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Ausgabe:

1957 Nr. 2

Spalte:

91-94

Autor/Hrsg.:

Stupperich, Robert

Titel/Untertitel:

Die kritische Ausgabe der Werke Martin Bucers 1957

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Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 2

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Die kritische Ausgabe der Werke Martin Bucers

Von Robert Stupperich, Münster/Westf.

Seit 400 Jahren ist eine Bucer-Ausgabe ein unerfülltes De-
siderium geblieben. Ungünstige Zeitumstände haben manche Vorhaben
verhindert, den Ertrag der theologischen und kirchlichen
Arbeit des Straßburger Reformators in einer Gesamtausgabe seiner
Schriften festzuhalten. Die theologischen Kämpfe, die sich in
Straßburg in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts abspielten,
haben die Erinnerung an Bucer schnell verdrängt und sogar bewußt
in den Hintergrund treten lassen. Während die Lutheraner
6ich von ihm abgrenzten, wurde andererseits sein Erbe von Calvin
überschattet. So kam es, daß außer dem 1577 in Basel erschienenen
Tomus Anglicanus, der Bucers in England entstandene
bzw. für England bestimmte Schriften enthält, später kaum
eines seiner Werke nachgedruckt worden ist. Der Gedanke an die
Opera omnia, den sein treuer Helfer Konrad Hubert jahrzehntelang
vertreten hatte, mußte aufgegeben werden. Diesem Unstern
haben wir es zuzurechnen, daß die Schriften eines der bedeutendsten
Reformatoren, der zu seiner Zeit im Mittelpunkt des deutschen
wie des schweizerischen Reformationsgeschehens gestanden
und dessen Einfluß bis nach Frankreich, zu den Waldensern und
zu den Böhmischen Brüdern gereicht hatte, weithin in Vergessenheit
geraten sind. Besonders schmerzlich ist es, daß nicht einmal
der Briefwechsel dieses eifrigen Gelehrten und Kirchenpolitikers
rechtzeitig gesammelt worden ist. Abgesehen von der in sich geschlossenen
Korrespondenz des Landgrafen Philipp von Hessen
mit Bucer, die Max Lenz 1880—1891 aus dem Marburger Archiv
herausgab, ist der ganze übrige Briefwechsel zerflattert und. so

Etwa um die gleiche Zeit sind auch in Straßburg dieselben
Gedanken erwogen und durchberaten worden. Auch hatte sich
die Erkenntnis durchgesetzt, daß eine wissenschaftliche Edition
der Werke Bucers ein so großes Unternehmen sei, daß keine Nation
in unserer Zeit so viele Fachkräfte stellen könnte, um diese
Aufgabe in absehbarer Frist zu bewältigen. Auch die Finanzierung
eines derartigen Unternehmens mußte auf große Schwierigkeiten
stoßen. Wohl hatte Straßburg in den Jahren zuvor einen Anfang
mit Nachdrucken gemacht, allein diese Publikationen erschienen
unbefriedigend. Die in der Revue d'histoire et de Philosophie re-
ligieuses erschienenen Drucke sollten nicht als Grundlage einer
neuen Ausgabe angesehen werden. Sollte aber eine breitere Basis
gefunden werden, so mußten die interessierten Kreise aus den
benachbarten Ländern: Deutschland, Frankreich, Schweiz evtl.
auch England und USA zusammengefaßt werden. In diesem Falle
mußten die anfallenden Aufgaben und Pflichten unter ihnen aufgeteilt
werden. Unter diesem Aspekt erschien das große Unternehmen
in etwa 20 Jahren durchführbar.

Den Anstoß zum gemeinsamen Beginnen gab Francois Wendel
in Straßburg. Nachdem Gerhard Ritter brieflich den Kontakt
hergestellt hatte, erging von Straßburg aus die Einladung an die
deutschen und schweizerischen Bucer-Forscher zu einer gemeinsamen
Konferenz. Am 8. Oktober 1952 wurde dort die Internationale
Bucer-Kommission konstituiert, die den Beschluß faßte,
sogleich an die Herausgabe der großen Bucer-Ausgabe heranzutreten
. Die Opera omnia sollten parallel in einer lateinischen und

weit er erhalten ist, nur in einzelnen Stücken hin und wieder I einer deutschen Reihe erscheinen, während die dritte Reihe den
herausgegeben worden. Nicht einmal die Hälfte der weit über Briefwechsel enthalten sollte

2000 erhaltenen Briefe ist veröffentlicht, von den in die Hunderte
gehenden Gutachten zu verschiedenen theologischen und
kirchlichen Fragen ganz zu schweigen.

Nicht nur in Straßburg, sondern überall in Deutschland und
in der Schweiz stand es unter den Reformationshistorikern längst
fest, daß die Erinnerung an Martin Bucer und sein Werk wieder
wachgerufen und gepflegt werden müßte. Vor dem ersten Weltkriege
hatten sich elsässische Kreise darum bemüht, ihm in Straßburg
ein Denkmal zu setzen. Zu diesem Zwecke hatte Gustav
Anrieh 1914 seine für weite Kreise bestimmte Biographie Martin
Bucers geschrieben. Die Kriegsereignisse hatten die Verwirklichung
des Denkmalplanes verhindert.

