Erfüllung des wahren Menschseins überhaupt.
Dieser Weg zur Vermeidung des monophysitischen Scheins der
göttlichen Personalität Christi dürfte wichtige Anregungen auch

scher Seite und von evangelischen Voraussetzungen aus neu
durchdacht werden sollten. Ob evangelische Christologie das
Mittleramt Christi durch eine „echte menschliche Freiheit" kon-

7.. j. ,. . r>y , u__f--;i{j. „;j.4. • j ! mittieramt v_nristi aurcn eine „etnic mcuauinuit nuuui

für die evangelische Christologie enthalten, freilich nicht in der ...... . , , .. . , n.«,. • „;j,t „i„im»i,r „u~ j

... , 6 , . ii r j.» „;„„....j.i stituiert sehen konnte? Mußte sie nicht vielmehr an eben dieser

Aa F™ miiVSV rSKt Äne" 1 Stelle bezeugen, daß Gott seinen Sohn für uns dahinab

Richtung, daß die menschte Natur als soldie „ capax De, ,m ; (Röm 2? * )? Mußte sie dann aber nidu auch d T*

SlnnC£T M f^11 !Vt0ßl,Se't J* "'V at"n' dlese : nachgehen, ob eine derartige .Freiheit' (ein liberum arbitrium)

menschliche Natur wäre n.ch die des Sunders und also unserer überha t jn die theologische Anthropologie und also auch zur

Selbsterfahrung nicht zugangl.di! Integrität des Menschseins Christi gehört? In der katholischen

Mit J. T e r n u s' ebenso großangelegter wie gelehrter Ab- Theologie steht die Christologie in vielfacher Korrespondenz zur

handlung über das Seelen- und Bewußtseinsleben Jesu schließt j allgemeinen Gnadenlehre und Anthropologie. Diese in der Tat

sich der Kreis der vornehmlich auf die Menschheit Jesu gerichte- j von der Sache her gebotene Korrespondenz muß auch in der evan-

ten Beiträge. Einer „Psychologie Jesu" wird man allerdings auf gelischen Christologie stärker zum Ausdruck gebracht werden, -

evangelischer Seite heute mit einiger Skepsis begegnen, die auch

') Grillmeyer, Aloys, S.J., u. Bacht, Heinrich, S.J.: Das
Konzil von Chalkedon. Geschichte und Gegenwart. Im Auftr. d. Theol.
Fakultät S. J. St. Georgen Frankfurt/M. hrsg. Bd. III: Chalkedon heute.
Würzburg: Echter-Verlag [1954]. IX, 981 S. gr. 8°. Kart. DM 46.—.
Lw. DM 50.—.

Zu den beiden ersten Bänden cf. H. v. Campenhausen in ThLZ 78,
1953, Sp. 8 5 ff. und 81, 1956, Sp. 223. Der Anhang des vorliegenden

dritten Bandes enthält ein 922 Titel umfassendes Verzeichnis der Li- liche Natur der Kirche ibt so is( auA die Einheit von Götdi.
teratur zur Geschichte des Konzils von Chalkedon, das von A. Schön- .___.._ j , ... . , v. . j„ i_________r:_L-:

nicht zuletzt deshalb, weil das der Weg ist, den mythologischen
Schein bestimmter christologischer Aussagen zu beheben, wozu
man aus dem Aufsatz von Welte (s. o.) einiges lernen kann.

Zur Strukturparallele zwischen Christologie und Ekklesio-
logie, die in der Nachfolge Möhlers auch neuerdings viel verhandelt
worden ist, äußert sich Y. C o n g a r. Die Kirche hat
wie Christus eine menschliche, aber nur gleichnishaft (in der Gnade
) eine göttliche Natur. Wie es keine im strengen Sinne gött-

teraiur zur uescnicnte aes Konzils von v-namcuun, ua» vun n. acnon- j__„ ., j >. ... . , Ix. , j__i j___r;_L

metzer erstellt" wurde, ferner die Register zum Gesamtwerk. Das Re- &e™™<* Menschlichem in der Kirche de hypostatischen Einheit

gister berücksichtigt Schriftzitate, griechische und lateinische Stichwör- ! m Vhnstus nur analoS: & ist elne Emhelt "l gew,isse" Vollzügen

ter in Auswahl und mit erfreulicher Ausführlichkeit Namen und Sach- ! (Operations), nicht im Sein (246,251); und selbst diese in der

bezeichnungen. I Kirche stattfindenden göttlichen und menschlichen Operations