Erfreulicherweise ist die Bucer-Forschung in den Jahren zwischen
den beiden Weltkriegen stark angeregt worden. In zahlreichen
Untersuchungen ist auf die unvergleichliche Wirksamkeit
Bucers im theologischen wie im kirchlichen und sogar im politischen
Bereich des 16. Jahrhunderts mit Nachdruck hingewiesen
worden. Um nicht Bekanntes zu wiederholen, sei auf meinen Bericht
„Stand und Aufgabe der Bucer-Forschung" im Archiv für
Reformationsgeschichte 1952, Jg. 42, S. 244—259 verwiesen.
Bucers 400. Todestag 1951 ließ von neuem sein Gedächtnis lebendig
werden. So war es naheliegend, daß der Gedanke aufkommen
mußte, sein Denkmal in Gestalt einer großen kritischen Bucer
-Ausgabe aufzurichten. In Deutschland war es der Verein für
Reformationsgeschichte, der sich dieses wissenschaftlichen Anliegens
annahm. Heinrich Bornkamm gebührt das Verdienst, diesen
Gedanken durch schwere Jahre hindurch wachgehalten zu haben1
. Auf seine Anregung hin ist beim Verein für Reformationsgeschichte
eine Bucer-Kommission ins Leben gerufen worden, die
1952 in Frankfurt tagte und ihre Grundauffassung einheitlich
ausprägte. Da der ältere Plan, die Werke Bucers im Rahmen des
Corpus Reformatorum zu edieren, nicht mehr durchführbar erschien
, wurden neue Wege gesucht, um zu diesem Ziel zu gelangen
. Das Eine stand für alle Bucer-Forscher fest: mit einer kleinen
Auswahl-Ausgabe konnte man sich nicht begnügen. Es mußte
eine allen wissenschaftlichen Ansprüchen genügende große kritische
Ausgabe sein.

*) Dieser Gedanke ist von H. Bornkamm bereits in einem Bericht
für den Theologentag in Marburg (1950) vorgetragen worden.

Unter tätiger Mitarbeit von Erwin Steinborn hatte ich selbst
zu diesem Zeitpunkt eine neue Bibliographia Bucerana zusammengestellt
, die als Nr. 169 der Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte
1952 erschienen ist2. Die Angabe der Fundorte
der Bucer-Schriften sollte den Bearbeitern der künftigen Bucer-
Ausgabe die Arbeit erleichtern. Zugleich macht sie jedem Benutzer
deutlich, wie gering die Bestände an Bucer-Schriften im In-
und Auslande noch sind. Diese Bibliographie ergab die Möglichkeit
, den Umfang der gesamten Bucer-Überlieferung festzustellen.
Nachdem sich die Straßburger Konferenz für eine internationale
Zusammenarbeit ausgesprochen hatte, lag es nahe, den Stoff in
der Weise einzuteilen, daß den französischen Bearbeitern die
Herausgabe der lateinischen, den deutschen die der deutschen
Schriften übertragen wurde. Es war von großer Bedeutung für dieses
fruchtbare Beginnen, daß Ernst Stähelin und Fritz Blanke ihre
Editionserfahrungen mitteilten und gute vermittelnde Vorschläge
machten. Der 1952 gewählte Redaktionsausschuß konnte im Mai
195 3 bereits zu praktischer Arbeit in Straßburg zusammentreten.
Hier konnte der voraussichtliche Umfang der gesamten Ausgabe
festgelegt werden, die 15 Bände (von durchschnittlich je 35 Bogen
) lateinischer, 9 Bände deutscher Schriften und 6 Bände Briefe
umfassen wird. Die Art der Edition ist bis ins kleinste besprochen
und festgestellt, auch was Einleitungen und Kommentierung anlangt
. Dabei wurde ein Weg eingeschlagen, der zwischen der
Weimarer Ausgabe deT Werke Luthers und der neuen Zwingli-
Ausgabe liegt.

Es ist auf theologischem Gebiet, 6oweit ich sehe, das eTste
Mal, daß eine deutsch-französische Gemeinschaftsarbeit großen
Stils ins Leben tritt. Trotz der verschiedenen Serientitel und der
Herstellung in Paris bzw. Gütersloh soll die Ausgabe der Opera
omnia Martini Buceri als eine einheitliche Edition angesehen werden
. Auch wenn den französischen bzw. deutschen wissenschaftlichen
Gewohnheiten Rechnung getragen wird, werden die
Herausgeber dafür sorgen, daß das einheitliche Aussehen und die
Gemeinsamkeit der Ausgabe nicht gefährdet werden. Um der Ein-

s) Bornkamm, Heinrich, u. Robert Stupperich: Martin
Bucers Bedeutung für die europäische Reformationsgeschichte. Bibliographia
Bucerana. Gütersloh: Bertelsmann 1952. 95 S. gr. 8° = Schriften
d. Vereins f. Reformationsgeschichte. Nr. 169. Jg. 58. 2. DM 6.80.